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General - Bericht
über den
GESUNDHEITSDIENST
im
Feldzuge gegen Dänemark 1864.
Von
Dr. F. Lffiffler,
Königlich Preussischer General-Arzt.
Erster Theil.
Mit 20 Holzschnitten.
Berlin, 1867.
Verlag von August Hirschwald.
Unter deu Linden No. 68.
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7
MISOILf
Dem
Königlichen General-Stabsarzte der Armee
und
Chef des Militair-Medicinalwesens,
HERRN De GRIMM
aus Dankbarkeit und Verehrung
gewidmet.
Inhalt des ersten Theils.
Sehe
Einleitung VJ
Erster Abschnitt: Die Verluste der preussischen Feld- Armee durch Ver-
wundung und Krankheit, Gesundheitszustand und Gesundheitspflege
im Allgemeinen 1
Zweiter Abschnitt: Die Verletzungen durch Kriegswaffen o5
I. Säbelwunden 37
IT. Bajonnet-Wunden 39
III. Kolben-Stösse und Kolben-Schläge 41
IV. Schuss-Verletzungen 42
Erstes Capifel: Die Schussverletzungen des Kopfes 57
1. Schussverletzungen des Schädels 57
2. „ des Gesichts 107
Schussverletzungen der Kiefer , 119
Schussfracturen des Oberkiefers 124
Schussverletzungen des Unterkiefers 131
Zweites Caplteh Die Schussverletzungen der oberen Glieder . 135
A. Abreissungen und Zermalmungen grösserer Glied-Abtschuitte 139
B. Weichtheil-Schüsse 143
C. Weichtheil-Schüsse mit Verletzung von Nervenstämmen . 149
D. „ mit Verletzung von Gefässstämmen . 151
E. Knochen-Schüsse der oberen Extremitäten 160
1. Schussbrüche der Schulterknochen 1G2
2. Schussvorletzuugeu des Oberarmknochens .... 174
3. „ der Unterarmknochen .... 195
4. Knochen-Schüsse der Hand 211
F. Gelenk-Schüsse.
1. Schuss Verletzungen des Handgelenks 218
2. „ » Ellenbogengelenks .... 226
3. ,> » Schultergeleoks 279
Anhang. 1. Liste der im* Feldzuge 1864 ausgeführten Resectionen des
Ellenbogengelenks.
2. „ der im Feldzuge 1864 ausgeführten Resectiooen des
Schultergelenks.
Einleitung.
as Capital von Gesundheit und Kraft, welches der Staat in der
Armee anlegt, damit es bei dem Zusammenstosse mit einem Feinde
den höchsten Zins trage, möglichst zu wahren und Denjenigen,
welche im Kampfe für Ehre und Heil des Vaterlandes bluten und
leiden, möglichst wirksamen Beistand zu sichern — ist heutigen
Tages das Ziel eines mehr als jemals ernstgemeinten, opferwilligen
und allgemeinen Strebens. Der gestiegene Werth des Individuums
in der Armee, die anders gewordene Art der Kriegführung, welche
durch Energie und Ausbeutung des Erfindungsgeistes an Zeit spart,
und die trotz der Kriege, ja zum Theil durch dieselben wachsende
Civilisation drängen dazu.
Diesem Zwecke soll auch das in den folgenden Blättern nieder-
gelegte Stück feldärztlicher Erfahrung dienen. Es stammt
aus dem deutsch-dänischen Kriege von 1864. Die Ereignisse des
Jahres 1866 haben ihm unerwartet schnell eine Concurrenz ge-
schaffen; aber es wird sehr viel Zeit und Mühe kosten, die neue
Erfahrungsquelle so zu erschliessen und zu läutern, dass ihre Pro-
ducte allgemein nutzbar werden. Ich trage kein Bedenken, diese
Eigenschaft den Ergebnissen der Kriegserfahrung von 1864 zuzu-
schreiben, welche zu veröffentlichen ich im Mai 1866 begann und
nach der durch die jüngste Kriegsthätigkeit bedingten Pause fort-
fahre. Sind sie doch das Gemeingut der preussischen Feld-
ärzte von 1864, mir nur anvertraut zur Verwaltung und Ver-
werthung.
VI
Die persönliche Erfahrung, welche der Einzelne aus einem
Feldzuge heimbringt, ist, selbst wenn er als klinisch consultirender
oder dienstlich leitender Generalarzt fungirte, nicht zugleich viel-
seitig und speciell genug, die künftige Regel zu begründen,
sei es für die Organisation, sei es für die Technik des Kriegsheil-
wesens. Dazu ist Sammlung, Ordnung und Sichtung der in den
verschiedensten Wirkungskreisen gewonnenen Einzelerfahrungen
nothwendig — eine Arbeit, welche viel weniger kurzweilig ist,
als das sprudelnde Hinwerfen scheinbar oder wirklich neuer Ein-
fälle und Vorschläge, deren sich leicht so viel häufen lassen, dass
eine ganze Reihe von Kriegen nicht ausreicht, die practische Probe
darauf zu machen.
Für den Feldzug von 1864 wurde jene Arbeit als eine der
Aufgaben des „Armee- Arztes" bezeichnet — nämlich in der In-
struction, welche der Chef des Militair-Medicinalwesens, Herr Ge-
neral-Stabsarzt Dr. Grimm mir ertheilte, als ich zur Oberleitung
des ärztlichen Dienstes in der Feldarmee berufen wurde.
Behufs ihrer Lösung musste zunächst den Vertretern der ver-
schiedensten feldärztlichen Wirkungskreise Anlass gegeben wer-
den, ihre Erfahrungen in Spezialberichten niederzulegen. Die
Art und Weise, wie der bezüglichen armeeärztlichen Requisition*)
genügt worden ist, entspricht ganz dem Interesse für die Armee,
welches die preussischen Feldärzte vorher im practischen Dienste
mit ebenso viel Aufopferung als Erfolg bethätigt hatten, und der
hohen Stufe wissenschaftlicher Durchbildung, welche sie einnehmen.
Vereint mit allen den während des Feldzuges geführten Rap-
ports, Listen, Monatsberichten und Journalen, sowie mit den an-
derweitig bereits veröffentlichten Bruchstücken**) stellen die Spe-
*) Dieselbe ging in Form besonderer Circulare an die Truppen- und Laza-
reth-Aerzte der Feld-Armee und enthielt Dispositionen für die Berichterstattung,
deren gemeinsame Benutzung empfohlen wurde. Die erforderlichen Nachweise
aus den heimischen Reserve- Lazarethen wurden durch die Vermittelung des
Herrn Chefs zu meiner Verfügung gestellt.
**) „Bruchstücke" nenne ich diese Arbeiten nur in Bezug auf die Gesammt-
summe der im Feldzuge gewonnenen Erfahrung. Mehrere sind an und für sich
sehr reichhaltig und für einzelne Themata resp. für die Beobachtungskreise
YII
cialberichte für den Generalbericht ein Material von seltener
Vollständigkeit und — wenigstens bei Feldzugserfahrungen — un-
gewöhnlicher Exactheit zur Verfügung. Ich fühle mich verpflichtet,
Rechenschaft davon zu geben, wie ich dasselbe zu verwerthen ver-
sucht habe, um der durch das Interesse der Armee bestimmten
Intention der vorgesetzten Dienstbehörde zu entsprechen.
Den Vorwurf der Säumigkeit, zu welchem die späte Veröf-
fentlichung zu berechtigen scheint, kann ich mit gutem Gewissen
abweisen. Gleich nach der Heimkehr vom Kriegsschauplatze Ende
1864 ging ich an die Arbeit, welcher seitdem so ziemlich alle von
den currenten Dienstgeschäften bleibende Müsse gewidmet wurde.
ihrer Verfasser mehr oder weniger erschöpfend. Das folgende Verzeichniss
macht auf Vollständigkeit nicht Anspruch.
Dr. A. Ochwadt, Ober-Stabsarzt: Kriegschirurgische Erfahrungen auf dem
administrativen und technischen Gebiete während des Krieges gegen Däne-
mark 1864. Berlin 1865. (Verfasser war Chefarzt des 2. schweren Feld-
Lazareths III. Armee-Corps).
Dr. A. Lücke, Professor der Chirurgie in Bern: Kriegschirurgische Aphoris-
men aus dem zweiten schleswig-holsteinschen Kriege im Jahre 1864. Berlin
1865. (Verfasser war Sectious- Stabsarzt im 1. schweren Feld-Lazareth
III. Armee-Corps).
Dr. R. Biefel, Ober- Stabsarzt: Tagebuch und Bemerkungen aus dem Feld-
zuge 1864. Als Manuscript gedruckt. (Verfasser fungirte als Regiments-
arzt des 3. Garde-Grenadier-Regiments Königin Elisabeth).
Dr. J. Res sei: Der Johanniter -Orden auf dem Kriegsschauplatze des däni-
schen Feldzuges 1864. Pless 1865. (Verfasser war dirigirender Arzt der
Kriegs-Hospitäler des Johanniter-Ordens in Flensburg).
Derselbe: Die Kriegs - Hospitäler des St. Johanniter-Ordens im dänischen
Feldzuge von 1864. Ein Beitrag zur Chirurgie der Schusswunden. Breslau
1866.
Dr. C. Heine, Docent der Chirurgie in Heidelberg: Die Schussverletzungen
der unteren Extremitäten. Nach eigenen Erfahrungen im letzten schleswig-
holsteinischen Feldzuge. Berlin 1866. (Verfasser wirkte freiwillig mit,
ohne eine bestimmte Dienststellung zu bekleiden).
Dr. B. vonLangenbeck, Generalarzt etc.: Ueber Resection des Fussgelenks
bei Schussfracturen desselben. Berliner klinische Wochenschrift. 1865.
No. 4. (Verfasser fungirte als klinisch-consultirender Generalarzt).
Dr. E. Gurlt, Professor in Berlin: Miiitair-chirurgische Fragmente. Berliner
klinische Wochenschrift 1864. (Verfasser besuchte den Kriegsschauplatz
als Commissarius des Preussischen Central-Comites des Vereins zur Pflege
im Felde verwundeter und erkrankter Krieger).
VITT
Von den beiden durch den practischen Zweck des General-
berichtes vorgezeichneten Aufgaben — Prüfung der Zuläng-
lichkeit und Zweckmässigkeit der bestehenden Orga-
nisation des Kriegsheil wesens nach Massgabe der vor-
liegenden Thatsachen und Würdigung der feldärztlichen
Praxis auf Grund der erzielten Resultate — musste die
erstere vorweg in Betracht gezogen werden, weil die definitiven
Kurresultate, wie die Wissenschaft sie braucht zum Regelbau
für die Praxis, unmittelbar nach einem Feldzuge noch gar nicht
feststehen.
Mehrere Umstände trafen zusammen, den Feldzugserfahrungen
von 1864 eine besondere Bedeutung für die Organisationsfrage
zu geben.
Der Feldzug war für Preussen seit langen Jahren die erste
grössere practische Probe nicht bloss auf die Zweckmässigkeit der
auf Steigerung der Schlagfähigkeit der Armee berechneten und
energisch durchgeführten Reformen, sondern auch auf die Stich-
haltigkeit der Principien, welche der Vervollkommnung des Mili-
tair-Medicinalwesens zu Grunde gelegt, und auf die Zulänglichkeit
der Einrichtungen, welche zu deren Verwirklichung getroffen wur-
den. Beginnend mit der Schöpfung des Institutes der Laza-
rethgehülfen (1832), welche die Geltendmachung des Grund-
satzes — weniger aber nur tüchtige Arzte von vollkom-
mener wissenschaftlicher Durchbildung — vorbereitete,
hat diese Reform einen sehr bedächtigen Gang genommen. Das
hochherzige Königswort, welches 16 Jahre später die Entwicke-
lungsbahn vorzeichnete, indem es die Sorge für den kranken und
verwundeten Soldaten von der Bedeutung einer ökonomischen An-
gelegenheit zu der einer Frage der Humanität und Wissenschaft
erhob, geht langsam aber stetig in Erfüllung.
Davon zeugt insbesondere das„Reglemen.t über denDienst
der Krankenpflege im Felde", welches, durch eine zu dem
Zu .cke berufene Commission im Winter 1860—1861 vorberathen,
unter dem 17. April 1863 die Königliche Sanction erhielt. Na-
mentlich das Princip der einheitlichen Befehligung der ein-
zelnen Feld-Lazarethe durch Chef-Aerzte, welches —
IX
wenigstens für den europäischen Continent neu — dadurch inau-
gurirt wurde, beweist, wie sehr dem Königlichen Kriegsherrn und
der obersten Armeeverwaltungs-Behörde das Loos des verwundeten
Soldaten am Herzen liegt.
Die Organisation der Friedens-Lazarethe blieb dabei unver-
ändert und gewährte den verschiedenen Elementen, welche bei der
Mobilmachung zum Feldlazareth - Organismus combinirt werden,
für das Zusammenwirken nach dem neuen Organisationsprincip
keinerlei Vorübung. Um so mehr Interesse knüpft sich an die
erste praktische Probe im Feldzuge 1864; denn das Princip selbst
muss sehr gesund sein, um trotzdem zu befriedigenden Ergebnis-
sen zu führen — und es hat zu solchen geführt.
Noch schneller als auf den Erlass jenes Reglements folgte der
Feldzug auf die internationale Conferenz zu Genf (October
1863). Vorbereitet durch die bewundernswerthen Leistungen einer
Miss Nigthingale im Krimmkriege und durch das segensreiche
Beispiel, welches zur selben Zeit in Russland die Grossfürstin
Helene mit der Schöpfung einer besonderen dem Dienste der
Krankenpflege im Felde gewidmeten weiblichen Genossenschaft
(„Schwestern zur Erhöhung des Kreuzes") gegeben hat,
eingeleitet durch die „Erinnerung an Solferino", welche
H. Dunant, ein Humanist vom ächten Schlage, ergreifend genug
zu wecken verstand, fand die Idee, dem amtlichen Factor
der Krankenpflege im Kriege einen gleichfalls organi-
sirten privaten Bundesgenossen zu schaffen und zu dem
Zwecke dauernde nationale und internationale Asso-
ciationen zu bilden, die Herzen offen — auf dem Throne
wie im Volke.
Der Feldzug von 1864 hat, wenigstens in Europa, die erste
Gelegenheit geboten zur practischen Prüfung, ob und in wie weit
es sich dabei um eine Utopie handele. Die Frage war im Prin-
cip bald entschieden — besonders durch die rührige Initiative,
welche der Johanniter-Orden ergriff. Nach dem Feldzuge galt
es, auf Grund der gesammelten Erfahrung die Beziehungen zwi-
schen den beiden Factoren — dem amtlichen und dem privaten
X
— zu ordnen, um ein gedeihliches Zusammenwirken derselben für
die Zukunft zu sichern*).
Genug — die durch den Krieg von 1864 gewonnene Erfah-
rung war ganz geeignet, zunächst für den administrativen
Theil des Generalberichtes das Interesse zu fesseln. Mit ge-
wissenhafter Würdigung der vorliegenden Thatsachen und gebüh-
render in die Details eingehender Ausführlichkeit bearbeitet, wurde
derselbe bereits im Mai 1865 der vorgesetzten Dienstbe-
hörde überreicht. Dies war noth wendig nicht blos wegen der
den Druck amtlicher Schriftstücke betreffenden Dienstvorschriften,
sondern auch des practischen Zweckes wegen. Es handelte sich
nicht um Vermehrung der kriegsärztlichen Literatur durch ein
*) Der jüngste nordamerikanische Unionskrieg hat diesseits des Oceans in
mehrfacher Beziehung Staunen erregt, namentlich auch durch den Erfolg, mit
welchem trotz der colossalen Dimensionen des Hülfebedürfnisses für die Ver-
wundeten und Kranken gesorgt worden ist. Wie die Armee selbst, so musste
auch für das Kriegsheilwesen Organisation, Personal und Material, kurz nicht
weniger als Alles erst geschaffen werden. Denn was beim Beginne des Krieges
davon existirte, war völlig bedeutungslos für eine Armee, deren Kopfstärke
schon im zweiten Kriegsjahre an eine Million reichte. Mit der Noth, welcher
die Verwundeten und Kranken der Armee Anfangs preisgegeben waren, stei-
gerten sich die Anstrengungen, ihrer Herr zu werden. Das Zusammenwirken
des neugeschaffenen, nach grossen und ganz durchgeführten Grund-
sätzen organisirten Kriegsheilwesens mit der ebenso practisch organi-
sirten, wie grossartig entwickelten Privathülfe hat das Wunder zu Stande ge-
bracht. Das instructivste Bild des ersteren findet sich in dem Buche, welches
der Kaiserl. Russische Geheimerath und General -Inspector des Sauitätswesens
der Kaiserl. Marine Dr. II. v. Ilaurowitz kürzlich veröffentlicht hat- („Das
Militairsanitätsweseu der vereinigten Staaten von Nord- Amerika " etc. Stutt-
gart 1866). Die fraglichen Principien sind darin klar und scharf formulirt
(S. 43 und 44). Sie sind diesseits des Oceans nicht neu als Ideale. Das
practische England hat es sogar schon früher — nach dem Krimmkriege —
gewagt, dieselben einer Reform des Militair-Medicinalwesens zu Grunde zu legen.
Aber es ist jeden Falles von Interesse, nunmehr durch eine grossartige Kriegserfah-
rung bewiesen zu wissen, dass die Verwirklichung jener Ideale nicht zu den
Unmöglichkeiten gehört, und was dieselbe im Falle der Noth zu leisten vermöge.
Es wäre eine Illusion, zu glauben, irgend ein europäischer Grossstaat könne
sich dadurch bestimmen hissen, ohne Weiteres tabula rasa zu machen, um sein
Kriegsheilwesen nach jenem Modell neu aufzubauen. Aber man wird nicht
umhin können, letzteres bei allen Aenderungen im Auge zu behalten, um sich
nicht weiter von ihm zu entfernen.
XI
Buch, sondern um Vervollkommnung der Hülfe für den blutenden
Soldaten durch Modifikationen der dazu bestimmten Einrichtungen,
wie sie sich als nothwendig oder wünschenswerth aus der Kriegs-
praxis ergaben. Prüfung Seitens der obersten Armeeverwaltungs-
behörde war natürlich die erste und wesentlichste Bedingung der
Executive.
Gleichwohl ist die Veröffentlichung derartiger Berichte heu-
tigen Tages an und für sich nützlich, ja nöthig — theils wegen
des privaten Hülfe-Factors, welcher dadurch Anregung und Anhalts-
punkte für seine Entwickelung und Thätigkeit gewinnt, theils und
besonders wegen des internationalen Characters, welchen die Sorge
für den verwundeten Krieger durch die Genfer internationale
Convention vom 22. August 1864*) erhalten hat. Es liegt
*) Herr Dr v. Haurowitz freilich sieht in der Convention nur ein Pio-
duct „ doctrinärer Illusion" (s. das vorerwähnte Buch pag. 4 ff.) Das
klingt nicht schmeichelhaft für die Regierungen, welche den Vertrag schlössen
oder ihm später beitraten; aber es würde zur Rechtfertigung Russlands, des
einzigen noch nicht beigetretenen europäischen Grossstaates, genügen, wenn
es wahr wäre. — Ist es so leicht, zu vergessen, was geschah, so lange die
Convention nicht existirte, und was noch heute geschieht, wo sie nicht gilt?
Auch Oesterreich hat sich erst nach den Erfahrungen von 1866 zum Beitritte
entschlossen. Wünscht Herr v. H. Auskunft über die practische Bedeutung der
Convention, so braucht er nur die 20 österreichischen Feldärzte zu fragen,
welche nach dem blutigen Kampfe bei Gitschin am 29. Juni 1866 in Gefangen-
schaft geriethen. Diese Collegen befanden sich — zu ihrer Ehre sei es ge-
sagt — in Verzweiflung, nicht wegen ihrer persönlichen Lage, obwohl sie pein-
lich genug war, sondern wegen der Unmöglichkeit, Zeit und Kräfte zur Abhülfe
der Noth, der sie gegenüberstanden, zu verwerthen. Die grosse Kaserne der
Stadt war vom Hofe bis zum Dache überfüllt mit Verwundeten ihrer eigenen
Armee. Aber als während des Kampfes der Sieg auf die preussischen Seite
neigte, floh die — nicht von einem Chef- Arzte, sondern von einem militairi-
schen Commandanten befehligte — österreichische Ambülance. Sie Hess die
Verwundeten nebst den Aerzten im Stiche, indem sie alles Hülfsmaterial mit-
fortnahm, um es nicht in Feindes Hand fallen zu lassen. Zur Illustra-
tion der „doctrinären Illusion" eignen sich auch die verlassenen österreichischen
Verbandplätze auf dem Schlachtterrain des 3. Juli 1866 und die Nachtbilder
menschlichen Elends, welche auf einigen sich entwickeln mussten, ehe sie un-
serer Seits entdeckt werden konnten.
Es ist nicht zu verwundern, wenn hie und da vom militairischen Staud-
punkte Bedenken gegen die Convention auftauchen, und der Triumph, welchen
die Humanität durch sie feiert, liegt eben darin, dass sie trotz solcher zu Stande
XTI
im Interesse der Einzelstaaten, gewisse die Kriegstüchtigkeit und
Schlagfähigkeit steigernde Eigentümlichkeiten sich zu wahren;
dagegen können sie nur wünschen , dass alle das Kriegsheilwesen
betreffenden Erfahrungen und Fortschritte, welche sie selber machen,
auch von den übrigen gekannt und benutzt werden.
kam. Um so auffallender ist es, dass ein Arzt sich berufen fühlen kann, die-
selbe zu discreditiren.
Seit wann hat denn die Deckung des ersten Hülfebedarfes in und nach
grossen Schlachten aufgehört, die allerschwerste Aufgabe des Kriegsheilwesens
zu seiu? Oder beschränkt etwa die neuere Kriegschirurgie ihren Anspruch auf
Leistungen in den ersten 48 Stunden der Art, dass sie die Hindernisse ihrer
Wirksamkeit, die üeberbäufung mit dringlichen Arbeiten, die Hast und die
Ueberstürzung, welche sich an das Schwanken des Kampfresultates knüpfen,
nicht mehr zu fürchten hat? In der Antwort auf diese Fragen liegt der Schlüssel
zur rechten Würdigung der wesentlichsten practischen Bedeutung der inter-
nationalen Convention. Jene schwerste aller Aufgaben des Kriegsheilwesens
ist ohne sie durchaus unlösbar und würde ohne sie unlösbar bleiben, wenn
auch alle Staaten Organisationen nach dem amerikanischen Muster bei sich
einführten.
Die n Land -Monitors " a la Neudörfer werden so bald nicht fertig sein,
den Krieg unmöglich zu machen, und der Anlauf, welchen man seit dem Tage
von Königsgrätz überall nimmt, die preussische Zündnadel zu überbieten, stellt
wenigstens keine Minderung des Hülfebedarfes für die Schlachten der Zukunft
in Aussicht. Letzteren so zu decken, wie Humanität und Wissenschaft im
Bunde heutigen Tages es fordern dürfen und müssen, wird niemals der ein-
seitigen Anstrengung der Hülfskräfte der siegenden Armee gelingen. Dieselbeu
werden vernünftiger Weise nur nach dem höchsten Satze des erfahrungsgeraäss
möglichen eigenen Bedarfes vorbemessen und bereit gehalten, müssen sich
also um so weniger zulänglich herausstellen, je grösser die Hülfsquote aus-
fällt, welche zugleich von den Verwundeten der geschlagenen Armee in An-
spruch genommen wird. Mögen beide Parteien in der Vervollkommnung ihres
Kriegsheilwesens im vollsten Masse ihre Schuldigkeit gethan haben — das
Problem, in und nach grossen Schlachten den berechtigten Ansprüchen der
Kampfesopfer auf Hülfe zu genügen, ist nur dadurch zu lösen, dass die Hülfs-
anstalten beider Parteien nicht blos während des Kampfes hüben und drübeu
im Retten und Helfen wetteifern, sondern auch nach demselben, unbeküm-
mert um den Ausgang des Kampfes, nebeneinander ihre Anstrengungen
fortsetzen, bis der erste Bedarf an Hülfe wirklich gedeckt ist.
Die geschlagene Armee kann beim Rückzüge ihre Hülfsanstalten nicht
zurück und in Wirksamkeit lassen ohne die Bürgschaft, dass sie dieselben da-
durch nur auf kurze Zeit verliere. Die Convention stellt diese Bürgschaft,
indem sie jene Anstalten als neutrale bezeichnet und den Sieger verpflichtet,
sie dem Besiegten zurückzugeben. Unausführbar kann das nur erscheinen, wo
und so lauge die ebenso unpractische als barbarische Auffassung, dass es dem
XIII
In meinem ursprünglichen Plane lag es denn auch, bei der
Publikation des Generalberichtes den Mittheilungen über „die
Verluste der preussischen Feldarmee durch Verwun-
dung und Krankheit, Gesundheitszustand und Gesund-
heitspflege im Allgemeinen", welche das im Mai 1866 aus-
gegebene erste Heft als „Erster Abschnitt" gebracht hat, die
Erfahrungen über die Organisation des Gesundheits-
dienstes und namentlich des Feldlazar eth wesens unmit-
telbar folgen zu lassen. Während des Druckes habe ich letztere
zurückgelegt, weil der damals beginnende neue Feldzug neue und
gerade in der Beziehung massgebendere Erfahrungen in Aussicht
stellte. Der Feldzug 1864 hatte nicht den Character des grossen
Bewegungskrieges; in seinem Bilde fehlte die plötzlich ge-
schlagene grosse Feldschlacht. Die Probe auf Zulänglich-
keit und Zweckmässigkeit der Organisation des Gesundheitsdienstes
ist nicht vollwichtig ohne eine solche.
Der jüngste Feldzug hat die nöthige Ergänzung geliefert.
Deshalb verzichte ich jetzt auf die Veröffentlichung
jenes Theiles des Generalberichtes. Der reichlichste Er-
satz dafür steht in Aussicht — Dank der erhabenen, die Sammlung
der bezüglichen Erfahrungen von 1866 sichernden Initiative Ihrer
Majestät der Königin Augusta.
Auch die auf Grund der Erfahrungen von 1864 eingeleitete
Reform des Feldheilwesens ist, nachdem sie schon für den Feld-
Kriegszwecke — möglichste Schädigung des Feindes — zuwiderlaufe, Vertieter
findet.
Dies ist der Kern der Genfer Convention. Bei seiner unzweifelhaft prac-
tischen Bedeutung kommt es gar nicht darauf au, ob die Fassung eines oder
des anderen Artikels eine Bemäugelung zulässt. Wenn Herr v. Haurowitz
sich die Mühe macht, die Congress-Protocolle durchzusehen, so wird er finden,
dass die von ihm gegen einzelne Artikel erhobenen Bedenken nichts weniger
als neu sind, dass man sich über dieselben hinwegsetzte, um nicht durch das
Scheitern der Verhandlungen den wichtigsten und gesicherten Gewinn preis-
zugeben, und dass einer der Artikel, welche Herr v. H. nicht angeführt hat,
den uöthigen und genügenden practischen Regulator enthält.
„Doctrinär" ist nicht die Covention, sondern die ihr gewordene Kritik,
und eine „Illusion* bleibt jene nur, so weit grossstaatlicher Seits mit dem
Beitritte gezögert wird.
XIV
zug von 18GG einzelne nützliche Früchte getragen hat, aber durch
letzteren selbst unterbrochen wurde, Seitens des Königlichen Kriegs-
Ministeriums von neuem in Angriff genommen, und die Art, wie
es geschieht, bürgt dafür, dass das Resultat dem Ernste des Wol-
lens entsprechen werde.
Somit wird die feldärztliche und namentlich die
kriegschirurgische Praxis nebst ihren Ergebnissen den
hauptsächlichsten Inhalt des Generalberichtes liefern. Was er werth
und wie viel davon für die künftige Kriegspraxis nutzbar ist, hat
die internationalste und im Kriege wie im Frieden für die tech-
nische Executive massgebendste Instanz — die W issenschaft —
zu prüfen. Allerdings liegt eine gewisse Bürgschaft in dem Um-
stände, dass der Gesundheitsdienst im Feldzuge von 18G4 preus-
sischer Seits ausschliesslich von Jüngern und Vertretern der Wis-
senschaft getragen wurde, und dass Männer, wie Grimm, v. Lan-
genbeck, Esmarch, Middeldorpf auch auf dem Kriegsschau-
platze persönlich mit Rath und That geholfen haben. Allein es
ist nicht leicht, das in einem Feldzuge chaotisch sich häufende
Beobachtungsmaterial so zu ordnen und zu sichten, dass die frucht-
fähigen Erfahrungskerne zu Tage treten. Eine möglichst sichere
statistische Basis ist erstes Erforderniss.
Die Leitung des Dienstes während der activen Periode des
Feldzuges war in der Hand des Hrn. General- Arztes Dr. Berger
— die beste Garantie der möglichsten Vollständigkeit und Correct-
heit des Rapport-, Listen- und Berichtswesens, dessen Bedeutung
für den Augenblick wie für die Zukunft so oft unterschätzt wird.
Die statistische Arbeit wäre deshalb sehr bald zu thun gewesen,
wenn es dabei blos ankäme auf eine Combination der Zahlen in
den Rapports und Berichten der einzelnen Stationen, auf welche
während eines Feldzuges die Beobachtung sich zerstreut. Allein
wie wenig das Facit eines solchen Rechenexempels Anspruch hat,
als Quelle von Directiven für die künftige Praxis zu gelten, ist
leicht einzusehen.
Die Zersplitterung der Beobachtungen beschränkt sich nicht
auf die Individuen ; selbst für den Einzelfall vertheilen sich die
verschiedenen Stadien des Wund- resp. Krankheitsverlaufes bis zum
XV
definitiven Resultate auf so viel Beobachtungsstationen, als der
Kranke Pflegeorte passirt, und die Resultate der Beobachtung liegen
grossen Theils der Zeit wie dem Orte nach so weit auseinander,
dass es häufig schwer, bisweilen unmöglich ist, den Zusammenhang
herzustellen. Die Kriegsklinik unterscheidet sich hierdurch sehr
wesentlich von der Friedensklinik; zugleich liegt darin das gros-
seste Hinderniss für den einzelnen Arzt, während eines Feldzuges
ganze Beobachtungen zu machen, wie die Statistik sie behufs wis-
senschaftlicher Verwerthung braucht.
Um zu solchen zu gelangen, muss nach dem Feldzuge eine
Art Quellenstudium für die Geschichte jedes Einzel-
falles dem Gruppiren, Zählen und Vergleichen vorausgehen.
Chenu hat sich durch den Versuch, den französischen An-
theil am Krimmkriege auf diesem Wege auszubeuten, um die kriegs-
chirurgische Statistik verdient gemacht. Die Vorrede seines Be-
richtes (Rapport . . . sur les resultats du Service medico- chirur-
gical aux Ambulances de Crimee et aux hopitaux militaires francais
en Turquie pendant la campagne d'Orient en 1854 — 1856. Paris
1865) giebt eine Darstellung der Methode der Vorarbeit und den
Nachweis, wie viel Zeit und Arbeitskraft nöthig war, um sie zu
bewältigen. Nach derselben Methode hatte ich die nämliche Vor-
arbeit begonnen für den preussischen Antheil an dem Feld-
zuge von 1864 und zwar zunächst für die unserer Seits gepfleg-
ten 3243 Verwundeten (Preussen und Dänen), — als Chenu's
Werk mir zuging. Das Studium desselben wirkte nichts weniger
als ermuthigend, — so gross ist die Zahl der Nieten, „blessures
indeterminees", welche bei jener langen und mühevollen Ar-
beit herausgekommen sind. Wenn, um nur ein Beispiel anzuführen,
unter 1666 „Amputationen des Oberschenkels" (mit 1531 Todes-
fällen) sich 1307 (mit 1302 Todesfallen) finden, bei denen das
Motiv der Operation — »genre de blessures" — nicht zu ermit-
teln ist, so verliert natürlich der an sich hinreichend grosse, aber
verhältnissmässig sehr kleine Rest von 359 Fällen, für welche das
Motiv bekannt ist, fast jede statistische Verwerthbarkeit für Fra-
gen, wie sie von der Wissenschaft im Interesse der Praxis gestellt
werden müssen.
XVI
Je grösser der Krieg, um welchen es sich handelt, desto grosser
die Schwierigkeiten, denen die inedicinische Statistik begegnet,
wofern sie über die allgemeinsten Gesichtspunkte hinauszugehen
wagt. Auch der Krieg von 1866 wird, fürchte ich, dies einst be-
stätigen. Die Entwickelung des Kriegsheilwesens wird noch einige
Stadien durchlaufen müssen, bis auch der grosse Krieg für die
W issenschaft mehr Bausteine als Bauschutt liefert.
Hieraus erklärt sich, warum die kriegschirurgische Statistik
bislang so wenig die Praxis beeinflusst, obwohl es auf der Hand
liegt, dass letztere nirgends weniger als im Felde der Normen ent-
behren kann, wenn sie nicht zu einem wirren und sehr bedenk-
lichen experimentalen Durcheinander ausarten soll. Der Lazareth-
Arzt kann nicht conserviren, was auf dem Verbandplätze geopfert
ist, er kann nur selten die Lebensgefahr abwenden, nachdem sie
durch Versäumniss des rechtzeitigen Opfers drohend geworden ist.
Die Kriegschirurgie befindet sich gegenwärtig in einem bedeut-
samen Uebergangsstadium. Die Grenzen zwischen Conserviren und
Opfern der Glieder, die Ziele, Erfordernisse und Methoden des
Conservirens sind noch lange nicht fixirt. Die eingehende statis-
tische Verwerthung des Beobachtungsmaterials ist um so nothwen-
diger, je mehr das Absprechen über Fragen der Art auf Grund
einzelner und provisorischer Beobachtungsergebnisse — eine Art
Einancipation vom statistischen Beweise — zur verführerischen
Mode wird.
Der Feldzung von 1864, in seinen Dimensionen beschränkter
und unter ausnahmsweise günstigen Verhältnissen geführt, hat zwar
trotz der sorgsamsten und weit über seine Dauer hinaus fortge-
setzten Vorarbeit nicht eine Casuislik geliefert, welche den an die
Producte der Friedensklinik heute zu stellenden Ansprüchen ge-
nügt; aber die Zahl der völligen Nieten ist erfreulich klein ge-
blieben, und es giebt kaum eine wesentliche Frage der neueren
Kriegschirurgie, deren Lösung durch das gewonnene Erfahrungs-
material nicht gefördert würde. Durch die Grösse der Zahlen
wird unsere Statistik nicht imponiren und entscheiden; aber sie
spiegelt die Resultate für den oben bezeichneten Beobachtungskreis
ungewöhnlich vollständig und durchaus voraussetzungslos. Deshalb
XVII
glaube ich, dass die künftige Praxis manche verlässliche Directive,
die künftige Forschung manchen Fingerzeig zur bestimmteren und
richtigeren Formulirung ihrer Fragen darin finden wird.
Was die Form der Mittheilung betrifft, so bin ich auf den
Vorwurf gefasst, der Casuistik zu viel Raum gegeben zu haben.
Eine Statistik aber, welche, ohne über Zahlenmassen zu gebieten,
auf Detailfragen eingeht, muss nach meiner Ansicht durch Vor-
lage des Beobachtungsdetails den Leser in den Stand setzen, sel-
ber zu bemessen, ob und in wie weit die Zahl wirklich be-
weist, was der Zählende gefolgert hat. Zudem schien es
mir Pflicht, den Herren Collegen, welche in ihren Specialberichten
bei so vielen Verwundeten, welche sie eine Zeit lang gepflegt hat-
ten, den Mangel an Kenntniss des weiteren Verlaufes und defini-
tiven Resultates bedauerten, zur Ergänzung ihrer persönlichen Be-
obachtung möglichst Gelegenheit zu bieten. Denjenigen Collegen
aber, welche überhaupt nicht in der Lage waren, den Wundver-
lauf in den Lazarethen zu verfolgen, wird, hoffe ich, gerade die
Casuistik einen nicht unwillkommenen Ersatz und für eine even-
tuelle Thätigkeit im Lazareth erwünschte Muster oder Warnungen
bieten.
Noch habe ich eine Pflicht der Dankbarkeit zu erfüllen. Die
Arbeit an dem Berichte ist mir wesentlich erleichtert worden durch
das freundliche Entgegenkommen der Herren Collegen, welche ich
noch lange nach dem Feldzuge mit Anfragen und Bitten um nach-
trägliche Untersuchungen zu behelligen genöthigt war. Ihrer sind
so viele, dass ich mir vorbehalten muss, die Namen an den bezüg-
lichen Stellen des Berichtes selbst zu nennen. Herrn Assistenz-
arzt Dr. Schmiedt schulde ich besonderen Dank für die bei der
Sammlung und Sichtung des Materials mir gewährte ausdauernde
Hülfe und Herrn Ober-Stabsarzt Dr. Otto für die Bereitwillig-
keit, mit welcher er mich durch sein schönes Talent im Zeichnen
unterstützt hat.
Berlin, den 16. März 1867.
Erster Abschnitt.
Die Verluste der preussischen Feldarmee durch Verwun-
dung und Krankheit, Gesundheitszustand und Gesundheits-
pflege im Allgemeinen.
Die verbündete Armee unter dem Oberbefehle des preussischen
General - Feldmarschalls v. W ran gel, welche am 1. Februar 1864
die Eider überschritt, zählte c. 60,000 Köpfe. Ein Drittheil davon
war von Oesterreich gestellt, die beiden anderen von Preussen.
Die Stärke des österreichischen Corps ist im Laufe des Feldzuges
nicht wesentlich verändert worden. Dagegen stieg die Kopfstärke
der preussischen Feldarmee in der Actions -Periode — die
ersten 5 Monate — allmählig bis auf c. 63,500 (Anfangs Juli).
Später, als die Friedensverhandlungen schwebten, erfolgte eine
Verminderung theils durch Zurückziehen einzelner Truppenkörper,
theils durch Entlassung der älteren Reserve -Klassen. Da aber die
inzwischen bei den heimischen Ersatztruppen ausgebildeten Rekruten
nunmehr den Feldtruppen überwiesen wurden, so behielten diese
bis zum Friedensschlüsse (30. October 1864) die Stärke von c.
46,000 Köpfen.
Die preussische Feldarmee hat verloren:
1. in Folge von Verwundung durch Kriegswaffen
(mit Einschluss der Gefallenen) .... 738 Mann,
2. in Folge anderer Beschädigungen (Unglücks-
fälle) und Krankheit (280)
310 „
Loeffler, Geueralbericht.
Summa
1048 Mann.
1
2
Dies ist ein Verlust von 1,6 pCt. ihrer höchsten Kopfstärke.
Er hat genug Herzen schmerzlich berührt; aber er ist unverhält-
nissmässig, ja über alles Erwarten gering gegenüber der militäri-
schen Leistung und den durch diese erzielten Erfolgen.
Wir haben dieses in der Kriegsgeschichte vielleicht einzig da-
stehende Ergebniss dem Zusammentreffen verschiedener Momente zu
danken. Dahin gehört ohne Zweifel in erster Linie das Kriegsglück,
welches unsere Fahnen begleitete, und die gesicherte Verbindung
mit dem nahen Kriegsschauplatze in einem reichen Lande, welches
unsere Truppen als Befreier willkommen hiess; demnächst aber die
trotz aller Kühnheit auf möglichste Beschränkung der Menschenopfer
bedachte Führung der Truppen. Wir verdanken es ferner der
Vollkommenheit der Waffen, mit denen die preussische Armee
vorsorglich ausgerüstet war, und deren überraschende Wirkung die
Haltung des Feindes erschütterte; einem Verpflegungswesen,
welches ebenso einsichtig angelegt und geleitet, wie umsichtig und
sorgsam durchgeführt wurde; der neuen Organisation des
Feldlazarethwesens, welche, mit mancher als zweckwidrig er-
kannten Ueberlieferung brechend, nur die möglichst vollkommene
Erfüllung der Mission des Gesundheitsdienstes ins Auge fasste, so-
wie der Intelligenz und Hingebung, mit welcher alle Elemente des
letzteren wetteiferten, ihre Aufgabe zu lösen. Wir danken es end-
lich der freiwilligen Privathülfe, welche in mannigfaltigen
und verschiedengradig practischen Formen ihren Beistand erbot und
als Ausfluss der Vaterlands- und Menschen -Liebe amtlicher Seits
in keiner Form verschmäht wurde.
Die folgende Tabelle giebt zunächst eine numerische Ueber-
sicht der
3
Verwundungen durch Kriegswaffen und Todesfälle
in Folge derselben
nach Gefechten resp. Gefechtsperioden und Chargen.
Tabelle I.
Gefechts-
Verwu
ndet sind
D a v
gefallen *)
O D
später ge-
storben.
Summe
der
Todten.
Zeit.
Ort.
1
o
s
g
[Offic.
Mann.
loffio.
Mann.
2
i;
2. Februar, Missunde ....
11
206
217
3
35
38
1
20
21
1
r,5
59
3.-5 Fbr.
Vor dem Danne-
7
n
i
15. März
Fehmarn
—
3
3
—
1
1
—
1
1
10. Febr.
Recognoscirung,
bis
Cemirung und
i < . j\ pni
Belagerung der
Düppel-Stellung
44')
579
623
6
83
89
3
72
75
9
155
164
18. April
Erstürmung der
Düppel - Schan-
702)
5
1087
1157
8
209
217
K>
161
171
18
370
388
8.-21. März
Vor Friedericia .
37
42
1
5
6
4
4
1
9
10
29. Juni
Q1
Ol
323
354
4
66
703)
1
33
34
5
99
104
18.Fbr.bis
Reitergefechte in
22. April
Jütland
2
20
22
1
1
1
1
2
2
Vereinzelt auf
Vorposten,
Strandwache etc.
13
8
8
8
3. Juli
Lundby und Sön-
der-Tranders . .
5
5
1
1
1
1
2
2
Summa . . .
163
2289
2443
22 400
• 1 •
422
15 .501316
37
Toi
738
*) Die auf dem Transporte vom Schlachtfelde in das Lazareth Gestorbenen
sind einbegriffen.
') Darunter 2 Aerzte.
2) „ 1 Feldapotheker und 1 Geistlicher.
3) Ausserdem 5 beim Sinken dls durch eiue Granate getroffenen Bootes
ertrunken.
1*
4
Schon während des Feldzuges sind namentliche Verlust-
listen im Militär- Wochenblatte veröffentlicht worden. Damals war
das Loos mancher Verwundeten und „Vermissten" noch ungewiss.
Die Zahlen der Tabelle sind ein Ergebniss der statistischen Vorar-
beit, von welcher ich in der Einleitung Rechenschaft gebe. Sie
sind so correct wie möglich. Sie beziehen sich ausschliesslich auf
durch Kriegswaffen Verletzte. Andere Beschädigungen, z. B.
Quetschungen, Knochenbrüche etc. durch Fallen über Terrainhinder-
nisse, wie sie auch im Gefechtsverhältnisse nicht selten vorkommen,
sind nicht hier, sondern in der nächsten Tabelle berechnet.
Die Rubrik „Später gestorben" ist im weitesten Sinne zu
nehmen. Sie schliesst nicht ab mit dem Ende des Feldzuges
(30. October 1864), sondern umfasst auch die Todesfälle, welche
später (in den Frieden slazarethen) erfolgt sind. Ende März 1866
befanden sich noch 4 Schwerverwundete vom Feldzuge her in dem
Cantonnements-Lazareth unsrer Besatzungstruppen zu Flensburg. Sie
sind ausser Gefahr und der Heilung nahe.
Angriffe befestigter feindlicher Stellungen (Missunde, Dannewerk,
Friedericia, Düppel) und Uebergänge über grössere Flüsse und
Meeresarme (Schlei, Fehmarnsund, Alsensund, Lymfjord) bilden .die
hervorstechendsten Züge im Bilde der Action des Feldzuges von 1864.
Gelingend wie misslingend pflegen solche Unternehmungen dem An-
greifer die grösseren Opfer abzufordern; 1864 war es umgekehrt.
Durch Verwundung sind von der preussischen Feldarmee nur
3,8 pCt. ihrer höchsten Kopfstärke ausser Kampf gesetzt. Das
Opfer an Menschenleben (Summe aller Todesfälle nach Verwundung)
beträgt nur 1,2 pCt.
Sehr bemerkenswerth ist das aus der Tabelle sich ergebende
Maass, in welchem die Officiere an den Verwundungen betheiligt
sind. Ihr Zahl verhältniss zur Mannschaft war in der Feldarmee un-
gefähr wie 1 : 50. Es stellt sich aber heraus bei den „Gefallenen"
wie 1:18, bei den Verwundeten überhaupt wie 1 : 15, für den Tag
von Alsen wie 1 : LO bis 11, für die Gefechte vor Friedericia sogar
wie 1 : 8 bis 9, ein Beweis des glänzenden Vorbildes in Tapferkeit
und Hingebung, welches dem preussischen' Soldaten von seinen Offi-
cieren gegeben ist. Man hat versucht, ihn abzuschwächen durch
die Annahme, die leichteren Verletzungen seien bei den Ofticieren
vollständiger notirt als bei der Mannschaft. Allein diese Annahme
ist unrichtig. Wohl aber hat eine besondere Gunst des Schicksals
5
es gefügt, dass, abgesehen von den Gefallenen, die Zahl der leich-
teren Verletzungen bei den (Meieren verhältnissmässig grösser war,
als bei der Mannschaft. Dieser Umstand, auf welchen ich bei der Be-
sprechung der Verwundungsformen zurückkommen werde, erklärt die
Sterblichkeits-Differenz. Sie beträgt fast 5 pCt. zu Gunsten der (Meiere.
Wunderbar gnädig hat die Vorsehung das Personal der Ge-
sundheitspflege im Kampfe geschirmt. Nur 2Aerzte, 1 Feld-
apotheker, 2 Lazarethgehülf en und 4 Krankenträger sind
verwundet worden.*) Dieses Personal ist nicht berufen, mit erho-
bener Waffe auf den Feind zu stürzen; um so grössere Selbst-
verleugnung und um so festeren Muth erheischt seine Aufgabe, mit
den Kämpfern im Feuer auszuharren und Hülfe und Trost zu spen-
den Allen, welche deren bedürftig werden. Ich habe nicht nöthig,
die Hingebung zu rühmen, mit welcher diese Aufgabe im offenen
Gefecht wie in den Trancheen, beim Sturmlaufe wie in den mit
Kartätschen begrüssten Booten auf dem Alsensunde gelöst worden
ist. Die Belobigungen des Königlichen Kriegsherrn, die Auszeich-
*) Namentliches Verzeichniss nach Gefechten geordnet:
2. Februar. Miss un de:
Krankenträger Gustav Fischer von der Krankentr.-Comp. 3. Armee-Corps.
Schuss durch die Weichtheile des rechten Unterarmes. Geheilt.
17. März. Düppel:
Feld-Assistenzarzt Dr. Glaeslein vom Füsilier-Bat. 24. Inf.-Reg. Streif-
schuss am rechten Knie. Geheilt.
28. März. Düppel:
Krankenträger Gustav Grimmert von der Krankentr. - Comp. 3. Armee-
Corps. Schuss in den Unterleib. Todt.
4. April:
Assistenzarzt Dr. Robert von der 2. 12 pfundigen Batterie der 3. Art.*
Brig. Granatsplitter- Wunden der Kopfhaut. Geheilt.
18. April. Schanzensturm:
Feldapotheker Schuster von der fahrenden Abtheilung des leichten Feld-
lazarette der Cavallerie-Division 3. Arm.-Crps. Granatsplitter-Contusion. Geheilt.
Lazarethgehülfe Küppers vom 1. Bat, 4. Garde - Grenadier - Reg. Königin
Augusta. Granatsplitter-Contusion am Fuss. Geheilt.
Krankenträger Flügge von der Krankentr.-Comp. 3. Armee-Corps. Streif-
schuss am rechten Oberschenkel. Geheilt
Hülfs-Krankenträger Grenadier Herden vom 3. Garde- Gren.- Reg. Königin
Elisabeth. Abreissung des linken Unterarmes durch Granatschuss. Amputirt.
Starb am 13. Mai im Feldlazareth zu Broacker an Pyämie.
29. Juni. Alsen:
Lazarethgehülfe Mewes vom 3. Jäger-Bataillon. Schwere Schussverletzung
der linken Schulter. Invalide.
0
nangen, weiche den Aerzten und Lazareth gehülfen der Truppen, der
Krankenträger- Sectionen, der leichten Feldlazarethe zu Theil ge-
worden sind, zeugen davon hinreichend.*)
*) Für den Arzt liegt in diesem Zeugnisse eine ganz besondere Bedeutung.
Obwohl durch ihren bestimmten militärischen Rang disciplinarisch in den mili-
tärischen Organismus eingefugt und dadurch von allen übrigen Militär-Beamten
unterschieden, zählen die Militär- Aerzte reglementarisch nicht zu den „Com-
battanten", während ihre technischen Untergebenen wie andere Militär- Cate-
Lroricn. deren specieller Beruf gleichfalls nicht im Waffengebrauche besteht, den
Fahneneid leisten und desshalb zu den Combattanten gerechnet werden. Die
preussischen Feldärzte waren hiernach bisher — mit einer im badenschen Feld-
zuge von 1849 vorgekommenen Ausnahme — nicht betheiligt an den für die
Combattanten bestimmten Formen der Kriegs -Erinnerungszeichen und Decora-
tionen. Auch für den Feldzug von 1864 ist ihnen Kriegsdenkmünze und Kriegs-
band der Nichtcombattanten verliehen. Aber durch die Gnade Sr. Majestät des
Königs haben 53 preussische Feldärzte verschiedener Grade zu ihren Orden die
„Schwerter" erhalten, und 3 andere, welche wegen zu kurzer Dienstzeit
noch nicht Offkiers - Rang hatten, obwohl sie promovirte practische Aerzte
waren, sind durch die Allerhöchste Verleihung des Militär-Ehrenzeichens 1. resp.
II. Klasse ausgezeichnet worden.
Gerade die grosse Zahl der Auszeichnungen dieser Art hat einen schönen
Sinn. In ihr prägt sich die Allgemeinheit des Eindruckes aus, welchen das
persönliche Verhalten der Aerzte im Gefecht auf die militärischen Führer
-«macht hat. Denn die Initiative des Vorschlages zu diesen Decorationen ist
reglementarisch ausschliesslich eine militärische.
Gleichwohl liegt in diesem Umstände etwas Bedenkliches. Es kann vor-
kommen, dass der Arzt während des Gefechtes gerade in dem Momente, wo
die eigene Truppe seiner bedarf, nicht zur Stelle ist, weil sein Beistand von
den Verwundeten einer anderen Truppe in Anspruch genommen wurde. Ein-
mal abgekommen, erreicht er die eigene Truppe vielleicht erst wieder, wenn
das Gefecht zu Ende ist. Trotz der aufopfernden Thätigkeit, welche er in-
zwischen entwickelt, trotz des Muthes, mit welchem er dabei die Gefahr ver-
achtet hat, droht ihm der Verdacht des Gegentheils; jeden Falles hat sein
Commandeur nicht Anlas*, ihn zu einer Auszeichnung vorzuschlagen, weil er
sein Wirken nicht sah.
Soll etwa oder darf der Arzt, um jenen zu vermeiden oder diesen zu er-
langen, den nach Beistand schmachtenden Verwundeten vorüber eilen, wenn
ei6ene TruPPe /lim Gefechte vorrückt? Vom militärischen Standpunkte
erschein! dies nicht nnrichtig, und der eigene Commandeur wird es kaum
tadeln, wenn <h-r Ar/t in flehen Momenten bei der Truppe bleibt. Aber ein
anderer finde! es rieUeicht inhuman und tadelnswerth, und wenn dieser zufällig
der höhere Vorgesetzte ist, so läuft der Arzt Gefahr, für die vermeintliche Er-
füllung Beiner militärischen Pflicht sogar einen Vorwurf zu erhalten.
Diese Reflexion beruht nicht etwa auf willkürlichen Annahmen. Ich zeichne
dir Situation, wie sie Bich im Felde thatsächlich gestaltet hat. Handelte es
Bich dabei bloss um eine Frage persünlicheu Vortheiles oder Nachtheiles für
7
Das oben berechnete Verlustverhältniss gilt für die Armee im
Ganzen. Die einzelnen Truppentheile waren natürlich nicht gleich-
massig an den Actionen betheiligt. Somit war auch ihr Verlust ver-
schieden. Einige sind gar nicht ins Gefecht gekommen.
Werfen wir nunmehr einen vergleichenden Blick auf die Ver-
luste des Feindes. Die Angaben dänischer Seits sind freilich aus
verschiedenen in den Umständen liegenden Ursachen ungenau. Neh-
men wir indess die Zahl der Leichen, welche diesseits begraben
wurden, und die Zahl der verwundeten Dänen, welche in preussi-
schen Lazarethen Aufnahme und Pflege fanden, zu Hülfe, so lässt
sich wenigstens für einzelne Gefechte und Kampfperioden das Ver-
lust-Verhältniss sicher genug ermitteln.
So für den 18. April. Ich sehe dabei ab von den über 3000
unverwundeten Kriegsgefangenen, welche dieser Tag uns überlieferte.
Diesseits des Alsensundes wurden nach dem Sturme ca. 400 gefal-
lene Dänen begraben. Die Zahl der am 18. April nach Alsen mit
hinübergenommenen und am 19. April dahin ausgelieferten Leichen
betrug nach dänischer Angabe 100. In die dänischen Lazarethe
sollen an dem Tage gegen 800 Verwundete gelangt sein. Von den
1222 verwundeten Dänen, welche während des Feldzuges in preussi-
schen Lazarethen gepflegt worden sind, stammen 638 vom 18. April.
Hiernach beträgt der dänische Verlust an Todten und Verwundeten
ca. 1900, d. h., da man die Kopfstärke der wirklich ins Gefecht
gekommenen dänischen Truppen höchstens auf 12,000 veranschlagen
den Arzt, so würde ich es dennoch kaum für räthlich gehalten haben, sie zu
erwähnen. Allein das Interesse der Verwundeten reclarairt klare Direction für
das Verhalten des Arztes in solchen Lagen.
Unser „Reglement über den Dienst der Krankenpflege im Felde" vom
17. April 1863 betrifft ausschliesslich den Lazareth-Factor. Für den Trupp en-
Factor des Gesundheitsdienstes im Felde und namentlich für sein Verhalten im
Gefechtsverhältniss fehlt es an einer reglementarischen Richtschnur. Die Er-
fahrungen des Feldzuges lassen keinen Zweifel darüber, dass in dieser Bezie-
hung wie in Betreff der Ausrüstung die Reorganisation des Feldheilwesens,
deren eine fertige Hälfte sich so segensreich bewährt hat, der Complettirung
durch die andere bedarf. Die späteren Abschnitte des Berichtes werden Anlass
geben, näher hierauf einzugehen. Das österreichische und dänische Re-
glement über den Sanitätsdienst im Felde, beide gleichfalls von 1863 datirend,
lassen in dieser Beziehung nichts zu wünschen übrig. Sie fassen eben
den Sanitätsdienst als Ganzes auf und regeln daher sowohl den Dienst des
Truppen - Factors wie den des Lazareth - Factors. Die nöthige Ergänzung des
preussischen Reglements wird sich auf Grund der Feldzugserfahrung natürlich
besser gestalten lassen, als es vorher möglich gewesen wäre.
8
kann, ca. 16 pCt. Preussischer Seits kamen ca. 16,000 Mann ernst-
lich ins Gefecht. Davon sind gefallen und verwundet 1157, also
nur 7 pCt. Der Gesundheitsdienst darf sich indess bei seinen Vor-
anschlägen mit diesem Maassstabe nicht begnügen. Jede ins Feld
rückende Armee muss auf den Sieg rechnen, eben desshalb aber
vorbereitet sein, auch den Verwundeten des Feindes, welche in seine
Hände fallen, Beistand und Pflege zu gewähren. Gewöhnlich ver-
anschlagt man für ein ernstes Gefecht die Zahl der Hülfsbedürftigen
auf 10 pCt. der eigenen Kopfstärke. Für den 18. April traf dies
fast genau zu. Wir hätten danach 1600 des Beistandes Bedürftige
zu erwarten gehabt; thatsächlich musste für 1578 Verwundete (940
Preussen: 638 Dänen) unserer Seits gesorgt werden.
Am Tage von Alsen war die Differenz des Verlustes noch
bedeutender. Er betrug preussischer Seits 359 Gefallene und Ver-
wundete, d. h. von den ca. 15,000 im Gefecht gewesenen Mann
2,3 pCt. — für eine militärische Leistung wie die des 29. Juni ein
erstaunlich kleines Verlustverhältniss. Dänischer Seits war dasselbe,
von den 2500 unverwundeten Gefangenen abgesehen, viermal so
gross. Von dem preussischen Verluste kommen allerdings 250 Mann
bloss auf die Brigade Roeder (4. und 8. brandenburgisches Inf.-
Reg. No. 24. und 64. und brandenburgisches Jäger-Bataillon No. 3.);
sie verlor etwas über 6 pCt. ihrer Kampfstärke.
Die preussische Artillerie erhielt namentlich durch die Belagerung
der Düppelstellung Gelegenheit, Geschütz und Bedienung im glän-
zendsten Lichte zu zeigen. Schon vor dem Sturme konnte sie an
den zerstörten Brustwehren der Schanzen und an den Flammen-
snulen, welche dahinten von der Düppelmühle, den Blockhäusern
und Baracken und von Sonderburg aufstiegen, ihre Wirkung be-
messen. Der directon Wahrnehmung entzogen blieb die Verheerung,
welche sie in den Gliedern der feindlichen Besatzungs- und Be-
deckungs- Truppen anrichtete. Sie ist furchtbar genug gewesen und
hat nicht wenig dazu beigetragen, den Gegner moralisch zu lähmen.
Die Zahl dor Getödteten ist nicht bekannt. Aber aus dem Berichte
des dänischen Armee -Chefarztes Dr. Djoerup ersehe ich, dass vom
3. bis 17. April 813 meist Schwerverwundete den dänischen Am-
bulancen zugingen. Tn dem nämlichen Zeiträume sind auf preussi-
Bcher Seite, ausser 22 Gefallenen , nur 153 Mann verwundet worden.
Und doch ist es vielleicht zweifelhaft, was dem Feinde mehr
imponirt hat, die preussische Kanone oder das preussische Zünd-
nadelgew eh r. Noch der letzte Zusammenstoss lieferte eine kleine
9
aber denkwürdige Probe, wie sehr diese Waffe, richtig gebraucht,
den Feind gefährdet und den Besitzer schützt. Unsere 5 Verwun-
dete vom 3. Juli gehören einer jenen kleinen Recognoscirungs-Co-
lonnen an, welche nach der Eroberung von Alsen den am 12. Juli
erfolgten Uebergang über den Lymfjord und die Besetzung des gan-
zen nördlichen Jütland einleiteten. Unter dem Befehle des Haupt-
mann v. Schlutterbach hielten 124 Mann vom 3. Niederschles.
Inf. -Reg. No. 50. das jütische Dorf Lundby besetzt, als sie von
einer ca. 200 Mann starken feindlichen Colonne im Rücken ange-
griffen wurden. Den kaltblütigen Dispositionen ihres Führers ge-
horchend, lassen sie den Feind, ohne einen Schuss zu thun, bis
auf 250 Schritte nahen. Dann geben sie Schnellfeuer. In we-
nigen Minuten sind 22 Mann todt und 66 verwundet niedergestreckt.
Der eigene Verlust betrug 3 Verwundete. Die anderen 2 sind von
dem wackeren Häuflein (3 Züge v. Westph. Hus.-Regt. No. 8., einige
20 M. v. 50. Rgt.), welches zu der nämlichen Colonne gehörend und
unter deren kühnem Führer, Major v. Krug, zur selben Zeit und
nicht weit davon (bei Soender Tranders) eine andere dänische In-
fanterie-Abtheilung attakirte und gefangen nahm. —
Indess — die Waffen des Gegners sind weder die einzige noch
die wirksamste Ursache der Verluste, welche einer Feldarmee dro-
hen. Krankheiten, so lautet von jeher die Kriegserfahrung, lichten
die Glieder viel mehr als die Kugeln des Feindes. Dieser Satz trifft
auch für die preussische Feldarmee von 1864 zu, wrenn man ihn
auf den Ausfall bezieht, welchen die Kampfstärke durch die Er-
krankungen erlitt. Er trifft aber glücklicher Weise nicht zu,
wenn man die Zahl der Todesfälle durch Krankheit mit denen
durch Verwundung vergleicht.
Da es meine Absicht ist, wie die Verwundungen so auch die
Erkrankungen in besonderen Capiteln eingehender zu besprechen, so
werde ich jetzt nur die allgemeinsten statistischen Data, welche für
den Gesundheitszustand der preussischen Feldarmee bezeichnend
sind, anführen.
Die preussische Feldarmee hat in den 9 Monaten vom
1. Februar bis ult. October 18 64 ausser ihren Verwundeten
2 6,717 Erkrankte und anderweitig Beschädigte der La-
zareth-Pflege überwiesen, also
4 2,2 pCt. ihrer höchsten Kopfstärke.
Diese Summe ist ca. 10 Mal grösser als die der Verwun-
10
deten mit Einschluss der Gefallenen, ca. 13 Mal mit Ausschluss der
Gefallenen.
Dagegen hatte die Armee ausser den in Folge von Verwundung
Gestorbenen (7 3 8 mit Einschluss der Gefallenen) nur
3 1 0 Todesfälle und zwar
durch Selbstmord .... 7
„ Verunglücken ... 12
„ Beschädigungen ... 11
„ Krankheiten . . . . 280*)
Summa . 310
Auf Rechnung der Krankheiten kommt also wenig mehr als
der vierte Theil der Todesfälle.
Bald vorübergehende Unpässlichkeiten und leichte zufällige Be-
schädigungen sind in einer Feldarmee, besonders während einer
Winter -Campagne, natürlich nichts weniger als selten. Bisweilen
nöthigen die Umstände, auch dergleichen Kranke den Lazarethen
zu überweisen. Führer und Aerzte sollten indess gemeinsam darauf
halten, dass es nicht ohne Noth geschehe. Es kommt sonst leicht
vor, dass Uebel, deren Beseitigung nur wenige Tage erfordert, wo-
chenlange Ausfälle der Kampfstärke bedingen. Der Lazareth-Factor
des Gesundheitsdienstes muss in der Regel Kranke der Art den ent-
fernteren Heilanstalten überweisen, um die näheren für dringendere
Bedürfnisse möglichst frei zu halten und vor Ueberfüllung zu wah-
ren. Der Truppen -Factor muss zur Lösung dieser ebenso schwie-
rigen wie wichtigen Aufgabe das Seinige beitragen. Er wird darin
künftig weiter gehen können als bisher. Ein erheblicher Procent-
satz der Lazarethkranken fällt, wie sich aus dem Specialcapitel über
Krankheitsformen ergeben wird, z. B. auf eine Krankheit, welche,
wie peinlich sie auch an sich ist, die Streitbarkeit des Besitzers in
*) Darunter vom Personal des Gesundheitsdienstes:
2 Aerzte: 1. Assistenzarzt Dr. C. Ott mann vom brandenb. Ulanen-
Reg. Nr. 11; f den 10 März an Darmentzündung in
Kinkenis.
2. Abhistenzarzt Dr. R. Gloffka vom 1. F. -L. der Garde-
Division; f den 17. März am Typhus in Hadersleben.
1 Lawweth-Inßpector (Morbus Brightii);
1 Revieraufseher (Typhus); ' •
1 militärischer Krankenwärter (Typhus).
Ausserdem betrauern wir den Tod der Diakonissin Elise Hepp aus
K;iist'r>\\t'ith. Sic lid bei der treuen Hingebung an ihren Beruf in Hadersleben
dem Typhus zum Opfer.
11
der Regel nicht beeinträchtigt — die Krätze. Besonders auf dem
jütischen Stücke des Kriegsschauplatzes fanden unsere Soldaten die
lebendigen Keime dieser Krankheit eingenistet vor. Die Kur der-
selben ist in neuester Zeit so vervollkommnet und vereinfacht wor-
den, dass sie in der Regel bei den Truppen selbst erfolgen kann,
wenn diese in ihren Arzneikästen das Mittel dazu (Styrax liqui-
dus) mitführen.
Auch in dem Feldzuge von 1864 sind Leichtkranke, und, wo
die Umstände es erlaubten, selbst einzelne ernstere Erkrankungen
von den Truppenärzten im Quartier behandelt und geheilt worden.
Ich habe dieselben in der vorstehenden Berechnung nicht mit auf-
genommen, obwohl dadurch der Umfang der Aufgabe, welchen der
Gesundheitsdienst zu lösen hatte, grösser und das erzielte Heilungs-
verhältniss numerisch glänzender erschienen wäre. Zahlen standen
mir zu dem Behufe in den truppenärztlichen Feldzugsberichten zur
Verfügung; aber die mit aller Offenheit in vielen Berichten zuge-
fügte Notiz, dass für die Correctheit derselben nicht gebürgt wer-
den könne, hat mich bestimmt, die Berechnung auf die Lazareth-
k ranken zu beschränken.
Auch für diese ist die Ermittelung correcter Zahlenverhältnisse
nichts weniger als leicht. Die Statistik der Krankheiten der Feld-
armee scheint die der Verwundeten an Unsicherheit und Un Voll-
ständigkeit zu überbieten. Am nächsten liegt es, die Lazarethbe-
richte als Grundlage zu nehmen. Wenn aber, wie 1864, der Grund-
satz der Krankenzerstreuung Behufs Wahrung der Salubrität
der Heilanstalten zur Geltung kommt, so passiren viele Kranke bis-
weilen in rascher Folge mehrere Lazarethe. Die Summe der Zu-
gangszahlen schwillt dadurch leicht in einem Grade an , dass sie als
Ausdruck des Erkrankungs- Verhältnisses jeden Werth verliert und
zu den gröbsten Täuschungen führt, wenn sie der Berechnung des
Sterblichkeits- und des Heilungs-Verhältnisses zu Grunde gelegt wird.
Um ganz sicher zu gehen, müsste man jeden einzelnen Kranken
durch alle Stadien verfolgen. Für die Verwundeten habe ich dieses
Verfahren durchgeführt. Die Mussezeit eines vollen Jahres hat dazu
kaum ausgereicht. Es ist für den Einzelnen unmöglich, jene Vor-
arbeit auch auf die 13 Mal grössere Zahl der Kranken auszudeh-
nen.*)
*) Die Centraibehörde des preussischen Militär - Medicinalwesens besitzt
keine besondere statistische Abtheilung oder zu grösseren statistischen Arbeiten
12
Soweit es sich blos um die Erkrankungs-Zahlen handelt,
finde ich die sicherste Quelle bei den Truppen selbst. Sie führen
genaue Verzeichnisse der Kranken, welche sie den Lazarethen über-
weisen. Aus dieser Quelle stammt die angeführte Zahl der Lazareth-
Kranken.
Ueber die Todesfälle geben die in den Lazarethen geführten
„Todtenbücher'- verlässliche Auskunft, ausgenommen diejenigen,
welche ausserhalb der Lazarethe erfolgten.
Es ist der Verwaltung im Felde nicht immer möglich, die La-
zarethe nicht blos räumlich genug, sondern auch so einzurichten,
dass sie über das Nothwendige hinaus einen gewissen Comfort der
Unterkunft und Pflege bieten. Ein solcher ist nichts weniger als
überflüssiger Luxus; er erzeugt und erhält vielmehr, besonders bei
dem daran Gewöhnten, z. B. dem Officier, jenes Gefühl der Behag-
lichkeit, welches den Kurerfolg wesentlich fördert. Früher wurden
zu dem Behufe, wo es sein konnte, gute Privatquartiere benutzt.
1864 ist dies zwar auch, aber weniger oft geschehen, weil der Jo-
hanniter-Orden sich unter Anderem die Aufgabe gestellt hatte,
gerade diesem Bedürfnisse zu genügen. Die Art und Weise, wie
der Orden diese Aufgabe gelöst hat, bildet den Gipfel der Leistun-
gen, welche wir der Privathülfe zu danken haben.*) Obwohl wäh-
rend des Feldzuges die notwendigen Relationen der Ordens -La-
zarethe zu dem amtlichen Factor des Gesundheitsdienstes nicht
bestanden, so dass z. B. in den amtlichen Kranken -Rapporten die
in jenen Asylen Gepflegten gänzlich fehlen, so ist es mir doch mög-
ausdrücklich bestimmte Arbeitskräfte. Aber der Chef desselben, Herr General-
Stabsarzt Dr. Grimm, ohne dessen wirksame Unterstützung die thatsächlichen
Unterlagen dieses Berichtes sehr lückenhaft geblieben sein würden, hat sein
lebendiges Interesse für eine möglichst correcte Krankheits-Statistik des Feld-
znges auch dadurch bethätigt, dass er eine grössere Zahl von Militär- Aerzten
bewog, unter seinen Augen die fragliche Vorarbeit zu unternehmen. Sie ist
noch nicht vollendet. Doch hoffe ich, wenigstens einige Resultate derselben
in dem Abschnitte über die im Feldzuge beobachteten Krankheitsformen noch
verwerthen zu können.
*) Selbstverständlich ist die Zahl kein zulässiger iMaassstab für Werth und
Bedeutung der Ordens-Leistung. Nur geschichtlich erwähne ich desshalb, dass
von den 28,738 Verwundeten und Kranken der preussischen Feldarmee, welche
der Pflege bedurften, 154 (11!» Officiere, 3 Aerzte, 32 Unterofficiere und Ge-
meine) in den Ordens - Asylen auf dem Kriegsschauplatze Aufnahme fanden.
Gestorben sind davon 14 (10 Officiere, 4 Unterofficiere). (S. Dr. J. Ressel,
der Johanniter-Orden auf dem Kriegsschauplatze des dänischen Feldzuges 1864.
Pless 1865.)
13
lieh gewesen, diese Lücken auf Grund der in den Ordens-Spitälern
geführten namentlichen Listen, auszufüllen.
Die vorstehenden Bemerkungen schienen mir nöthig, um über
die Bedeutung der angeführten Zahlen keinen Zweifel aufkommen
zu lassen. Aus ihnen ergiebt sich, dass die preussische Feldarmee
von 1864 in den 9 Monaten vom 1. Februar bis ult. October durch
Tod nach Krankheit oder zufälliger Beschädigung ver-
loren hat
0,5 pCt. ihrer höchsten Kopfstärke,
1,1 pCt. der Lazareth- Kranken.
Dieses Sterblichkeits-Verhältniss ist ein ausserordentlich glück-
liches und für die Leistung des Gesundheitsdienstes, soweit sie über-
haupt danach bemessen werden darf, ein Zeugniss, welches keiner
Ausschmückung durch eine Tendenz - Statistik bedarf. Betrachten
wir dasselbe im Spiegel des Vergleichs.
Die französische Krimm-Armee hatte neben ca. 20,000
Todten in Folge von Verwundung mehr als 70,000 Todesfälle durch
Krankheit zu beklagen. Ein so hochgradiges Elend macht jeden
Vergleich unzulässig. Cholera, Ruhr, Scorbut und Kriegstyphus
haben es erzeugt. Das Sterblichkeits-Verhältniss hört ganz auf,
einen Maassstab für die Leistung des Gesundheitsdienstes zu bieten,
wo solche Feinde die Herrschaft erlangt haben, sei es wegen der
Gewalt der Umstände, sei es wegen ungläubiger Unterschätzung der
Gefahr zu einer Zeit, wo die Stimme des Sachverständigen auf die
ersten Zeichen hinwies. Da kann man nur noch den Muth und die
Todesverachtung bewundern, mit welchen die Aerzte und Pfleger
auf ihrem hoffnungslosen Posten ausharren , bis sie erschöpft nie-
dersinken oder der Tod selber sie nach einander ablöst. Mit sol-
chen Feinden haben unsere Braven glücklicher Weise nicht zu rin-
gen gehabt.
Um so statthafter ist der Vergleich mit der französischen
Feldarmee von 1859. Auch sie wurde von ausgeprägten Seuchen
nicht heimgesucht. Der Krieg wurde vor den Thüren Frankreichs
in einem fruchtbaren, mit den Befreiern sympathisirenden Lande
unter den günstigsten Transport- und Verpflegungs - Verhältnissen
geführt. Man kann sogar sagen, dass der Feldzug von 1864 für
den Soldaten anstrengender war, als der von 1859. Die Actions-
zeit währte 1859 kaum halb so lange wie 1864, und der schwere
Belagerungsdienst war der französischen Armee in Italien ganz er-
spart. M. Cazalas, in der späteren Periode des Feldzuges Chef-
14
Arzt dieser Armee, hat über die „Krankheiten" derselben 1864 ein
kleines Buch geschrieben, welches merkwürdiger Weise die Zahl
der Todesfälle durch Krankheiten gar nicht von der durch Verwun-
dung sondert. Von den 125,950 Lazareth - Kranken (darunter 13,474
Verwundete) sind nach Cazalas 4698, d. h. 3,7 pCt. gestorben.
Eine Berechnung ähnlicher Art würde für unsere Feldarmee von
1864 zwar nur eine Sterblichkeit von 2,2 pCt. ergeben. Aber mit
einer solchen Art von Statistik sind Vergleiche überhaupt nicht zu
machen, und ich bedaure desshalb, eine andere Quelle nicht finden
zu können.
Noch näher liegt uns der Blick auf die dänische Armee von
1864. Djoerup berechnet auf 31,575 Kranke (excl. Verwundete)
756 Todesfälle, also 2,4 pCt., und bezeichnet dieses Verhältniss als
ein „ausserordentlich glückliches." Um so mehr Ursache hat die
preussische Armee sich ihrer 1,1 pCt. zu freuen.
Nehmen wir endlich unsere eigene Fried ens- Armee zum
Vergleiche. Jede grössere stehende Armee hat bekanntlich ihre be-
sonderen Erkrankungs- und Sterblichkeits- Verhältnisse, welche trotz
zeitweiser Schwankungen in Folge zwischenlaufender Epidemien
ziemlich constant bleiben , weil sie in der nationalen physischen und
psychischen Anlage und in den reglementarisch fixirten Lebens- und
Dienstverhältnissen wurzeln.
Sogar innerhalb der nämlichen Armee zeigen die grossen Ab-
teilungen, wenn sie zugleich territoriale sind, in der Regel nicht
unerhebliche und constante Differenzen in der fraglichen Beziehung.
In Preussen ist das 4. (sächsische) Armee -Corps eines derjenigen,
welche das günstigste Erkrankungs- und Sterblichkeits- Verhältniss
besitzen. Theils desshalb, theils und besonders weil die bezüglichen
Data mir zur Hand sind, nehme ich dasselbe zum Vergleiche. Das
4. Armee -Corps hat bei einer Kopfstärke von ca. 25,000 Mann vom
l. Februar bis ult. October 1864 den Lazarethen 7614 Kranke über-
wiesen. Davon sind gestorben 74, d. h. 0,3 pCt. der Kopfstärke,
0,97 pCt. der Lazarethkranken. Die Kleinheit der Differenz, welche
zwischen dieser und den oben für die Feldarmee berechneten Pro-
centsätzen besteht, ist vielleicht der stärkste Beweis für das geseg-
nete Wirken unsers Feld -Heildienstes.
Der Zahlenspiegel reflectirt aber noch ein anderes Bild. Das-
selbe interessirt um so mehr, je falscher die Vorstellungen sind,
welche man sicli von ihm ohne diese Beleuchtung machen kann —
ich meine die Kriegstüchtigkeit des preussischen Soldaten.
15
Die Vorzüge der neuen Bewaffnung waren, als der Krieg begann,
nicht ganz unbekannt; man war nur noch gespannt auf den Grad
ihrer Bewährung in der Kriegspraxis. Mit um so mehr Zweifeln
und Bedenken von den verschiedensten Standpunkten begleitete man
das junge und kriegsungewohnte lebendige Material der Armee,
welche plötzlich aus dem Garnisonleben heraus der Probe eines Winter-
feldzuges unterstellt wurde. Die vielen Lazarethanlagen , von denen
man hörte, und die häufigen Kranken- Transporte auf den Eisen-
bahnen, welche man sah, waren ganz geeignet, jenen Zweifeln
Nahrung zu geben. Die Maassregeln eines auf wissenschaftlicher
Einsicht und Erfahrung beruhenden Betriebes des Krankendienstes
imponirten dem Nichteingeweihten als der Ausdruck einer bedenk-
lichen Höhe des Krankenstandes. Fragen wir die Statistik, ob und
in wie weit der preussische Soldat die alte Kriegstüchtigkeit be-
wahrt hat.
Die französische Armee in Italien (1859), kriegsgewohnt und,
wie die unsrige 1864, siegreich, hatte nach Cazalas 112,476 La-
zareth- Kranke (excl. Verwundete) so ziemlich in derselben Frist,
während welcher die unsrige 26,717 Mann in die Lazarethe schicken
musste. Die Berechnung nach den respectiven Kopfstärken ergiebt
französischer Seits 56 pCt., unserer Seits 42,2 pCt. Erkrankungen.
Dabei ist die Maximalstärke der französischen Armee mit Cazalas
auf 200,000 Mann — jedenfalls nicht zu niedrig — geschätzt.
Es würde interessant sein, den Vergleich für 1864 wie für 1859
auf die österreichische Armee auszudehnen. Allein österreichischer
Seits ist es nicht beliebt, der Statistik auf diesem Gebiete durch
Veröffentlichungen Vorschub zu leisten.
Was die dänische Armee von 1864 betrifft, so hatte dieselbe
nach Djoerup ihren höchsten Krankenstand nach dem Falle der
Düppel -Stellung. In sämmtlichen dänischen Lazarethen befanden
sich damals ca. 5400 Kranke ausser den Verwundeten. Auch preussi-
scher Seits erreichte der Krankenstand in derselben Zeit seine Höhe.
Der höchste, welchen wir überhaupt gehabt haben, fällt auf den
30. April. An diesem Tage befanden sich in allen preussischen La-
zarethen, die heimischen Reserve -Lazarethe mitgerechnet, 3520
Kranke ausser den Verwundeten. Setzen wir die damalige Kopfstärke
auf beiden Seiten zu 60,000 an, was für die dänische gewiss nicht
zu niedrig gegriffen ist, so ergiebt sich ein Ausfall der Kampfstärke
durch Krankheiten dänischer Seits von 9 pCt., preussischer Seits
von noch nicht ganz 6 pCt.
16
Djoerup betont ausdrücklich das Glück der dänischen Armee,
von Epidemien verschont geblieben zu sein. Die seiner Zeit ver-
breiteten Gerüchte von dem Herrschen des Typhus in der dänischen
Armee waren nicht ganz unbegründet, aber übertrieben. Die Stra-
pazen waren dänischer Seits gewiss nicht grösser, als bei uns. Die
Kleidung des dänischen Soldaten ist, besonders in Betreff des Ma-
terials , gut. Namentlich die dänischen Stiefel und Mäntel scheinen
sich den Beifall unserer Soldaten erworben zu haben. Im eigenen
Lande und bei dem ungestörten Verkehr zwischen Festland und
Inseln konnte die Verpflegung auf allzu grosse Schwierigkeiten kaum
stossen. Woher also jenes nicht unerhebliche Ueberwiegen der Er-
krankungen? Sollte allein die moralische Depression, welche das
Unglück der Waffen erzeugt, Schuld daran sein? Sie hat ohne
Zweifel ihren Einfluss. Allein die durchschnittlich derbe und phleg-
matische Natur der Söhne Dänemarks, wie wir sie kennen gelernt
haben, mahnt denselben nicht zu überschätzen. Den besten Auf-
schluss giebt Djoerup selbst. Es war den dänischen Behörden
von früher bekannt, dass die Leute der arbeitenden Klasse vom
Lande, welche 30 Jahr und darüber alt sind, sich nur selten noch
zu Soldaten eignen. Allein die Umstände zwangen , bei Einberufung
der Verstärkungs-Mannschaft auf solche zurückzugreifen. Von ihnen
mussten aber 12 pCt. sofort als dienstuntauglich wieder entlassen
werden, und eine verhältnissmässig noch grössere Zahl suchte binnen
Kurzem in den Lazarethen Zuflucht. „Im Ganzen, sagt der dänische
Armee -Arzt, gehörten sie zu den am wenigsten kanipf tüchtigen
Theilen der Armee, und dies würde sich sicher noch deutlicher ge-
zeigt haben, wenn der Gang des Krieges häutige und forcirte Märsche
mit sich geführt hätte."
Unter den Bedingungen der Kriegstüchtigkeit verdient das
Alter der Soldaten ohne Zweifel besondere Beachtung, selbst wenn
angenommen werden darf, dass die dänische Erfahrung bei unsern
Landsleuten nicht ganz zutrifft. Es wäre der Mühe werth, unsere
Feld -Krankenlisten darüber zu befragen. Wenn man den Zahlen,
durch welche die verschiedenen Altersklassen in der Feldarmee ver-
treten waren, die entsprechenden Kranken-Zahlen und Erkrankungs-
Formen gegenüberstellte, so könnte dabei ein in mehrfacher Be-
ziehung interessirendes Ergebniss herauskommen. Zu einer solchen
Untersuchung habe ich weder das Material noch die Müsse zur Ver-
fügung. Einen kleinen Beitrag kann ich jedoch liefern. Bei den
Vorarbeiten zur kriegschirurgischen Statistik des Feldzuges habe ich
17
das Alter der einzelnen Verwundeten — der preussischen wie der
dänischen — (mit Ausschluss der Officiere) nach 4 Klassen notirt.
Danach waren alt
unter 23 J. 23—25 J. 25—30 J. über 30 J.
Preussen ... 30 pCt. 41 pCt. 28 pCt. 1 pCt.
Dänen 6 „ 22 „ 50 „ 22 „
Annähernd wenigstens dürften diese Zahlen für das Alters-
verhältniss in beiden Armeen bezeichnend sein. Die preussische
hatte danach ziemlich ebensoviel Soldaten unter 25, wie die dänische
über 25 Jahr — eine Differenz, welche gross genug ist, um das
Erkrankungs - Verhältniss zu beeinflussen.
Die relative Jugend unserer Feldsoldaten hat somit
deren Kriegstüchtigkeit nichts weniger als beschränkt.
Oder war etwa die Probe, welche sie zu bestehen hatten, nicht be-
weiskräftig genug?
Der Kampf mit dem Feinde in Seuchengestalt ist, wie gesagt,
unseren Soldaten erspart worden. Aber was sonst an gesundheits-
feindlichen Einflüssen unvermeidlich mit einem Feldzuge sich ver-
knüpft, hat ihre Leistungsfähigkeit auf eine vollwichtige Probe ge-
stellt.
Die Märsche von ungewöhnlicher Ausdehnung theils mitten im
Winter auf schneeverwehten oder eisglatten Wegen, theils in der
Gluth des Hochsommers, Quartiere, in welchen ein Platz im Kuh-
stalle als besondere Gunst des Schicksals gelten konnte, Bivouaks
ohne Stroh und Feuer auf gefrorenem Sturzacker, die Wacht auf
Vorposten, der psychisch wie physisch aufreibende Dienst bei den
Belagerungsarbeiten und in den Trancheen — das Alles ist in fri-
scher Erinnerung und doch nur ein Theil der Ansprüche, welche
der Krieg an die Kraft und an die Entsagungsfähigkeit unserer
Tapferen gestellt hat. Preussen und seine Armee darf stolz sein
auf die körperliche unl moralische Spannkraft, mit welcher die
plötzliche Probe bestanden wurde, und welche das gemeinsame Er-
zeugniss nationaler Anlage und wohlbedachter soldatischer Erzie-
hung ist
Um keiner Illusion Vorschub zu leisten, darf freilich nicht
unerwähnt bleiben, dass das oben nachgewiesene Erkrankungs-Ver-
hältniss nur für die ganze Feldarmee gilt. Höhere Sätze ergeben
sich natürlich, wenn man die Berechnung auf solche Theile der-
selben beschränkt, welche den Vorzug hatten, besonders stark und
anhaltend angespannt zu werden. So erkrankten im April, dem
Loe ff ler , Generalbericht. 2
18
Monate, auf welchen überhaupt die höchste Procentzahl fällt, z. B.
wwi der Garde -Infanterie -Division 9 pCt. und von der Infanterie
der 6. Division, welche von allen Truppen die längste und stärkste
Feldzugeprobe bestanden hat, gegen 10 pCt. ihrer Kopfstärke.
Andererseits kommt es nicht blos auf die Zahl, sondern auch auf
die Art der Erkrankungen an. In den erwähnten Zahlen sind vor-
läufig die verschiedenartigsten Krankheitsformen zusammengefasst.
Ich werde dieselben in einem späteren Abschnitte gesondert bespre-
chen. Eine aber giebt es, welche vorzugsweise als Maassstab dienen
kann, um die Erschütterung zu messen, welche der Gesundheits-
zustand einer Feldarmee erleidet. Ich meine den Typhus — nicht
jene specih'sche Kriegspest, welche, wenn sie durch Versäumniss
rechtzeitiger Verhütungsmaassregeln einmal entstand, mittelst einer
furchtbaren Ansteckungskraft ihre Herrschaft sichert, sondern jene
Typhusform, welche Jahr aus Jahr ein auch während des Friedens
im Civil wie im Militär vereinzelte Opfer fordert und zeitweis, sei es
epidemisch oder sei es unter der Ungunst lokaler hygienischer Ver-
hältnisse, eine grössere Verbreitung erlangt, den sogenannten „Un-
terleibs-Typhus".
Die Gesammtsumme der Typhuskranken, welche die dänische
Armee während des Feldzuges verloren hat, ist aus dem Berichte
von Djoerup nicht zu ersehen. Bloss in den Lazarethen zu Au-
gustenburg, Nordberg und Copenhagen sind bis zum 20. Juni ca.
280 Typhuskranke gestorben. Die preussische Feldarmee hatte bis
zu demselben Termine nur 142 Todesfälle durch Typhus, während
des ganzen Feldzuges (bis ult. October) 193. Bei der geringen
Differenz der Kopfstärken haben diese Zahlen absoluten Werth.
Gewiss ist die unsrige befriedigend klein. Dennoch prägt sich
in ihr die Feldzugseinwirkung deutlich genug aus. Sie repräsentirt
66 pCt. aller Todesfälle nach Krankheit — ein Verhältniss, welches
das in der preussischen Friedensarmee gewöhnliche um etwa 30 pCt.
übersteigt.*)
*) O.-St.-A. Dr. Abel hat dieses Verhältniss pro 1860 auf 35,6 pCt. be-
rechnet. (S. Preuss. militärärztl. Zeitung. 1861. pag. 272.)
Für grössere Zeiträume liegen Berechnungen der Art vor von Riecke (pro
1820-1844 : 30,6 pCt.) und von (Jasper (pro 1829—1838 : 35,3 pCt).
Nach Tabelle 14 in Engel's Arbeit „die wichtigsten Resultate einer ver-
gleichenden Statistik der Gesundheit und Sterblichkeit der Civil- und Militär-
Bevölkerung im preussischen Staate berechnet," stellt es sich pro 1846—1862
auf 36 pCt.
19
Besonder-* bezeichnend aber ist die Verkeilung der Todesfälle
durch Typhus auf die einzelnen Stadien des Feldzages. An Typhus
starben nämlich im Februar 7, März 18, April 30. Mai 49, Juni 32,
Juli 17, Anglist 12, September 10, October 12.
Wä. rend des Friedens zeichnet sich der April und Mai vor
allen anderen Monaten sehr constant durch die kleinsten Typhus-
Zahlen aus. frn Feldzuge sehen wir die Höhe der Actiofl und die
höchsten Zahlen der Typhus- Todten gerade auf die-e Zeit zusam-
menfallen. Der Mai, obwohl wenigstens die zweite Hälfte desselben
(nach dem am 12. erfolgten Absehiiisse des ersten Waffen-till-tan-
des) den Truppen völlige Ruhe und Erholung bot, hat eine höhere
Zahl, als der April. Darin äusserte sich die Nachwirkung
der gesundheitsfeindlbfien Einflüsse, welche sich in dem voraus-
gegangenen Action-quartale summirt hatten. Selbst noch die Todten-
zahl des Juni ist darauf zu bozieheu.
In der Tbat — nicht in dem Eintlus-e des ungewohnten Klimas
oder ungünstiger Witterung, welchem eine Feldarmee ausgesetzt ist,
nicht in den epidemischen oder endemischen Krankheitsverhält-
nissen, denen sie auf dem Kriegsschauplätze begegnet. Hegt für sie
die verhängnissvollste Frkraokungsursaohe, obwohl alle jene Momente
einzeln und vereint Opfer genug fordern können. Diese ist viel-
mehr zu suchen in der Eigentümlichkeit des Kriegslebens selbst,
in dem nnansge Btzt Starken Verbrauche von Muskel- und Nerven-
kraft und in der Schwierigkeit oder Unmöglichkeit, die Bedingun-
gen zu erfüllen, von welchen der entsprechende Ersatz abhängt.
Jede Feldarmee wird, so lange sie activ ist, von diesem Miss-
verhältniss bedroht. Die nächsten Folgen desselben sind stets und
überall die nämlichen und desshalb eines der wichtigsten Objecte
für das specifisebe Studium des Militär* Arztes. Bis zu welcher
Höhe sie sich entwickeln, hängt ab von der Dauer des Missverhält-
nisses und von dem Grade, bis zu welchem man es steigen läset,
oder steigen zu lassen durch die Umstände gezwungen ist.
Wer die Leidensgeschichte der Krimm- Armee in dem Berichte
ihres Chef- Arztes Scrive, des competentesten Zeugen derselben,
aufmerksam durchgeht, wird bald die Stufe finden, welche derje-
nigen entspricht, bis zu welcher die Wirkung jener Specinschen Ur-
sache bei unserer Feldarmee von 1864 sieh geltend gemacht hat.
Sie war am stärksten ausgeprägt in der Periode nach dem Sturme.
Dem Auge der Sachverständigen konnte sie schon vorher nichtentgehen.
Sie verrieth sich allerdings kaum durch eine auffallend grosse
2«
20
Zahl von Lazareth - Kranken. Noch Anfangs April hatte die
Armee in allen Feld- und heimischen Lazarethen nur wenig über
4 pCt. ihrer Kopfstärke. Keiner wollte auf die Ehre verzichten, an
der bevorstehenden Entscheidung theilzunehmen. Die Spannung stieg
mit jedem Tage und half Vielen hinweg über Unpässlichkeiten und
Anwandlungen von Ermattung.
Aber die Zahl der sogenannten gastrischen und gastrisch -ner-
vösen Fieber fTyphen) wurde absolut wie relativ grösser; der bis
dahin milde und einfache Verlauf dieser Fieber änderte sich; kleine
Blutaustretungen in der Haut und Blutungen aus den Schleimhäuten
wurden häufigere Complicationen; das rasche Sinken der Kräfte
mahnte an die geringere Energie, welche dem Angriffe der Krank-
heit gegenüberstand, und nöthigte zu künstlicher Unterstützung, wo
früher sorgsame Pflege und diätetische Fürsorge ausgereicht hatten,
um einen günstigen Ausgang zu erzielen. Aber auch der veränderte
Verlauf der Verwundungen und der andern fieberhaften Krankheiten
verrieth die Wandelung der Armee -Gesundheit. Die Entzündungen
des Brustfelles und der Lungen, welche früher so rasch und glück-
lich verliefen, hielten nicht mehr ihre regelmässigen Stadien inne,
und wo Krisen eintraten, geschah es zögernd und unvollkommen.
Dennoch ist nicht das Lazareth der Ort, wo zu prüfen und zu
erkennen ist, in welcher Ausd eh nun g eine solche Wandelung
der physischen Constitution einer Feldarmee, die Verarmung und
Entmischung des Blutes, das Sinken der Muskelkraft und der Ner-
ven-Energie sich entwickelt. Diese Beobachtung fällt vorzugsweise
in den Gesichtskreis des Truppen- Arztes.
Die Freude des Sieges, das stolze Bewusstsein, ihn mit er-
rungen zu haben, das begeisternde Lob, welches des Königlichen
Kriegsherrn eigener Mund auf der Stätte des Ruhmes spendete,
wirkten anregend und spannend noch über den 18. April hinaus.
Dann aber kam der unausbleibliche Rückschlag.
Die Truppen- Aerzte hatten nunmehr täglich unter den Klagen-
den für die Lazarethpflege diejenigen auszuwählen, bei welchen die
Krankheitsanlage sich so weit entwickelt hatte, dass die Fortsetzung
des Dienstes unthunlich und die Pflege im Quartier unzureichend
war. Es ist nicht möglich auch nur ungefähr zu bestimmen, wie
viel Soldaten damals über Ermattung und Benommenheit des Kopfes
klagten, und bei wie vielen die Bleichheit der Lippen, des Zahn-
fleisches und der Gaumenschloimhaut verrieth, was die wetterge-
bräunte Haut an den Wangen verdeckte. Mangel an Esslust, schlei-
21
miger Belag der Zunge, Unregelmässigkeit der Verdauung, besonders
Neigung zum Durchfall, waren sehr gewöhnlich damit verknüpft.
Hier und da zeigten sich am Zahnfleische und in der Haut die ersten
Spuren des keimenden Scorbuts.
Auf diesem Punkte der Gesundheitswandelung angelangt, ist
eine siegreiche und wohldisciplinirte Armee noch nicht kampfun-
fähig. Bleibt aber die Lage unbeachtet, werden die Maassregeln,
ihrer Verschlimmerung vorzubeugen, wegen Verkennung der Gefahr
oder wegen der Unmöglichkeit, sie auszuführen, versäumt oder
hinausgeschoben , so lichten sich alsbald die Glieder in überraschen-
der Progression , um die Lazarethe zu füllen , und die Entwickelung
der bösesten Krankheitsformen ist dann nur noch eine Frage der
Zeit. —
Was grosse und durchgreifende hygienische Maassregeln für die
Gesundheit einer Feldarmee leisten können, lehrt die Geschichte der
englischen Krimm- Armee. Die Verwahrlosung der Hygiene mit
ihren allarmirenden Folgen in der ersten Periode und der ausge-
zeichnete Gesundheitszustand der englischen Armee neben den furcht-
baren Leiden der auf demselben Boden campirenden französischen
während der zweiten Periode des Feldzuges sind Contraste, welche
keines Commentares hedürfen.
Die Zerstreuung unserer Truppen in weitläufige Erho-
lungsquartiere, welche der am 12. Mai geschlossene Waffenstill-
stand gestattete, war eine grosse und weise Gesundheits-Maassregel.
In Verein mit der lange entbehrten Ruhe, welche überall und mit
der vorzüglichen Pflege, welche wenigstens den im Herzogthum
Schleswig cantonirenden Truppen Seitens der Quartiergeber gewährt
wurde, wirkte, sie eben so schnell wie gründlich. Was die Aerzte
an der Zahl und Bedeutung der Erkrankungen zu constatiren ver-
mochten, die Wiederkehr der Frische und Spannkraft der Soldaten,
das machte sich den Führern in der straffen Haltung bemerkbar,
als .sie nach Ablauf des Waffenstillstandes aus den Ruhequartieren
zu neuen Thaten vorrückten. Wer die Abmärsche aus dem Sunde-
witt theils nach Norden, theils nach Süden sah, würde kaum ge-
glaubt haben, dass es die nämlichen Truppen seien. Das kühne
Wagniss des 29. Juni wurde denn auch so frisch und fröhlich —
im wahren Sinne des Wortes — vollbracht, als wären die Mühsale
der Winter -Cainpagne und der Belagerung gar nicht dagewesen.
Die spezifische Krankheitsanlage war getilgt. Das zeigte sich in
dem Charakter der weiter vorkommenden Erkrankungen; es zeigte
sieh ganz besonders in dem Verlaufe der Wunden. Die von Alsen
machten denen von Missunde Concurrenz.*)
Der Gesundheitsdienst hat die schöne Mission, den Lorbeer-
kranz des Siegers vor jenen dunklen Flecken zu wahren, welche
der verschuldete Mangel an Fürsorge für die Opfer des Krieges
darauf absetzt. Aber es heisst, die Bedeutung seiner Aufgabe ver-
kennen, wenn man meint, sie beschränke sich auf jene Mission,
wenn man vergisst, dass er auch berufen ist, für den Kriegszweck
seihst zu wirken. Ihm dienen beide Zweige des Gesundheitsdienstes,
die Krankenpflege wie die Gesundheitspflege. Je vollkom-
mener die letztere ist, desto weniger umfänglich und desto voll-
kommener lösbar wird die Aufgabe der ersteren. Je mehr es der
Hygiene gelingt, das Lichten der Glieder durch Krankheiten zu ver-
hüten, desto schneller und sicherer wird der Heildienst die ent-
standenen Lücken durch Rückgabe der Genesenen wieder ausfüllen
können.
In unserem Feldzuge gestattete die Gunst der Umstände im
rechten Augenblicke die Durchführung einer Maassregel, welche den
Anforderungen der Hygiene, wie gesagt, in vollkommener Form
entsprach. Daraufist vorweg niemals zu rechnen Desto
wichtiger sind für jede Feldarmee die Mittel, welche dazu dienen,
jenen Moment hinauszurücken, wo das lebendige Kraft- Capital zu
schwanken beginnt. Die schnelle und gründliche Wirkung der Ruhe-
quartiere L&ssl BChliessen, dass das Uebel, welchem durch sie be-
gegnet wurde, trotz der dreimonatlichen Strapazen noch nicht tief
wurzelte — ein Beweis der Kriegstüchtigkeit unserer Jugend, aber
auch der Aufmerksamkeit, welche jenen Mitteln gewidmet war.
Obenan steht unter ihnen die Verpflegung. Sie ist auch
unter Verhältnissen wie die von 18G4 eine ebenso schwierige, wie
•) Da die Wunden im nächsten Abschnitte des Berichtes ausführlich be-
Bprocbeo werden, so deute ich hier nur das Sterblichkeitsverh<nisfi an, wie
es sich aus Tabelle 1. ergiebt.
Nach Ab zu ir der Gefallenen sind gestorben
von den Verwundeten des 2. Februar 11,7 pCt.
■ „ „ ,. 10. „ bis 17. April . . 14,0 »
. 1 n „18. April 18,1 „
• 1 »4 29 Juni 12,1 »
Bemerkt mu>s indess werden, da>s die*e Differenz der Sterbliehkeits-Zahlen
niebl Btwa M88chliesslich von d<-n Veränderungen des allgemeinen Gesund-
heltainettades, sondern aueh von mehreren anderen Momenten, wie Schwere der
Verletzungen, Gunst oder Ungunst der Lazarethverhaltnisse, bedingt war.
23
wichtige Aufgabe der Intendanturen. Die Oberleitung war in
der Hand des Armee -Intendanten, des Wirkl. Geh. Kriegsraths
Weidinger. In allen Kreisen, namentlich auch in den feldärzt-
lichen, herrscht nur eine Stimme darüber, dass jene Aufgabe rühm-
lichst gelöst worden ist. Trotz mancher Hemmnisse — erschwerter
Transport, häufige und plötzliche Dislocationen der Truppen — hat
unsern Soldaten nie und nirgends gefehlt, was das Verpflegungs-
Reglement ihnen gewährt Die Lieferungen aus den Magazinen sind
allgemein belobt. Das frische Fleisch war stets von guter Qua-
lität und wurde nicht allzuoft durch Salz- oder Pökel-Fleisch,
welches man in Flensburg und Jütland vorfand, ersetzt. Die übri-
gen Materialien Hessen nichts zu wünschen übrig. Das von den
Feldbäckereien kommende Brod war sogar ausgezeichnet. Seine
Vorzüge wurden besonders anerkannt von den Truppen in Jütland,
welche sich mit einem viel schlechteren, anderweitig beschafVten,
begnügen mussten, bis auch dort Feldbäckereien eingerichtet wrurden.
Was aber die quantitativen Sätze des Reglements selbst be-
trifft, so scheinen die Erfahrungen des Feldzuges zu bestätigen, was
theoretisch auf Grund physiologisch -chemischer Berechnungen schon
früher behauptet wurde, dass sie nämlich in ihrer Combination dem
Bedürfnisse, wie es die Wissenschaft aufzufassen genöthigt ist, nicht
ganz entsprechen.
Die tägliche Brodportion beträgt nach dem Reglement von
1859 1 Pfund 26 Loth Brod oder 28 Loth Zwieback; die tägliche
Victualienportion an
Fleisch: 15 Loth frisches oder gesalzenes — oder 10 Loth
geräuchertes — oder 7^ Loth Speck;
Gemüse: 6 Loth Reis — oder 1\ Loth Graupe oder Grütze
oder 15 Loth Hülsenfrüchte — oder 15 Loth Mehl —
oder 3 Pfund Kartoffeln;
Salz: \\ Loth;
Branntwein t* Quart.
In wie weit diese Sätze hinter dem theoretischen Calcul zurück-
bleiben, ergiebt sich aus den Arbeiten mehrerer preussischer Mili-
tär -Aerzte — Hildes heim, Böttcher und Asche — , aufweiche
ich Behufs des Vergleiches verweise. Das volle Pfund Fleisch, wel-
ches die Soldaten in Jütland eine Zeit lang erhielten, wurde von
ihnen gern verzehrt und hat ihnen sichtlich wrohlgethan. In Rück-
sicht auf die kraftverzehrende Wirkung des Felddienstes, zumal bei
dem durchschnittlichen Alter des preussischen Feldsoldaten, erscheint
24
die Erhöhung des reglemeu tarischen Fleischsatzes wenigstens auf
\ Pfund, wie sie zeitweis auch bei den Truppen in Schleswig auf
besondere Anordnung der Befehlshaber erfolgte, sehr rathsam. Da-
neben würde eine Verminderung des Brodsatzes um 4 Pfund als
Verlust kaum empfunden werden. Trotz der vorzüglichen Qualität
wurde die Brodportion von vielen Soldaten oft nicht ganz verzehrt.
Ebenso nützlich wie beliebt wurde die neuere Zulage zur Tages-
portion — 1 Loth Kaffeebohnen. Reichte auch die Zahl der
mitgegebenen gut construirten Kaffeemühlen nicht immer aus, man
wusste sich zu helfen. Der erwärmende und belebende Trank, bei
den Replis bereitet, verlieh namentlich dem beschwerlichen Vor-
postendienste einen wohlthuenden Anstrich von Gemüthlichkeit. Die
KafTeeportionen wurden zu dem Behufe bisweilen verdoppelt. Die
mit einem Zuckerzusatze präparirten Kaffeetafeln der Oesterreicher
wurden gelobt. Dennoch möchte ich unsere Lieferungsart vorziehen;
sie giebt der Fälschung durch Surrogate geringer Raum. Der Kaffee
maciit den Branntwein nicht ganz überflüssig; aber er gestattet,
die Menge des letzteren so einzuschränken , dass die namentlich im
Winter drohenden Kachwirkungen seines Genusses — Erschlaffung
und Schlafsucht — nicht eintreten.
Wenn man erwägt, welche Stelle in der Friedensnahrung der
Kartoffel zugestanden ist, so wird es sehr begreiflich, dass der
plötzliche und gänzliche Ausfall dieses Nährmittels unserm Feldsol-
daten als eine grosse Entbehrung erscheint. Es hat, wie erwähnt,
im Reglement seine Stelle; aber Volumen und Gewicht erschweren
ausserordentlich die Aufnahme desselben in die Feld- Magazine.
Ueberhaupt ist die schwer zu vermeidende Einförmigkeit
der Magazin -Verpflegung die Schattenseite dieser im Felde unent-
behrlichen und unter Umständen, selbst wo man die Wahl hat, je-
der anderen vorzuziehenden Verpflegungsart. Die ständige Wieder-
kehr ihrer Elemente, werden sie auch an und für sich vorzüglich
geliefert, ermüdet gleichsam die Geschmacks- und Verdauungs- Or-
gane und führt bei einer längeren Dauer zu einer krankhaften Blut-
bildung, besonders wenn der gänzliche Ausfall erfrischender
Vegetabilien hinzukommt. Wohl ist das Reglement auch auf
diesen Umstand bedacht, indem es Rüben, Backobst, Sauer-
kraut als Veränderungen der Victualienportion zulässt. Aber es
scheint , dass die Intendanturen auf unüberwindliche Schwierigkeiten
Btossen, von dieser Erlaubniss practisch Gebrauch zu machen.
Vaterlands- und Soldaten - Freunde haben einzeln und vereint
25
manche erwünschte Abwechselung in die Verpflegung gebracht.
Allein mit diesem Factor ist, weil seine Wirksamkeit so sehr von
den Umständen abhängt, amtlicher Seits nicht zu rechnen. Dess-
halb verdient vielleicht ein anderer mehr Aufmerksamkeit, als er
in der preussischen Armee bis jetzt gefunden zu haben scheint.
Sollte es nicht möglich sein, den Nutzen des Marketenderwe-
sens zu steigern, wenn über die blosse Duldung desselben hinaus-
gegangen und eine bestimmte Regelung und Controlle versucht wird?
Besondere Erwähnung erheischt noch die sogenannte „eiserne
Portion" — jener Vorrath an Victualien auf o Tage, welcher,
wenn der commandirende General es für nöthig hält, dem Soldaten
zur Mitführung auf dem Marsche gegeben wird. Er bestand in Brot
oder Zwieback, Reis, Graupe oder Grütze, Salz und Speck. Der
Zwieback hat unter unseren Soldaten nicht viel Freunde gefunden,
der Speck um so mehr, so dass er sich kaum als eisern bewährte.
Von allen Präparaten der neueren Industrie scheint das F leisen -
extract für den Zweck der eisernen Portion am meisten der Be-
achtung werth. Der transatlantische Betrieb im Grossen, welcher
begonnen hat, lässt auf entsprechende Erledigung des Kostenpunktes
hoffen. Salzfleisch sollte zur eisernen Portion niemals verwendet
werden. Schon die lange Zeit, welche es wässern muss, um ge-
niessbar zu werden, macht es untauglich dazu.
Die Kleidung des preussischen Soldaten ist seit dem Feld-
zuge vom Kopfe bis zur Sohle der Kritik unterzogen worden.
Manche Ausstellungen mögen begründet, manche Aenderungsvor-
schläge beachtenswerth sein. Allein Winterfeldzüge werden wohl
immer zu den Ausnahmen gehören, und manche nationale Eigen-
tümlichkeit hat Anspruch, respectirt zu werden, wofern sie nicht
absolut zweckwidrig oder senädlich ist. So ist z. B. über den
Helm von den verschiedensten Standpunkten der Stab gebrochen.
Die Nachtheile, welche er für die Gesundheit haben soll, scheinen
mir, besonders in Rücksicht auf die neuere Form desselben, etwas
übertrieben auf Kosten des Schutzes, welchen er in mehr als einer
Beziehung wirklich bietet. Schwerlich giebt es eine Kopfbedeckung,
welche bei Sturm und Wetter so schützt und so sicher sitzt wie
ein gut passender Helm. Die Erfahrung des Feldzuges hat
gezeigt, wie man sich helfen kann, wo seine Xachtheile vor-
wiegen. Die Kopfverletzten von Missunde, wo der Helm nicht
abgelegt wurde , haben ein um 6 pCt. günstigeres Heilungs-
Verhältniss gehabt, als die Kopfverletzten aus den übrigen
26
Kämpfen. Es waren verbaltnissmässig weniger Schwerverwundete
darunter.
Wenn die Leichtigkeit des Stoffes, aus welchem die Waffen-
röcke, Beinkleider und Mäntel gefertigt, werden, Anstoss er-
regt, so darf doch nicht vergessen werden, dass namentlich für den
Infanteristen jede Steigerung der Last, welche er zu tragen hat, den
Anspruch auf Kraftanwendung erhöht und die Beweglichkeit schmä-
lert. Wohl möchte es rathsam sein, Länge und Weite des Waffen-
rockes wie des Mantels weniger knapp zu bemessen, um den Nutzen,
welchen das Gestatten von Unterkleidern gewährt, nicht durch Be-
hinderung des Athmens zu schmälern. Die aus privaten Hülfsquel-
len stammenden wollenen Strümpfe, Unterjacken etc. haben
nicht wenig dazu beigetragen, unsere Soldaten gegen die Kälte zu
schützen, und die Disciplin übte eine besondere Nachsicht gegen
das Feldcostüm. An leichten Frostübeln hat es natürlich nicht ge-
fehlt; aber bei der Erinnerung an die grossen Verluste von Glie-
dern und Leben in Folge der Kälte, wie sie von anderen Winter-
feldzügen bekannt sind*), bleibt es eine ebenso auffallende als
erfreuliche Thatsache, dass selbst lokale Erfrierungen bedeutenden
Grades zu den grössten Seltenheiten gehörten. Der Dank dafür ge-
bührt der Armee -Verwaltung, welche für den Ausnahmefall aus-
nahmsweisen Schutz zu gewähren, auch ihrer Seits nicht gesäumt
hat. Bewährt haben sich ganz besonders die den Mänteln zuge-
fügten Kapotten. Die Erinnerung an den Nutzen der Pelze, mit
welchen die Vorposten versorgt wurden, leidet etwas unter dem
üblen Gerüche, welchen dieselben , einmal nass geworden , in hohem
Grade entwickelten. Es wird für die Zukunft kaum Schwierigkeit
haben, das Aussenleder gegen Durchfeuchtung und zugleich gegen
das heim Trocknen eintretende Brüchigwerden zu schützen. — Die
Industrie beschäftigt sich schon lange mit dem Wasserdichtma-
chen der Tuchstoffe. Sollte nicht die Schutzkraft des Mantels
eine Steigerung von dieser Kunst zu erwarten haben?
Viele Stimmen erheben sich für die Einführung wollener
Hemden in die reglementsmässige Soldatenkleidung. Es lässt sich
nicht leugnen, dass ein solches Hemde nicht bloss im Winter, son-
dern auch im Sommer gegen Erkältungsleiden Schutz bietet Den-
noch \onlinnt ein Lniformstück wie die sogenannte Weste des
*) Im Krimmkrjege starben von der englischen Armee 463, von der fran-
Kfcri sehen 1178 in Folge von Erfrierungen.
27
österreichischen Soldaten den Vorzug. Diese lange Tuchjacke hält
den Leib sehr warm; sie wird im Sommer allein als Uniform ge-
tragen. Unsere Drillichjacken, welche ähnlich gebraucht werden,
bieten einen sehr unvollkommenen Schutz, wenn der Soldat von
Märschen, vom Vorpostendienst, von der Belagerungs-Arbeit erhitzt
in das unheizbare Quartier gelangt und seine durchnässten und be-
schmutzten Uniformsstücke behufs des Trocknens und Reinigens
ablegen will. An ähnlichen Situationen fehlt es auch im Frieden
nicht.
Am meisten Hess unter den obwaltenden Umständen die Fussbe-
kleidung zu wünschen übrig. Auf den Märschen und besonders in den
Trancheen gestattete die weite Hose über dem kurzschäfti-
gen Stiefel dem Schnee wie dem flüssigen Schmutze unbehinderten
Zutritt zu den Füssen. Der Soldat suchte sich zu helfen, indem er
die Hosen in die Stiefel steckte und Tücher oder Strohbinden dar-
umwickelte. Durch die Königliche Ordre vom 1. März 1866 erhält
der preussische Infanterist nunmehr Stiefel mit 12 — 14 Zoll
langen bis über die halbe Wade reichenden Schäften und
Schuhe. Hiermit scheint dem Bedürfnisse in der That am voll-
ständigsten entsprochen zu sein. Bei der Schnelligkeit, mit welcher,
wie die Erfahrung gezeigt hat, gegenwärtig aus dem Friedensver-
hältnisse zu Kriegsmärschen und zur Action übergegangen werden
kann, verdient auch die Construction des Stiefelfusses besondere
Aufmerksamkeit, besonders bei der Austheilung neuer Stiefel an die
einberufenen Reservemannschaften. Ist der Stiefel im Fusse zu kurz
oder zu breit oder, wie es be onders oft an der Hacken-Kappe vor-
kommt, zu eng, ist die innere Sohlenfläche uneben, vielleicht gar
durch hineinragende Nagelspitzen, so können gleich die ersten
Märsche Fusskranke in einer Menge liefern, welche für die Kampf-
stärke nichts weniger als gleichgültig ist, wenn man sie den Laza-
rethen überweisen muss.
Das Quartier stellt die Entsagungsfähigkeit des Feldsoldaten
nicht selten auf die stärksten Proben. Auf den Märschen wird die
Lage von dem Kriegszwecke mit seinen Notwendigkeiten so sehr
beherrscht, dass das Marsch quartier sich dem Einflüsse des Ge-
sundheitsdienstes fast gänzlich entzieht. Um so wachsamer muss er
sein, wo es sich um ständigere Unterkunftsformen handelt. Zelt-
und Baracken-Lager wurden zwar im Sundewitt zeitweis benutzt,
z. B. das aus den Dannewerk-Baracken in der Büffelkoppel herge-
stellte, um während der Belagerung die Reserven der Trancheen-
28
Besatzung aufzunehmen. Da jedoch immer nur einzelne Truppen-
körper in kurzen Fristen wechselnd auf solche Quartiere angewiesen
waren, so konnten etwaige Mängel nachhaltigen Schaden nicht ver-
ursachen. Immerhin findet hier und ganz besonders in dicht belegten
und an und für sich schlechten Canton nements - Quartieren,
wie es viele der im Sundewitt während der Cernirung und Belage-
rung benutzten waren, auch die Disciplin Gelegenheit, sich als
eine der wirksamsten Stützen der Hygiene zu bewähren. Nicht bloss
jene Lager, sondern auch diese Quartiere können zu wahren Brut-
stätten von Krankheitskeimen werden.
Nur straffe Zucht vermag den Anforderungen der Hygiene Geltung
zu sichern gegenüber dem Leichtsinne und der Gleichgültigkeit da-
gegen, welche bei dem Feldsoldaten so leicht die Oberhand gewinnen.
Gewiss erheischt es Nachsicht, wenn der Soldat, von der Wacht auf
Vorposten oder in den Trancheen erschöpft in dem öden Quartiere
anlangend, die notwendigen Rücksichten auf Reinlichkeit und Ord-
nung vergisst. Aber um ihn selbst und seine Quartiergeno>sen vor
Ungemach und Unheil aller Art zu wahren, muss da die Disciplin
dem durch Ueberanstrengung erschlafften Willen zu Hülfe kommen.
Ein Führer, welcher, sachverständigem Rathe zugänglich, straffe Zucht
mit vorsorglicher Rücksicht für die Forderungen der Hygiene den
Umständen entsprechend zu paaren weiss, wird stets die Freude
haben, mit seiner Truppe möglichst vollzählig und kräftig an den
Feind zu kommen.
Nirgends ist das Handinhandgehen der Disciplin mit dem Ge-
sundheitsdienste notwendiger, nirgends rächt sich der Mangel des-
selben empfindlicher, als auf den Kriegs -Mär sehen. Die Aus-
dauer im Marschiren gilt, namentlich für die Infanterie, mit Recht
als wesentliches Erforderniss der Kriegstüchtigkeit. Das Schicksal
der Dannewerk - Stellung wurde entschieden durch den Flanken-
Angriff des unter dem Befehle des Generals der Cavallerie Prinz
Friedrich Karl von Preußen K. H. stehenden 1. combinirten
Armee-Corps. In der Nacht vom 5. zum 6 Februar bivouakirte es
bei —6° R. auf schneebedecktem Sturzacker ohne Stroh und Feuer,
um bei Arnis den Uebergang über die Schlei zu forciren. In der-
selben Nacht verliessen die Dänen ihre seit Jahren mit den grössten
Opfern und stark befestigte Stellung. In wenigen Stunden wurde
die Ponton-Brücke über den ca. 700 Fuss breiten Fluss geschlagen.
Es galt nun, bei einem schneid onden Nordost auf schneeverwehten
Landwegen oder spiegelglatter Chaussee den fliehenden Feind in
29
Eilmärschen zu verfolgen. Die Wintermäische am 6. und 7. Februar
waren eine starke Probe auf die Marschfähigkeit. Sie wurde rühm-
lich bestanden und gab auch der Cavallerie Gelegenheit, die Tüch-
tigkeit von Reiter und Ross zu zeigen.
Die Garde-Division, welche unter dem Befehle des Generallieu-
tenant v. d. Mülbe zur selben Zeit und unter gleich erschwerenden
Umständen auf dem linken Flügel nach dem nämlichen Ziele —
Flensburg — voreilte, hatte am 26. und 27. März eine, was die
Entfernung betrifft, noch stärkere Probe zu leisten. Sie führte ihre
plötzlich befohlene Dislokation aus der Gegend von Veile in Jütland
nach dem Sundewitt — ca. 13 Meilen — in diesen beiden Tagen
aus, ohne dadurch die Fähigkeit einzubüssen, sofort und die folgen-
den 14 Tage hindurch den stärksten Strapazen im Belagerungsdienste
sich zu unterziehen.
Und doch waren dies nicht die schwersten Prüfungen. Wohl
ermüden und erstarren bei den Wintermäi sehen die frostgeschwellten
oder wunden Füsse in den nie trocknenden Stiefeln; wohl fehlt es
nicht an Schwachen, welche der Anregung, der Erleichterung, des
Beistandes bedürfen; wohl stellen sich Lungen- und Brustfell -Ent-
zündungen ein, wenn der Soldat, trotz der Kälte schweisstriefend
am Tagesziele angelangt, auf freiem Felde bivouakiren oder in den
unheizbaren Räumen eines Marschquartiers während des sich auf-
drängenden Schlafes die durchnässten Kleider am Leibe trocknen
lassen muss. Aber die kalte und frische Luft selbst ist ein unver-
dorbenes Material für den Athmung^process, ein belebender Reiz für
die Nerventhätigkeit und ein wirksames Mittel gegen die Blutwal-
lungen nach Kopf und Brust.
Die Gefahr einer Auflösung des Truppenverbandes durch das
Marodiren und der drohende Verlust an Menschenleben durch die
schlimmsten Formen der Marschwirkung knüpft sich, wenn nicht
ausschliesslich, so doch vorzugsweis an den Kriegs marsch in der
Gluth und im Staube des Hochsommers. Einen solchen
hatte das unter dem Befehle des Generallieutenant v. Falk enstein
in Jütland combinirte Corps im Juli zu bestehen, als es gegen den
Lymfjord vormarschirte. Am 9. Juli erreichte die Hitze Morgens
10 Uhr 26° R. Kein Luftstrom lichtete den Staub, welcher von
den Wegen durch die öden und schutzlosen Haidestrecken aufstei-
gend die marschirenden Colonnen verhüllte. Da hat auch mancher
Brave gewankt, welcher im Februar und März zu den Straffsten
zählte.
30
Wenn solche Märsche bevorstehen, so ist es nothwendig, auf
die Hülfsmittel für den Nothfall bedacht zu nehmen. So wird man
an Transportmittel für diejenigen, welche unterwegs marschunfähig
werden, zu denken haben. Man wird solche mitführen müssen,
wenn man nicht sicher ist, den etwaigen Bedarf unterwegs durch
Requisition decken zu können. Aber dergleichen Fuhrwerke
sollten sich nie im Gesichtskreise der marschirenden
Truppen befinden. Ihr Anblick genügt, die Schwachwilligen
alsbald über die eigene Leistungsfähigkeit zu täuschen. Jene Wagen
müssen später abrücken und stets in genügender Ferne hinter der
Truppe zurückbleiben.
Ein in der Truppe beliebtes Lied, der Trommelschlag, beson-
ders aber das Ehrgefühl und das Beispiel willenskräftiger Kameraden
helfen in einer gut gezogenen Truppe lange vorwärts. Dennoch ver-
längert sich ailmählig die Colonne und einzelne Marode melden sich.
Diess ist der Moment, wo es gilt, dem ermunternden Zuspruche die
willenstärkende Macht der Disciplin hinzuzufügen. Sie muss beson-
ders stark am Schlüsse der Colonne vertreten sein. Der Marode
muss hier in der Autorität des schliessenden Ofticiers eine Stütze
für seine wankende moralische Kraft, aber auch einen erfahrenen
Beurtheiler seiner physischen Kraft und einen Helfer finden.
Es ist für den Arzt nichts weniger als leicht, jeden einzelnen
Mann bei diesem Anlass richtig zu beurtheilen. Der erste Marode,
welchem erlaubt wird, auf einem die Colonne begleitenden Wagen
auszuruhen, wird zum gefährlichsten Beispiel. Es muss vermieden
oder wenigstens so lange als irgend möglich verschoben werden.
Für Viele, welche momentan erschlaffen, genügt eine zeitweise Er-
leichterung der Belastung durch Abnehmen des Gewehrs oder des
Gepäckes, eine Erfrischung, ein belebendes Riechmittel, einige Tropfen
Aethergeist, um sie im Gange zu halten. Den wirklich Erschöpften
muss eine kurze Rast unter Aufsicht gestattet werden. Sind nur
die verführerischen Wagen nicht nahe, so erholen sie sich gewöhn-
lich bald, um der Truppe bis zum nächsten Rendez-vous folgen zu
können. Die Wagen müssen durchaus reservirt bleiben für die Aus-
nahmsfälle, sei es, dass das blasse von kaltem Schweisse triefende
Gesicht, das schnelle oberflächliche Athmen, der kleine Puls neben
der schwindenden Besinnung das wirkliche Erlahmen der Nerven-
kraft bekundet (Erschöpfungs-Ohnmacht), oder sei es, dass
in dem gerötheten Augenweiss, in der bläulichen Färbung des glü-
henden Gesichtes, dem erschwerten Athmen und der Unregelmässig-
31
keit des Herzschlages das bedrohliche Bild des sogenannten „Son-
nenstiches" sich ausprägt.
Das Geschick, der practische Tuet und die persönliche Hinge-
bung des ärztlichen und Gehüifen-Personals wird an solchen Tagen
auf starke Proben gestellt. Mit den Leistungen, durch welche es
dem militärischen Zwecke ebenso ?ehr wie dem Hülfebedarf des
einzelnen Mannes zu entsprechen hat, verknüpft sich für dasselbe
ein erhebliches Plus von Kraftaufwand. Während die Colonne weiter
marschirt, hat der Truppen-Arzt bald hier, bald dort zu prüfen, zu
rathen und zu helfen; er muss den beschwerlichen Marsch doppelt
und dreifach machen und seine Anstrengungen fortsetzen, wenn
die Truppe auf dem Rendez -vous oder im Marschquartier schon
ausruht.*)
Die Wichtigkeit des Themas wird es entschuldigen, wenn ich es
zu eingehend bespreche. Ich möchte dem Arzte sagen, wie not-
wendig, es ist, dass er sich bei seinen hygienischen Rathschlägen
niemals ausschliesslich auf den abstract humanen Standpunkt stelle,
sondern auch der anderen Seite seines schönen Berufes — Mitwir-
kung zur Erreichung des nächstliegenden practischen Kriegszweckes
— eingedenk bleibe. Dagegen ist selbstverständlich, dass die Be-
*) Der Beruf des Truppen- Arztes im Felde wird gegenüber dem des
Lazareth-Arztes nicht selten unterschätzt. Er selbst beneidet oft seine
Collegen in den Feldlazarethen wegen der reichen Gelegenheit, nützlich zu
wirken und Fach-Erfahrungen zu machen, zu denen der Frieden nur ausnahras-
weis Anlass giebt, und welche den Militär- Arzt von Beruf doppelt interessiren,
weil die Aussicht auf spätere Verwerthung derselben ihm näher liegt. Die
Vertheilung der Militär- Aerzte von Beruf, der Volontär- Aerzte und der Aerzte
aus dem Reserve- und Landwehr- Verhältniss, wie sie bei der Feldarmee von
1864 stattgehabt hat, ist desshalb mehrfach bemängelt worden. Ohne Zweifel
liegt es im Interesse der Armee, auch von der Feldlazareth -Erfahrung einen
möglichst grossen Antheil in ihren ständigen Aerzten für die Zukunft zu con-
serviren. Aber es hiesse, über die Zukunft das augenblickliche Bedürfniss
vergessen, wenn man den Truppen selbst nur Aerzte geben wrollte, welche mit
den militärischen Verhältnissen noch nicht oder nicht mehr vertraut sind. Der
Beruf des Truppen -Arztes im Felde umfasst eine Reihe von Leistungen von
grösster Bedeutung für das Wohl der Feldarmee. Ausser den schon berührten
werde ich noch manche andere zu erwähnen haben. Richtig erfasst wird
auch er zu einer Quelle werthvoller und für die Armee nützlicher Erfahrung.
Dass die Unterschätzung desselben in der reglementarischen Differenz der Ge-
hälter des Truppen - und des Lazareth - Stabsarztes (das des ersteren um
100 Thlr. p. an. geringer) gewissermaassen eine Stütze findet, ist gewiss nichts
weiter als ein zufällig noch nicht zur Ausgleichung gelangtes Product der
stattgehabten Revision des Feldlazarethwesens.
32
rechtigung der Disciplin , für diesen Zweck die äusserste Strenge
und Consequenz geltend zu machen, die Verpflichtung einschliesst,
alles unter den gegebenen Verhältnissen Mögliche aufzubieten, um
dem Soldaten die schwere Leistung, welche ihm abgefordert wird,
zu erleichtern. Sie läuft sonst Gefahr, unverhältnissmässig viel
Menschen-Leben und Kraft zu opfern, ohne die Zweckerreichung zu
sichern. Aber es thut nicht Noth, in dieser Beziehung an das Herz
zu appelliren bei einem Officier-Corps wie das preussische. Ausser
dem Vorbilde der persönlichen Hingebung im Kampfe, dessen ich
bereits gedachte, hat gerade die stete humane Fürsorge, welche die
Führer ihren Untergebenen im Felde widmeten, ein Vertrauens- und
Anhänglichkeits-Verhältniss zwischen Officier und Soldat geschaffen
und unterhalten, welches dem Geiste der Kameradschaft entspricht,
ohne die nothwendige Autorität zu lähmen. Es handelt sich viel-
mehr um die Ansichten über Zweckmässigkeit und Nutzen der
Maassregeln, welche Behufs der Schonung und Conservintng auf
schweren Märschen zu treffen sind.
Ob der Tages- oder der Nacht -Marsch den Vorzug verdiene;
ob es besser sei, den Marsch früh zu beginnen und, ohne unter-
wegs abzukochen, bis zum Tagesziele fortzusetzen oder ihn während
der Sonnenhöhe. Behufs des Abkochens, zu unterbrechen und erst
in den späteren Nachmittagsstunden zu vollenden; ob, wann und
wie oft es zulässig oder nöthig sei, den instinctiven Drang nach
frischem Wasser zu befriedigen; ob das Marschiren mit seltenen und
längeren oder mit öfteren und kürzeren Rendez -vous zweckmässig
sei — über diese und ähnliche Fragen gehen die Ansichten nicht
selten weit auseinander. Mitunter freilich schliessen die Verhält-
nisse im Felde jede Wahl aus; in der Regel aber bleibt auch da
für hygienische Dispositionen ein gewisser Spielraum.
Um sie der Situation so entsprechend und für den Kriegszweck
so nützlich wie möglich zu gestalten, sollten sie stets aus der Be-
rathung des Führers mit dem Arztehervorgehen, namentlich
in einer Armee, welche nach dem erleuchteten und humanen Willen
des Königlichen Kriegsherrn nur von wissenschaftlich durchgebildeten
Aerzten berathen ist.
Es ist gewiss misslich, die Schablone für den Uebungsmarsch
im Frieden ohne Weiteres auf den Kriegsmarsch zu übertragen.
Aber ein Führer kann seine Gründe haben, selbst bei einer Hitze
über 20° R Wagen zum Fahren der Tornister nicht zu requiriren,
eine Lockerung der Marschcolonnp , rlas Aufsetzen der Feldmütze
33
statt des Helmes, das Lüften der Halsbinde, die Rast zur Labung
an einem Brunnen etc. nicht zu gestatten , den Meldungen des Arztes
über Vorboten der Gefahr und den daran geknüpften Vorschlägen
keine Folge zu geben. Es kann dabei vorkommen, dass eine solche
Truppe mit grösseren Verlusten , später und weniger kampffähig als
andere zum Ziele des Marsches gelangt. Allein es heisst, die we-
sentlichsten Lebens- und Leistungs- Bedingungen des vielgliedrigen
Armee -Organismus verkennen, wenn man folgert, der Arzt müsse
einen mehr als b er ath enden Einfluss auf jene Dispositionen
haben.
Einheitlichkeit der Befehlführung bei der Combi-
nation verschiedener Elemente zu einem bestimmten
Zwecke und die Befehlführung in der Hand desjenigen
Elementes, welches mittelst seines Specialberufes den
Zweck zu vertreten hat, ist überall, besonders aber für eine
Armee die wesentlichste Bedingung der Zweckerreichung. Sie gilt
für die Armee im Ganzen wie für die Lösung der Einzel- Aufgaben
innerhalb des Gesamrutzweckes. Der Zweck eines Kriegsmarsches
ist nun gewiss kein hygienischer.
Man sollte lieber die Frage stellen und mit aller Aufrichtigkeit
beantworten, woran es liegt, dass gerade auf dem Gebiete der Hy-
giene der Rath des Arztes bisweilen weniger Einfluss übt, als wün-
schenswert ist. Ich glaube, es liegt eben daran, dass man militä-
rischer Seits voraussetzt, der Standpunkt des Arztes sei der
abstract humane und desshalb nicht oder schwer vereinbar mit dem
practisch militärischen. Es mag dahingestellt bleiben, in wie weit
die preussischen Militär- Aerzte durch die Art ihrer Rathertheilung
dieser Voraussetzung Vorschub geleistet haben und leisten. Aber
ich kann nicht umhin, ohne Rückhalt zu sagen, dass es erklärlich
wäre, wenn sie zuträfe. Trotz der intimsten persönlichen Beziehun-
gen und' obwohl er wenigstens im Felde ganz ihr eigen ist, steht
der Arzt einer Truppe als „Beamter" reglementarisch isolirt
mitten unter den „Combattanten", selbst seine technischen Un-
tergebenen, die Lazarethgehülfen , nicht ausgeschlossen. Diess ist
sehr gleichgültig, wo es sich bloss um gewissenhafte und kunstge-
mässe Behandlung einzelner Kranken oder Verwundeten handelt; aber
es ist von Bedeutung für alle übrigen Verhältnisse, in denen die
Mitwirkung des Arztes in Anspruch genommen wird. Soll sie die
rechte sein, so muss sie von militärischem Denken und Fühlen
getragen werden. Die Erfahrung von 1864 hat Beweise genug
Loeffler, Geueralbericlit. 3
34
geliefert, dass es unter den Aerzten an solchen nicht fehlt, welche
den abstracten wissenschaftlich-humanen Standpunkt mit dem prac-
tisch- militärischen zu verbinden wissen. Es liegt im eigensten
Interesse der Armee und namentlich der Feldarmee, diese Eigen-
schaft zu sichern und zu verallgemeinern. Die Beseitigung jener
reglementarischen Isolirung des Arztes würde hierzu der erste und
wirksamste Schritt sein.
Zweiter Abschnitt.
Die Verletzungen durch Kriegswaffen.
iiicht bloss die Zahl, sondern noch viel mehr die Art der vorge-
kommenen Verwundungen würde für jeden Feldzug und für die
einzelnen Aetionen während desselben bezeichnend sein, wenn man
von beiden Seiten einen vollständigen Ueberblick zu gewinnen
und zu geben vermöchte. Bisjetzt ist das noch nie gelungen. Die
Todtenschau des Schlachtfeldes war auf diesen Punkt in der
Regel so wenig bedacht, dass die Verletzungen der Gefallenen
kaum in Betracht gezogen werden konnten. Es leuchtet aber ein,
dass z. B. der Antheil, welchen die verschiedenen Kriegswaffen —
grobes Geschütz, Handfeuerwaffe, Bajonnet, Kolben, Säbel, Lanze etc.
— an der Entscheidung haben, sich nur sehr unvollkommen würdigen
lässt, wenn unermittelt bleibt, wie viele von den unmittelbaren Opfern
des Kampfes auf Rechnung der einzelnen Waffen kommen. Man
sollte glauben, dass gerade vom militärischen Standpunkte manches
Interesse an diese Frage sich knüpfe. Um so auffallender ist die
Zurückhaltung, mit welcher die Lösung derselben betrieben zu wer-
den pflegt. Wird sie auch durch die Umstände bisweilen sehr er-
schwert, unmöglich ist sie gewiss nicht. Wro Armeen cultivirter
Staaten sich bekämpfen, hat die Menschlichkeit schon längst so viel
Geltung erlangt, dass der Sieger, welcher das Schlachtfeld behauptet,
die Leichen und deren Bestattung nicht dem Zufalle preisgiebt, son-
dern in seine besondere Obhut nimmt, und dabei den Opfern des
Feindes die nämliche Sorgfalt wie den eigenen widmet. Der internatio-
nale Vertrag, welcher Behufs grösseren Schutzes der Verwundeten am
22. August 1864 in Genf vereinbart wurde, liesse sich leicht auf die
Gefallenen ausdehnen. Die ehrende Bedeutung desselben für unser
3*
36
Jahrhundert und für die Regierungen, welche ihn bereits ratificirt
haben, könnte nur gewinnen, wenn man sich gegenseitig verpflich-
tete, die Todtenschau unter Zuziehung von Aerzten nach einer be-
stimmten Regel vorzunehmen und das den Gegner angehende Er-
gebnis ihm mitzutheilen
Für den Feldzug von 1864 sind Notizen über die Verletzungen
der Gefallenen dänischer Seits nicht bekannt; auch der Bericht von
Djoerup schweigt darüber. Das Urtheil über die Wirkungen unserer
Waffen würde eine Unterlage von erwünschter Breite gewonnen haben,
wenn wir die durch das Glück des Sieges gebotene Gelegenheit,
auch die Wunden der feindlichen Opfer auf dem Schlachtfelde zu
constatiren, benutzt hätten. Bei unsern eigenen Opfern hat die
Todtenschau auch auf diesen Punkt sich erstreckt. Obwohl noch
mangelhaft, ist das Ergebniss auch so schon in mehr als einer Be-
ziehung von Interesse. Nur über 33 Gefallene fehlt mir genügende
Auskunft, um den verletzten Körpertheil und die verletzende Waffe
mit Sicherheit anzugeben, obwohl es feststeht, dass sie Schussver-
letzungen erlagen; von den übrigen 389 ist Beides constatirt. Ich
nehme desshalb die unserer Seits Gefallenen mit auf in die folgende
Uebersicht der von den preussischen Feldärzten beob-
achteten und behandelten Verwundungen.
Uebersicht der Verwundungen
Tabelle II.
nach
Waffen.
Verwundet durch
Summe.
Schuß-
waffen.
Bajonnet.
Kolben.
Säbel.
A. Gefallene Preussen . . .
B. Verwundete Preussen .
420
19G8
1
2G
5
1
22
422
2021
Summa A. -f- B. . .
2388
27
■> i
23
2443
C. Verwundete Dänen . . .
1203
8
G
5
1222
Summe B. + C. . .
3171
34
11
27
3243
Die vorstehende Tabelle enthält wie Tabelle I. nur Verwun-
dungen durch Kriegs w äffen. Es führt zu Irrthümern bei der
37
Würdigung der Kurerfolge, wenn, wie es öfters geschehen ist, die
Beschädigungen anderen Ursprungs in der statistischen Betrachtung
nicht gesondert werden. Auch während der Gefechte kommen der-
gleichen oft genug vor. Besonders Terrainhinderni^se, welche zu
überwinden sind, geben Anlass dazu.
Diese Quetschungen, Verstauchungen, Verrenkungen, Knochen-
brüche etc. unterscheiden sich natürlich durch nichts von den im
gewöhnlichen Leben vorkommenden. Dennoch pflegt Oertlichkeit
und Art derselben für die einzelnen Actionen einigermassen be-
zeichnend zu sein.
Durch das Herabspringen in die Schanzengräben und durch Aus-
gleiten beim Ueberklettern der Pallisaden und beim Ersteigen der
Wälle erfolgten z. B. beim Sturme am 18. April Vorzugs weis Ver-
stauchungen der Füsse und Quetschungen und Erschütterungen des
Rückens und der Wirbelsäule. Im Allgemeinen aber wurden, wie
bekannt, alle Hindernisse mit erstaunlicher Schnelligkeit und Gewand-
heit überwunden — das Resultat theils der militärischen Gymnastik
im Frieden, theils der weisen Vorübung, durch welche die Soldaten
der Sturm- Colonnen mit den Hindernissen, welche zu gewärtigen
waren, vertraut gemacht wurden. Eine Verletzung durch die ver-
schrieenen Eggen ist z. B. nur bei dieser Vorübung vorgekommen,
und auch diese blieb ungefährlich.
Bei dem Uebergange nach Alsen handelte es sich vorzugsweis
um Quetschungen und Zerrungen an den rudernden Händen und.
Armen, sowie um Verletzungen an den Füssen durch scharfe Muscheln
beim Waten durch das Wasser an den Ufern des Alsensundes.
Von dergleichen zufälligen Beschädigungen wird in einem spä-
teren Abschnitte die Rede sein. Abgesehen davon bilden 3665 Ver-^
wundungen durch Kriegswaffen die Grundlage unserer
kriegs-chirurgischen Statistik. Darunter sind 9 8 pCt. Schuss Ver-
letzungen — so sehr tritt bei den Kriegen der Gegenwart die
Wirkung der übrigen Waffen in den Hintergrund. Der Bericht über
letztere wird sich daher auf einige kurze Notizen beschränken.
1. Säbel- Hunden.
Die blanke Waffe findet ihre Verwendung vorzugsweis im Rei-
tergefecht. Schon die kleine Zahl von 23 Verwundeten, welche
unserer Seits von ihr getroffen wurden, beweist, dass der Feldzug
38
grösseren Cavallerie-Massen nicht Gelegenheit bot, sich mit einander
zu messen.
Nach dem Verluste des Dannewerks hatte sich die dänische
Cavallerie nach Jütland zurückgezogen. Dahin folgte ausser dem
österreichischen Corps ein Theil der preussischen Feldarmee. Die
Cavallerie des letzteren, namentlich das Garde -Husaren -Regiment
und das westphälische Husaren-Regiment Nr. 8, wurde zu Patrouillen-
und Recognoscirungs- Zügen verwendet, und diese gaben Anlass zu
einer Reihe kleiner Reitergefechte (18. Februar bei Kolding; 29. Fe-
bruar bei Skjoedeg; 30. März bei Hjortsballekro ; 22. April bei Tor-
stedt). Daher stammen alle jene Verwundeten bis auf 2, welche am
18. April verletzt wurden.
Hieb und Stich traf fast ausschliesslich Kopf und Arme. Die
meisten Verwundeten hatten mehrere Verletzungen der Art. Der
Hieb war vorwiegend.
Nur 1 dieser Verletzungen war tödlich. Husar Jacobi vom
8. Hus. -Reg. erhielt bei Skjödeg einen Kopf hieb, fiel in Feindes
Hand und erlag noch an demselben Tage während des Transportes.
Von demselben Regimente ist zwar noch ein am 30. März Verwun-
deter (Gefreiter Schäfer, zwei Fingergelenk-Säbelhiebe der rechten
Hand) gestorben, ^er am 13. Mai erfolgte Tod war jedoch nicht
Folge der Verwendung, sondern des Typhus, wrelcher während der
Pflege in einem heimischen Reserve -Lazarethe (Wittenberge) zum
Ausbruche kam.
Von den 5 Dänen, welche wegen solcher Wunden in unseren
Lazarethen gepflegt sind, erhielt 1 am 18. April einen Kopf hieb,
3 im Gefecht bei Sönder-Tranders Kopf- und Arm-Hiebe. Sie sind
geheilt. Der fünfte ist ein jütischer Bauer,
Fall 1. Lars Leinssen Nord, welchem ein Säbelhieb durch das Olecranon
in das linke Ellenbogengelenk drang. Noch an demselben Tage
(21. Juni) resecirte O.-St.-A. Neubaur (Chef-Arzt des 1. F.-L. der Cavall.-
Division) die 3 Gelenkenden mittelst eines die quere Hiebwunde kreuzen-
den Längsschnittes. Die Heilung verlief ohne jede Störung. Als der
Operirte am 8. \ gust vom schw. F.-L. des 7. A.-C. der Civilbehörde in
Hobro übergeben wurde, waren die Wunden fast ganz vernarbt, die Bewe-
gungen der Hand und der Finger frei. Ein schöner Erfolg der Resection
stand in Aussicht. Es lässt sich leider nicht constatiren, in wie weit sie
sich verwirklicht hat.
Behufs des Vergleiches erwähne ich die ähnliche Verletzung eines
Preussen, welcher in einem dänischen Lazarethe (in Copenhagen)
behandelt ist.
39
Fall 2. Husar Hermann Bonkhoff vom 8. Hus. -Reg. erhielt im Gefechte bei
Skjoedeg ausser einer Säbel-Stichwunde an der linken Schulter und einer
Hiebwunde am rechten Scheitelbein, einen Säbelhieb an der Aussenseite
des linken Ellenbogengelenks, welcher wahrscheinlich in das Gelenk
drang. Wenigstens kehrte er im Mai mit dem in halber Beugung voll-
ständig ankylosirten Gelenke aus der Gefangenschaft heim. Es soll eine
heftige Entzündung des Gelenkes vorausgegangen sein. Die daneben be-
stehende Atrophie des Gliedes hatte sich bis zu der im August erfolgten
Tnvalidisirung nur wenig gebessert.
Für die Frage der Gelenk-Resection würde es von grossem
Interesse sein, wenn man diese beiden Verwundeten Jahr und Tag
nach vollendeter Ausheilung auf die Leistungsfähigkeit des verletzten
Gliedes neben einander prüfen könnte. Es ist aus den Mittheilungen
über den ersten schleswig-holsteinischen Krieg (1848 — 1850) be-
kannt, dass die dänischen Aerzte die deutsche Ansicht von dem
Werthe dieser Operation nicht theilen. Auch die Resultate, welche
sie nach dem Feldzuge von 1864 an ihren in unseren Lazarethen
wegen Schussverletzung resecirten Landsleüten zu constatiren Ge-
legenheit erhielten, haben nicht ausgereicht, sie zu bekehren. Be-
sonders in der Resection des Ellenbogengelenkes sehen sie
nach wie vor „deutsche Schwärmerei" für ein unpractisches Ziel.
Sie ziehen es vor, einen im Ellenbogengelenk steifen Arm zu er-
zielen, weil ein solcher weit brauchbarer sei, als die schlotternden
Glieder, welche bei der Resection herauszukommen pflegen. Ich
lasse diese Frage hier vorläufig auf sich beruhen, um sie bei den
Gelenk -Schüssen mit der ihrer Wichtigkeit entsprechenden Gründ-
lichkeit zu erörtern.
Im Uebrigen hat der Verlauf der Säbelwunden zu neuen Er-
fahrungen nicht Anlass gegeben.
II. Bajonnet- Wunden.
Was der Säbel für den Reiter, das ist Bajonnet und Kolben für
den Infanteristen, nämlich die Waffe zum Kampfe Auge im Auge.
Dieser antike Zug tritt in dem Bilde des neueren Krieges immer
mehr in den Hintergrund, je vollkommener die Feuerwaffen werden.
Wo tapfere Gegner sich gegenüberstehen, wird er jedoch nie fehlen.
In der offenen Feldschlacht wird ohne Zweifel auch der Colonnen-
Angriff mit dem Bajonnet seinen Platz behaupten. Aber es ist sehr
zweifelhaft, was denselben wirksamer macht, das moralische oder
40
<h leibliche Niederwerfen 9ei Feinden, Binjetzt fehlt ei ireiiigete»*,
trotz aller Schlachtberichte, an genügend constatirten Thatsaehen,
um lieb ein Urtbeil darüber zu bilden. Solehe kann nur die ver-
vollständigte Todtenschau den Schlachtfeldes liefern. Die Bajonnet-
wunden, welche man in den Lazarethen zu neben bekommt, geben
sehr beschränkten Aufschluss. Die grosse Mehrzab] derselben int
von geringer Bedeutung, und »ehr oft lässt sieh überdies gar nicht
feststellen, ob sie vom Bajonnet des Feindes oder vom eigenen oder
von den des Nebenmannes berrühren.
Wie viele Wunden das preußische Bajonnet im Feldzuge von
1804 gemacht hat, lässt sich auch nicht annähernd bestimmen, prell
wir die Zahl der Todten, welche ihnen erlagen, nicht kennen. Von
den 8 Dänen mit Bajonnetwunden, welche in unsere Lazurethe ge-
langten, wurden 2 am 3. Februar bei Jagd verletzt, 2 am Sturra-
tage, 2 am 29. Juni auf Alsen, 2 endlich in der Nacht vom 5. zum
0. April, als die dänischen Vorposten aus ihren Schützengräben zu-
rückgeworfen wurden, um das Terrain für die zweite Parallele zu
gewinnen« Die letzten beiden waren die bedeutendsten Verletzungen.
Der Gemeine Carl Preuss vom 10. dänischen Inf.-Keg. hatte 5 Stich-
wunden (Kopf, Wange, Nacken, Lendengegend, Oberschenkel); sie
waren jedoch alle oberflächlich und schon am 25. Mai geheilt. Um
so schwerer wurde
Kall :i. der Gemeine Gbriftian Tbomeen von denselben Regiment getroffen.
Bleich und stöhnend wurde er Nachts 1 Uhr in dab Lazareth zu Jiroacker 'bchw.
F.-L. den G.-C, Sect St.-A. Michel) gebracht. Er klagte über Schmerz
im Unterleibe. Kaum gelagert verbchied er. Dab Bajonnet hatte die Herz-
gegend getroffen und war durch den Rand der linken Lunge bib in dab
linke Herzohr gedrungen. Man fand Herzbeutel und ßrubtfellback mit ge-
ronnenem Blute gefüllt.
Zwilchen Verwundung und 'Jod lag der Transport vom Schanzenter-
rain nach Broacker. Die Verblutung erfolgte also sehr langsam *)
Die übrigen Bajonnetwunden der Dänen (Gesicht 1, Brust 1,
Arme 1, Beine 3) waren ungefährlich und heilten ohne besondere
Zufalle.
Was uniere eigenen Verluste anbetrifft, so wissen wir bestimmt,
dass dal dänisclie Bajonnet uns nur ein Leben geraubt hat. Beim
*) Dkl ZM Bbnlfeber Opfer, bei denen die Verblutung rabcher erfolgte,
ist wahrncheinlich nicht unbedeutend. Hei jenen überrabchenden nächtlichen
Anläufen, welche preubbibcher Seit* gebchahen, um für den Parallelen - Üau
ffeiterei Tenain zu gewinnen, wurde grundsätzlich nicht gebchobeen, um die
AUarmuung der Sehanzenbebatzung möglichst zu verspäten.
u
Sohnnten^Stonnc starb der Monier Renn Ann Spiels \ » > m :\ Pion
Bat. last augenblicklich in rol^o ninos Stiches in <lon Bäk. Da-
gegen lä sich nicht bestimmen, wir fiele von den anderen wenigei
bedeutenden und Bimmtlieb geheilten Stichen (26), welche bei im«
Bereu Soldaten beobachtet sind, vom feindlichen Bajonnel herrühren.
Die Zahl 86 enthält zwar nur die Im Geiechtsverbältnisfl entstan-
denen; allein von den meisten isl festgestellt das! lie von Bajonnel
des Nebenmannes wegen Unvorsichtigkeil oder beim Fallen bewirkt
wurden. Oafür spricht auch da- VerhältnisS] in welchem <lic ein-
zelnen Körpergegenden betheiligl waren. i"> trafen die Beine] 1 den
Kopf, je .*> Kumpf und Anne.
Im Verlaufe und bei der Behandlung der Bajonnetwnnden haben
sich neue ThatsacheU] deren Erwähnung nfltslich sein konnte^ nicht
beransgestellt.
Iii. KoIbfü-SUese ind Kolbei - Schläge.
Der dänische Kolben bat um wenig Schaden /.u^in, i. Nur
,"i preussische Soldaten sind von ihm getroffen worden (I ,im 28. M;ir/.,
2 am 18. April, 9 am 99» Juni), keiner fcödtlieh«
Zwei von diesen Verletzung [CD WSTCO einfache QaetSChOBgeB doi
Gedohtshani (Lippen Wange)] welche niobl einmal die Pflege Im La-
/areth erfarderten, die dritte ein.- Contusion de- linterleibe ohne
erhebliche Polgen] die vierte eine. 2 /<>n lange Qael ohwnnde der
Kopfhaoi snf der Höhe de linken Scheitelbeins] welche In 14 Tagen
heilte. Am übelsten wurde
Kall I. Musketier Beruh. Zuinsande \<>m ;>.;. Inf. Rcf HB BtüflDtSgC Wlctfi
Kiu Kolbenstess traf die rechte Schläfe. Zeichen von (»chirnci i hiitteruu^
trat- ii nickt eiu; auch wurde un Keldla/.areth IQ llaurup (1. *chw. K L.
a. A. C., Scrtion St. \ Mirko) ein KnocbenblUOh nicht entdeckt \m
rechten Ohre fanden .sich Spuren anu;etre,ekneten Iiiutes, aber keine \Nund.-
Der rechte Augapfel erschien etwas vorgetrieben, die liindehaut stark
rothet, das Wasser in der vorderen Augenkannner und nie I m • -etrüiu,
die Pupille verzerrt und starr, da Sehvermögen Ml auf SiBOfl Rest tOB
Lfchtempflndang erloschen. In der Tute dti kngei bb4 In Kopfe leb
hafter Schmerz. Trotz der energischen und eonseqnenten Behandlung mit
Kis, Blfltegelfl und Ableitung«!! auf den I>arm ist es nicht gelangen, die
Folgen der tagen «Ereclifttisrang eaesu gleichen
Wegen völliger Krblindun^; de.s cal.iract6.sen und atrophirenden rechten
Auges wurd • Z. am 96. September au.s dem Lazarethe zu Krankfurt a. (J. 0.
42
als invalide entlassen. Das rechte Ohr war etwas schwerhörig geblieben.
Die Sehkraft des linken Anges blieb unversehrt.
Die Danen scheinen den Kolben -Stoss vorzuziehen. Wirksamer
ist jeden Falles der Kolben - Schlag des Preussen. Es ist nicht
ermittelt, wie viele Dänen ihm auf den Kampfstellen erlegen sind.
Ausser einem bei Lundby an der linken Hüfte ungefährlich
Contundirten sind 5 am 29. Juni durch Kolbenschlag verletzte Dänen
lebend in preussische Lazarethe aufgenommen worden.
Drei von ihnen hatten Quetschungen resp. Quetschwunden des
Kopfes ohne Bruch der Schädelknochen und sind geheilt. Dagegen
prägte sich bei den beiden anderen (Hansen und Andresen,
beide vom 3. Inf.-Reg.) die furchtbare Wirkung des Kolbenschlages
in ausgedehnter Zertrümmerung des Schädeldaches aus. Ein faust-
grosses Stück Hirn war bei dem Einen vorgetreten. Beide Unglück-
liche waren und blieben bewusstlos, starben jedoch erst am 6. Juli.
IV. Schuss - Verletzungen.
Das Rundgeschoss aus glatten Läufen verschwindet
immer mehr von den Kriegstheatern. Es wird verdrängt durch das
Langgeschoss aus gezogenem Rohr. Für die Handfeuerwaffen
war dieser Wechsel schon 1864 vollständig. Das preussische Lang-
blei kreuzte sich mit der dänischen Spitz- und Mi nie- Kugel.
Auch die gezogene Granate mit Schlag-Zünder war preussischer
Seits bereits vorherrschend, während die Dänen wenigstens aus
ihren Positions- Geschützen meistens noch runde Sprenggeschosse mit
Zeit-Zünder aus glatten Rohren entgegenwarfen. Als Repräsentanten
des Rundgeschosses werden vielleicht bald nur noch die Kugeln von
Blei, Eisen oder Zink, welche die Kartätsch- und Schrapnell-Füllung
bilden, übrig sein.
Die Form- und Grössen- Verhältnisse der neueren Kriegsgeschosse
im Allgemeinen und der 1864 benutzten insbesondere sind in mili-
tärischen wie in militärärztlichen Schriften*) schon so eingehend
besprochen, dass ich darüber nur Bekanntes wiederholen könnte.
*) Zechmeister, die Schuöswunden und die gegenwärtige Bewaffnung
der Heere. München 1864.
Gurlt, militär- chirurgische Fragmente. Berlin 1864.
43
Ob die Sprengstücke jener Eisenmassen und ihrer bleiernen
Mäntel — die sogenannten Granatsplitter — von einer Kugel
oder von einem Cylinder-Kegel stammen, ist für die Wirkung auf
den einzelnen Mann gleichgültig. In dem einen wie in dem anderen
Falle sind es bald kleinere Partikel, mitunter sogar so klein, dass
sie nur oberflächlich ritzen, bald mehr oder weniger wuchtige und
kantige Stücke, welche die entsetzlichsten Verstümmelungen anrichten.
Der Character des Positions-Kampfes war 1864 so vorwiegend,
dass die Kanone eine grosse Rolle spielte. Dessenungeachtet ist der
Antheil an den Verwundungen, welcher der Kanonen - Wirkung zu
zuschreiben ist, verhältnissmässig klein. Unter den 2355 Schussver-
letzungen der Preussen (bei 33 Gefallenen ist das Geschoss nicht
constatirt) rührten nur 487 vom schweren Geschütze her. Somit
hat sich die dänische Artillerie nur den fünften Theil (20 pCt.) un-
serer Schusswunden anzurechnen. Das Verhältniss variirt indess
nicht unerheblich nach den verschiedenen Kämpfen. Es stellt sich
für den AIsen-Tag nur auf 1 1 pCt. , für den 2. Februar (Missunde)
auf 20 pCt., für die Cernirungs- und Belagerungs-Kämpfe im Sunde-
witt (10. Februar bis 17. April) auf 30 pCt., am höchsten endlich
— auf ca. 40 pCt. — für einen der letzteren — jenen nächtlichen
Anlauf am 28. März, durch welchen Terrain für die erste Parallele
gewonnen werden sollte. Der Ungestüm, mit welchem die Braven
vom 8. und 18. Regiment vordrangen, gab Anlass zu dem dänischen
Irrthume, es handelte sich um einen Sturmversuch. Ein furchtbares
Kreuzfeuer aus den Batterien der Schanzen und von der schwimmen-
den Batterie Rolf Krake empfing unsere Soldaten; aber die den-
selben gestellte Aufgabe war und blieb vollkommen gelöst.
Eine Gegenrechnung zu machen, ist leider nicht möglich. Die
52 Schusswunden vom schweren Geschütz, welche bei den in unsern
Lazarethen gepflegten Dänen vorgefunden sind, bilden natürlich nur
einen sehr kleinen Bruchtheil der Wirkung der preussischen Artillerie.
Djoerup hat in seinen Mittheilungen die Gefallenen ausser Rechnung
gelassen, und bei den Verwundeten nicht angegeben, wie viele durch
schweres Geschütz getroffen wurden. Unserer Seits ist versäumt
worden, die gefallenen Dänen in Betreff dieses Punktes zu mustern.
Aber schon der Verlust, welchen die Dänen bei der Belagerung vom
3. bis 17. April nach Djoerup erlitten haben, reicht aus, die über-
wiegende Wirkung der preussischen Artillerie zu kennzeichnen.
Ausser den Getödteten wurden in der Zeit 813 Dänen verwundet,
ohne Zweifel grösstenteils durch die Belagerungs- Batterien. Der
44
Zukunft bleibt vorbehalten, darzutlmn, wie die preussischen Feld-
Batterien in der offenen Schlacht auf feindliche Colonnen wirken.
Die Verletzungen durch Handfeuerwaffen zeigten einige Eigen-
thümlichkeiten, jenachdein sie von den konischen oder eich eiförmi-
gen Geschossen herrührten. Dieselben sind nicht ganz bedeutungslos
für Verlauf und Kur der Wunden, und desshalb werde ich sie in
den Specialcapiteln hervorheben. Im Allgemeinen aber sind Gewicht,
Form und Flugart dieser Geschosse doch nicht so ausschliesslich
massgebend für die Gestaltung der Verletzungen, wie man glauben
sollte. Es concurriren ganz besonders der Aufschlagswinkel und die
Percussionskraft.
Nicht bloss das eicheliormige, wenig über 2 Loth schwere
preußische Langblei mit seiner Schraubenbewegung, sondern "selbst
die kleine, runde, kaum halb so schwere Pistolen-Kugel macht unter
Umständen ebenso ausgedehnte Knochenzertrümmerungen, wie die
über Loth wiegende Minie -Kugel, welche von den Dänen aus
älteren, nachträglich mit Zügen versehenen Gewehren geschossen
wurde.
Die eine wie die andere Kugel kann beim Aufschlagen auf Kno-
chen ihre Form verändern, sich spalten und, indem die getrennten
Stücke gesondert weitergehen oder zwischen den Knochentrümmern
liegen bleiben, die Verletzung complicirter machen und ihre Heilung
erschweren. Besonders fein und desshalb schwer findbar sind die
mitunter spiralförmigen Streifen, welche da^ preussische Langblei
bisweilen von seiner Oberfläche zurücklässt. Anderer Seits sind die
sogenannten Umlaufs-Schüsse nichts weniger als den älteren run-
den Geschossen eigenthümlich. Sie wurden von allen den neuen
Geschossen und so ziemlich an allen Körpertheilen beobachtet.
Viel wichtiger ist die Erschwerung des Gesundheits-
dienstes im Ganzen und Grossen, welche durch da* Genie
der Dreyse herbeigeführt wird. Mit der ausserordentlichen Steige-
rung der Trag- und Treff-Fähigkeit der neuen PräcisionswafTcn
— Kanonen wie Gewehre tritt die Zahl der Treffer in ein neues
Verhältnis* zur Streiterzahl, und die schweren Verletzungen werden
um so überwiegender, je grösser die Entfernungen sind, auf welche
die Percussionskraft wirksam bleibt. Eine grosse Schlacht im offenen
Felde ist 1864 nicht geschlagen worden. Aber die furchtbare Wir-
kung, welche namentlich das Schnellfeuer des Züridnadelgewehres
in einer solchen haben wird, lässt sich aus den Proben von 1864
ahnen.
45
Trotz ihres rastlosen Strebens, mit allen Mitteln der Wissenschaft
und Kunst die Wundbehandlung zu vervollkommnen, kann die feld-
ärztliche Technik unter solchen Umständen mit Ehren nur bestehen,
wenn mit derselben Regsamkeit und Consequenz an der Vervoll-
kommnung der Organisation und Ausrüstung des Feldheildienstes
gearbeitet wird. Die älteren Voranschläge und Einrichtungen sind
von den neueren Bedürfnissen längst überholt.
Selbst manche Organisationen neuesten Datums, z. B. die öster-
reichische, scheinen nicht ganz glücklich getroffen. Wir haben 1864
nicht beurtheilen können, wie sich dieselbe in der vorbereiteten
grossen Feldschlacht bewährt. Aber bei den wenigen Acten, zu wel-
chen der Feldzug von 1864 dem österreichischen Corps Gelegenheit
bot, hat sie Manches zu wünschen übrig gelassen. Es waren rasche,
kühn geführte und mit glänzender Bravour ausgeführte Vorstösse
(Ober-Selk, Oeversee, Veile). Für solche scheint die neue Organi-
sation des Heildienstes weniger berechnet; vielleicht fusst sie zu aus-
schliesslich auf der Erfahrung von 1859. Wir werden darauf zu-
rückkommen.
Betrachten wir zunächst die technische Praxis von 1864.
Sie war preussischer Seils ausschliesslich in der Hand wissenschaftlich
durchgebildeter Aerzte. In keinem früheren Kriege war den Ver-
wundeten so viel und so geschickter Beistand zur Seite. Es wurden
schöne Heilresultate erzielt; aber es hiesse, die Wahrheit verschleiern,
wenn man sie als die besten, welche erreichbar sind, preisen wollte.
Es wird sich herausstellen, wie viel von dem, was zu wünschen
übrig bleibt, auf Mängel der Technik, wie viel auf Mängel der Or-
ganisation, der personellen und materiellen Ausrüstung und des
Dienstbetriebes zu setzen ist.
Unter den Momenten, welche an sich einen bestimmenden Ein-
fluss auf Verlauf und Ausgang der Schusswunden haben, steht oben
an der verletzte Körpertheil. Das nachstehende Zablenbild von
der Häufigkeit und Tödtlichkeit der Schuss Verletzungen,
welchem dasselbe zu Grunde liegt, umfasst alle schussverletzten
Preussen und die in preussischen Lazarethen gepflegten schuss-
verletzten Dänen.
4 »5
Häufigkeit nnd Todtliekkeit der Sehuss wunden
nach Körr>ertheilen und Nationalität.
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1
12
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117
57
174
113
15
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76
Unterleib und
Becken ....
44
103
34
25
59
103
51
Rii<*tH'i und
Gesiss ....
99»)
3
24
_ •
34
€ j
96
32
Obere Glieder. .
610
608
2
51
53
55
317
62
62
Untere Glieder .
716
t
S3
90
1Ö3
6
m
146
Summe . .
23554>
3^7*
1^5
HB
233
315
1203
66
...
3? «
Die Zahlen dieser Tabelle stimmen mit den Zahlen der Schuss-
verlercten in Tabelle II überein. In Wirklichkeit war jedoch die
Zahl der Schusswunden nicht unerheblich grösser die der Ver-
wundeten. Schon bei den Verletxangen durch blanke Wanen wurde
erwähnt, dass die Getroffenen meistens mehr als einen Hieb oder
Stich davontragen. Auch die Geschosse haben oft genug mehr als
einen Körperthell des Mannes verletzt, sei es. dass das nämliche
Geschoss mehrere Körpertheile traf, sei es. dass verschiedene Ge-
schosse gleichzeitig oder rasch hintereinander verschiedene Theile oder
den nämlichen mehrfach trafen.
*) Darunter 3, -weiche in dtr Nacht vom 16 — 17. April in dea Trancheen
von den Snieagstackea derselben Granate aemssea aarden.
1 Beide durch Schulter - Schisse (1 darch Gewehr - , 1 durch Kartiaeh-
Schuss |.
*) Davon 6 dnrch schweres Geschütz ^4 mal beide Beine, 2 mal 1 Bein ab-
ossenX die übrigen 7 durch Gewci^rschasse in den Oberschenkel.
4 Ausserdem 33. bei denea Waffe and verletzter Körpertbeü nicht coa-
staxirt ist
47
Dies gilt von den Preussen wie von den Dänen. Könnte man
die Wunden der gefallenen Dänen mit in Rechnung stellen, so würde
sehr wahrscheinlich ein erhebliches Vorwiegen der multiplen Schuss-
verletzungen als eine Wirkung des preussischen Schnellfeuers sich
herausstellen. Wohl sind auch bei Preussen nicht selten 2 oder
3 Körpertheile verletzt worden, namentlich durch Granatsplitter. Die
gleichzeitige Verletzung durch mehrere Gewehrkugeln fand sich je-
doch Vorzugs weis bei den Dänen. Unter denen, welche lebend vom
Kampfplatze kamen, bildet in dieser Beziehung das Extrem der
schwedische Officier Lundegreen, welcher am 18. April in den
Reihen des 22. dänischen Regimentes focht. Seine Verletzungen
waren: Schuss durch den linken Unterkiefer und die Zungenwurzel
mit Ausgangsöffnung rechts neben dem Kehlkopfe — Schuss durch
die rechte Schulter mit Streifung des Schlüsselbeins — Haarseilschuss
an der linken Schulter — Haarseilschuss durch die Bauchdecken
links — Haarseilschuss an der linken Hüfte — Finger-Zerschmette-
rung der rechten Hand. Wenigstens 5 Kugeln müssen in diesem
Falle gleichzeitig oder rasch hintereinander getroffen haben. Erst
nach 9 Tagen erfolgte der Tod im Lazareth zu Stenderup (1. F.-L.
6. Div.) durch Erschöpfung i>nd Eitersenkung in die Brust von der
rechtsseitigen Schulterwunde aus.
Die kriegschirurgische Statistik ist in ihren Grundlagen noch
so mangelhaft und unsicher, dass es mir nicht gerathen schien, für
die allgemeine Darstellung der Ergebnisse von 18G4 den sichern
Boden zu verlassen, welchen, wenigstens für den preussischen An-
theil, die Zahl der Verwundeten ergiebt. Die speciellen Capitel
werden hinreichend Anlass bieten, die Wunden-Combinationen
ersichtlich zu machen. Somit ist in Tabelle III. für jeden Verwun-
deten nur eine Verletzung in Ansatz gebracht, wenn er deren auch
mehrere hatte. Die Wahl war allerdings nicht immer leicht. Die Ge-
schosse respectiren eben nicht die Linien, welche das statistische
Schema zwischen den einzelnen Körpertheilen zieht. Wenn, wie es
vorkam, ein Mann im Liegen an der Schulter getroffen wird, die
Kugel aber nicht bloss diese, sondern auch die Brust der Länge
nach durchsetzt und durch das Zwerchfell in den Unterleib dringt,
so fragt sich, welcher Körpertheil in Rechnung gestellt werden soll.
Ich habe unter den mehrfachen Verletzungen stets diejenige gewählt,
welche an und für sich als die schwerste (im technischen Sinne) erschien
resp. für den Verlauf factisch den Ausschlag gab, z. B. bei der häu-
tigen Combination von Arm- und Brust- Verletzung die letztere,
48
wenn sie penetrirte, die erstere, wenn sie eine schwere, die Brust-
verletzung aber leichter war.
Die Kampf - Periode des Feldzuges von 1864 währte gerade
5 Monate (1. Februar bis 3. Juli) — lange genug, um (Meieren und
Soldaten, welche in einem früheren Gefechte leicht verwundet waren,
zu gestatten, an späteren wieder theilzunehmen. Einige (12, darunter
4 (Meiere) sind so zum zweiten xMale verwundet. Es versteht sich
von selbst, dass sie auch zwei Mal gezählt sind.
Um die statistische Grundlage so vollständig wie möglich zu
machen, habe ich in Tabelle III. für den preussischen Antheil auch
die 17 Schuss verletzten (darunter 3 (Meiere), welche in Feindes
Hand geriethen, mitberechnet. Von ihnen sind 5 gestorben.
Zwei (Grenadier Fischer vom Leib -Gren.- Reg. Nr. 8 und Trom-
peter Koeppe vom Garde-Husaren-Reg.) sind in Copenhagen am-
putirt (jener am 1. Oberschenkel, dieser am 1. Unterschenkel) und
genesen.
Preussischer Antheil an den Schusswunden von 1864
mit Einschluss der Gefallenen.
Häufigkeit uud Tödtlichkeit in Procenten nach Körpertheilen.
Tabelle IV.
Verletzter Körpertheil.
Verwun-
det.
pCt.
auf dem
Schlacht-
felde.
pCt.
Gest
in den
ersten 48
Stunden.
pCt.
o r b e n
später.
pCt.
Summe.
pCt.
20
42
2,7
2,7
47
Hals
2
17
6,2
2,0
25
11
46
7,8
14,1
68
Unterleib uud Becken . . .
6
30
23,1
17,0
70
Wirbelsäule, Rücken und
4
7
3,0
24,2
34
26
0,3
0,3
8,3
9
31
1,8
0,9
11,3
14
Summe . .
2388')
17,6')
3,4
9,7
31
') Die 33 Schussvcrlotzten, von denen der verletzte Körpertheil nicht con-
statirt ist, eingerechnet. Die Berechnung der Häufigkeits-Zahlen bei den einzelnen
Körpertheilen basirt dagegen auf der Summe von 2355.
49
Wenn, wie die Tabelle zeigt, von den Unterleibsschüssen
30 pCt., von den Kopfschüssen 42 pCt., von den Brustschüssen
sogar 46 pCt schon auf dem Schlachtfelde tödten, während von den
an sich numerisch überwiegenden Gliederschüssen nur c. 2 pCt.
so rasch den Tod zur Folge haben, so ist einleuchtend, dass eine
Statistik, welche sich bloss auf die Nichtgefallenen erstreckt, ausser
Stande ist, einen der Wirklichkeit auch nur annähernd entsprechen-
den Zahlen- Ausdruck der Häufigkeit und Tödtlichkeit der Schuss-
wunden nach den einzelnen Körpertheilen zu liefern. Daraus folgt,
dass die bisherigen Zahlenzusammenstellungen der Art nur sehr be-
schränkten Werth haben. Mir ist wenigstens aus der militärärzt-
lichen Literatur keine bekannt, in welcher die Gefallenen mitberechnet
sind. Nur hie und da finden sich Andeutungen als Ergebniss un-
gefährer Schätzung.
Auf dem Schlachtfelde waren also die Brustschüsse
die tödtlichsten; auch an Gefahr für diejenigen, welche lebend in die
Lazarethe kommen, überbieten sie die Kopfschüsse; jene haben
21 pCt, diese nur 5 pCt. nachträgliche Todesfälle geliefert. Die
Unterleibs- und Beckenschüsse stehen, was die unmittelbare
Lebensgefahr betrifft, jenen Categorien zwar erheblich nach, über-
holen dieselben jedoch schon innerhalb der ersten beiden Tage nach
der Verwundung. Sie sind von allen Schussverletzungen die tödt-
lichsten; glücklicher Weise sind sie die weniger häutigen.
Wenn man die Häufigkeits - Zahlen für die Körpertheile über
dem Zwerchfelle zusammen denen für die Theile unter dem Zwerch-
felle gegenüberstellt, so ergiebt sich das Verhältniss von 59 : 37 pCt.
— also ein sehr bedeutendes Ueberwiegen der Verletzungen an den
oberen Körpertheilen. Noch bemerkenswerther aber ist die Grösse
des auf den Kopf allein fallenden Antheiles. Er ist nur um 1 pCt.
kleiner, als der des ganzen Rumpfes — eine Differenz, welche ausser
allem Verhältnisse zur Umfangsverschiedenheit steht. Die Deckung,
welche für die unteren Körpertheile bei den Kämpfen in Schleswig
theils hinter den landesüblichen Knicks, theils bei der Belagerung
in den Lauf- und Schützen- Gräben gefunden wurde, und die daran
sich knüpfende Noth wendigkeit, den Kopf Vorzugs weis zu exponiren,
dient zur Erklärung jener Verhältnisse.
Auffallen dürfte auch der relativ kleine Procentsatz, welchen
die Tabelle für die Verletzungen der unteren Glieder nach-
weist. Man ist gewohnt, das Ueberwiegen derselben für bedeuten-
der zu halten. Die erwähnte Deckung ist allerdings auch den Beinen
Loeffler, Generalbericht. 4
50
zugutegekomrnen. Allein die bisherige durch eine Statistik, welche
die Gefallenen ausschliesst, erzeugte Auffassung dieses Verhältnisses
ist überhaupt unrichtig. Den Gliederschüssen ist durch ihre sehr
beschränkte unmittelbare Tödtlichkeit (2 pCt.) in allen Berechnungen,
welche die Gefallenen ausser Betracht lassen, ein der Wirklichkeit
nicht entsprechender Uebergewichts-Grad gesichert.
Dass aber die unteren Glieder in einem Feldzuge sogar be-
deutend (um 8 pCt.) seltener als die oberen verletzt werden,
ist eine aller sonstigen Erfahrung widersprechende Entdeckung,
welche zu machen Demme vorbehalten war — noch dazu für den
Feldzug in Italien von 1859, welchem der Character des Belage-
rungskampfes ganz gefehlt hat. An einer Erklärung der ungewöhn-
lichen Erscheinung hat dieser Statistiker es nicht fehlen lassen.
Die „ruhige und exponirte Haltung der oberen Extremitäten" bei
den Bajonnetangriffen, welche die Franko-Sarden gegen die Oester-
reicher machten, soll die Ursache sein.*) Sollten nicht die betref-
fenden Erhebungen aus einer Periode des Feldzuges stammen, in
welcher sehr viele von den an den unteren Gliedern schwer Ver-
letzten resp. Operirten nicht mehr zu den Lebenden gehörten? Diese
Probe lässt ahnen, wie viel Werth die allgemeinen Mortalitäts-Zahlen
haben, mit welchen Demme die kriegschirurgische Statistik be-
schenkt hat. Sie sind in den letzten Jahren viel citirt worden.
Mir scheinen sie unbrauchbar.
Ich habe in der Tabelle V. die Sterbefälle unter den Ni ein-
gefallenen in zwei Categorien gesondert, theils um das allgemeine
Bild von der mit den Schusswunden der einzelnen Körpertheile ver-
knüpften Lebensgefahr zu vervollständigen, theils um einen weniger
ungerechten Maassstab für die Leistung des Gesundheitsdienstes
zu ermöglichen, als eine Berechnung sein würde, welche ihm alle
nicht auf dem Schlachtfelde erfolgten Todesfälle zur Last schreibt.
Nicht allen unrettbar Getroffenen ist der rasche Heldentod auf der
Wahlstatt beschieden. Viele leben noch tagelang; sogar ein wochen-
langes und doch hoffnungsloses Wundlager folgt bisweilen den an
sich tödtlichen Verletzungen. Die Categorie der „Unrettbaren"
ist daher numerisch schwerlich zu weit gefasst, wenn man blos die-
jenigen hineinrechnet, welche trotz der ihnen gewidmeten Pflege
innerhalb der ersten 48 Stunden nach der Verwundung gestorben
sind, wenn auch zugegeben werden muss, dass auch ein nicht absolut
*) Militär -chirurgise he Studien. S. 20.
51
tödtlich Verwundeter bloss desshalb schon in dieser Periode sterben
kann, weil ihm der rechtzeitige und rechte Beistand mangelte.
Bei dem Vergleichen der Heilerfolge aus verschie-
denen Feldzügen würde es auf eine solche Sonderung weniger
ankommen, wenn die Feldzugs-Statistiken auf gleichartigen Grund-
lagen beruhten, wenn z. B. die ermittelten Sterblichkeits - Zahlen
wenigstens so weit gleichwerthig wären, dass sie aus der unver-
kürzten Summe aller bei einer Armee nach Verwundung erfolgten
Sterbefälle berechnet wurden. Ich habe schon erwähnt, dass die
Todesfälle auf dem Schlachtfelde bisher allgemein ausgeschlossen
sind.. Es giebt aber auch Feldzugs-Statistiken, in welchen mehr
oder weniger umfängliche Summen aus der Categorie der nachträg-
lichen Sterbefälle ausser Ansatz geblieben sind — nicht etwa ab-
sichtlich zu dem unlautern Zwecke, mit ungewöhnlichen Heilerfolgen
zu prunken, sondern wegen Mangels der erforderlichen Nachweise
aus der oder jener Zeit des Feldzuges, aus einem oder dem anderen
Lazarethe. Beim besten Willen, wahr und correct zu arbeiten, kann
der Statistiker es nicht ändern, wenn z. B. in den provisorischen
Asylen, welche nach Gefechten etablirt wrurden und mehr oder we-
niger lange bestanden, bis die Evacuation in Lazarethe mit geord-
neter Verwaltung erfolgen konnte, die Listen und sonstigen Nach-
weise gar nicht oder sehr mangelhaft geführt sind. Er kann es
nicht ungeschehen machen, wrenn die Nachweise eines Lazarethes,
welches, in erster Linie gelegen, viele Schwerverwundete aufzu-
nehmen und desshalb auch viele Gestorbene zu beerdigen hatte, im
Drange der Umstände verloren gingen oder, wTie die Listen des
dänischen Lazarethes in Sonderburg 1864, verbrannten. Der Sta-
tistiker kann eben nur das Material verwerthen, welches er vorfindet,
und sein Verdienst bleibt gross genug, wenn er die Sammlung und
Sichtung desselben mit der Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit
eines Chenu vornimmt und aus den Lücken („blessures indeter-
minees") kein Hehl macht.
Die Dimension und der glückliche Verlauf des Feldzuges von
1864, die Organisation unseres Feldlazarethwesens , das in den
preussischen Feldärzten lebendige Bewusstsein ihrer Verpflichtungen
gegen die Verwundeten und gegen die Wissenschaft, endlich die
in der zweiten Hälfte des Feldzuges mir anvertraute Oberleitung
des Gesundheitsdienstes haben es mir ermöglicht, das Material zur
chirurgischen Statistik wenigstens für den preussischen Antheil in
einer Vollständigkeit zu sammeln, welche in vielen Beziehungen
4*
wenig zu wünschen übrig lasst. Es leuchtet ein. zu wie falschen
Schlüssen es fuhren muss. wenn man d~n M^assstab zur Würdigung
der Ergebnisse eines solchen Calcüls aus Berechnungen en^ehn\
bei deren Anlage qualitativ viel beschränktere Unterlagen zur Ver-
fugung standen. Die We rth- Differenzen werden nicht etwa durch
die Grössen -Unterschiede ausgeglichen. Eher lasst sich das Ge-
gentheil sagen. Es verhält sich damit, wie mit den Zahlen -flach*
weisen y>. t e rs hiedenen Lazaretheu in dem-eioen Feld-
zuge.
Je mehr Schwer verwundete ein Lazareth erster Linie unmittel-
bar vom Schlachtfelde empfangt und wegen Mangels der Transport-
fahigkeit oder entsprechender Transportmittel behalten muss. desto
ungünstiger stellt sich seine Sterblichkeit? -Ziffer, besonders durch
die Categorie der ^Unrettbaren-. Umgekehrt präsentirt sich das
Heilresultat eines Lazarethe- zweiter oder dritter Linie numerisch
um so glänzender, je mehr Leichtverwundete oder der nächsten
Gefahr Entronnene ihm zugehen. Niemand hält es für zulä-sig.
das Feldzugs- Resultat nach der einen oder der anderen dieser
Zahlen zu bemessen oder den Grad der Kunstleistung und der Pflege
mineist des Vergleiches derselben zu beurtheilen Im Österreichisch-
italienischen Kriege von 1*59 hat ein grosses Re-erve-Lazaretb eine
Mortalität der Verwundeten von kaum 4 pCt für -ich berechnet.
Wer möchte darin den Beweis ungewöhnlich glänzender Erfolge oder
besonderer Künstigkeit des Chirurgen, welcher in jenem Spital
v.-i:>e. e:V.i;ke::r Jeder sagt sich, dass es Reserve-Lazarethe geben
kann, in welchen die Sterblichkeit der Verwundeten auf 0 sinkt.
Ebenso verschiedenartig sind die Werthe der Zahlen, welche
die Statistik aus den ihr zugänglichen . mehr oder weniger unvoll-
kommenen und lückenhaften Materialien für verschiedene Feld-
züge berechnet hat. Meine Absicht war, ans den amtlichen und
halbamtlichen Berichten, welche über dje grossen Kriege der neueren
Zeit ^in der Krimm. in Italien, in Amerika) vorliegen, und welche
mit erstaunlichem Fleisse gemacht sind, die allgemeinen statistischen
Resultate neben einander zu stellen. Aber ich habe m'vh überzeugt,
dass es trotz der durch ihre Höhe imponirenden Zahlen ganz un-
möglich ist. einen irgendwie zuverlässigen Maassstab dadurch zu
gewinnen.
Rechnet man aus verschiedenen Tabellen, welche Chenu in
\em schönen Werke über die Verletzungen der einzelnen Körper-
theile im Krimm-Kriege gegeben hat. die Schusswunden zusammen.
53
so kommen 22,813 mit 5377 Todesfallen heraus. Dagegen lehrt ein
Blick auf die von Serive (1. c. pag 345) gegebene Uebersicht,
dass an Offieieren 1625, an Soldaten 35,912. zusammen also 37,537
„Wesses par le feuu mit 3728 Todesfällen in die Ambulancen ge-
langten. Wie verschieden und doch gleich falsch wäre der Maass-
stab, welcher herauskommen würde, wenn man diese oder jene
Zahlen zu Grunde legte! Dennoch spricht es für die Gründlichkeit
und Gewissenhaftigkeit beider Autoren, dass die Berechnungen der-
selben sich einigermaassen ergänzen. Scrive hat die volle Zahl
der Verwundeten (excl. Gefallene) und von den Todesfällen diejeni-
gen berechnet, welche in der Krimm selbst errolgten. Chenu hat
nur den lebend angelangten Theil der von der Krimm nach Con-
stantinopel evacuirten Verwundeten berechnet und die hier nach-
träglich erfolgten Todesfälle. Immer fehlt freilich noch die wahr-
scheinlich nicht kleine Zahl der während der Ueberfahrt von der
Krimm nach Constantinopel und von hier nach Frankreich, sowie
der in Frankreich selbst nachträglich Gestorbenen.
Aus Obigem ergiebt sich, dass in den Berechnungen von Chenu
ausser den Gefallenen über 14,000 Verwundete fehlen — zu viel,
als dass es zulässig wäre, aus den hübschen Tabellen einen Maass-
stab für die relative Häufigkeit und Tödtlichkeit der Schus^wunden
zu entnehmen.
Ueber die Verwundungen im amerikanischen Bürger-
kriege (1861 — 1863) enthält eine Arbeit aus dem Medicinal-
Departement des Kriegsministeriums — -Reports on the extent and
nature of the materials available for the preparation of a medical
and surgical history of the rebellion" — (Circular 6 vom Surgeon-
General Barnes) umfassende und eingehende Mittheilungen. Die
impomrende Summe von 77.775 Sc huss wunden (excL Gefallene)
liegt zu Grunde. Dennoch sind die St erblichkeits- Zahlen darin
zu einem allgemeinen Maassstabe gar nicht zu gebrauchen. Von
Tausenden ist der Ausgang unbekannt. Verlässlicher scheint
die Repartition auf die Körpergegenden zu sein. Da es nicht ohne
Interesse ist, zu -ehen. ob und in wie weit trotz der sehr verschie-
denen Dimensionen der Feldzüge eine gewisse Gesetzlichkeit in
dieser Beziehung obwaltet, so nehme ich behufs des Vergleiches
die betreffenden Zahlen und die daraus berechneten Procentsätze
mit auf in die folgende Tabelle.
Auch die Zahlen aus dem englischen Berichte über den
Krimmkrieg 'Medical and surgical history of the British army
54
during the war ageinst Russia in the years 1854, 55 — 56) nehme
ich mit auf, besonders weil sich die Sterblichkeits- Zahlen — ich
lasse vorläufig unerörtert aus welchem Grunde — für die Verletzun-
gen der Glieder auffallend klein stellen.
Sehr bedauere ich, dass die statistische Arbeit, welche Chenu
über den italienischen Feldzug von 1859 in Aussicht gestellt hat,
noch nicht veröffentlicht ist. Was sonst an statistischen Daten über
diesen Feldzug vorliegt — die Mittheilungen von Demme einge-
rechnet — beruht so sichtlich auf unvollkommenen Unterlagen, dass
von einem Vergleich swerthe nicht die Rede sein kann.
Vergleichende Uebersicht
der Häufigkeit und Tödtlichkeit der Schusswunden
nach Körpertheilen
excl. Gefallene.
Tabelle V.
Verletzter
Feldzug 1864.
Krimm- Krieg.
Englische Armee.
Amerik.
Unionskrieg
Preussen.
In preuss.Lazarethen
gepflegte Dänen.
«
Gestorben.
■a
Körpertheil.
o
5
o
B
3
o
TS
c
•O
1
H .
S
p-
?
M
%
o
1§
1
o
15
S
>
cS
o
c
03
>
M
o
s-
Pi
o
N
>
>
Kopf
272
14
h,
9,2
■f
120
10
18,3
1471
20
192
13,1
9217
12
Hals
40
2
10,0
26
2
7,6
147
2
6
4,1
1329
2
137
7
40,8
113
9
67,2
474
6
135
28,5
7062
9
Unterleib und
Becken . .
103
5
57,2
89
7
64,0
327
4
165
50,1
3523
5
Wirbelsäule
und Rücken
92
5
29,3
80
7
40,0
355
4
48
13,5
5382
7
Obere Glieder
608
31
8,7
317
26
19,5)
i21248
27
458
4754' )
63
505
10,6
^30014
Untere „
716
36
12,5
38
31,8)
38
Summe .
196b
"
16
1203
33
7528
1051
13,9
77775
*) Zahl der Gestorbenen s. Tabelle III.
' ) In dem englischen Berichte ist die Sonderung der Verletzungen der
oberen und der unteren Glieder nicht vollständig. 167 Verletzungen der grossen
Gefässe, Nerven und Gelenke mit 40 Todesfällen (27,5 pCt.) sind für sich und
gemeinschaftlich für obere und untere Glieder berechnet.
55
Tabellen dieser Art geben, wie gesagt, keine richtige An-
schauung von der Wirkung der Kriegs-Feuerwaffen überhaupt. Der
Procentsatz für die Kopfschüsse erscheint hier bei den Preussen
um 6 pCt. geringer, der für die Glieder um 10 pCt. grösser als in
Tabelle IV.
Die Eigenthümlichkeit jedes Krieges, in welchem der Positions-
Kampf vorwiegt, der höhere Procentsatz der Kopfschüsse, ist auch
in Tabelle V. noch ausgeprägt. Dass unter den in unseren Laza-
rethen gepflegten Dänen nur 10 pCt. Kopfverletzte waren, spricht
natürlich nicht dagegen. Nur der relativ kleinere Theil der kopf-
verletzten Dänen kam in unsere Hände; die meisten derselben wur-
den innerhalb ihrer Werke getroffen. Djoerup hat in seinen
statistischen Notizen 14,4 pCt. Kopfverletzte berechnet.*)
Was in der Tabelle am meisten auffällt, ist die sehr bedeutende
Differenz zwischen den preussischen und dänischen
Verwundeten in Betreff der Sterblichkeit. Sie waren bei
den letzteren mehr als doppelt so gross. Und doch handelt
es sich um Verwundete, welche in den nämlichen Lazarethen von
den nämlichen Aerzten gepflegt und behandelt worden sind.
Ich brauche nicht zu sagen, dass der Grund nicht etwa darin
liege, dass den Verwundeten des Feindes unserer Seits weniger
Sorgfalt gewidmet war. Auf dem Schlachtfelde wie in den Laza-
rethen wurde niemals unterschieden, ob es sich um einen Dänen
oder um einen Preussen handele. Krankenträger, Krankenpfleger
und Aerzte wetteiferten überall, ihrer humanen Mission Ehre zu
machen durch die thatsächliche Inaugurirung des Grundsatzes —
der verwundete Feind hat aufgehört, Feind zu sein.
Die von ihren Wunden genesenen dänischen Ofn'ciere und Soldaten
werden es bezeugen, wie sie während ihres Wundlagers der Dank-
barkeit für die ihnen gewidmete Sorgfalt Ausdruck gaben. Sie
schienen den preussischen Feldärzten ein besonderes Vertrauen zu
schenken.
*) Der Vergleich mit den von dem dänischen Chef-Arzte berechneten Pro-
centsätzen würde von besonderem Interesse für uns gewesen sein Dennoch
konnte ich sie in die Tabelle nicht mit aufnehmen, weil nach den von ihm
selbst mit dankenswerter Offenheit darüber gegebenen Notizen das statistische
Material, mit welchem er sich der Umstände halber begnügen musste, gar zu
lückenhaft ist. Namentlich die von Djoerup berechneten Sterblichkeits-Zahlen
scheinen mir aus diesem Grnnde unvergleichbar. Was die Häufigkeits- Zahlen
betrifft, so werden gerechnet auf den Kopf 14,4 pCt., „Hals und Rumpf"
16,1 pCt, obere Glieder 33,4 pCt., untere Glieder 36,1 pCt.
56
Jene Sterblichkeits - Differenz zu erklären, bedarf es nicht der
Berufung auf den beliebten Satz — „die Sterblichkeit ist grösser
unter den Verwundeten der geschlagenen Armee". Wohl hat die
Psyche ihren Einfluss auf den Wundverlauf. Aber die Voraussetzung,
welche dem Satze zu Grunde liegt, lässt sich statistisch gar nicht
präcisiren; jeden Falles passt sie überall nur auf einen verhältniss-
mässig kleinen Bruchtheil der Verwundeten.
Die Differenz ist nichts weiter als ein Beweis mehr von der
Nothwendigkeit, bei dem statistischen Vergleichen von Heilresultaten
äusserst vorsichtig zu sein. Sie ist nämlich einfach das Ergebniss
des sehr verschiedenen Verhältnisses, in welchem die leichteren
und die schwereren Verletzungen in jenen Zahlen gemischt sind.
Beziehen sich doch die Zahlen der Preussen auf alle bei diesen
vorgekommenen Schusswunden, auch die ganz leichten mitgerechnet,
die der Dänen dagegen vorzugsweis auf schwere Verletzungen,
welche den Verwundeten nicht gestatteten, der Gefangenschaft sich
zu entziehen. Schon die bisherigen allgemeinen Nachweise lassen
hierauf schliessen. Aus Tabelle III. ergiebt sich z. B., dass die
Categorie der in den ersten 48 Stunden Gestorbenen bei den
Preussen 4,1 pCt., bei den Dänen 5,4 pCt. umfasst,*) und Tabelle V.
zeigt, dass die an sich schwereren Verletzungen der unteren Glieder
bei den Preussen nur um 5 pCt., bei den Dänen um 12 pCt. mehr
als die an sich weniger gefährlichen der oberen Glieder vertreten
waren. Noch augenfälliger aber wird sich jenes Verhältniss in den
nächsten Capiteln, welche der speciellen Betrachtung der einzelnen
Verwundungsformen gewidmet sind, herausstellen. Auch der
Schlüssel zu dem in seiner Allgemeinheit räthselhaft günstig er-
scheinenden Resultate der englischen Chirurgie in der Krimm wird
hier zu suchen sein.
*) Dieses Verhältniss stellte sich für die verwundeten
Preussen Dänen
der Kämpfe im Sundewitt bis zum 17 April 4,5 pCt. 13,2 pCt.
des 18. April 4,7 „ 5,2 „
des 29. Juni 1,8 „ 3,7 „
57
Erstes Capitel.
Die Schussverletzungen des Kopfes.
Von der relativen Häufigkeit dieser Verletzungen im Feldzuge
von 1864 und von dem ihm eigenen Grade der directen und in-
directen Tödtlichkeit ist der statistische Nachweis schon in Tabelle IV.
gegeben Auch wurde bereits angedeutet, dass auf die Verletzungen
des Kopfes ein um so höherer Procentsatz zu fallen pflegt, je mehr
der Kampf um befestigte Stellungen in der kriegerischen Action
vorwaltet
Sehr bezeichnend ist in dieser Beziehung die Berechnung aus
dem Krimm-Kriege., welche Scrive (1. c. pag. 433) gegeben
hat. Die Schlachten an der Alma, bei Inkermann etc. ergaben
ca. 10 pCt. Kopfverletzte, die Belagerung von Sebastopol
29 pCt.
Unsere Tabelle V. weist nach, dass von den schussverletzten
Preussen (excl. Gefallene) im Feldzuge von 1864, in welchem es
sich fast nur um Angriffe befestigter Punkte handelte, 14 pCt. am
Kopfe getroffen wurden. Beschränke ich die Berechnung auf die
Zeit der Belagerung der Düppelstellung (vom 28. März, an
welchem Tacre das Terrain zur Legung der ersten Parallele erobert
wurde, bis zum 17. April), so stellt sich heraus, dass von 303 Schuss-
verletzten (excl. Gefallene) 49, also 16 pCt. am Kopfe getroffen
wurden. Diese Belagerung währte 21 Tage, die von Sebastopol
336 Tage.
Die weitere Besprechung der Kopf- Verletzungen erheischt zu-
nächst die Sonderung in zwei Gruppen, welche in den bisher er-
wähnten Zahlen verschmolzen sind — Schädel- und Gesichts-
Verletzungen. Der Feldzug von 1864 hat die alte und bekannte
Erfahrung von der Tödtlichkeits-Differenz zwischen diesen
beiden Gruppen bestätigt. Sie beträgt 17 pCt. zu Gunsten der
Gesichts-Verletzungen (ohne Rücksicht auf die Gefallenen).
1. Die Schuss Verletzungen des Schädels.
Diese Gruppe umfasst die Verletzungen der die Hirnschale bil-
denden Knochen, ihrer weichen Hüllen und ihres Inhaltes — des
Gehirnes selbst und seiner Häute. Auch solche Schüsse, welche in
58
die Schädelhöhle drangen, obwohl das Geschoss am Gesichtstheile
des Kopfes, z. B. durch die Augenhöhle, einschlug, habe ich der-
selben zugezählt.
Das Resultat unserer Schlachtfelds - Todtenschau ist nicht so
genau, dass ich mit Sicherheit angeben könnte, wie viele von den
durch Kopfschüsse auf dem Schlachtfelde gefallenen Preussen am
Schädel-, wieviele am Gesichts-Theile getroffen wurden. Dass
aber letzterem ein verhältnissmässig sehr kleiner Procentsatz zu-
kommt, darf vorausgesetzt werden.
Scrive hat bei den in den Trancheen vor Sebastopol gefallenen
Franzosen „un tue par plaie de tete sur deux tues par d'autres
blessures" geschätzt (1. c. pag. 443). Diess ergiebt ca. 33 pCt.
Tödtungen durch Kopf- resp. Schädel -Schüsse. Der französische
Chef- Arzt knüpft daran das Verlangen nach einem besonderen
Schutze für den Schädel, indem er sagt:
„Cet effet fächeux demontre combien il serait prudent et
„avantageux de proteger la tete des troupes employes a un siege
„par un casque a Fepreuve de la balle et des eclats des gros
„projectiles."
Der preussische Soldat besitzt den Helm. Von unseren
422 Gefallenen sind 420 durch Geschosse verletzt. Bei 196 von
ihnen ist constatirt, dass der Kopf getroffen war. Von 100 Todes-
fällen auf dem Kampfplatze rührten also ca. 47 von Kopfschüssen
her — 14 mehr als in den Trancheen von Sebastopol, wofern
Scrive die Zahl der tödtlichen Kopfverletzungen nicht unterschätzt
hat. Es scheint somit, dass eine der tödtlichsten Arten von Ver-
letzungen im Kriege — der Kopfschuss — je länger desto mehr
Uebergewicht erlangt. Der Grund dürfte vorzugsweis in der Ver-
vollkommnung der Handfeuerwaffen zu suchen sein. Denn 171 von
jenen 196 sind durch Gewehrschüsse getödtet. Darf aus diesen
Zahlen geschlossen werden, dass unser Helm, was den fraglichen
Schutz des Schädels betrifft, nutzlos gewesen sei?
Bei den meisten grösseren Actionen wurde der Helm vorher
abgelegt und durch die Feldmütze ersetzt; er hatte also wenig
Gelegenheit, seine Schutzkraft zu bewähren. Vor Missunde ge-
schah es nicht. Dennoch hatten die Kopfverletzungen gerade bei
dieser von unseren jungen Soldaten rühmlichst bestandenen Feuer-
taufe den stärksten Antheil an den Todesfällen auf dem Kampf-
platze. Denn
59
am 18. April fielen .... 217; davon Kopfverletzte 93 = 43 pCt.
vom 10. Febr. bis 17. April
im Sundewitt ...... 89
am 29. Juni 70
am 2. Februar 38
41 ==45 „
38 = 54 „
21 = 55 „
Anders fällt die Antwort aus, wenn man bloss das Sterblich-
keits- resp. Heilungs-Verhältniss der Nichtgefallenen zu Grunde
legt. Von den S c h ä d e 1 verletzten des 2. Februar, welche lebend
den Kampfplatz verliessen, ist keiner gestorben, während von den
nichtgefallenen Schädel verletzten im Feldzuge überhaupt 9 pCt.
gestorben sind. (S. Tabelle IV.)
Dieses Beispiel beweist von neuem, wie die Statistik irreleiten
kann, wenn sie mit halben Werth en rechnet. Berücksichtigt man
bloss die Kopfverletzten unter den vor Missunde Gefallenen, so
muss man sagen, dass der preussische Helm dem Kopfe gar keinen
Schutz gegen die Geschosse gewährt habe; rechnet man bloss mit
den Nichtgefallenen, so muss man diesen Schutz sehr hoch an-
schlagen. Das wirkliche Verhältniss ist aber folgendes:
■ TT « i . Davon gestorben
Am Kopfe verletzt: , ^ „
1 (incl. Gefallene):
am 2. Februar vor Missunde 50 21 = 42 pCt.
in allen übrigen Kämpfen . 418 200 = 48 „
Das minus der Tödtlichkeit von 6 pCt., welches sich so für die
Kopfverletzten von Missunde herausstellt, bezeichnet ein nicht uner-
hebliches Vorwiegen der leichteren Verletzungen des Kopfes, und
es hiesse den Thatsachen Zwang anthun, wenn man dem Helme
jeden Einfluss darauf absprechen wollte.
Was die Form der Schädelverletzung bei den Gefalle-
nen betrifft, so variirte dieselbe von der ausgedehnten Zertrümme-
rung und Zerreissung des Schädels durch Geschosse oder Geschoss-
stücke des schweren Geschützes oder durch von solchen in Bewegung
gesetzte Holz-, Stein-, Metall-Stücke bis zu unscheinbaren, von ein-
oder durchdringenden Gewehrprojectilen herrührenden Oeffnungen.
Ob und in welchem Maasse auch Prellschüsse vermöge höchstgradiger
Hirnerschütterung oder intercranialer Blutung betheiligt waren, muss
dahingestellt bleiben. Die Feld - Todtenschau von 1864 war noch
zu wenig technisch, als dass sie Material zu Antworten bei der-
gleichen Fragen bieten könnte.
Die folgende Tabelle giebt Auskunft über
60
Form und Verlauf der Schädelverletzungen
bei den Nichtgefallenen.
Tabelle VI.
¥71
r o r m e n
der
Schädel Verletzung.
Preussen
Dänen
Preussen und
Dänen
Zahl.
gestorben
genesen.
s
gestorben
genesen.
cd
N
gestorben
genesen.
in den ersten
48 Stunden.
■ später.
Summa.
in den ersten
48 Stunden.
1 später.
| Summa.
in den ersten
48 Stunden j
später. |
I Summa.
A. Weich th eif - Schüs se
112
112
33
33
145
1
145
B. Knochen -Schüsse:
a. Contusion der äusse-
b. Einbrüche der äusse-
ren Tafel
c. Schussbrüche beider
Tafeln
7
12
10
5
5
7
12
5
3
3
8
1
4
1
4
2
3
4
10
15
18
1
9
1
9
9
15
9
29
5
5
24
14
5
5
9
43
10
10
33
C. Schussbrüche mit
Hirnhaut- und Hirn -
Zerreissung
20
13
6
L9
1
14
7
7
14
34
20
13
.33
1
Summa A. + B. + C.
161
13
11
24
137
61 7
i
12 19| 42
222 20 23 43
179
Was unabhängig vom Willen der Statistiker das Vergleichen
der allgemeinen Ergebnisse aus verschiedenen Feldzügen misslich
macht, wurde oben angedeutet. Durch dieselbe Ungleichartigkeit
der Grundlagen wird leider auch die statistische Abschätzung des
WTerthes der verschiedenen Modalitäten der Kunsthülfe bei den spe-
ciellen Verletzungsformen sehr erschwert. Ueberdiess fehlt es
an einer gemeinsamen Norm zur Abgrenzung und Bezeichnung dieser
Formen. Die Vereinbarung einer solchen wird kaum anders als
durch Vermittelung eines internationalen militärärztlichen
Congresses gelingen.
Was nützt es, zu wissen, dass von 107 im amerikanischen
Bürgerkriege Trepanirten nur 60 gestorben sind, wenn bei 500 unter
1104 Schädel -Schussbrüchen unbekannt blieb, welchen Ausgang sie
61
genommen haben? Ich denke, nicht mehr und nicht weniger, als
die Notiz, dass im Feldzuge von 1864 nur ein Schädelverletzter
trepanirt, und dass er nicht gestorben ist.
Die Tabelle VI. enthält eine Verletzungs - Gruppe (C), bei wel-
cher der Ausgang in Genesung immer und überall die seltene Aus-
nahme bildet. Eine andere Categorie von Schädel-Schussbruch
— B. b. — ist 1864 ausnahmslos glücklich verlaufen, und, möchte
ich auch der Kunsthülfe nicht jeden Einfluss darauf absprechen, so
lässt sich doch wohl sagen, dass sie an und für sich eine gute
Prognose gestattet. Schwerlich eignen sich daher diese beiden
Gruppen zu einer statistischen Abmessung des Werthes verschiede-
ner Kunstverfahren. Dagegen zeigt Gruppe B. c. gerade ebensoviel
Todes- wie Genesungs- Fälle — ein Beweis, dass sie das Leben
genug gefährdet, aber der Kunsthülfe gestattet, sich in einer gewissen
Breite geltend zu machen. Hier kann der statistische Calcül zur
Abschätzung der Heilerfolge verschiedener Kurarten dienen — wo-
fern die Gruppe von allen Statistikern gleichartig ab-
gegrenzt wird. Mit so allgemeinen Bezeichnungen, wie „pene-
trirend" — „nicht penetrirend" — „Schussfracturen des
Schädels mit Eindruck" u.dgl., und wenn prognostisch so ver-
schiedene Verletzungsformen überhaupt nicht auseinander gehalten
werden, ist mit den Ergebnissen des Zählens für den Vergleichs-
zweck nichts anzufangen. Ich wüsste aber nicht, welchen anderen
practischen Zweck der statistische Calcül auf diesem Gebiete über-
haupt haben sollte.
Haarscharfe Abgrenzung ist freilich kaum möglich. Sie schei-
tert schon an der Schranke, welche der Diagnose gezogen ist,
und letztere wird um so enger, je mehr die Chirurgen ihr Interesse
für das gründliche Ermitteln der anatomischen Tiefe und Ausdeh-
nung der Schädelverletzungen dem Interesse der Verwundeten zu
opfern sich entschliessen.
Bei allen wirklichen Schussfracturen des Schädels, d. h. den-
jenigen, an welchen beide Knochentafeln betheiligt sind, erleidet die
harte Hirnhaut und das Gehirn selbst eine grössere oder geringere
Läsion. Dieselbe besteht bald in blosser mehr oder weniger star-
ker Contusion, bald in mehr oder weniger bedeutenden Zusam-
menhangs-Trennungen — von dem einfachen kleinen Einrisse
oder der oberflächlichen Anspiessung durch Splitter bis zu tiefen
oder ausgedehnten Substanz-Zerreissungen. Die letzteren sind
in der Regel erkennbar genug, und die fast ausnahmslose Tödtlich-
62
keit, welche ihnen gemein ist, weist die mit ihnen verknüpften
Schussbrüche in eine besondere Gruppe (C). Wo die sinnfälligen
Zeichen der Hirnsubstanz- Zerreissung fehlen, ist es bei schonender
Behandlung der frischen Wunden und ohne Gebrauch des Trepans
oft gar nicht möglich zu constatiren, ob Hirnhäute und Hirn
durch Splitter der Glastafel lädirt werden. Die Section ergänzt
zwar die Diagnose bei tödtlichem Ausgange; aber glücklicher Weise
verlaufen nicht alle Schussbrüche lethal; ja es scheint, dass die
Zahl der Heilungen steigt, je mehr man darauf verzichtet, das
Splitter -Verhältniss schon während des Lebens eindringlich zu er-
forschen.
Sogar die Erkenntniss, ob beide Tafeln der Schädelknochen
durchbrochen sind oder ob nur die äussere Tafel eingebrochen
ist, lässt sich durch die Untersuchung nicht immer feststellen. Die
Erfahrung am Sectionstische hat gelehrt, dass sehr unscheinbare
Läsionen der äusseren Tafel von bedeutenden Verletzungen der in-
neren begleitet sein können. Wenn aber letztere nicht zum Tode
führen — ein vielleicht gar nicht so seltener Fall — so bleiben
sie überhaupt unerkannt, es sei denn, dass noch nach Jahren die
Section zufällig ihre Spuren nachweist.
Im Feldzuge von 1864 ist meines Wissens kein Fall von Glas-
tafel-Bruch bei unversehrter oder nicht eingedrückter
äusserer Tafel constatirt. Wie gross aber und wie schwer er-
kennbar das Missverhältniss zwischen den neben einander beste-
henden Läsionen der beiden Tafeln sein kann, lehrt z. B. der fol-
gende Fall.
Fall 5. Schussbruch des Stirnbeins. Verletzung der harten
Hirnhaut durch die abgesprengte innere Tafel. Extravasat.
Umschriebene Hirnentzündung. Tod. Musketier F. Hengst vom
64. Inf. -Reg. erhielt am 17 März bei Düppel einen Streifschuss an der
rechten Stirnseite und wurde vom Lazareth in Broacker (1 F.-L. der Cav.-
Div.) aufgenommen. Die anfänglichen Erscheinungen müssen wobl sehr
gering gewesen sein, da er bereits am 1J). März nach Flensburg (2. schw.
F.-L. 3. A -C, Sect. St.-A. Besser) ervacuirt wurde. Man fand hier
nahe dem Haarwuchse in der dreieckigen, 1" langen, V breiten Wunde
den Knochen biossliegend und das Periost abgestreift, ersteren sonst aber
nicht verletzt Die bereits entwickelte Entzündung der Weichtheile gebot
besondere Schonung beim Untersuchen. Am 20. März ist das Bewusstsein
getrübt, das Gehör geschwächt, die Reaction der Pupillen träge, die Tem-
peratur der Haut bei 100 Pulsen fieberhaft Stuhl dünn und reichlich.
Vier Blutegel hinter jedes Ohr; Eisblase; Calomel 1 Gran 3stündlich. Den
22. März stärkere Trübung des Bewusstseins; unfreiwilliger Stuhl. In der
63
Nacht vom 23. zum 24. März entsteht plötzlich eine starke arterielle Blu-
tung aus einem Wnndwinkel. ümstechung. Darauf ruhiger Schlaf. Eine
Stunde später grosse Unruhe und Morgens 7 Uhr Tod. Section: Unter-
halb der Weichtheilwunde und etwas links davon findet sich ein kleiaes
Stück der in grosser Ausdehnung des Periostes beraubten äusseren Tafel
Natürliche Grösse.
Fig. A. Aeussere Tafel.
Fig. B. Innere Seite des Stirnbeines mit der durch Absprengung
der Glastafel freigelegten Diploe.
\tk> tief eingedrückt, am tiefsten am inneren
Rande, wo ein kleines Bleistückchen einge-
klemmt sitzt. Von der inneren Tafel ist da-
gegen ein etwa sechsfach grösseres Stück ab-
gesprengt und in 3 Theile zerbrochen Die
Dura mater ist eingerissen: unter ihr ein Blut-
extravasat thalergrossen Umfanges. Die Me-
ningen hyperämisch. Die Hirnsubstanz ist an
der dem Bruche entsprechenden Stelle §" tief
entzündlich erweicht. An den übrigen Orga-
nen nichts Abnormes.
Fig. C. Abgesprengtes
Stück der Glastafel.
64
Es liegt auf der Hand, dass der Ausdruck des Heilerfolges in
Zahleu sehr abhängig ist von der Art, wie der Statistiker die ana-
tomisch nicht scharf bestimmten Fälle registrirt. Gruppe B.c. un-
serer Tabelle kann namentlich in doppelter Weise von Misserfolgen
entlastet werden; erstens, indem man die tödtlich verlaufenen Fälle,
in welchen sich nachträglich eine Läsion des Hirns und seiner Häute
herausstellt, der Gruppe C. überweist, zweitens, indem man die Son-
derung der Gruppe B. b. und B. c. überhaupt unterlasse. Die Ten-
denz-Statistik findet in der Gruppirung der Verletzungsformen eine
bequeme Handhabe. Ich habe der so lethalen Gruppe C. nur solche
Fälle zugezählt, in denen eine Mitverwundung des Gehirns mit
Substanzverletzung feststeht, und der Gruppe B. c. nur solche,
in denen die Verletzung beider Tafeln erwiesen ist.
Am schwersten ist es, die Schädel - Schüsse mit blosser Kno-
chen-Contusion (B. a.) correct zu zählen. Unter den 145 Weich-
theil- Schüssen, welche Tabelle VI. nachweist, befindet sich ohne
Zweifel noch mancher, in welchem der Knochen wirklich contundirt
wurde. Schon der Umstand, dass nicht selten Zeichen der Hirner-
schütterung mit ihnen verknüpft waren, lässt darauf schliessen. Al-
lein die Statistik wird völlig haltlos, sobald sie auf den sinnfälligen
Nachweis der Contusion des Knochens verzichtet, möge dieser in
einer mittelst Auge oder Finger erkennbaren Veränderung an der
Oberfläche des in der frischen Wunde biossliegenden Knochens be-
stehen oder durch Exfoliation während der Eiterung oder durch
bleibende Auftreibung des Knochens unter der Narbe resp. unter
der nicht getrennten Haut geliefert werden. Gewiss werden nicht
wenige Knochen- Contusionen geheilt, ohne dass solche Folgen sich
bemerklich machen. In anderen Fällen wird eine unbedeutende Ex-
foliation während der Eiterung übersehen oder im Journal wenig-
stens nicht notirt. Der Therapeut hat Ursache genug, an Contusion
des Knochens zu denken, wenn auch die positive Diagnose nicht
sofort möglich ist; der Statistiker sollte sich überall nur durch letz-
tere bestimmen lassen. Dass diess bei der Abgrenzung der Gruppe
B. a. in unserer Tabelle geschehen ist, dürfte schon aus der kleinen
Zahl der ihr zugezählten Fälle zu schliessen sein.
Aus Tabelle VI. ergiebt sich nun, dass 1864 bei den Preussen
nur 14,1 pCt., bei den Dänen 31,1 pCt. der Schädelverletzungen
tödtlich verlaufen sind. Die Tabelle giebt aber auch die Erklärung
dieser erheblichen Differenz. Von den Verletzungen der Preussen
gehörten nur ca. 12 pCt., von denen der Dänen ca. 23 pCt. zur
65
lethalen Gruppe C. Dagegen stellten die Dänen zu den Weich-
theil- Schüssen nur ca. 54 pCt.. die Preussen ca. 70 pCt. Das
Heilungsverhältniss stellt sich auf beiden Seiten völlig gleich für die
entscheidenden Gruppen — 100 pCjt, bei den Brüchen der äusseren
Tafel, 50 pCt. bei den Brüchen beider Tafeln (B. b. u. e.)
Betrachten wir jetzt die einzelnen Gruppen näher. An den
Schädel-Schüssen mit Hirnhaut- und Hirn-Zerreissung
scheiterte die Kunsthüli'e IS 64 kaum weniger als in anderen Feld-
zügen. Das Ueberleben war bei diesen Verletzungen sehr oft nur
das um einige Stunden oder Tage sich verzögernde Sterben. Schon
innerhalb der ersten 4S Stunden schloss der Tod die Leidensscene
bei 59 pCt. derselben. Der Schein von Hofinung-, welchen die
übrigen theils durch längeres Lebenbleiben, theils durch verzögertes
Eintreten oder täuschenden Nachlass der bedrohlichen Symptome
erregten, hat sich nur in einem Ausnahmsfalle verwirklicht.
Fall 6. Kartätschsehuss der Schläfen gegen d. Grosser FI irndefe et
Heilung. Musketier Fritz Haiinemann vom 24. Reg , 24 Jahr alt, aus
Wenzlow bei Brandenburg, wurde am 29. Juni auf Alsen verwundet. Er
gelangte halb bewusstlos auf den Verbandplatz, schrie jedoch über Schmerzen
und sagte auf Befragen seinen Namen und die Regiments -Nummer. Von
der dicht Tor dem linken Ohre in der Höhe des Helix belegenen Wundöff-
nung aus wurde in dem Schuppentheile des Schläfenbeines ein fast thaler-
grosses Loch, aus welchem Blut und weisse Hirnmasse quoll, constatirr.
Unterhalb der Wunde ist die Haut abgehoben. Auch diese Tasche ist mit
blutigem Hirnbrei gefüllt. Der untersuchende Finger gelangt zwischen eine
Menge von Knochentrümmern und fühlt in der Gegend der Felsenpvramide
einen grossen Defect Aus dem Ohre quillt Blut und Hirnsubstanz. Die
Klage des Verw. — wegen Lähmung des 1. n. facialis in unverständlichen
Tönen — über Schmerzen am Rücken, führt zur Auffindung des rechts
neben dem Dornfortsatze des 4. Brustwirbels unter der Haut liegenden
Projectiles. Mittelst Einschnittes wird eine Kartätsche kleineren Calibers
nebst zwei kleinen Knochenstücken entfernt. Eisblase.
Am 30. Jim: fortdauerndes AusÜlessen von Hirnmasse aus dem Ohre;
Bewusstsein völlig erloschen. Von der Sehussöffnuug aus werden grössere
Splitter der Schuppe entfernt. Am 1. Juli Puls massig frequent. H. reagirt
auf Fragen, wenn auch nur durch lautes wiederholtes Stammeln unverständ-
licher Laute. Ein Katbeter, von der Schnittwunde am Rücken eingeführt,
geht unter der >"aekenmuslrulatur hinweg bis in die Gegend, wo Schläfen-
bein und Hinterhauptsbein grenzen. In den nächsten Tagen hört das Aus-
fliessen von Hirn aus dem Ohre auf. Die Wunden eitern massig.
Am 5 Juli grosse Unruhe bei beschränktem Bewusstsein. Voller ver-
langsamter Puls. Aderlass. Den 9. Juli Bewusstsein kaum freier. Starke
Eiterung Incision einer Senkung hinter dem Warzenfortsatze. Calomei
gegen die Obstruction. Am 13. Juli besserer Puls; Esslust. Calomeldose
zn glefrfafen Zweck In den beiden folgenden Tagen mehrere Stühle, zum
Loexfler, Generalbexicht. 5
66
Theil unbewusst. Am 17. Juli ist das Sensorium entschieden freier. H.
spricht zwar nicht, versucht aber, eine angebotene Cigarre zu rauchen.
Entfernung einiger Knochenstücke aus der Rückenwunde. Am 20. Juli be-
ginnt EL zu antworten, wenn auch der Facialislähmung wegen undeutlich,
raucht und isst mit Appetit. Am 27. Juli ist das Sensorium ganz frei;
Patient vermag zu stehen und eine kurze Strecke zu gehen. Wieder ein
Knochenstück in der Rückenwunde. Nunmehr kehrt die Erinnerung an die
Zeit der Verwundung und die Vorgänge unmittelbar nach derselben wieder.
Die Ausheilung der Wunden schreitet regelmässig vor Am 18. August
musste die Eingangsöffnung behufs Entfernung einiger dem Felsenbeine
angehöriger Knochenstücke erweitert werden. Als H. am 23. August aus
dem Lazarethe in Oster- Satrup, wo er bis dahin gepflegt war, nach Apen-
rade evacuirt wurde, vermochte er ohne Hülfe zu gehen. Das Namen-
Gedächtniss scheint ganz verloren; sogar den Namen seiner Frau hat H.
vergessen. Der hintere Theil des Schusskanales ist geschlossen. Der
meiste Eiter kommt noch aus dem Ohre.
In Apenrade, wo H. bis zum 7. November blieb, wurde hinter dem
Ohre unter der alten noch eine Incision wegen Fluctuation nöthig. Aus
derselben wird am 1. September ein kleines, am 12. October ein pflaumen-
steingrosses Knochenstück extrahirt. Die Eiterung nimmt darauf sehr ab,
und die Ausheilung schreitet vor, obwohl auch aus der Eingangsöffnung
und aus dem Ohre von Zeit zu Zeit noch kleine Sequester hervorkommen.
Das Allgemeinbefinden sehr gut. Die geistige Energie hat indess nicht
merklich zugenommen. Die Auffassung bleibt schwerfällig, und die Schwäche
des Gedächtnisses, besonders für Namen, besteht fort.
Als H. am 8. November im Garnisonlazarethe zu Berlin eintraf, be-
stand neben Eiterftuss aus dem tauben linken Ohre und neben der beson-
ders den Kauact erschwerenden Facialislähmung ein Fistelgang an Stelle
der früheren Schussöffnung, welcher auf nekrotischen Knochen führt. Erst
nachdem noch Ende Januar 1865 ein Knochenstückchen sich gelöst hatte,
erfolgte vollständige Vernarbung. Die letzte Nachricht über diesen Ver-
wundeten, welche ich besitze und der gefälligen Mittheilung des Herrn
0. -St.-A. Hoch auf verdanke, datirt vom Herbste 1865. Aus dem Ohre
kommt noch immer etwas Eiter. Allgemeinbefinden und Ernährungszustand
gut. Kauact nicht mehr behindert. Der Gang ist etwas unsicher, obwohl
Arme und Beine frei bewegt werden. Das linke Auge ist erblindet (der
ophthalmoscopische Befund ist nicht angegeben); das rechte sieht gut.
Kopfschmerzen oder andere Zeichen von Gehirnreizung nicht vorhanden.
Das Gedächtniss ist schwach geblieben. H. kann sich auf den Namen
seines Heimathsortes nicht besinnen.
In diesem Falle hatte also eine tangential treffende Kartätsche
die Schuppe des Schläfenbeines umfänglich zersplittert , die
Dtfra muter und den angrenzenden Hirntheil zerrissen, dann in
schräger Richtung von vorn und oben nach hinten und unten wei-
tergehend die Basis des Felsentheiles zertrümmert und Stücke davon
und vom Warzentheile unter den Nackenmuskeln hinweg bis zum
67
blinden Ende ihrer Bahn in der Gegend des 4. Brustwirbels mit-
fortgerissen. Hr. Professor Lücke, welcher als dirigirender Stabs-
Arzt einer Section des 1. schw. F. -L. 3. A.-C. die Behandlung
dieses Verwundeten auf dem Verbandplatze und im Lazarethe zu
Oster -Satrup geleitet hat, schätzt den Verlust an Gehirnmasse auf
einige Unzen, so dass der grössere Theil des mittleren Lappens des
linken Grosshirnes zu Grunde gegangen sein muss. Trotzdem keine
von der Hirnläsion bedingte peripherische Lähmung. Denn die so-
fort entstandene und nach der Genesung fortbestehende Lähmung
des L. n. facialis war offenbar die Folge der Zerreissung dieses
Nerven an seiner Austrittsstelle.
Für die Praxis ist aus den sogenannten „seltenen" Fällen
in der Regel wenig zu lernen. Immerhin verdient der Typus der
geleisteten Kunsthülfe Beachtung. Die schonende Behandlung der
frischen Wunde, welche forcirte Splitterextractionen und Incisionen
zur Aufspürung etwaiger Fissuren vermied; die Eisblase, die Ablei-
tung auf den Darm, der Aderlass am 7. Tage, als die grosse Unruhe
bei vollem verlangsamtem Pulse die entzündliche Reaction innerhalb
des Schädels markirte. Es ist der Typus der Behandlung der
Schädelverletzungen, wie er aus der ersten schleswig-holsteinischen
Kriegsklinik hervorgegangen ist.
Die Bedingungen, von denen der glückliche Ausgang solcher
Verletzungen abhängt, werden sich besser würdigen lassen, wenn
ich einen tödlich verlaufenen Fall, der nach Art und Oertlichkeit
der Hirnläsion sehr ähnlich ist, danebenstelle.
Fall 7. Spitzkugelschuss der Schläfengegend. Hirndefect. Tod.
Jäger Block vom 3. preuss. Jäger -Bat., 24 Jahr alt, wurde gleichfalls auf
Alsen verwundet. Er wurde besinnungslos in das Schloss Sandberg, wo
das 1. F.-L. 5. Division sein Depot etablirt hatte, gebracht. Stertoröses
Athmen, Puls 64, Pupillen sehr erweitert, doch auf Lichtreiz reagirend.
Schussöffnung in der rechten Schläfe dicht über dem Ohre, aus welcher
Blut und Hirnmasse quillt, und durch welche die Schuppe des Schläfen-
beines zersplittert gefühlt wird. Nach oben und hinten von der Wunde
sind die Weichtheile zwei Zoll weit abgehoben Am Ende dieses Sackes
liegt ein plattgedrücktes Stück des Projectiles. Es wird von der Wunde
aus extrahirt. Nach dem Verbände kommt B. zu sich, giebl sein Nationale
an und als Ursache seiner Betäubung einen Kolbenschlag. Die erste Be-
täubung muss jedoch nur kurz gewesen sein, da er weiss, dass der erste
sehr feste Verband ihm Schmerzen gemacht habe. Des Rücktransportes
über den Sund erinnert er sich nicht. Lähmungserscheinungen fehlen.
Fragen werden, wenn auch nach langem Besinnen, richtig beantwortet.
Gegen Abend mehrmals Erbrechen.
5*
68
Am 30. Juni klagt B., welcher die ganze Nacht ruhig geschlafen hat,
nur über Kopfweh. Puls 64. Eisblase. Calomel und Jalappe aa 5 Gran.
Erbrechen ist nicht wiedergekehrt. Abends Puls 72. Am 1. Juli ist Pat.
sehr schwer zu wecken; Puls 58. In der Hauttasche neben der Wunde
starke Schwellung. Eine Incision an der tiefsten Stelle hinter dem Ohre
entleert Eiter. Das Gefäss zum Uriniren hat B. selbst gefordert. Stuhl
ist trotz, wiederholter Dosis der Arznei nicht erfolgt; es wird eine dritte
gereicht. Abends 84 Pulse. Den 2 Juli ist das Sensorium freier bei
68 Pulsen. Pat. richtet sich beim Verbände selbst auf, antwortet richtig
und verlangt nach Milchsuppe. Am nächsten Tage zeigt er Theilnahme
für seine Umgebung, stellt Fragen über seinen Zustand und wünscht die
Kur eines Ausschlages, an welchem er leide (Pithyriasisflecke). Puls 64.
Noch wohler fühlt er sich am 4. Juli. Er hat gut geschlafen, das Essen
schmeckt, das Kopfweh ist verschwunden, Stuhl ist erfolgt. Puls 70. Die
Pupillen, obschon stets erweitert, reagiren normal. Folgenden Tages der-
selbe gute Zustand. Die Wunde eitert gut.
Am 6. Juli stellt sich von neuem Schmerz und Benommenheit des
Kopfes bei 96 Pulsen ein. Im Laufe des Tages schwillt unter steigender
Beschleunigung des Pulses die ganze rechte Seite des Kopfes stark an.
Die sehr weiten Pupillen verlieren ihre Reactionsfähigkeit. Unter schnellem
Collapsus Tod am 7. Juli Morgens.
Section: Die fehlende Hälfte des Projectiles findet sich zwischen
der inneren Schädelwandung und der Dura mater; letztere in grosser Aus-
dehnung zerrissen; der mittlere Lappen des rechten Grosshirnes bildet
einen mit Knochensplittern durchsetzten blutigen Brei. Im Felsentheile
des Schläfenbeines zwei parallele, senkrecht auf der Achse desselben
stehende Fissuren. Eine kleine Fissur auch am Zitzentheile. In den Ge-
hirnblutleitern keine Gerinnungen Das ganze Gehirn und seine Häute
stark injicirt.
Auch ia diesem Falle liegt ein Tangentialschuss vor. Oert-
lichkeit und Art der Schädel- und Hirn -Läsion wie bei Hanne-
mann, sogar beschränkter. Auch hier keine peripherische Lähmung.
Der Verlauf war bis zum 7. Tage auffallend günstig. Aber die
Reaction, welche sich zur selben Zeit, wie bei H. , wenn auch mit
rasch steigender Frequenz des Pulses statt der Verlangsamung
äusserte, führte schon nach 24 Stunden zum Tode, ehe Entzün-
dungsproducte gesetzt wurden. Denn ausser dem nekrotischen Zer-
falle des beschädigten Hirntheiles fand sich nur grosse Blutfülle des
ganzen Gehirnes und seiner Häute.
Bei Verletzungen dieser Art erfolgt, wenn sie nicht rasch tödten,
nothwendig das Absterben des zertrümmerten Hirntheiles in grösserer
oder geringerer Ausdehnung. Da nun brandige Gewebe nicht
resorbirt, sondern eliminirt werden, die Abstossung aber nur
durch gesteigerte Vegetationsthätigkeit der lebensfähig geblie-
69
benen Umgebung erfolgen kann, so trat in beiden Fällen um den
7. Tag die Reaction Behufs Bildung der Demarkationslinie ein.
Dieser Heilprocess, verbunden mit starkem Bluttrugor, kann beim
Gehirne sehr leicht und schnell in den Todesprocess umschlagen,
und so geschah es in unserm zweiten Falle. Der im ersten Falle
zu dieser Zeit gemachte Aderlass hat wol mitgewirkt, diese Reaction
auf einer das Leben nicht gefährdenden Stufe zu erhalten. Lücke
betont gerade die Grösse des Defectes als das Moment, welches
in diesem Falle vielleicht die Entwicklung der tödlichen Meningitis
verhütet habe. Auch ich glaube, dass dabei der intracranielle Druck,
welcher sich an jene reactive Schwellung des Gehirnes knüpft, ge-
ringer blieb. Hoffentlich wird aber Niemand auf den Gedanken
kommen, bei solchen Verletzungen mit kleinerem Defecte durch
künstliche Vergrösserung desselben die Förderung der Heilung zu
versuchen. Man darf eine Bedingung nicht vergessen, ohne deren
Erfüllung die Heilung doch nicht erfolgen kann. Stromeyer hat
auf dieselbe aufmerksam gemacht. Der Arachnoidealraum muss gegen
das Eindringen der Zerfallsproducte rings sich abschliessen durch
Verwachsung des Gehirnes mit der Dura mater. Auf diesen Pro-
cess vermag die Kunst direct nicht hinzuwirken. Dass er bei
Hannemann zu Stande kam, ist eben die seltene und glückliche
Ausnahme, welche uns bei dieser Verwundung interessirt. Bei Block
wäre es vielleicht nicht unmöglich gewesen, mittelst eines Ader-
lasses den Todesprocess zu verlangsamen. Aber in dem Verhalten
des Projectiles liegt bei diesem Falle allein schon das ausreichende
Hinderniss der Erfüllung der fraglichen Heilbedingung Das Ge-
schoss war nicht wie bei Hannemann ungetheilt ausserhalb des
Schädels weitergegangen, sondern durch den hinteren Rand der
Knochenwunde in zwei Stücke gespalten, wrelche — das eine aussen,
das andere innen an der Schädelwand — ihren Lauf noch eine
Strecke fortsetzten. Eine weitere Zerreissung der Dura mater war
die Folge. Mittelst der Trepanation hätte man vielleicht nicht bloss
den Defect grösser machen, sondern auch das in der Schädelhöhle
verbliebene Kugelstück entfernen können. Aber der sehr ähnliche
Fall, welchen Stromeyer (Maximen S. 326) aus dem Feldzuge
von 1850 erwähnt, und in welchem die Operation gemacht wurde,
ist nichts weniger als dazu ermuthigend.
Den Tangentialschüssen mit mehr oder weniger ausgedehnter
und tiefer peripherischer Zertrümmerung der Hirnsubstanz stehen
gegenüber die Schüsse mit mehr rechtwinkligem Aufschlag. Letztere
70
machen Schusskanäle, welche entweder ein grösseres oder klei-
neres Segment des Schädels resp. des Gehirns durchdringen oder
nur mehr oder weniger tief in die Hirnsubstanz eindringen, und
leUteren Falles rührt der Kanal bisweilen nur von eingetriebenen
Stücket) der Hirnschale her, während das Geschoss selbst in der
Schale stecken blieb oder wieder herausfiel.
Aus dieser Categorie enthalten die kriegschirurgischen Annalen
bis jetzt meines Wissens keinen unzweifelhaften Heilungsfall. Auch
der Feldzug von 1804 hat keinen geliefert, obwohl in mehreren das
Leiien die Verletzung ungewöhnlich lange überdauerte.
Das Eingehen auf die Casuistik würde dessenungeachtet wenig-
stens für Physiologie und Pathologie von Interesse sein, wenn neben
den Resultaten der klinischen Beobachtung genaue Sectionsprotocolle
„en. Trotz der Anforderungen des practischen Dienstes, welche
die Kräfte des feldärztlichen Personals zu Zeiten völlig absorbiren,
ist es nicht unmöglich, die Kriegsklinik auch in der Richtung mehr
auszubeuten. Aber es bedarf zu dem Behufe besonderer Disposi-
tionen Seitens der den Dienst leitenden Instanz, ähnlich denjenigen,
welche von einzelnen Lazareth -Dirigenten aus eigenem Antriebe
wirklich getroffen worden sind. Ich werde auf diesen Punkt später
zurückkommen.
Die folgenden Fälle führe ich nur an als Repräsentanten der
oben bezeichneten Verletzungsformen:
Fall 8. Langbleischuss quer durch den Kopf. Tod nach vier
Tagen. Dem dän. Soldaten Mette Christensen vom 2. Inf. -Reg. war
am 18. April eine Kugel quer durch beide Schläfengegeuden gegangen.
Beide Augäpfel prolabirt und geplatzt, die Augenlider durch ßlutextravasat
aufgetrieben. Bewusstlosi£ keit; Lähmungserscheinungen nicht zu consta-
tiren. Der Verw. macht viel automatische Bewegungen mit den Händen
nach dem Kopfe und reisst Eisblasen und Verband ab. Eingeflösste Flüssig-
keiten schluckt er. Am 1!'. April Zustand ähnlich. Pat. wirft sich unruhig
umher uud lallt zuweilen undeutliche Worte. Vom 20. April ab lag er
ruhig mit offenem Munde, hastig athmend. Puls fadenförmig. Aus der
Nase fliegst blutige Jauche. Dieser Zustand hielt an bis zum Tode am
22. kprü. Die Section konnte wegen Zeitmangels nicht gemacht werden.
(3. schw. F.-L. 3. A.-C. Sect. St.-A. Weise. Rinkenis.)
Fall4.». Schussfractur des Scheitelbeines. Tiefes Eindringen
eines Knochenstückes iu das Gehirn. Tod nach 7 Tagen. Fü-
silier Leppin vom 24. Reg. wurde am 18. April verwundet und in Rin-
kenis (Sect. Weise des 3. schw. F.-L. 3. A.-C.) aufgenommen. Das
linke Scheitelbein ist dicht neben der Pfeilnaht durchbohrt. Auf uud neben
d-r WuimI.- liegl Gehirnsubstanz, in derselben einige Knochensplitter,
welche entfernt werden Die Kugel ist nicht zu finden. Der Verw. kann
71
nur unverständlich lallen, aber das Bewusstsein ist nicht aufgehoben.
Er beantwortet Fragen durch Kopfnicken. Die Bewegungen der Glieder
sind frei.
L. hat noch eine Verletzung am rechten Unterarm. Alle Weichtheile
sind hier durch Granatsplitter dermaassen zerrissen, dass die Knochen bloss-
liegen. Die Qualen, welche diese Verletzung verursachte, wurden von dem
dirigir. St.-A. Weise am 19. April mittelst der Amputation im oberen
Drittheil des Unterarmes beseitigt.
Die Schädelwunde machte unter einfachem Verbände und Eisblase
keine Beschwerden. Am 20. April steigt jedoch die Pulsfrequenz Pat.
klagt über Kopfschmerz, wirft sich unruhig umher und lässt Stuhl und
Urin unter sich. Aber er versteht noch Fragen und beantwortet sie durch
Kopfnicken, verlangt und trinkt begierig Wasser, nimmt auch einige Löffel
Suppe. 20 Blutegel. Am 21. April mehr Ruhe. Lebhafte Gehirnpulsation.
Aus der Schädelwunde fliesst dünner Eiter mit Hirnsubstanz gemischt.
Am 23. April wird das Secret jauchig. Die Glieder scheinen theilweis ge-
lähmt. Am 24. April fadenförmiger Puls, Umherwerfen des Kopfes, tiefe
seufzende Athemzüge. Tod am 25. April. Die Amputationswunde, welche
theilweis p. pr. int. verklebte , verlief regelmässig bis zum Tage vor dem
Tode, wo auch sie zu jauchen anfing. Section: Im Scheitelbeine ein
rundes Loch viergroschenstückgross, von ihm ausgehend zwei feine Fissuren
nach dem Centrum des Knochens. Der Schusskanal geht in die Tiefe des
linken Grosshirnes nahe der Spaltwand bis zum Niveau des Corpus callo-
fium, gefüllt mit dünnem jauchigem Brei. Am Grunde desselben liegt ein
\ Zoll langes Knochenstück. Nur die unmittelbare Umgebung des Schuss-
kanales ist blutreich; sonst erscheint das Gehirn ziemlich blutleer. Von
der Kugel keine Spur.
Das Geschoss war also in diesem Falle entweder von selbst aus
der Schädelwunde herausgefallen oder auf dem Verbandplatze
extrahirt.
Die interessanteste der fraglichen Verwundungen war die fol-
gende :
Fall 10. Schus sfractur des Schläfenbeines. Kugel im Gehirn.
Tod nach 55 Tagen. Der dän. Soldat Petersen vom 5. Inf. -Reg., am
29. Juni auf Alsen verwundet, wurde im Lazareth zu Augustenburg zuerst
von dänischen Aerzten behandelt, am 12. Juli mit dem Lazarethe selbst
von preussischen (1. F. -L. 13. Div.) übernommen. Die Kugel war in die
linke Schläfe eingedrungen. Wochenlang fortgesetzte Behandlung mit Eis.
Die Wunde eiterte stark, aber P. erholte sich soweit, dass er ass und
trank, langsam umherging, zwar etwas stumpfsinnig erschien, aber über
nichts klagte und den Wunsch äusserte, entlassen zu werden. Am 22. August
trat plötzlich heftiger Kopfschmerz ein und schon am folgenden Tage der
Tod. Bei der Section fand sich das plattgeschlagene Geschoss auf dem
Gehirnzelte liegend. Ein Fistelgang führte von da durch das grosse Ge-
hirn nach der äusseren Wunde.
72
We^en mangelnder Aufzeichnungen vermag ich leider nicht, über
die Erscheinniigen im Leben und in der Leiche Näheres mitzutheilen.
Viel mehr practisches Interesse knüpft sich freilich an die
Schädelverletzungen, denen die offene und substanzielle Mitverwun-
dung des Gehirnes den Character fast absoluter Lethalität nicht
verleiht, während die vorhandene Knochenläsion und eine anders
geartete Betheiligung des Gehirnes ihnen doch den Stempel schwerer
Verwundungen aufdrückt. Aus unserer statistischen Tabelle gehört
dahin die Gruppe B. Dem 1 Heilungsfalle unter 34 der Gruppe A.
stehen hier unter 43 Fällen 33, also 76,7 pCt. , Heilungen gegen-
über _ oin ermuthigender Beweis der Wirksamkeit, auf welche die
Kunsthülfe hier zu rechnen hat.
Diese Verletzungen sind meistens das Product stumpfwinklig
treffender Projectile, deren Abspringen schon durch die Wölbung
der Schädelknochen begünstigt wird. Stirnbein und Scheitelbein sind
ziemlich gleich betheiligt (15 und 14 Fälle), das Schläfenbein mit 11,
das Hinterhauptsbein mit 3 Fällen.
Von den 10 Todesfällen der Gruppe B. kommen 9 auf die
Abtheilung Bc — die als solche constatirten Schussbrüche
beider Tafeln. Da dieselbe 18 Verwundungen umfasst, so stellt
si< h für sie eine Mortalität von 50 pCt. heraus.
Dieses Verhältniss sticht sehr ab gegen manche Zahlen aus
anderen Feldzügen. Ich wähle ein recht auffälliges Beispiel. Nach
Strom ey er endeten von den 41 „Schussfracturen des Schädels
mit Eindruck", über welche er aus den Feldzügen von 1849 und
1850 „Notizen besitzt", 7 tödtlich, also nur 17 pCt. (1. c. S. 399).
Nichts beweist schlagender, wie Recht Pirogoff hat, wenn er
der üblichen kriegschirurgischen Statistik so wenig Bedeutung ein-
räumt. Die Schädelverletzungen wurden 1864 ganz allgemein nach
den nämlichen Grundsätzen behandelt, bei welchen die Resultate
von 1849 und 1850 sich ergeben haben. Umstände, welche den
Erfolg verschlechtern können, wie Mangel an Vorsicht oder Conse-
Ijnen« in der (tibetischen oder therapeutischen Executive, zu früher
und zu weiter Transport, pyämische Infection etc., waren, wie aus
Stromeyer's Aeus^erungen an verschiedenen Stellen seines Capi-
tels über die Kopfschüsse hervorgeht, 1848 und 1850 mindestens
ebenso wirksam wie 1864. Ja die Pyämie, über deren verderblichen
Eintluss auf die Kopfverletztcn geklagt wird (1. c. S. 382 ff.), war
bei den 9 Todesfällen von 1864 höchstens 1 Mal im Spiele. Nach
dem. wai Stromeyer von den traurigen Erfahrungen, welche 1849
73
in Hadersleben gemacht wurden, sagt, wäre es auffallend, unter den
7 Todten nach Schussfractur von 1849 und 1850 nur '2 Opfer der
„Phlebitis encephalica" zu finden, wenn daraus nicht hervorginge,
dass ausser den 41 Schädelfracturen , über welche Stromeyer
„Notizen besitzt", in jenen Feldzügen noch andere vorkamen, über
welche keine Notizen vorliegen. Die Sippschaft der „blessures in-
determinees" (Chenu) war von jeher die schlimmste Klippe der
Feldzugs -Statistiken. Je grösser sie ist, desto weniger sind die
übrigen Zahlen zu maassgebenden Schlüssen brauchbar.
Ein weiteres Moment zur Erklärung des fraglichen Contrastes
ist die Ungleichartigkeit der in Vergleich kommenden Verletzungs-
formen trotz der gemeinschaftlichen Bezeichnung „Schussfracturen".
Stromeyer hat zwar ausdrücklich hinzugefügt „mit Eindruck".
Aber einen Eindruck zeigen auch viele Fälle, wo bloss Einbruch
der äusseren Tafel besteht oder wenigstens nur solcher sicher zu
constatiren ist. Ich habe schon früher bemerkt, dass meine Gruppe
Bc. nur constatirte Schussbrüche beider Tafeln enthält. Zweifel-
hafte Fälle sind zur Gruppe Bb. — „Einbrüche der äusseren
Tafel" — gezählt. Nun zeigt ein Blick auf unsere Tabelle, dass
diese Gruppe im Feldzuge von 1864 gar keinen Todesfall geliefert
hat, und dieser Umstand macht es wünschenswerth, dass auch künf-
tige Statistiken jene Sonderung vornehmen trotz der untergeordneten
Rolle, welche die anatomische Läsion der Hirnschale an und für
sich bei der Indicationsstellung des Therapeuten zu spielen hat.
Rechnet man die beiden Gruppen Bb. und Bc. zusammen, so
kommen auf 33 Schussfracturen des Schädels 9 Todesfälle, d. h.
nur k27 pCt. Die noch bleibende Differenz wird wol auf Rechnung
der Fälle zu setzen sein, über welche pro 1849 und 1850 keine
Notizen vorliegen.
Uebrigens bin ich keinesweges der Ansicht, dass das Heilungs-
verhältniss von 50 pCt. die äusserste Grenze der bei den Schuss-
brüchen des Schädels im engeren Sinne des Wortes erreichbaren
Erfolge der Kunsthülfe repräsentire.
Die folgenden Notizen über unsere 9 Todesfälle werten einiges
Licht auf die Momente, an denen die Kunsthülfe scheiterte.
Fall 11. 1) Splitterbruch des rechten Scheitelbeines mit Fissur
in beide Scheitelbeine. Hirnabscess. Tod. Der dän. Soldat An-
dreas Andersen vom 22. Inf.-Reg., 33 Jahr alt, erhielt am 18. April einen
Streifschuss (Mütze zeigt 2 Löcher), welcher das rechte Scheitelbein auf
seiner Höhe in der Ausdehnung von 1" Länge und |" Breite zerschmettert
74
hat. Während des Transportes nach Flensburg hat er viel gebro-
chen. Hier sab man in der Wunde deutlich die Hirnbewegung. Bewusst-
eein erhalten. Die Extremitäten linker Seits gelähmt und unempfindlich.
Puls 72. Das Erbrechen hat aufgehört. Eisblase; Inf. Sennae.
Bis zum 2G. April gutes Befinden, nur geringer Kopfschmerz; Ess-
lu.st, «gestörter Schlaf. Am Abend dieses Tages tritt heftiges Erbrechen
ein. Nachts Delirien. Am 27. April fühlt sich Pat. sehr leidend; starker
bohrender Kopfschmerz, Puls 64, Pupillen eng; Schwerbesinulichkeit. Ader-
lass von 8 Unzen, 6 Blutegel hinter jedes Ohr; Ungt. Tart.
stib. im Nacken; Eisblase; Calomel 2stündlich 1 Gran.
Trotz einiger Erleichterung gegen Abend Delirien die Nacht hindurch.
Am 26. April Puls 80; Pupillen erweitert und träge; die Lähmung der
Extremitäten besteht fort; auch an der linken Gesichtshälfte wird sie
merkbar. Abends 96 Pulse. Den 29. April fühlt sich Pat. wohler, nach-
dem er fast die ganze Nacht geschlafen hat. Er beantwortet alle Fragen
richtig. Lähmung der linken Gesichtshälfte ausgeprägt. Die Wunde eitert
stark. Gegen Abend verfällt er in Coma , welches mit geringen Unter-
brechungen andauernd unter steigender Pulsfrequenz und stertorösem
Athmen am 1. Mai mit dem Tode endet.
Section: Das Periost rings um den Knochendefect weit abgelöst;
von letzterem geht eine Fissur durch beide Scheitelbeine, links bis zur
Lambdanaht. Die harte Ilirnhaut blutreich. Links ein starkes Blutextra-
vasat. An der Wundstelle haben einige Splitter die Dura mater
und das Gehirn angespiesst. Dicht darunter findet sich ein
hühnereigrosser Abscess in der Hirnsubstanz. Letztere selbst auf
beiden Seiten ziemlich blutleer. Au der Basis Spuren eitriger Meningitis.
Nach Verlauf und Ausgang sehr ähnlich ist der folgende Fall:
Fall 12. 2) Splitterfractur des Stirnbeines. Hirnabscess. Tod.
Feldwebel Schmiedechen von der 12. Comp. 35. Füsil.-Reg., 30 Jahr
alt, wurde am 18. April — angeblich durch Granatsplitter — 2|" ober-
halb des linken Auges an der Stirn getroffen. Die fast thalergrosse drei-
lappige Wunde scheint nur bis auf das Periost zu dringen. Bei der An-
kunft im Lazareth zu Broacker bestanden noch Folgen der Commotion —
kleiner Puls von 108 Schlägen, auffallende Blässe. Am 20. April Eva-
cuation nach Flensburg. Hier wird am 21. April mittelst Erweite-
rung der Wunde durch Incision eine Fractur des Stirnbeines con-
statirt. Bei geringen Schmerzen und spärlicher Eiterung der WTunde klagt
Pat. nur über Schwindel. Puls 90. Stuhl geregelt. Eisblase, 20 Blut-
egel. Da am 22. April der Kopfschmerz stärker und der Puls sehr voll
ge#ordeu Ist*, Aderlass von 12. Unzen. Am 23.' April entwickelt sich
von d.-r Wunde ans nnter Steigerung des Fiebers und der Schmerzen Ery-
sipel, welches sich am 24. über das ganze Gesicht verbreitet. Erst mit
d.-r beginnenden Abschuppung tritt am 26. April einige Erleichterung ein.
Am 89 April Büter Pulsbeschleunigung plötzlich Delirien, welche andauern.
Stuhl und Urin gehen unbewusst ab. Tod am 1. Mai.
Section: Von der inneren Tafel ragen einzelne kleine
Splitter in die II i rn s u b stan z ; in dieser unfern der verletzten Stelle
75
ein taubeneigrosser Abscess. Umgebung serrös durchtränkt. Keine
Producte von Meningitis.
3) Siehe oben Fall 5.
Fall 13. 4) Schu ssfractu r des Scheitelbeines. Depression.
Theilweise Absprengung eines Stückchens der inneren Tafel.
Fissur in das Stirnbein. Gehirnabscess mit Eitererguss in
die Ventrikel. Tod. Sergeant C. Ritter von der 11. Comp 18 Inf -
Reg., wurde am 18. April verwundet. Nahe dem vorderen Rande des linken
Scheitelbeines eine thalergrosse lappige Wunde, in deren Tiefe der Knochen
fracturirt und theilweis deprimirt ist. Patient war zwar sofort niederge-
stürzt, hatte sich jedoch schnell erholt, so dass er gehen konnte und Alles
weiss, was um ihn vorging. In ßroacker (1 F. L. der Cav.-Div.) angelangt,
liegt er mit G8 Pulsen apathisch da. Die Sprache ist verlangsamt; mit-
unter fehlen ihm Worte in einem angefangenen Satze. Eisblase. In den
nächsten Tagen hebt sich der Puls bis zu 88. Die Apathie steigert sich.
Keine Klage. Am 22. April Gesichtsrose unter gesteigerter Pulsfrequenz-
Bewusstsein erheblich getrübt. Gehör und Sprache sehr erschwert. Ol.
Ricini beseitigt die Trägheit des Darmkanals. Am 24. April bei 104 Pulsen
grosse Unruhe und Delirien. Pat. verlässt das Bett, reisst sich vom Wärter
los, zerschlägt ein Fenster, lässt sich dann aber ins Bett zurückbringen.
Die Sprache ist dabei deutlicher geworden, jedoch die Stimme heiser. Am
26. April hat die Abschuppung der Gesichtshaut begonnen. Die Delirien
werden milder. Die Wunde eitert wenig Am 28. April ist das Gesicht
ganz abgeschwoUen; Puls 80; deutliches und ziemlich zusammenhängendes
Sprechen. In den beiden folgenden Tagen anhaltende Besserung.
Am 1. Mai klagt Pat. über vermehrte Kopfschmerzen, Wüstsein im
Kopfe. Puls 104, klein und abgespannt. Sprache sehr erschwert. Parese
der linken Gesichtshälfte. Die Spitze der Zunge nach links gerichtet Der
rechte Arm bewegungs- und empfindungslos. Aderlass, Eisumschläge,
Calomel 2 Gran 2 stündlich. Am 2. Mai ist auch das rechte Bein völlig
gelähmt. Puls 100. Pat. liegt mit eigentümlich cyanotischer Färbung des
Gesichtes ruhig und theilnahmlos da. Die Kopfwunde eitert mässig und
gut. Am 3. Mai Fluctuation etwa 2" nach vorn und unten von der Wunde.
Der Einschnitt entleert viel Eiter. Dieser Abscess communicirt nicht mit
der Schusswunde. Am 5. Mai scheint R. bei voller Besinnung zu sein.
Die Sprache ist iudess ganz aufgehoben, und unter steigender Cyanose er-
folgt gegen Mittag der Tod.
Section: Das deprimirte Knochenstück von der Grösse eines Vier-
groschenstückes ist vorn nicht ganz abgelöst. Von hier geht eine Fissur
senkrecht durch das Stirnbein bis an den Arcus supraorbitalis. Von der
inneren Tafel des Bruchstückes ist ein sechsergrosses Stück theilweis ab-
gesprengt, so dass es mit scharfer Kante gegen die Dura mater drückt.
Diese, übrigens stark hyperämisch, erscheint hier in einiger Ausdehnung
schmutzig grün. Aus einer kleinen Oeffnung inmitten der verfärbten Stelle
fliesst eine Menge dünnen chokoladenfarbigen Eiters. Die Oeffnung communi-
cirt mit einer gänseeigrossen Höhle in der linken Hemisphäre des Gehirns,
welche mit gleichem Eiter gefüllt und von anämischen Wänden umgeben
ist. Anderer Seits communicirt dieser Abscess mit dem Seitenventrikel,
76
welcher gleichfalls voll Eiter ist, der auch in den 3. Ventrikel dringt.
Corpus striatum und Sehhügel zeigen an der Oberfläche eine etwa 2"'
dicke schmutzig grünliche Schicht, während ihre Substanz in der Tiefe von
filier feinen dichten Injection schimmert. Der stark geschwellte Plexus
choroideus ist von zähhaftendem Eiter umkleidet.
Fall 14. ö) Sch ussfractur des Schläfenbeines. Schussrinne
der äusseren, Splitterung der inneren Tafel. Encephalo-Me-
ningitis purulenta circumscripta Tod. Grenadier G. Raeschke
von der 7. Comp. 4. Garde-Reg. z. F., erhielt am 6. April bei Düppel einen
Schus- in die linke Schläfe. Die Kugel hat über dem Ohre einen hori-
zontalen 2" langen Schusskanal mit 2 Oeffnungen gemacht. Die Sonde
fühlt das Schläfenbein innerhalb des Kanales rauh. Bei der Ankunft in
Broacker ist R noch sehr benommen. Puls G4. Eisumschläge. Nach-
mittags wiederholt Erbrechen, wonach das Sensorium freier wird.
Am 7. April viel Schlaf; Puls 80. Auch am folgenden Tage schläft
Pat. viel und der Puls sinkt wieder auf 64 Am 9. April ist die Sprache
sehr [indeutlich, das Gesicht geröthet. Das Wundsecret ist etwas jauchig.
Am 10. geseilt sich zu der steigenden Unbesinnlichkeit grosse Unruhe.
Die Bewegungen sind bisweilen so stürmisch, dass zwei Wärter den Kranken
halten müssen. Zuckungen der linken Gesichtshälfte. Verlangsamter un-
regelmässiger Puls. Am Morgen des 11. April erfolgt nach eingetretener
Ruhe der Tod. Die weitere Therapie ausser den kalten Umschlägen und
dem einfachen Wnndverbande ist aus dem Journale nicht ersichtlich.
Section: Schussrinne, durch die äussere Tafel am Schuppentheile und
oberen Theile der Pars mastoidea verlaufend. Die Glastafel zeigt eine je-
doch weniger ausgedehnte Splitterung, von der zwei feine Risse über die
ganze Länge der Pars petrosa sich erstrecken. Zwischen der Schuppe des
Schläfenbeines und der Dura mater ein \" dickes Blutextravasat von 3 bis
4" Durchmesser. An der linken Hälfte des Grosshirnes eitrige Meningitis
mit wenig Product. Der Lage und der Ausdehnung des Extravasates ent-
sprechend ist die Hirnsubstanz bis zu 1" Tiefe eitrig erweicht.
Fall 15. (5) Splitterbruch des Stirnbeines. Trichterförmige
Depression der in neren Tafel. Eitrige Meningitis. Tod. Der
dän. Soldat Andreas Riebeshold wurde am 18. April an der linken Stirn
verwundet. Die Verletzung scheint Anfangs von keinen bedrohlichen
Symptomen begleitet gewesen zu sein. Als jedoch R. am 24. April aus
einem anderen Lazarethe in Flensburg anlangte, zeigte sich bereits eine
heftige Meningitis in der Entwiekelung begriffen, welcher er trotz energi-
BCoei Anriphlogose am 27. April erlag. Section: Das linke Stirnbein im
öwfange eines Tanbeneies zersplittert. Einzelne kleine Splitter zwischen
grösseren fest ein-ekeilt. Die innere Lamelle trichterförmig deprimirt mit
der Spitze nach innen. Von der Spitze des Kegels zieht sich bis zur Mitte
der linken Hemisphäre ein Extravasat streifenförmig in die Hirnsubstanz.
Die Meningen leider Hemisphären mit einem eitrigen grünlichen Exsudate
bedeckt. Die übrigen Organe gesund
Fall 16, 7) Splitterfraetu r des Stirnbeines Trichterförmige
Depression der inneren Tafel Ausgedehnte Meningitis puru-
lenta. Tod. Füsilier Dieckmann von der 8. Comp. 8 Leib-Gren.-Reg.
77
erhielt am 28. März vor Düppel einen Schuss ao die rechte Stirnseite.
Die unregelmässige Wunde der Weichtheile scheint von einem Granatsplitter
herzurühren. Im Lazarethe zu Broacker wird zwar ein „deutlicher Ein-
druck" des Knochens constatirt; da aber das Wohlbefinden gar nicht ge-
stört ist, so wird D. am 29. März nach Rinkenis und von da am 31. März
nach Flensburg verlegt. Hier konnte nicht constatirt werden, ob der
Knochen verletzt sei, weil die entzündete Wunde gegen Berührung sehr
schmerzhaft war. Gehirnerscheinungen fehlten. Pat. klagte über dumpfen
Kopfschmerz. Puls normal. Eisumschläge, Klystier. Am 2. April klagt
D. bei einem Pulse von nur 60 Schlägen plötzlich über heftige Kopfschmer-
zen und reisst sich in grosser Unruhe die Umschläge vom Kopfe. Besin-
nung kaum gestört. Trotz Aderlass, Blutegel und Calomel steigern sich
die Erscheinungen rapide. Namentlich beim Ansetzen der Blutegel geber-
det sich der Kr. wie ein Rasender. Die Wunde erscheint trocken. Mor-
phium bewirkt Ruhe. Am 3. April ist das Bewusstsein noch mehr getrübt.
Urin und Stuhl lässt Pat. unter sich. Am 4. April ein heftiger Krampf-
anfall von viertelstündiger Dauer, nach Inhalation von Chloroform sich
mindernd. Vom 5. bis 8. April, an welchem Tage der Tod erfolgte, Som-
nolenz unter steigender Frequenz des kleiner werdenden Pulses. Section:
Beide Kaochentafeln durchbohrt. Die innere ist in 6 grössere drei-
eckige Splitter gespalten, welche aneinander gelagert einen
Kegel bilden, dessen Spitze dem Gehirne zugekehrt ist. Von
der Kegelspitze nach abwärts bis zur Mitte der rechten Gehirnhälfte ein
\\" langer und 1" breiter Kanal, welcher mit Blutgerinseln und Jauche
erfüllt ist. Uebrigens die Producte ausgedehnter Meningitis purulenta, selbst
am kleinen Gehirn und an der Varolsbrücke. Beide Hemisphären sehr
blutreich. Die übrigen Organe normal.
Fall 17. 8) Schussf ractur des Hinterhauptsbeins mit mässiger
Depression. Eitrige Meningitis. Tod. Der dän. Soldat Sören
Hansen vom 9. Inf. -Reg wurde den 18. April in der Gegend der Protu-
berantia occipitalis durch ein preuss. Langblei verwundet. Eine schwache
Knochendepression wurde in Flensburg constatirt. Trotz der geringen
Klagen des Pat. kam wegen des vollen und beschleunigten Pulses strenge
Antiphlogose zur Anwendung. Bis zum 25. April blieb die Intelligenz un-
gestört. Pat. vermochte ohne Unterstützung zu gehen. Vom 27. April ab
entwickelten sich die Erscheinungen der Hirnhautentzündung so rapid, dass
schon am 28. April der Tod erfolgte.
Section: Das Hinterhauptsbein unterhalb der Protuberanz \ " und
\" breit eingebrochen mit mässiger Depression. Zwischen Craniuni und
Dura mater ein kleiner mit blutigem Eiter erfüllter Abscess. Meningen un-
verletzt, aber an der entsprechenden Stelle missfarbig, stark injicirt und
mit einander verklebt. Das Gehirn hyperämisch.
Während von den 7 ersten Fällen das Sectionsresultat in den
betreffenden Journalen enthalten ist, habe ich im 8., weil das Sec-
tionsprotokoll mir nicht vorliegt, die bezüglichen Data dem Berichte
des Hrn. O.-St.-A. Ochwadt (1. c. S. 322) entnommen. Ueber
78
den 9. Fall hat Hr. St.-A. Weise nach seinen privaten Auf-
zeichnungen Folgendes berichtet:
Fall 18. 9) Schussbruch des Schläfenbeins. Meningitis purulenta.
Tod. Severin Kruse, Geraeiner des dän. 22. Inf.-Reg., wurde am 18. April
verwundet und ira Lazarethe zu Rinkenis aufgenommen. Eine Schussöff-
nung dicht vor dem rechten Ohre, durch welche der Proc. mastoideus frac-
turirt zu fühlen, die Kugel aber nicht zu entdecken ist. Gesichtsnerv ge-
lähmt. Pat. klagt über Kopfschmerz, ist sonst indolent und spricht langsam
und undeutlich. Wiederholtes Erbrechen. Eisblase. Auch am 19. April
wird das Projectil trotz Erweiterung der Schussöffnung nicht gefunden.
Wegen vermehrten Kopfschmerzes und steigender Pulsfrequenz Aderlass und
15 Blutegel. Am 20. April weniger Kopfschmerz und Fieber. Senna-Auf-
guss. Am 22. April neue Steigerung. Taubheit des rechten Ohres. Ge-
ringe Eiterung aus der Wunde und dem Ohre. Aderlass. Am 28. April
ein heftiger Schüttelfrost, welchem Delirien und halber Sopor folgen. Der
Schüttelfrost wiederholt sich am 30. April. Von da ab völliger Sopor bis
zum Tode am 3. Mai.
Section: Die ganze Schläfengegend und die seitliche Halsgegend
längs der grossen Gefässe eitrig infiltrirt. Die Kugel findet sich tief ein-
gekeilt zwischen Kiefer und Zitzenfortsatz. Letzterer und der Proc. sty-
loideus zertrümmert. Fissur im Felsenbein. Auf der rechten Hemisphäre
des Gehirns liegt eine Eiterschicht; die Gehirnsubstanz selbst linientief
eitrig infiltrirt.
Die Schüttelfröste und die eitrige Infiltration der Schläfen- und
II nirgend erinnern im letzten Falle an Pyämie; es bleibt fraglich,
ob anderweitige Spuren derselben in der Leiche fehlten oder bloss
nicht gesucht wurden.
In den übrigen 8 Fällen liegt kein Anlass vor, an Pyämie zu
denken. Krankheitssymptome wie Leichenbefund erscheinen als der
einfache Ausdruck der pathologischen Processe, welche bei den
Schußßfracturen dos Schädels an und für sich das Leben bedrohen
und für das Handeln des Arztes bestimmender sind, als die Knochen-
Utoion selbst. Diese Vorgänge knüpfen sich an die Läsion, welche
bei Verletzung beider Knochentafeln die harte Hirnhaut und das
Gehirn stets trilVt, wenn auch Art und Grad derselben ebenso
schwer bemessbar während des Lebens, wie verschieden sind.
Fall 8 repräsentirt den eitrigen Zerfall eines begrenzten
Blutextravasates zwischen dem Knochen und der an der
Fracturstelle von ihm abgelösten Dura mater. Dergleichen
Ablösungen und Blutextravasate sind gewiss nichts weniger als
selten. Aber der eitrige Zerfall der letzteren kommt so uncompli-
cirt nicht oft zu Gesicht, wenn man nicht trepanirt. Der Kunst-
hülfe gelingt es meistens, statt des eitrigen Zerfalles die Resorption
79
einzuleiten. Warum es in diesem Falle nicht gelungen ist, lässt
sich aus den spärlichen Notizen, welche darüber vorliegen, nicht
ersehen. An einer „strengen" Antiphlogose hat es nicht gefehlt;
aber über den Zeitpunkt ist nichts notirt.
Nur die p rophylac tische Kur hat bei diesen Verletzungen
Aussicht auf befriedigende Erfolge. Leider stösst dieselbe gerade
im Felde auf Schwierigkeiten, deren Ueberwindung nicht immer
möglich ist und namentlich sehr oft gar nicht in der Hand des in
einem Feldlazarethe ordinirenden Arztes liegt. Ihr erstes Requisit
ist das aufmerksamste Ueberwachen der die Vorgänge
im Innern des Schädels andeutenden Erscheinungen
während der ersten acht Tage nach der Verwundung.
Es ist unvereinbar mit dem Transportiren der Verletzten
von Lazareth zu Lazareth. Schon der erste Transport vom
Schlachtfelde ins Lazareth kann dem Verlaufe dieser Verletzungen
eine deletäre nicht wieder auszugleichende Richtung geben, wenn er
weit oder seiner Art nach insultirend ist. Aber dieser Transport
ist unvermeidlich, und selbst die bestens organisirte Leitung des
Sanitätsdienstes auf dem Schlachtfelde kann nur die möglichste Be-
schränkung seiner üblen Folgen sich zum Ziele setzen.
Noch viel bedenklicher aber ist das Transportiren der Schädel-
verletzten von Lazareth zu Lazareth während der ersten 7 Tage
nach der Verletzung. Dabei kann es, wie Fall 6 zeigt, vorkommen,
dass ein Verwundeter, welcher in anscheinend ganz gefahrlosem Zu-
stande abgeschickt wird, im anderen Lazarethe mit dem Todespro-
cesse eintrifft. Man braucht dabei gar nicht einmal an schlechte
Fahrzeuge auf schlechten Wegen und an Stösse, welche der Trans-
portirte zu erdulden hat, zu denken. Wesentlich ist vielmehr, dass
die Einleitung der Todesprocesse, um welche es sich handelt, in
jene Zeit fällt.
Im Falle 7 bestand die nämliche sehr ausgesprochene Form
von Glastafel - Depression (Splitter- Konus) , welche im Falle 6 die
mechanische Insultation der Dura mater unterhielt und die nämliche
Art des Todesprocesses — Entzündung der Dura mater und
eitriger Zerfall ihrer Producte — verursachte. Im Falle 6
traf Transport und Offenbarung der Meningitis an demselben
Tage — dem sechsten nach der Verletzung — zusammen. Im
Falle 7 geschah ein Transport am 2., ein neuer am 4. Tage; der
sechste Tag brachte auch hier die Offenbarung der Meningitis —
d. h. stärkeres Exsudat resp. Beginn seines eitrigen Zerfalles. Denn
80
Niemand wird wol glauben, dass sich die Dura mater gegen die
Stachelang durch den Splitterkegel bis dahin ganz indolent ver-
halten habe.
AVenn Verletzte der Art sich auf der Wanderung befinden, hat
die Kunsthülfe keine Aussicht, ihre Aufgabe zu lösen. Dieselbe
besteht in vorbauender Beschränkung der entzündlichen Reaction
und Sorge für Resorption ihrer Producte, um deren eitrigen Zerfall
zu verhüten.
In den übrigen Fällen finden wir eine dritte Art des Todes-
processes vertreten — den eitrigen Zerfall der contundirten
II i rnsubstanz selbst — theils in der mehr oberflächlichen und dif-
fusen Form, theils in der Form des umschriebenen, mehr oder
weniger grossen und tiefen Hirnabscesses, der entweder noch ge-
schlossen ist oder seinen Inhalt bereits in die Gehirnventrikel er-
goss. Wir finden diesen Process hier ziemlich rein, dort complicirt
mit dem einen oder dem anderen vorerwähnten Processe, ja sogar
mit beiden.
Die referirten Notizen zeigen, dass auch in einigen von diesen
Fällen ein frühzeitiger Transport von Lazareth zu Lazareth stattge-
habt hat. Bei der Art der Verletzung ist der tödtliche Ausgang
derselben an und für sich gewiss nichts weniger als überraschend.
Wir werden indess später sehen, dass Verwundungen ähnlicher Art
und ähnlicher Schwöre im Feldzuge von 1864 geheilt wrorden sind
— (1. h.. dass, anstatt eitrig zu zerfallen, die contundirten Hirn-
theile wieder functionsfähig oder atrophisch geworden sind. Sollte
es nicht mehr als blosser Zufall sein, dass von diesen
Geheilten keiner vor dem sechsten und nur einer vor
den achten Tage den Transport von Lazareth zu Laza-
reth zu überstehen hatte?
Wer die Wichtigkeit der Regel, dass auch die frischen Kopf-
wunden - von den bereits entzündeten versteht es sich heutigen
Tages von selbst — sogar auf Kosten der Exactheit der ersten
Diagnose mit ganz besonderer Schonung zu untersuchen seien, an-
erkennt, wird es nicht auffallend finden, dass in einigen der er-
wähnten Todesfälle die SchädeDäsionen bei der Section anders als
wähivnil dos Löbens sich darstellten. Aber wer im Interesse seiner
Kranken nach dieser Regel handelt, sollte auch stets der Möglich-
keit, eine nicht exacte Diagnose gestellt zu haben und somit des
zu erwartenden Verlaufes nicht sicher zu sein, eingedenk bleiben.
Mit einem Worte — Schädel verletzte, bei denen eine
81
Knochenläsion eonstatirt oder wahrscheinlich ist, soll-
ten während der ersten acht Tage nach der Verletzung
nur ausnahmsweis unter besonders dringenden Umstän-
den auf die E v acua tionsliste n gesetzt werden, wenn
auch die Knochenläsion den Eindruck einer nur ober-
flächlichen macht und bedeutendere Gehirnsymptome
augenblicklich nicht vorhanden sind.
Niemand kann mehr als ich von der Bedeutung des Grund-
satzes der Krankenzerstreuung für die Kriegspraxis durch-
drungen sein. Es giebt aber glücklicher Weise verschiedene Wege,
denselben zu verwirklichen. Das Evacuiren der Kranken und Ver-
wundeten nach anderen mehr oder weniger entfernten Hülfsstationen
ist nur einer derselben, und gerade der passt so wenig zu den Be-
dingungen, von welchen die Heilung gewisser Arten schwerer Ver-
wundung wesentlich abhängt. Zu letzteren gehören in erster Linie
die Schussverletzungen der Schädelknochen.
Die Trepanation hat, wie sich aus der Casuistik ergiebt, au
unseren Todesfällen nach Schussbruch des Schädels keinen Antheil.
Vielleicht wird sogar die Frage gestellt, ob es nicht möglich ge-
wesen wäre, in einem oder dem anderen Falle mittelst dieser Ope-
ration das Leben zu retten.
Die „Maximen", welche Stromeyer für die Behandlung der
Schädelschüsse auf Grund der im ersten Schleswig - holsteinischen
Kriege gemachten Erfahrungen so klar und überzeugend präcisirt
hat, sind heutigen Tages, ich möchte sagen, von internationaler
Geltung. Auch die Feldärzte von 1864 haben sie zur Richtschnur
genommen. Nur ein Punkt hat nach wie vor in der Literatur wie
am Wundlager und am Sectionstische Zweifel und Bedenken erregt
— die principielle Ausschliessung der Trepanation. Sie
hat weder an Legouest noch an Piro go ff, den Verfassern der
neuesten Kriegschirurgien, Vertreter gefunden. Pirogoff scheint
zwar, wenn ich ihn recht verstanden habe, persönlich ziemlich ent-
schlossen, sich mit dieser Operation in praxi nicht mehr zu be-
fassen; aber er hat es nicht gewagt, dem Anfänger bündigen Rath
in diesem Sinne zu geben.
Im Feldzuge von 1864 haben sich die Bedenken gegen jene
Ausschliessung nur einmal zur That gesteigert. Aber aus münd-
lichen Aeusserungen wie aus Andeutungen in den Krankenjournalen
und Feldzugs-Specialberichten muss ich schliessen, dass der einzigen
Trepanation von 1864, zumal sie glücklich ablief, in hinein neuen
Loeffler, Generalbericbt. 0
82
Kriege weitere folgen dürften, wenn die nämlichen Aerzte betheiligt
waren. Die Trepanationsfrage erhält sich somit auf der Tagesord-
nung. Ich werde auf dieselbe nur eingehen, soweit die Beobach-
tungen aus unserem Feldzuge es erheischen.
Unter den oben bezeichneten Todesfällen finde ich nur einen,
bei welchem die secundäre Trepanation, d h. die zur Entfernung
pathologischer Producte bestimmte. Aussicht gehabt haben würde,
wenigstens diesen Zweck sicher zu erreichen, was natürlich noch
nicht identisch ist mit Lebensrettung. Ich meine Fall 8, wo die
Section ein auf die Bruchstelle beschränktes, unmittelbar unter dem
Knochen zwischen ihm und der abgelösten aber selbst nicht ver-
letzten Dura mater liegendes und im eitrigen Zerfalle begriffenes Extra-
vasat nachgewiesen hat Wir besitzen kein ausgeführtes Bild dieses
Falles. Aber es ist hinreichend bekannt, wie wenig die Symptome
im Leben überhaupt ausreichen, jenes durch die Section aufgedeckte
pathologisch - anatomische Verhältniss mit der Sicherheit zu erkennen,
welche den fraglichen operativen Eingriff rechtfertigen kann. Man
darf wol annehmen, dass heute Niemand mehr dreist genug ist, auf
Grund einer hypothetischen Diagnose den Schädel anzubohren.
Weniger entschieden liegt — wenigstens theoretisch — die
Frage der primären Trepanation. Diese ist bestimmt, durch die
Verwundung selbst gesetzte mechanische Ursachen von Insultation
und Heizung des Gehirnes und seiner Häute zu entfernen, also eine
indicatio causalis zu erfüllen, deren Berechtigung zu bestreiten am
wenigsten ein Chirurg geneigt sein wird. Diese Operation gehört
also recht eigentlich der oben gerühmten vorbauenden Kur an. Es
fragt sich nur, ob sie vom practischen Standpunkte ihre Stellung
darin behaupten kann. Ich referire zunächst nur den einzigen Fall,
in welchem sie 1864 ausgeführt wurde.
Fall l'J. Schussfractur des linkeu Scheitelbeins mitDepression.
Trepanation. Fieberanfälle. Gesichtsrose. Pleuritis. Ver-
eiterung des linken Schultergelenkes. Exarticulation. Hei-
lung. Der üntercorporal Jens Gregersen vom 20. dän. Inf.-Reg., 26 J.
alt, wurde am 18. April verwundet und vom 1. F. - L. der 5. Division in
Ulan- aufgenommen. Im Momente der Verletzung war er zusammenge-
brochen und nicht mehr von der Stelle gegangen, weil das rechte Bein
vollkommen bewegungs- und gefühllos geworden. Am vorderen
oberen Winkel des linken Scheitelbeines uahe der Pfeilnaht
» ine etwa 2" lange, %u breite und 4 Linien tiefe Depression.
kh ei sich erholt hatte, erschien das Sensorium nicht ungetrübt, der Kopf
aber frei von Schmerz. Am anderen Tage stellte sich Schmerz, besonders
m der verletzten Stelle ein, und die Benommenheit des Kopfes steigerte
83
sich. Uebligkeit und Erbrechen fanden nicht Statt, auch zeigte der Puls
keine auffallende Abnormität. Versuche, das deprimirte Knochenstück zu
heben, misslangen.
Am 21. April trepanirte der Chefarzt Abel mittelst einer kleinen
Krone dicht am äusseren vorderen Winkel des Knochenbruches. Die Ent-
fernung des ausgesägten Knochenstückes gelang nicht mit einem Male, viel-
mehr blieb der vierte Theil der Diploe mit der Lamina interna zurück und
zwar als einem abgesprengten Knochenstücke angehörig, welches 12"' lang,
5"' breit und bis dick war, die Dura mater durchbohrt und den
Sinus longitudinalis verletzt hatte. Bei der Extraction desselben entstand
eine ziemlich starke venöse Blutung aus dem Sinus, welche durch Kälte
gestillt wurde. Die Elevation des deprimirten Knochenstückes machte nun
keine Schwierigkeit. Gleich nach der Operation war der Kopf vollständig
frei, was der Kranke wiederholt dankbar anerkannte. Aber die Lähmuug
des rechten Beines bestand fort und dehnte sich am 24. April bei mässiger
Pulsbeschleunigung (76—84) sogar über den rechten Arm aus. Am 26. April
jedoch war unter Anwendung von fünfgränigen Calomelgaben und Kälte
der Arm wieder frei, und vom 2. Mai an nahm auch die Beinlähmung mehr
und mehr ab.
Inzwischen batte sich am 23. April ein Frostanfall eingestellt und am
25. trotz einiger grossen Gaben von Chinin wiederholt. Weitere Anfälle
blieben nun aus. Dagegen entwickelte sich am 1. Mai ein Ery sipelas bullosum
der linken Gesichtshälfte nebst Diarrhö. Dasselbe machte am 6. Mai einer
schmerzhaften Schwellung des linken Schultergelenkes Platz, was indess,
wie die früheren Fieberanfälle weniger auffallend erschien, weil Pat. schon
vor der Verwundung wie an Wechselfieber so an Gelenkrheuma gelitten habeu
wollte. Am 10. Mai gesellte sich unter Steigerung der bis dahin mässigen
Fieberung rechtsseitige Pleuritis hinzu. Fieber und Durchfall Hessen unter
sauren Schweissen in den nächsten Tagen nach, und bei der Anwendung
grosser Blasenpflaster überstieg das Exsudat im Brustfellsacke nicht das
Niveau des unteren Schulterblattwinkels. Die Resorption erfolgte dann
langsam unter Bepinselungen von Jodtinctur.
Um die Trepanationsöffnung wie an dem deprimirten Knochenstücke
löste sich inzwischen die äussere Tafel ab, durch schöne Granulationen er-
setzt, welche im Vereine mit den von der Dura mater her sich entwickeln-
den den Abschluss der Schädelwunde einleiteten.
Anfangs Juni aber entstand noch einmal Gesichtsrose, jedoch auf Stirn
und Nase beschränkt, und in der zweiten Hälfte des Monates kam es von
Neuem zur Gelenkaffection an beiden Armen, besonders aber
im linken Schulte rgelenk. Während unter dem Gebrauche von Col-
chicum die übrigen Gelenke bald freier wurden, erfolgte trotz antiphlogi-
stischer Einreibungen und Blasenpflaster im linken Schultergelenke der
Ausgang in Eiterung und cariöse Zerstörung. Die Gelenkkapsel wurde an
mehreren Stellen durchbrochen, Senkungsabscesse entstanden und erfor-
derten Incisionen, Diarrhö und hectisches Fieber stellten sich ein, und der
Kranke war bis zum Aeussersten erschöpft.
Unter diesen Umtänden versuchte O.-St.-A. Abel am 19. Juli zu-
nächst die Resection des Oberarmkopfes. Nach dem Durchsägen des Hu-
G*
84
merus stellte sich indess die Anwesenheit purulenter Osteomyelitis heraus,
womit auch die Schmerzhaftigkeit des nicht geschwollenen linken Ellen-
bogengelenkes in Beziehung zu stehen schien Da hierbei von der Resec-
tion des Gelenkes Erfolg nicht zu erwarten war, so wurde sofort zur E x-
articulatiou des Armes übergegangen und demnächst der cariöse
Gelenkfortsati der Scapula abgetragen. (Bei der späteren Aufsagung des
Oberarmknochens seiner Länge nach zeigte sich oberhalb der Condylen
das Knochenmark 2" weit hochroth, während es übrigens in eine schmutzig-
gelbe schmierige Masse verwandelt war). Die Wunde wurde durch Knopf-
nähte zum Theil vereinigt. Die Prima intentio gelang, soweit sie ange-
strebt war. Die Eiterung wurde geringer, und der Kranke erholte sich von
Tag zu Tag. Die Ausheilung der Kopfwunde verlief ungestört. Im August
stiesseD sich von der Scapula einzelne Knochensplitter ab. Bei der Auf-
lösung des Lazarethes am 2. September wurde Pat. nach Apenrade
evacuirt.
Hier fand man bei der Uebernahme desselben die Schädelwunde fast
vernarbt; an der Stelle des etwa groschengrossen Knochendefectes sieht
man die Hautdecke durch die Pulsationen des Gehirns sich heben. Die
Exartioulationswunde ist in bester Heilung begriffen; einige Fistelgänge
liefern noch eine massige Menge guten Eiters. Das Allgemeinbefinden gut.
Während die Schädelwunde bis Ende September vollständig vernarbt,
zieht sich die Eiterung an der Exarticulationsstelle wechselnden Grades
bis Anfang November hin, weil noch einzelne Sequester von der Scapula
sich abstossen.
Am 12. November klagt Pat. über grosse Schmerzen in der Gegend
des oberen Darmbeinstachels Die Weichtheile sind hier weder geröthet
noch geschwollen. Druck auf den Knochen steigert den Schmerz. Jod-
bepinselung. Ohne Störung des Allgemeinbefindens gesellt sich in den
nächsten Tagen zu dem fortdauernden Schmerze am Darmbeinkamme
Schmerzhaftigkeit des linken Kicfergelenkes, welche durch Druck sich stei-
gert und weiteres Oeffnen des Mundes behindert. Pat. giebt an, früher an
Lues secundaria gelitten zu haben. Jodkalium innerlich.
Als G. am 25. November nach Friedericia, seinem Ileimathsorte, ent-
lassen wurde, waren diese Beschwerden völlig beseitigt. Der Abschluss
der Trepanationsstelle war bereits ziemlich fest, so dass das den Hirnbe-
wegungen entsprechende lieben und Senken schon längst nicht mehr be-
merkt wurde. Mit der zunehmenden allgemeinen Kräftigung waren auch
die Spuren von Lähmung des rechten Beines ganz geschwunden. Kopf-
beschwerdeu irgend einer Art sind uicht zurückgeblieben.
Allen Aerzton, welche mit diesem Verwundeten in Berührung
kamen, wird die Resignation, mit welcher er litt, und seine Dank-
barkeit für die in den Lazarethen des Feindes ihm gewordene
Pflege und Sorgfalt in Erinnerung sein. Sein Sensorium ist nach
der Trepanation auttallend schnell völlig frei geworden. Anfangs
Mai, also nur einige Tage nach derselben, hatte er mich bei einem
Besuche des Lazarethes zu Blans nur einmal gesehen, und doch er-
85
kannte er mich im September bei einer Inspection der Lazarethe zu
Apenrade sofort wieder.
Auch abgesehen von der Trepanation ist dieser Fall von In-
teresse, wenn man annimmt, dass jene Reihe wechselnder Erschei-
nungen in seinem Verlaufe — die Fieberanfälle, die Gesichtsrose,
die Brustfellentzündung, die wiederholten Gelenkaffectionen und die
schliessliche Vereiterung des linken Schultergelenkes nebst der
Osteomyelitis humeri — nur verschiedene Glieder eines und dessel-
ben Processes gewesen seien, nämlich des pyämischen res embo-
lischen, welcher seinen Ausgangspunkt vielleicht in dem durch
den Knochensplitter angebohrten sinus der dura gehabt hat. Mein
Freund Abel ist dieser Ansicht, und ich theile sie, obgleich einige
andere, in der Krankengeschichte schon angedeutete Momente nicht
einflusslos gewesen sein dürften. Das gewöhnliche Bild der
Pyämie sucht man freilich vergebens. Aber dieses ist bei den Kopf-
verletzten überhaupt nicht häufig und verwischt sich namentlich bei
so chronischem Verlaufe. Der Arm wurde 3 Monate nach der Ver-
wundung exarticulirt. Ich werde in dem Capitel über „Pyämie"
darauf zurückkommen.
Was aber die Trepanation betrifft, so kann man zweifeln,
was grösser gewesen sei, das Glück des Verwundeten oder das
Glück des Operateurs. Ich kann es wenigstens nicht über mich
gewinnen, die Skepsis gegen diese Operation so weit zu treiben,
um sogar ex post in Abrede zu stellen, dass dieselbe zur Erhaltung
dieses Verwundeten beigetragen habe. Der die Dura mater an-
bohrende Splitter der inneren Tafel, welcher dabei entdeckt
und entfernt wurde, war doch gewiss ein recht erhebliches Causal-
moment für eine heftige und vielleicht tödtliche Meningitis. Diese
blieb aus, ohne dass Blutentziehungen in Anwendung kamen. Die
starke Blutung aus dem angestochenen sinus mag wol die künstliche
Blutentziehung unnöthig gemacht haben.
Andererseits finde ich nicht, dass die practische Seite der Tre-
panationsfrage durch diese glückliche Operation alterirt werde.
Diess dürfte einigermassen der Fall sein, wenn die Existenz
des Splitters vorher erkannt und dessen Entfernung
Zweck der Trepanation gewesen wäre. Der Splitter stände
dann in einer Linie mit der Degenspitze, welche selbst Dieffen-
bach noch als indicans der primären Trepanation passiren Hess.
Allein man wusste vom Splitter noch nichts, als man zur Operation
86
schritt Diese wurde unternommen, bloss um die Depression zu
heben.
Die Splitterung der Glastafel ist freilich eine sehr häufige
Complication der Schädelfractur mit Depression, und nicht selten
nimmt sie eine Form an, deren feindlicher Einfluss nicht zu unter-
Bchätzen ist. Den Beweis liefern von den oben mitgetheilten Todes-
fällen besonders Fall 6 und 7. Der Splitterkegel mit seiner gegen
die 'Iura mater gekehrten Spitze kann dort um so weniger als wir-
kungslos gelten, weil die Section nur die Producte der Meningitis
ergab. Die frühzeitige Beseitigung jenes Stachels durch die Trepa-
nation hätte vielleicht dem Todesprocesse vorbeugen können.
Aber wo sind die Zeichen, ein solches Splitterverhältniss recht-
zeitig und sicher zu erkennen? Die Kopfsymptome liefern keinen
Balt, am wenigsten zur Zeit, wo die Operation noch helfen kann.
Die Percussion der Kopfknochen mit der Sonde soll sich
erst noch bewähren; im Feldzuge von 1864 hat sie keinen Triumph
gefeiert. Oder sollen wir etwa wegen der Möglichkeit einer solchen
Complication in allen Fällen von Depression sofort trepaniren? Es
scheint mir unbedenklich , der Trepanation als einem Mittel zur
Entfernung der die harte Hirnhaut insultirenden Splitter der Glas-
tafel theoretisch einen Platz in der Kur der Schädelschussbrüche
einzuräumen, wenn für die Praxis an der Bedingung der posi-
tiven Diagnose festgehalten wird.
Auch ohne eine solche sind wir zum Glücke nicht rathlos ge-
genüber der fraglichen Complication. Wir wissen, dass und wie
mittelst einer aufmerksamen und vorsichtigen, nicht operativen Be-
handlung die feindlichen Wirkungen jener Splitter niedergehalten und
sie selbst allmählig unschädlich werden können. Diess gilt sogar
von den Splitterkegeln, von denen die Rede war. Ich erinnere
an <lic namentlich von Demme und Pirogoff erwähnten Fälle, in
denen solche Splitterkegel bei Sectionen gefunden wurden, nachdem
sie viele Jahre bestanden hatten, ohne die Functionen des Gehirns
nachhaltig zu stören. Unsere Todesfälle 6 und 7 können nicht als
Gegenbeweis dienen. Es blieb bei ihnen, wie erwähnt, wenigstens
eine der wesentlichsten Bedingungen, von denen der Erfolg der nicht
operativen vorbauenden Kur abhängt, unerfüllt — die stetige Ruhe
wahrend der ersten 7 Tage nach der Verletzung.
Ausser der nachhaltigen Insultation der harten Hirnhaut durch
Splitter der Glastafel kommen als Causalraomente des mehr oder
minder bedrohlichen Verlaufes der Schussbrüche am Schädel in Be-
87
tracht: Gehirnerschütterung, Blutextravasat intra cranium, lokale
Quetschung der Dura und des Gehirnes im Momente der Fractur
durch das nach innen weichende Knochenstück , endlich die nach-
haltige Raumbeschränkung der Schädelhöhle durch Letzteres.
Grad und Dauer der C o mm o tio n s- Erscheinungen entsprechen,
wie die Erfahrung von 1864 von neuem lehrt, bei den Schädel-
Schussbrüchen durchaus nicht dem Umfange und der Tiefe der ana-
tomischen Läsion. Ein Grund zur Trepanation ist in ihnen noch
nie gefunden — ausser bei falscher Diagnose. Für die nicht ope-
rative vorbauende Kur in den Lazarethen kommen weniger sie selbst,
als die ihnen folgenden Congestiverscheinungen in Betracht.
Blutextravasat und Contusion des Hirns und seiner Häute
variiren gar sehr nach Intensität und Tiefe, fehlen aber gewiss nie-
mals ganz bei der Fractur mit Depression. Die Kriegsklinik hat
schon vielfach gelehrt, und die Reihe der Heilungsfälle von 1864
lehrt es von neuem, dass es der primären Trepanation nicht bedarf,
um den von ihnen ausgehenden Todesprocessen vorzubeugen. Es
ist auch gar nicht abzusehen, wie diese Operation die Resorption
der Blutextravasate und die Reactivirung resp. Atrophirung des ge-
quetschten Hirntheiles fördern könnte, während es sehr begreiflich
ist, dass der freie Zutritt der Luft, wrelcher durch die Operation an-
gebahnt wird, begünstigen muss, was zu verhüten die wesentlichste
Aufgabe der vorbauenden Kunsthülfe bildet, nämlich den eiterigen
oder jauchigen Zerfall der contundirten Gewebe.
Endlich die nachhaltige Raumbeschränkung der Schädel-
höhle durch das deprimirte Knochenstück. Die Trepana-
tion ist ohne Zweifel ein ziemlich sicheres Mittel, die Beseitigung
derselben zu erzwingen, wo die Elevation anders nicht gelingen
will. Ein genügender Grund auf diesem forcirten Eleviren deprimirter
Schädelstücke zu bestehen, kann aber gewiss nur dann vorliegen,
wenn feststeht, dass jene Raumbeschränkung ein Causalmoment des
Todesprocesses von besonderer Bedeutung sei.
Früher wurde diess vorausgesetzt. Die Fähigkeit des Gehirnes,
sich dem verkleinerten Räume zu accommodiren, blieb unbeachtet
oder wurde unterschätzt. Gegenwärtig ist vom physiologischen Stand-
punkte der Modus der Selbsthülfe des Gehirns gegen jenes mecha-
nische Hinderniss ausreichend bekannt, und klinisch, besonders kriegs-
klinisch , ist vielfach erprobt, dass dieselbe namentlich gegen den
bei Depression durch Schussbruch gewöhnlichen Grad der Einen-
gung ausreicht, wenn nur die pathologische Erschwerung durch
88
den Blutandrang mittelst rechtzeitiger und den Verhältnissen des
Einzelfalles aufmerksam angepasster antiphlogistisch- derivatorischer
Behandlung ausgeglichen wird.
Bloss zur Beseitigung der Raumbeengung, welche ein depri-
mirtes Schädelstück unterhält, wenn man ihm nicht anders beikom-
men kann, die Trepanation als Regel proclamiren, hiesse somit,
der deutschen Kriegschirurgie einen Rückschritt zumuthen.
In unserm Trepanationsfalle war die Raumbeengung, welche
das 2" lange, V breite, und 4"/ tief deprimirte Scheitelbeinstück
unterhielt, ziemlich bedeutend. Aber es lässt sich nicht sagen, dass
sie die Grenzen überschritt, für welche die Erfahrung jene von ent-
sprechender Kunsthülfe unterstützte Selbsthülfe ausreichend gefun-
den hat.
Auch der Feldzug von 1864 hat eine' Reihe von Heilungsfallen
der Art ohne Trepanation aufzuweisen, und mehrere von ihnen ste-
hen, was den Grad der Einengung durch Depression betrifft, dem
Trepanationsfalle kaum nach. Ich lasse das vollständige Verzeich-
niss derselben folgen.
Fall 20. 1) Schussbruch des rechten Scheitelbeines. Depres-
sion. Lähmung des linken Beines. Heilung Jensen, dän. Sol-
dat vom 1*;. Inf.- Reg., wurde am 18. April durch einen Flintenschuss ver-
wundet. Am hintereu oberen Theile des rechten Scheitelbeines, nahe und
parallel der Pfeilnaht eine 3" lange, \" breite Wunde, in welcher der Kno-
chen etwa V" tief deprimirt gefunden wurde. Die versuchte prima intentio
durch Nähte misslang. Ausser den vorübergehenden Symptomen der Hirn-
ersehüttenmg bestanden keine anderen Folgen als Parese des linken
Beines. Das Allgemeinbefinden gut; im Pulse keine auffallenden Verän-
derungen. Vom 6. Tage wurde die Parese täglich geringer. Am 27. April
wurde J. nach Apenrade evaeuirt und von hier am 17. Juni ausgeliefert.
Dieser Verwundete ist gleichzeitig mit dem Trepanirten und
in dem nämlichen Feldlazarethe (1. F.-L. 5. Divis.) behandelt
worden.
Fall 21. 2) Schussbruch des Ii n ken Scheitelbeines. Splitterung
der la sseren, Depression der inneren Tafel. Ausgeprägtes
Bild de« EI irnd rocke b. Heilung. Füsilier Christoph Krüll vom 24.
Inf - Reg. . i hielt am 2. Februar vor Missunde einen Streifschuss am hinte-
rm oberen Theile des linken Scheitelbeines. Durch die unregelmässig ge-
rissene Hautwunde lies* sich die Depression des Knochenstückes nebst
8p)itterung seiner äusseren Tafel conetatiren. lieber den Verlauf in den
ersten Tagen fehlt das Journal. Am 7. Februar wurden bei der Ueber-
nahme des Verwundeten Seitens des 1. seh. F.-L. 3. A.-C. in Eckernförde
vorgefunden: tiefer Sopor, schnarchendes Athmen, erweiterte träge Pupil-
len, im willk jährlicher Abgang von Stuhl und Urin. Am 8. Februar traten
89
unter fortdauerndem Sopor drei epilepsieartige Krampfanfälle von je 10 Mi-
nuten Dauer ein. Sie kehrten später nicht wieder. Das in den nächsten
Tagen freier werdende Sensorium wurde vom 11 Februar ab unter der
Entwickelung einer Gesichtsrose mit Blasenbildung von neuem getrübt,
so dass erst nach Ablauf derselben am 18. Februar Fragen beantwortet
wurden, wenn auch noch unrichtig und ohne Zusammenhang Erst am 27.
. Februar sind die Hirnerscheinungen geschwunden. Puls normal. Die
Wunde eitert stark. Im Laufe des März werden wiederholt gelöste Kno-
chensplitter extrahirt Die Vernarbung ist Mitte April vollständig. Als K.
Mitte Juni als invalide entlassen wurde, klagte er noch über periodisches
Kopfweh und Schwindelgefühl.
Fall 22. 3) Schussbruch des linken Scheitelbeines. Starke De-
pression. Lähmung des rechten Armes und Beines. Heilung.
Musketier Anton Baschinsky von der 6. Comp. 18. luf.-Reg. erhielt am
28. März einen Schuss am vorderen unteren Theile des linken Scheitel-
beines. In der winkelig gerissenen Wunde ist der Knochen im Umfange
eines Zweigroschenstückes so deprirairt, dass man die Spitze des Zeige-
fingers hineinlegen kann. Grosse Benommenheit, mehrmaliges Erbrechen,
rechtsseitig Arm und Bein gelähmt. Nach mehrstündigem Aufenthalte im
Lazareth (Broacker 1. F.-L der Cav.-Div.) giebt er zu erkennen, dass er
die Fragen versteht; er ist jedoch nicht im Stande, artikulirt zu sprechen.
Bei Ruhe und einfacher antiphlogistischer Behandlung traten die Hirner-
scheinnngen langsam, aber stetig zurück. Er vermochte zuerst kurze und
leichte Worte auszusprechen. Da auch die Parese der Glieder sich gleich-
massig zurückbildete, so konnte er bereits am 6. April nach Flensburg
evacuirt werden. Im August erfolgte in Berlin seine Entlassung. Die ein-
gezogene, mit dem Knochen verwachsene und noch empfindliche Narbe ge-
stattete noch nicht das Tragen des Helmes.
Fall 23. 4) Schussbruch beider Scheitelbeine. Splitterung und
Depression beider Tafeln. Paraplegie. Heilung. Musketier Gustav
Blankenburg von der 5. Comp. 60. Inf. -Reg. wurde am 14. April auf der
Höhe des Scheitels dicht vor der kleinen Fontanelle getroffen. Im Grunde
der etwa achtgroschenstückgrossen Wunde ist ein über zolllanges, ca. \"
breites Knochenstück tief eingedrückt. Im Lazareth zu Stenderup (1. F -L.
6. Div.) wurden einige Knochensplitter entfernt. Die hierdurch blossge-
legte Dura mater erschien nach innen gedrückt, übrigens aber unverletzt.
Das Bewusstsein ist völlig aufgehoben. Nach einem Aderlass und Eisum-
schlägen wird B. so viel freier, dass er einige Fragen, wenn auch unver-
ständlich, beantwortet Ausser Blase und Mastdarm sind beide Beine ge-
lähmt. Sehr rasch stellt sich Decubitus am Kreuzbein ein, welcher den
Umfang einer Handfläche erreicht und bis auf das Periost dringt. Inzwi-
schen eitert die Wunde stark, aber gut. Einzelne Knochensplitter werden
abgelöst. Nach 8 Tagen ist das Sensorium je länger desto freier geworden.
Anfangs Mai zeigt sich einige Besserung der Lähmungserscheinungen.
Am 25. Mai gelingt es, ein abgelöstes, fast thalergrosses Knochenstück zu
extrahiren. Als B., am 2. Juni bereits nach Broacker evacuirt, am 8. Juni
in Glücksburg (3. schw. F.-L. 3. A.-C ) eintraf, war das Sensorium völlig
frei. Darm und Blase fungirten normal. Der kleinste Nadelstich erweckt
m
frfty- gebaserx «ad Kdnlew^es. IM t**4Mt*ki*m Mwfcri «mg
Fat zwar kM x-ö bebea: «ad «e 4w im Ke* flectirt. so kam» er sie in
der Hüfte weiter beugen, wobei }edoe* die AGducV/re« ein solches Geber
few>cnt erna&en daes sofort Kreuzung der Sehenkel erfolgt. Der Deku-
brfcus >st 4er Heil»«? aab« D tmiterform g el gezogene Kopfwunde ist
»rt seblafeü. leicht blutenden Granulationen gefüllt. I« Juni und Juh
stelle» sich periodisch ieohafte Kopfs^b»erze« ein. denen mit Eisbeuteln
und Tart. stib. begejpset wird. Wiederholt losen b>eh noch kle:ne Knochen-
splitter. D>e Utt mu ngbersebei aawgea «indem sieh hagwiai Im Äugt«
rattert tidb beim Gefcraacbe tob VoUbaaVra mit Kleie eriflaa'pre dee Hy-
perästnesic der Beine Mitte September wird B. nach Flensburg ewuirv
Hier verde« btf zum Sjflt Oelber warne Seebäder aagewaüdt Harfe einem
kurzen Aufenthalte im Lazarette za Spaadaa fyfaagftf B. Mitte November
,0 4a* GamiftoniaxaretJb zu Berlin Behufs des Getonwebe* des Indnetiaat
afeomes. D ie Besserung c>r Farebe machte dabei wenig Fort bebritte, hiebt
mehr Frfolg hatten Schwefelbäder und reizende Einretbaage« raJKÜedemtr
Art. Erst im April läset sieb wieder einiger Fort»ebritt eoaatatirem.
Am 10 April wird Fat. dem JuTalidenhaube überwiesen
Fali 24. 5; fccbusebrech des Stirnbein« mit Depression. Später
und Janedaaernder Stupor. Füsilier Clemens Hoppe vom 13. Inf.-
Reg erhielt vor Missunde einen Schubs durch den Heim links oben an der
rfe, Kr wurde bewusstlos nach Cosel and dann nach Eckernförde ge-
bracht Trotz der tiefen kraterform igen Knochenwunde sind, abgesehen
von etwas Kopfschmerz und Schwindel, am 7. Febraar Gehirnerscheinun-
gen niebt vorbanden. Am 9. Febraar steigert sieh der Kopfsehmerz anter
leichter Fieberung. Eis: Caiomel. Den 11. Februar Entfernung einiger
Joser Knochensplitter and eines Stüekes Helmleder. Ein dem Eingaage-
defecte ungefähr entsprechendes Knochenstuck sehliesst nach rechts und
hinten den schräg verlaufenden Scbusskanal ab. Derselbe ist Ende Februar
mit Granulationen gefüllt, ae'cne vom Gehirn her rhythmieeb bewegt werden.
Heben dumpfem Kopfschmerze guter Appetit; Puls klein, 7b. BlutegeL,
< i oroel, Eisblase. Die Benommenheit des Kopfes mindert sieb nicht.
Daaaf dem Zutritte heftigerer Kopfschrnerzen, wiederholten Erbrechens und
Fieberste;geroig entwickelt sich vorn .0. März ab Gesichtsrose, nach deren
Ablaufe am 10. Mär/, die Fjeberung vorüber und das Sensorium vollständig
frei ist. Bei anhaltender Besserung schreitet zugleich die Vernarbung der
Wund»- mit tiefer Einziehung vor. Vorn 20. März ab jedoch stellt sieb an-
dauernde ObeJkeit em. Der Puh verlangsamt sich alJrnählig auf 04 Schläge.
Fat macht den Eindruck grosser Ermüdung, antwortet zwar richtig, aber
br langsam, und verfällt bis Mitte April immer mehr in Stupor, wobei
flf Stuhl und rjfffl Batet sich lässt. Arn 12. April 5 epileptische Anfälle.
Inzwischen ist Jodtinktur äusscrlich in Anwendung gekommen. Vom 17.
April ab- wird efaj Besserung merkbar. Fat. antwortet auf Fragen wieder
ftachgernäfts, wenn MM h mit zitternder Zunge, fällt dann aber wieder in
Stupor zurück Abgänge noch immer unbewusst. Im Mai und Juni lang-
ten vors< breitende Besserung II. vermag wieder zu gehen, schläft gut,
ifft mit Appetit, befindet sich jedoch beständig wie im Dusel. Als er am
'2. Juli lad Reoaebflfl gelangte, war die Wunde mit einer etwa 3'" tiefen
91
Einziehung vernarbt. Kr flüstert viel vor sich hin, zeigt wenig Theilnahme
für seine Umgebung und antwortet schwerfällig und anstosserid. Auch in
Hamm, wohin Pat. am 7. Juli verlegt wurde, wählte bei einem stupiden
(Jesiehtsausdrueke und constant erweiterten Pupillen eine auffällige Ge-
dächtnisssebwäche noch lange fort Kr klagte fast beständig über Brech-
neigung; bisweilen trat auch Erbrechen ein. Gedächtnissschwäche, Schwin-
delgefühl und zeitweise Brechneigung bestanden auch noch als er Mitte
October invalidisirt wurde.
Fall 2.r>. 6) Granatsplitter-Schussbruch des Stirnbeines. De-
pression and Splitterung der inneren Tafel. Heilung. Musketier
Robert Sippel von der 7. Oomp. 15. fnf.-Reg. wurde in der Nacht vom
L6. zum i<"). Apnl vor Düppel durch einen Granatsplitter an der Stirn links
oben getroffen, [m Grunde der 2%u langen gerissenen Wunde ist der Kno-
chen fast tief eingedrückt. Hirnerscheinungen fehlten indess ganz, so
dass Pat. am 21. April aus dem Lazarethe in Stenderup nach Flensburg
verlegt wurde. Vorsorglich wurde hier eine energische Antiphlogose (Ader
lass, 10 is ii in schlüge, Abführmittel) eingeleitet Krsf Anfangs Mai klagt Pat.
über dumpfen Kopfschmerz und Schwindel Ein kleiner Aderlass und Blut-
egel stellen das- Wohlbefinden wieder her Dasselbe ist anhaltend bei stren-
gem Regime Ohne dass es zur Abstossung von splittern gekommen wäre,
ist die Ausheilung der Wunde bis Ende Mai -rossen Theiles erfolgt. Die
restiren den Granulationen werden jetzl schwammiger. Am (Juni wird die
ganze äussere Tafel gelöst gefunden und mit dem Myrthenblatte heraus
gehebelt. Wenige Tage daraui werden einige kleinere stücke der inneren
Kmochentafel extrahirt. Kbenso Anfangs Juli, bis wohin bei streng über-
wachtem Verhalten das Befinden übrigens angestört blieb. Hin und wieder
besonders nach längerem Gehen, stellt sich dumpfer Kopfschmerz ein. ob-
wohl derselbe wiederholten kalten Umschlägen und gelinden Abführmitteln
leicht weicht, so bestimmt- doch die ollere Wiedel kehr /, 1 1 r Application
eine;; 1 1 ;i ;n sei les im Nacken (Mitte AugUSt). Hei ungestörtem Befinden
wird S. am 18, October nach Berlin evaeuirt und von hier, bis auf zeit
weise Andeutungen des Kopfschmerzes hergestellt, Mitte November ent
lassen.
Fall 26. 7) SchUSSbrUCh des Stirnbeines. S pal e r Eintritt von
iiirnsy mptomen. Heilung. Grenadiei Emil von Dessonneck von
der \. Comp. Garde Reg. z. F. erhielt am 1 8. April in Schanze No 2
einen Schuss in die Stirn. Bei mangelnden I lirncrscheinungeii gelangte er
am 28 April nach Kiel. Dicht am llaarwuchse eine quere 2" lange, \ "
breite Wnnd<; der ircsch wollenen und schmerzhaften Woiehtheilo. Im Orundo
(ierHolben liegt der Knochen fllffWninge ('iin^s Silbergroschens vom Periost
entbJöHHt. In der Mitte dieser Stelle ein erbsengrosscr 81 haifrandi-cr
Knoohendefect. Die Sonde führt auf das etwa I "' tiefer liegende Frag
ment, an dessen Oircumferenz durch das pulsirende Gehirn dünner Eiter
ailHgetrieben wird. Nach unten war ein kleines dünnes Ulcistückcheri
zwischen den Fragmenten eingeklemmt. Allgemeinbefinden sehr gut. Nur
beim Liegen klagl l'af. über „Klopfen1* an der Wundstclle. Krst am H. Mai
bei massiger Kiebeniug Oongcstionen nach dem Kopfe und träger Stuhl.
Kisumsehlage ; Oalomel I Oran 2 stündlich.
92
Am 11 Mai ist das Wohlbefinden hergestellt. Der Knochen ist mit
Granulationen bedeckt, die Hirnpulsatiou nicht mehr wahrnehmbar. Am
15. Mai wieder etwas Fieber nebst Benommenheit des Kopfes, Hitze- und
Schwindelgefühl, Uebelkeit bei reiner Zunge, Esslust und regelmässiger
Verdauung. Empfindlichkeit der Wunde. Eis; Calomel 2 Gran 2 stündlich.
Baldiger Nachlass der Erscheinungen. Bis Ende Mai wird das Befinden
nur durch zeitweises Schwindelgefühl gestört Die Wunde ist inzwischen
bis auf eine seehsergrosse schwammig granulirende Stelle verheilt. Die
Umgegend ist gegen Druck empfindlich. Am 31. Mai Wiederkehr der obigen
Symptome, welche indess durch Eis und einige Calomelgaben schon fol-
genden Tages gemindert sind. Erst am 29. Juni exfoliirt sich ein halb-
mondförmiger Knochensplitter. Im Juli kehrt der frühere Symptomencoruplex
noch einmal wieder, wird aber durch die Eisblase und Glaubersalzlösung
rasch beseitigt. Am 26. Juli erfolgt die Ausstossung des sechsergrossen
deprimirten Knochenstückes ohne besondere Beschwerde. Am 12. Septem-
ber wurde Fat. nach Berlin evacuirt und Ende des Monates als invalide
entlassen. Unterhalb der Narbe ist der Knochen noch etwas aufgetrieben
und gegen Druck empfindlich. Zuweilen stellen sich auch spontan von
hier ausstrahlende Schmerzen ein. Zeitweis Gefühl von Schwindel, beson-
ders bei Anstrengung der Augen. Nach brieflicher Mittheilung haben sich
noch im April 1865 Knochensplitter exfoliirt.
Fall 27. b) Schussfractur des Schläfenbeines. Energische An-
tiphlogose. Heilung. Anders Hansen, Gemeiner des 18. dän. Inf.-
Reg , wurde am 29. Juni auf Alsen verwundet und zu Schiffe nach Glücks-
burg (3. schw. F.-L. 3. A.-C.) transportirt, wo er am 1. Juli eintraf. Die
Kugel ist über dem äusseren Winkel des linken Auges ein und über dem
Ohre derselben Seite ausgedrungen. Längs des ganzen Schusskanals wird
«ler Knochen entblösst gefühlt. Heftige Kopfschmerzen. Puls 50, voll und
hart. Zunge trocken, kein Appetit, wenig Durst. Eisbeutel; Aderlass;
Tartarus stibiatus (6 Gran auf 6 Unzen Wasser); absolute Nahrungsent-
ziehung.
Am 2. Juli ist der Zustand nicht verändert. Noch eine Venäsection
und 30 Blutegel an die Stirn. Am 3. Juli 15 Blutegel an die Schläfe:
reizendes Klystier; Erweiterung der Schussöffuungen, um den Abfluss des
Eiters zu ermöglichen. Erst nachdem am 4. Juli noch ein Aderlass ge-
macht worden, beginnt am 5. Juli der Puls sich etwas zu heben (54). Pat.
klagt weniger über Kopfschmerzen. Incision des Schusskanals in der
Mitte zwischen den beiden Endpunkten. Am G.Juli wird ein viergroschen-
BtflckgrOBBea rundes Stück der Schläfenbeinschuppe, an dessen innerer
Seite die Gefässrinnen ausgeprägt sind, extrahirt. Tags darauf Puls 60.
Befinden besser. Appetit beginnt. Der Brechweinstein wird nun ausge-
setzt. Bb wird Milch, Semmel und etwas Bouillon mit Ei gereicht. Am
8. Juli werden auch die Eisbeutel weggelassen. Schon am 10. Juli wird
mit Appetit etwas Fleisch gegessen. Der örtliche wie der allgemeine Zu-
band erlitt weiterhin keine Störuug. Gegen Ende Juli konnte Pat. bereits
aufstehen. Am 26. August wurde er geheilt entlassen.
93
Wir haben gesehen, dass die Trepanation bei Gregersen auf
die bestehende Beinläl;mung keinen unmittelbaren Einfluss übte.
Dagegen ist bei keinem der ohne Trepanation Geheilten das Sen-
sorium so schnell und so nachhaltig frei geworden. Wenn die Ele-
vation des deprimirten Knochentheiles unterbleibt, so braucht das
Gehirn Zeit, um sich zu accommodiren. Die Verzögerung, welche
hierdurch entsteht, stellt Geduld und Consequenz des nicht trepani-
renden Chirurgen bisweilen auf die Probe.
Wer aber trotz der älteren und der eben reierirten Erfahrun-
gen die Trepanation nicht entbehren zu können glaubt, sollte sie
so früh wie möglich vornehmen. Es liegt kein Grund vor, anzu-
nehmen, dass die Momente, welche an den Gliedern das un-
günstige Resultat der grösseren Operationen des dritten bis fünften
Tages bedingen, bei den Schädelwunden wirkungslos seien. Schon
die unsanfte Untersuchung derselben in jener Periode hat erfahrungs-
mä>sig üble Folgen. Ein Eingriff wie die Trepanation ist gewiss
noch mehr geeignet, z. B. den Anstoss zum Zerfalle der frischen
Thromben und Embolien zu geben. Bei dem Trepanirten von 1864
wurde die Operation 3 Tage nach der Verletzung gemacht. Die
lange Leidenskette, welche darauf folgte und mit dem Verluste
eines Armes schloss, ist vielleicht eingeleitet durch die bei der Ope -
ration unvermeidliche Beunruhigung der in dem angespiessten Blut-
leiter der harten Hirnhaut gebildeten Thromben.
Der eben besprochenen Gruppe von Schussbrüchen sind, wie
gesagt, nur solche Fälle zugezählt, in denen die Betheiligung beider
Knochentafeln keinem Zweifel unterliegt. Was dagegen die 15 Fälle
betrifft, welche in der Tabelle V. unter der Bezeichnung „Ein-
brüche der äusseren Tafel" (B. b.) zusammengefasst sind, so
ist es nicht unwahrscheinlich, dass in einigen derselben die innere
Tafel mitverletzt war. Es konnte aber durch die Untersuchung nicht
mit Sicherheit ermittelt werden, und der Sectionstisch hatte glück-
licher Weise in keinem dieser Fälle Gelegenheit, die Diagnose zu
ergänzen. Huldigt der Feldarzt dem Grundsatze, die Schussbrüche
des Schädels, bei denen die schonende Untersuchung der frischen
Wunde keinen positiven Nachweis des Verhaltens der Glastafel lie-
fert, mit derselben Vorsicht und Aufmerksamkeit zu behandeln, wie
die unzweifelhaft durchgehenden Brüche, so wird das Interesse der
Verwundeten durch jene Un Vollständigkeit der Diagnose gewiss
nicht geschädigt. Die durch sie bedingte Incorrectheit der späte-
94
ren statistischen Berechnung des Heilerfolges ist für Jeden, dem es
nicht auf ein Prunken mit Letzterem ankommt, bedeutungslos.
Die fragliche Unterscheidung wird namentlich bei den Schuss-
brüchen des Stirnbeines erschwert durch die individuell so ver-
schiedene Weite und Ausdehnung der Stirnbeinhöhlen.
Fall 28. Laugblei-Schuss in die Stirn. Geschoss im Knochen
eingekeilt. Heilung. Untercorporal Andreas Jensen vom 3. dän.
Reg. wurde am 29. Juni auf Alsen verwundet. O.-St. -A. Abel fand auf
dem Verbandplatze zu Rönhof das Langblei links neben der Mitte der
Stirn im Knochen stecken und zwar so fest, dass es Mühe machte, das-
selbe herauszuziehen, obgleich ein 6"1 langes Stück vorragte. Das Ge-
088 hatte sich mit seinem vorderen Ende in den Knochen gleichsam
eingeschraubt. Es zeigte nach der Herausnahme eine 3'" tiefe, senkrecht
zur Längsachse stehende Spalte, welche von dem Knochenrande in das
Blei gegraben war und das 4"' lange Stück, welches im Knochen gesteckt
hatte, abgrenzte.
War die innere Tafel des Stirnbeines mit verletzt? Es ist weislich
unterlassen worden, durch iusultirende Untersuchung diesen Punkt ausser
Zweifel zu setzen.
Der Verwundete klagte über grossen Kopfschmerz, Benommenheit und
Druck über den Augen. Sonst waren Störungen der Hirnfunctiou nicht
vorhanden. Kälte genügte, die Reaction in Schranken zu halten. Der
Puls war vorübergehend bis 112 beschleunigt, am 7. Tage auf 56 retardirt,
vom 11. Tage ab normal, ohne dass llirnerscheinungen ähnlich schwankend
eintraten. Vom 7. bis 11. Tage Diarrhö. Darauf fühlte sich Pat. — ab-
gesehen von gelinder Druckempfindung in der Stirn — ganz wohl, so dass
er am 11. Juli aus dem Lazarethe zu Ulderup nach Glücksburg evacuirt
werden konnte. Auch hier stellten sich weitere Beschwerden nicht ein.
Unter starker Eiterung lösten sich mehrere Knochensplitter. Am 26. Juli
wurde J. ausgeliefert.
Ich will noch einen anderen Fall von Stirnbeinverletzung mit-
theilen, weil ich aus den Specialberichten sehe, dass die Collegen,
welche sie für einen penetrirenden Bruch gehalten haben, sich für
den ihnen unbekannt gebliebenen Ablauf interessiren.
Kall 29. Gefreiter Emil Höcker vom 3. Husaren-Reg. wurde am 17. März
bei Düppel, als er im Ordonnanzdienste hinter der Kirche hielt, verwundet.
Reg.-A. Ilolzhausen, welcher dort die erste Hülfe leistete, coustatirte
eine etwa 4'" lange Wunde am inneren oberen Rande der rechten Augen-
höhle und eine Zertrümmerung der äusseren Tafel des Stirnbeines. Nach
Dilatation der Wunde behufs Entfernung gelöster Knochenstücke ergab
sich, dass solche auch in die Stirnbeinhöhle eingetrieben seien. Ein Pro-
j' . til war nicht zu entdecken: es blieb zweifelhaft, ob die Verletzung durch
eine Kugel oder durch ein von der Kirchenwand abgesprengtes Steinstück
bewirkt Bei.
Bei der Aufnahme in das Depot eines 1. F.-Lazarethes imponirte die
Verwundung als Zertrümmerung des Daches der Orbita und als penetri-
95
rend, „da die Untersuchung mit dem Finger ergab, dass das Gehirn bloss-
liege". Hirnsymptome waren jedoch ausser lebhaften Kopfschmerzen nicht
vorhanden.
Jener Befund hat indess auf einer Gefühlstäuschung beruht. In
Flensburg, wo der Verw. am 23. März eintraf, Hess sich die Sonde nach
oben und innen über Knochentrümmer hinweg 1%U weit einführen bis in
den Sinus frontalis der anderen Seite. Abgesehen von starker ödematöser
Schwellung des oberen Augenlides war Bewegung und Function des rechten
Auges nicht gestört. Dagegen war der Riechnerv gelähmt und die rechte
Stirnhälfte ohne Empfindung. Daneben periodisch heftige Neuralgien in
beiden Stirnseiten. Letztere schwanden in Folge subcutaner Morphium-
Injectionen.
Die Ausheilung der Wunde verlief ohne Störung. Als Pat. Mitte Mai
nach Berlin kam, klagte er über Sehschwäche des rechten Auges. Objectiv
war an dem Auge ausser einiger Erweiterung der Pupille nichts Krank-
haftes zu constatiren. Die Anästhesie der rechten Stirnseite ist fast ganz
beseitigt. H. war und blieb frei von allen Gehirnerscheinungen. Am
14. Juni konnte er zum Dienste bei der Ersatzschwadron seines Regimentes
entlassen werden.
In einem anderen Falle von Fractur der vorderen Wand
der Stirnbein höhle,
Fall 30. Christian Rassmussen vom 22. dän. Inf. -Reg. , am 18. April
verwundet und in Flensburg behandelt,
war die obere Wand der Orbita wirklich mit eingebrochen. Bei
consequenter Anwendung von Eis und leichten Abführmitteln blie-
ben Gehirnsymptome auch hier ganz aus. Aber der Augapfel ver-
schrumpfte. Schon am 10. Mai konnte R. heimgesandt werden.
Nach erfolgter Vernarbung ist das Urtheil über den fraglichen
Punkt noch schwerer, selbst an Stellen des Stirnbeines, wo die
Höhlen dieses Knochens nicht in Betracht kommen.
Fall 31. Musketier Karl Beutner vom 18. Inf. -Reg. wurde am 18. April
an der Stirn getroffen und zwar etwas rechts von der Mittellinie an der
Grenze des Haarwuchses. Im Grunde der lf" langen Wunde lag der
Knochen mit Einbruch der äusseren Tafel bloss Bedrohliche Erscheinungen
fehlten. Der Verw. passirte mehrere Lazarethe und traf am 23. April in
Flensburg ein. Das Journal constatirt hier unter dem 9. Mai: »Das rechte
Auge etwas hervorgetrieben, Sehvermögen getrübt, Gesichtsfeld beschränkt".
Am 1. Juni wurde ein nekrotischer Splitter extrahirt. Ende Juni vernarbte
die Wunde. Im Lazarethe zu Magdeburg, wohin B. evacuirt ward, fand
O.-St.-A. Berthold die Narbe so umfänglich und tief eingezogen, „dass
man ein Taubenei hineinlegen konnte". Sie war sehr empfindlich. Andere
Beschwerden fehlten.
Hat in diesem Falle unter dem Einbrüche der äusseren, später
abgestossenen Tafel eine Depression der inneren bestanden? Das
Ausbleiben aller Hirnsymptome trotz wiederholter Wanderung von
96
Lazareth zu Lazareth spricht dagegen. Die Beschaffenheit der
Narbe spricht dafür. Allein auch Verdickung des Periostes und
Knochenneubildung in der Umgebung des eingebrochenen und ex-
tbliirten Stückes der äusseren Tafel können die Narben sehr vertieft
erscheinen lassen.
In den bisher erwähnten Fällen blieben Gehirnerscheinungen
aus und nach der Vernarbung nicht zurück. Diess trifft jedoch
keineswegs in allen Fällen zu, wo anscheinend oder wirklich bloss
die äussere Tafel eingebrochen ist. So war die Reaction z. B. ziem-
lich heftig bei
Kall 32. Grenadier Michaelis vom Leib -Gren. -Reg. No. 8, welcher deu
28. März am Hinterkopfe getroffen wurde. In Stenderup (1. F.-L. 6. Div.)
wurde sternförmiger Einbruch des Hinterhauptsbeines mit
einem Ii u sengrossen Defecte constatirt und consequent antiphlo-
gistisch verfahren. In Rendsburg, wohin er am 21. April verlegt wurde,
exfoliirte sich ein kleiner Splitter. Besondere Aufmerksamkeit aber er-
heischten periodische Anfälle von Schwindel, Ohrensausen und Uebelkeit,
meist mit Steigerung der Pulsfrequenz verknüpft. Kälte brachte in der
Regel bald Linderung, einmal wurde aber sogar noch ein Aderlass nöthig.
Auch nach der völligen Vernarbung der Wunde im Mai kehrten solche An-
fälle noch wieder, wenn auch minder stark. Als M. am 20. Juli aus dem
Lazarethe zu Berlin entlassen wurde, klagte er nur noch über Schmerzen
an der Narbenstelle bei plötzlichen und heftigen Bewegungen.
Auch am Schläfenbein kommt diese Fracturform vor.
Fall 33. Gefreiter Kleinding werth vom 55. Inf.-Reg. erhielt am 18 April
einen Streifsehuss. Die 2" lange Weichtheilwrunde verlief schräg von unten
und vorn nach oben und hinten auf der Schuppe des Schläfenbeines. Der
Knochen liegt bloss; von der gesplitterten äusseren Tafel werden mehrere
Stücke entfernt. Bei der vierzehntägigen Eisbehandlung blieben bedeu-
tendere Gehirnerscheinungen aus. Als K. von Flensburg (2. schw. F.-L.
3. A.-C), wo er bis dahin behandelt wurde, am 5. Juni im Hospital zu
Steinau eintraf, war die Vernarbung bis auf eine kleine Stelle am unteren
Ende der Wunde erfolgt. Die Sonde dringt von hier noch 1" weit ein und
trifft auf rauhen Knochen. Erst Anfangs August, bis wohin die Aus-
stossung kleiner Splitter dauerte, erfolgte völlige Vernarbung. Als K. am
Ö. September aus dem Lazarethe in Berlin als invalide entlassen wurde,
klagte er noch über Schwindel.
Die richtige Würdigung der Klagen, welche bei der Entlassung
aus den Lazarethen, resp. von der Armee geführt werden, ist, so-
weit sie sich auf Bttbjective Empfindungen beziehen, äusserst schwie-
rig. Jeder Militärarzt kennt den Unterschied, der hierbei obwaltet,
zwischen den Ofrtcieren, deren Interesse sich an das Verbleiben in
der Armee knüpft, und den Mannschaften, welche ihre Ansprüche
auf Invaliden-BeneficiVn geltend machen. Von den Schädelverletzun-
I
97
gen der nicht gefallenen Officiere gehörte keine zu den schweren
Formen (Gruppe B. c. und C. in Tabelle V.) Die bedeutendste war
die, welche Lieutenant v. S. vom Leib-Grenadier-Regim. No. 8. am
28. März vor den Schanzen erlitt — auf demselben Terrain, wo 16
Jahre früher sein tapferer Vater gefallen war. Besinnungslos nie-
dergestürzt, gerieth er in Feindes Hand. Ausgeliefert traf er am
2. Mai im Johanniter -Lazareth zu Flensburg ein, nachdem er bis
dahin im dänischen Lazarethe zu Augustenburg behandelt worden
war. Nach seinen Mittheilungen und dem Befunde des Herrn Dr.
Res sei (1. c. S. 23) scheint es sich nur um Verletzung der äusse-
ren Knochentafel gehandelt zu haben. Der Streifschuss hatte
auf der Höhe des Scheitels die Haut weggerissen. In Augustenburg
stiess sich eine achtgroschenstückgrosse Lamelle des Knochens ab,
nachdem ein bedeutendes Kopf-Erysipel überstanden war. Die völ-
lige Vernarbung erfolgte in Flensburg bis zum 7. Juni. Keine Spur
eines Kopfleidens ist zurückgeblieben. Auf Fälle wie dieser stützt
sich die Opposition, welche von manchen Seiten gegen die Regel,
Kopfverletzte ruhig und diätetisch knapp zu halten , gemacht wird.
Die im Lazareth zu Augusten bürg beliebte Abweichung von dieser
Regel hat dem Verwundeten nicht geschadet. Um sie für andere
nicht verderblich werden zu lassen, sollte man sich hüten, die diä-
tetische Sorglosigkeit als bei den Schussbrüchen überhaupt zulässig
zu proclamiren.
Eine kleine Gruppe für sich bilden die hierher gehörigen Ver-
letzungen des Schläfenbeins, bei denen sich die Läsion am War-
ze nfortsatze und am knöchernen äusseren Gehörgange
concentrirt. Der 18. April hat 5 solcher Fälle geliefert. Der eine
ist bereits oben unter den tödtlich verlaufenen Schädelbrüchen s. str.
erwähnt (Fall 18), weil eine Fissur im Felsenbeine ihn compli-
cirte. Bei den anderen vier scheint eine solche Complication ge-
fehlt zu haben. Ausbleiben von Gehirnsymptomen, dauernde Störung
im Hörapparat und Lähmung des n. facialis sind ihnen gemeinsam.
Sie unterscheiden sich durch grössere oder geringere Betheiligung
des Auges. Sehr lückenhaft sind die vorliegenden Notizen über
Fall 34. 1) Niels Peter Christensen, Gem. vom 9. dän. Inf.-Reg., welcher
am 12. August von Flensburg aus heimkehrte. Die Splitterung des
linken Zitzenfortsatzes hatte die Vernarbung bis dahin verzögert.
Taubheit links, Lähmung der linken Gesichtshälfte und „Zerstörung des
linken Auges" sind als Folgen notirt.
Genauere Notizen besitze ich über die anderen 3 Fälle.
Loeffler, Geueralbericbt. 7
98
Fall 35. 2) Gewehrschuss in das rechte Ohr. Durchbohrung
des Proc mastoideus. Exophthalmus Atrophie der Netzhaut.
Grenadier Johann Dachowski vom 3. Garde-Gren.-Reg. (Kön. Elisabeth)
wurde bis zum 8. Juni in ßroacker, später in Glücksburg und Rendsburg
gepflegt. Die Kugel drang in den äusseren Gehörgang rechts und durch-
bohrte die hintere Wand desselben und den Warzenfortsatz, hinter welchem
sie 4 Wochen später ausgeschnitten wurde Völlige Lähmung des rechten
Gesichtsnerven und Taubheit des rechten Ohres waren die sofortigen Fol-
gen. Auch durch die Kopfknochen wird der Ton der Stimmgabel nicht
vernommen. Dabei starkes Vortreten des rechten Augapfels, so dass die
Augenlider nicht geschlossen werden können. Seitens der behandelnden
Aerzte in Glücksburg (St.-A. Becker und Ass.-A. Baum) wurde im Juni
eonstatirt, dass grössere Gegenstände wie Finger noch erkannt werden,
und dass auf der Papille des Sehnerven ein kleines Extravasat lagert. In
Rendsburg, wo der Verw. bis zum 19. September blieb, wurde die Sehkraft
des Auges völlig erloschen gefunden. Die Wundheilung war inzwischen
unter Ab^to^ung von Splittern des Warzeufortsatzes regelmässig fortge-
schritten, der Gehörgang in einen schmalen Spalt verwandelt. In Spandau,
wo D. demnächst bis zum 15. November verweilte, fand St.-A. Hasel-
horst eine geringe Abnahme der Faciallähmung und, dass Pat. hell und
dunkel zu unterscheiden vermöge. Als derselbe Ende Januar 1865 von
dem Lazarethe in Berlin als invalide entlassen wurde, war die Taubheit
des rechten Ohres bei völlig verwachsenem äusseren Gehörgange vollstän-
dig, in Folge der Faciallähmung besonders der Kauact gestört, die Unter-
stützung des prolabirendeu und erblindeten Augapfels durch ein Band
nöthig. Der Augenspiegel wies die Producte der Chorioideitis und Retinitis
atrophica nach. Bemerkenswerth ist noch, dass auch Anästhesie der
rechten Gesichtsseite, welche in den ersten Monaten nach der Verwundung
fehlte, eonstatirt wurde (0. -St.-A Wendt). Belästigt wurde D. vorzugs-
weis durch heftiges Ohrensausen.
Füll 3G. 3) Zertrümmerung des Jochbogens und Durchbohrung
des äusseren Gehörganges und des Zitzenfortsatzes durch
Gewehrschuss. Genesung. Sergeant August Schroeder vom Leib-
Gren.-Reg. No. 8 erhielt am 18. April einen Schuss in die linke Ohrgegend
Die Kugel drang dicht vor dem Ohre ein, hatte den Jochbogen zertrüm-
mert, dann den äusseren Gehörgang unter Sprengung des Trommelfelles
und den Processus mastoideus durchsetzt und war bis in den Nacken ge-
drungen, wo sie über dem 4 Halswirbel ausgezogen wurde. Ausser den
bald rorflb «gehenden Commotionserscheinungen war vollständige Lähmung
des linken Hör- und Facialnerven die Folge. Uebrigeus verlief die Ver-
letzung ohne alle besonderen Erscheinungen. Vom Jochbogen, knöchernen
Gehörgange und Zitzenfortsatze stiesseu sich allmählig viele Stückchen
los; auch kleine Bleistückchen kamen noch zu Tage. Am 30. Tage nach
der Verletzung ergab der Valsalva'sche Versuch noch Permeabilität des
Trommelfelles, acht Tage später nicht mehr. Um diese Zeit war der vor-
dere Theil des Wundkanales bereits verhtilt; dagegen gelangte die Sonde
noch vom Gehörgange aus in den Processus mastoideus, und in die Nacken-
Öffnung gespritzte Flüssigkeit floss aus dem Ohre hervor. Der hintere
99
Theil des Kanales war auch noch nicht ganz geschlossen, als Pat. aus
Ulderup (1. F.-L. 5 Div.), wo er bis dahin behandelt worden, am 1. Juli
in Potsdam eintraf. Bei seiner Ende August erfolgten Invalidisirung be-
stand Taubheit und Gesichtslähmung linker Seits unverändert fort. Das
Kauen ist erschwert, das linke Auge wegen des Lagophthalmus reizbar,
die Bewegungen des Nackens behindert.*)
Fall 37. 4) Zertrümmerung des Meatus auditorius externus,
Streifung des Processus mastoideus durch Gewehrschuss.
Genesung. Tambour Wilhelm Schiller vom 18. Inf. -Reg. wurde am
18. April von einer Kugel getroffen, welche an der linken Wange nahe dem
äusseren Augenwinkel eintrat, unter dem Jochbogen fortgehend den äusseren
Gehörgang durchsetzte und an der gestreiften Vorderseite des Processus •
mastoideus exrrahirt wurde. Ernstere Hirnsymptome blieben aus. Dagegen
war das linke Ohr taub, der Levator palpebrae superioris gelähmt, und
bald stellte sich wegen Parese des M. rectus externus bulbi Schielen des
linken Auges ein. Die Wundheilung verlief regelmässig, wenn auch lang-
sam. Noch im August wurden Knochensplitter abgestossen. Als Pat. Ende
September invalidisirt wurde, bestanden die erwähnten Störungen fort.
Der äussere Gehörgang ist völlig geschlossen, die Taubheit links vollstän-
dig. Auch durch die Knochenleitung wird keine Tonempfindung vermittelt.
Die Narbencontraction an der Eintrittsstelle der Kugel hat ein Ectropium
des unteren Augenlides bewirkt.
Die erwähnten Fälle repräsentiren verschiedene Formen, in de-
nen die äussere Tafel der Schädelknochen durch Schuss verletzt
werden kann. Am seltensten scheint die Abspr engung eines
grösseren Stückes zu sein. Die üblichen Gewehrkugeln dürften
auch schwerlich eine solche bewirken , ohne zugleich die innere Tafel
zu lädiren. Ich kann nur über einen Fall der Art berichten, und
in diesem traf ein Granatsplitter.
Fall 38. Dem Oberjäger Hermann Uhlich vom 3. Jäger-Bat wurden durch
einen solchen am 29. Juni in der Gegend der kleinen Fontanelle die
Weichtheile in der Ausdehnung eines Zweithalerstückes zerrissen. Zugleich
war von der äusseren Tafel des rechten Scheitelbeines ein Stück 1" lang
und 3'" breit abgesprengt. Bei der Aufnahme ins Lazareth (1. F.-L. 5. Div.)
bot er keinerlei Hirnerscheinungen dar, und deren Entwicklung wurde
durch Eis vorgebeugt. Die Heilung der Wunde verlief ohne Störung und
war Anfangs August (im Lazareth zu Berlin) vollendet.
Durch kurze Dauer und massigen Grad der ersten Commotions-
symptome pflegen selbst die schwereren Verletzungen des Schädels
*) Dieser Invalide ist, wie ich nachträglich erfahre, am 11. März 1865 in
der Berliner Charite — Abtheilung des Hm Stabs-Arzt Fischer — gestorben,
nachdem er Tags zuvor plötzlich von Krämpfen befallen war. Bewusstlosigkeit,
Erweiterung der Pupillen, klonische Krämpfe der Glieder, Ohrenfluss, gespannter,
aussetzender Puls, 40,8 Temperatur gingen dem Tode voraus. Die Seetion soll
eitrige Meningitis und Encephalitis in Folge von Caries des linken Felsenbeines
und eine Fissur des letzteren ergeben haben.
7*
100
durch Schuss vor denen durch andere Anlässe bewirkten sich aus-
zuzeichnen — die Erfahrungen von 1864 beweisen es von neuem.
Der Grund der Reaction des Gehirns entspricht bei den Schuss-
fracturen wenigstens im Allgemeinen der Tiefe der Knochenläsion ;
wir fanden dieselbe durchschnittlich viel geringer bei den blossen
„Einbrüchen der äusseren Tafel". Aber selbst ein noch geringerer
Grad von Knochenläsiou gestattet keineswegs weniger Vorsicht und
Sorgfalt bei der Pflege und Kur. Diess lehren die Schädelschüsse,
welche ich als „Contusion der Schädelknochen44 in der sta-
tistischen Tabelle ad B. a. zusammengefasst habe.
Dass und warum ich gegen meine Ueberzeugung, solcher Ver-
letzungen seien viel mehr vorgekommen, nur 10 Fälle in diese
Gruppe aufgenommen habe, wurde bereits erwähnt. Daraus folgt,
dass die Berechnung des Heilungs- resp. Lethalitätsverhältnisses keine
Bedeutung haben würde. Um so mehr Beachtung verdient in der
eben erwähnten Beziehung der einzige tödtlich verlaufene Fall von
Schusscontusion des Schädels.
Fall 39. Streifschuss am Scheitelbeiu. B lutextravasat. Me-
ningitis. Tod Hans Mads Soerensen, Gemeiner des 5. dän. Inf.-
Reg., 34 Jahr alt, erhielt auf Alsen am 29. Juni einen Streifschuss am
linken Scheitelbein unfern der Pfeilnaht. In der unregelmässigen etwa 2"
langen Wunde liegt der Knochen bloss, doch anscheinend unverletzt. Der
Verw. wurde am 30. Juni von Souderburg nach Flensburg trans portirt,
woraus zu schliessen sein dürfte, dass vor dem Transporte bedrohliche
Symptome nicht vorhanden waren.
In Flensburg angelangt klagt Pat über Schmerz, weniger in der
Wunde als in der Stirn. Das Sensorium ist sehr benommen; Fragen be-
antwortet er confus; bisweilen spricht er unverständlich vor sich hin. Da-
bei Fieber: Puls 100. Eisumschläge, 16 Blutegel an die Schläfe; Calomel
2 Grau dreistündlich. Am 6. Juli findet sich der Puls auf 64 Schläge re-
ttrdirt Wieder 16 Blutegel. Obwohl die Eisumschläge dauernd applicirt
werden und der Puls sich etwas hebt, erscheint das Sprechen am 9. Juli
erschwerter; anderweitige Lähmungserscheinungen sind jedoch nicht zu
constatiren. Der fernere Verlauf zeigt wenig Veränderungen; die Wunde
eitert regelmässig. Am 18. Juli treten plötzlich Convulsionen ein, denen
schnell Collapsus und Tod folgt.
Sectio ii: Die eutblösste Knochenstelle ist ohne Periost; ringsum
ist dasselbe so gelockert, dass es leicht vom Knochen abgehoben werden
kann. „Der Knochen selbst nirgends verletzt.« Zwischen ihm
und der Dura mater, genau der Wundstelle entsprechend, ein hühnerei-
grosses, theilweis in Eiterung übergegangenes Blutextravasat. Ebenso
zwischen Dura mater und Pia mater. Auf der ganzen linken Hemisphäre
bis zur Basis und theilweis auch auf der rechten die Pia mater mit einer
eitrigen Schwarte bedeckt. Die Hirnsubstanz in der Gegend der Blutextra-
iOl
vasate oberflächlich nekrotisirt; auf der Oberfläche zwei erbseDgrosse
Blutextravasate; sonst blutarm. Iq den übrigen Organen keine Veränderung.
(St.-A. Reuter; Ass.-A. Münnich.)
Vermuthet wurde ein Bluterguss zwischen Dura mater und
Hirn bei
Fall 40. Füsilier Bentrup vom 13 Inf.-Reg , welcher am 2. Februar vor
Missunde gleichfalls am linken Scheitelbeine, etwa 2" über dem Ohre, einen
Streifschuss erhielt. Die Kugel hatte eine Art Rinne in den Weichtheilen
und in der äusseren Knochentafel gebildet. Das Bewusstsein soll Anfangs
nicht gestört gewesen sein Die Symptome des Gehirndruckes, welche am
7. Februar constatirt wurden, wären den im vorigen Falle erwähnten ähn-
lich. Ueberdiess rechtsseitige Faciallähmung In der Kacht vom 9. zum
10. Februar traten auch Krämpfe ein. Aber durch andauernden Gebrauch
der Eisblasen, Aderlass und Calomel mit Jalappe gelang es, der tödtlichen
Reaction vorzubeugen. Erst Anfangs April stiess sich ein kleines Splitter-
chen ab Der Mann ist im Juni vom Garnison-Lazarethe in Berlin als in-
valide entlassen worden, weil noch periodisches Kopfweh und eine gewisse
geistige Trägheit bestand
Herr Prof. Lücke, welcher in Eckernförde die Behandlung
leitete, bat dieses Falles 1 c. sub No. 64 gedacht. Es ist nicht
unwahrscheinlich, dass die Aehnlichkeit beider Fälle sich auch auf
den Ausgang erstreckt haben würde, wenn der letztere gleichfalls
einem so weiten Transporte, wie der erstere, ausgesetzt gewesen wäre.
Als Beispiel einer Schuss-Knoehen-Contusion ohne
Wunde erwähne ich den folgenden Fall:
Fall 41 Der Jäger Heinrich Daamen vom 7. Jäger-Bat. wurde bei Missunde
verletzt. Die Kugel traf die rechte Schuppenkette des Helmes, ohne sie
zu durchbohren. Kurze Besinnungslosigkeit und wiederholtes Erbrechen
waren die nächsten Folgen. Auch Blutung aus dem rechten Ohre und aus
dem Munde soll dagewesen sein. Die rechte Schläfengegend geschwollen
die Augenlider sugillirt. Heftige Kopfschmerzen mit dem Gefühl von Hitze
und Brausen gaben am 6. Februar Grund zu einem Aderlass Geistiger
Torpor, etwas retardirter Puls und träger Stuhl hielten länger an, so das?
noch Anfangs März die schon früher stattgehabte Application von Blut-
egeln und der Gebrauch von Abführmitteln wiederholt werden musste.
Eine erhebliche Auftreibung des recnten Schläfenbeines, welche zurückge-
blieben ist, motivirte später die Invalidisirung.
Zwischen dieser Verletzung und der im Falle 6 liegen die ver-
schiedensten Grade und Formen von Läsion des Schläfenbeines
durch Schuss. Man überblickt die überhaupt vorkommenden ziem-
lich vollständig, wenn man aus unserer Casuistik die bezüglichen
Fälle nebeneinander stellt.
Aber auch für die Weicht heil- Schüsse ist am Schädel die
Schläfengegend diejenige, welche die Formenvariation von der ein-
102
fachen Quetschung bis zum tiefen und vollkommenen Schusskanale
am meisten begünstigt. In den übrigen Regionen sind die Zellge-
webe- und Muskel -Lagen zwischen Haut und Knochen so dünn,
dase die Geschosse sie nur ausnahmsweise ohne Mitverletzung der
Knochen durchsetzen können, üebrigens haben die Weichtheil-
S, Msse der Schläfengegend noch eine besondere Bedeutung wegen
ihres Einflusses auf den Hörapparat. Auch nach ihnen bleibt,
wie bei den oben erwähnten Knochenläsionen, Schwerhörigkeit oder
selbst Taubheit nicht selten zurück. Ich verzichte auf die Anführung
der einzelnen Fälle, weil aus ihnen für die Kunsthülfe nichts zu
lernen ist. Nur im Allgemeinen sei bemerkt, dass die Sprengung
des Trommelfelles dabei vorkommt, ohne dass die Annahme, sie sei
durch eine auf dasselbe fortgepflanzte Knochenerschütterung bewirkt,
in der Art der Verletzung Grund findet. Diess ist z. B. der Fall,
wenn bloss die Ohrmuschel durchschossen ist. Hier scheint die
plötzliche und ungewöhnlich starke Schwingung der Luftsäule im
nasseren Gehörgange die Sprengung zu machen. Gerade die so
entstandene Schwerhörigkeit gestattet eine bessere Prognose. An-
dere Male führt unzweifelhaft die Knochenschwingung zur Sprengung
des Trommelfelles. Sie kann selbst vom Hinterhauptsbeine her bis
dahin sich fortpflanzen. Die gewöhnliche Combination mit akusti-
scher Lähmung trübt in solchen Fällen die Aussicht auf spätere
Besserung.
Dass die Knochencontusion am Schädel viel häufiger sei, als
aus der statistischen Tabelle zu ersehen ist, folgt aus der Thatsache,
dass Gehirn- und namentlich Commotions- Symptome sehr oft bei
den Schädelschüssen vorkamen, welche anscheinend bloss die Weich-
theile betrafen. Bisweilen sind jene Erscheinungen sogar so an-
haltend, dass die Annahme beschränkter Blutextravasate innerhalb des
Schädels gerechtfertigt erscheint. So erhielt, um nur ein Beispiel
anzuführen,
Pal] 42. (irenadier Mathias Längers vom 4. Garde - Gren. -Reg. am 18.
April einen \\" langen Streifschuss auf der Höhe des Scheitels. Der
Knochen war blossgelcgt, aber unverletzt; es ist auch später keine Ex-
foliation erfolgt Im Lazarethe zu Flensburg, wohin Pat. noch am Tage
der Verwundung gelaugte, lag er mit eigenthünilich indifferentem Ge-
Bichtsauadruckc bei Stark glänzenden Augen da, ganz theilnahmslos für
seine Umgebung, nach Speise oder Trank nicht begehrend. Angesprochen
ist er zwar besinnlich , aber er antwortet sehr langsam; es ist ihm
augenscheinlich unangenehm, mit Fragen behelligt zu werden. Puls 65.
Ausser der Eisblase wird Bittersalzlösung gereicht. Aber erst am 25.
April beginnt eine Aenderuug. Ueber Kopfschmerz und Schwindelgefühl
103
hat er zwar noch lange nachher geklagt; am 1. Juli konnte er jedoch
aus dem Hospital in Steinau geheilt entlassen werden.
Die klinische Beobachtung und das Experiment sind zu dem
Ergebnisse gelangt, dass das Gehirn und seine knöcherne Hülle in
Betreff der Elasticität Gegensätze repräsentiren. Die grosse Feder-
kraft des Schädels gestattet ein förmliches Ricochetiren der
Kugel an demselben ohne tiefere Läsion der Anschlagsstelle. So
wurde
Fall 43. Sergeant Karl Fabinake vom 18. Inf. -Reg. am 18. April von
einer Kugel getroffen, welche schräg durch den Reichsapfel des Helm-
beschlages und das Helmleder drang, am oberen Theile der Stirn auf-
schlug, die Weichtheile bis auf den freiliegenden, aber unverletzten Kno-
chen zerquetschte und von diesem abspringend den Helm zum zweiten
Male von innen nach aussen seiner Spitze nahe durchbohrte. Ausser
momentaner Betäubung traten bei der Eisbehandlung Gehirnsymptorae
nicht ein. Empfindlichkeit der Narbe, Anfälle von Kopfweh und Schwin-
delgefühl und Schwäche des Gedächtnisses motivirten im September
seine Invalidisirung.
Was den Verlauf der Weichtheilschüsse am Schädel betrifft, so
ergiebt sich aus Tabelle \\, dass alle geheilt wurden. Der Füsilier
Trowe vom 15. Inf -Reg., welcher am 29. Juni einen Streifschuss
der Kopfhaut erhielt, ist zwar Mitte August gestorben, jedoch am
Typhus, der sich entwickelte, als die Wunde beinahe vernarbt war.
Die phlegmonösen Entzündungen der Kopfschwarte waren
bei der allgemein üblichen kalten Lokalbehandlung nicht häufig.
Nur bei den quetschenden Abreissungen grösserer Stücke der Kopf-
schwarte durch Sprengstücke, wie sie namentlich in den Belage-
rungs-Batterieen vorkamen, entwickelten sich höhere Grade derselben.
Eine Verletzung der Art erlitt am 26. März in der Enfilirbatterie 2
(Feldzeugmeister) der Kanonier Philipp Wibbecke von der 4.
Fest.-Comp. 7. Art.-Brig. und zwar durch grosse von der Brustwehr
abgesprengte Holzsplitter. Die Kopfschwarte war auf dem rechten
Scheitelbein handtellergross, am Hinterkopfe von der Grösse eines
Zweithalerstückes in unregelmässigen Lappen vom Schädel abge-
trennt. Er starb am 15. April unter ausgeprägten pyämischen
Erscheinungen. Ich werde auf diesen Fall bei den Verletzungen des
Kniegelenkes zurückkommen. Wegen der Combination mit einer
solchen und weil der pyämische Todesprocess mehr von dieser als
von der Kopfverletzung ausgegangen zu sein scheint, habe ich den-
selben statistisch den Kniegelenk -Verletzungen zugezählt. Abgese-
hen von diesem Falle sind die unzweifelhaften Producte des pyämi-
104
scheu Processefl im Feldzuge 1864 bei keinem Kopfverletzten durch
die Section constatirt worden. (S. oben Fall 18 und 19.) Auch
von Leberabscess nach Schäd el Verletzung ist meines Wis-
sene kein Fall beobachtet worden.
Etwas häufiger war die Complication mit Erysipel as exan-
thematicum, wie aus der angeführten Casuistik hervorgeht. Wenn
diese Complication, wie nicht selten, mit der Periode der entzünd-
lichen Reaction zusammentrifft, so giebt sie dem Krankheitsbilde den
Ausdruck viel grösserer Bedeutsamkeit und erschwert die richtige
Beurtheilung und Behandlung. Ich werde dem Erysipel, da es auch
die Verletzung anderer Körpertheile sehr oft complicirt hat, später
einen besonderen Abschnitt widmen. Vorläufig sei bemerkt, dass
den 6 Fällen unter den 43 Schädelschüssen mit ausgesprochener
Knochenläsion kaum ebenso viel unter den 148 Weichtheilschüssen
gegenüberstehen. Uebrigens entsprechen Ausbreitung des Rothlaufs
und Heftigkeit der begleitenden Erscheinungen durchaus nicht der
Schwere der Verletzung. Diess zeigte sich recht auffallend im fol-
genden Falle:
Fall 44. Musketier Bork vom 2t. Inf. -Reg. wurde am 29. Juni leicht am
rechten Ohre gestreift. Im Lazarethe zu Oster-Satrup war die Verletzung
fast verheilt, als am 8. Juli unter starker Fieberuug der Rothlauf von dem
Ohre aus sich entwickelte. Unter steigendem Fieber mit nächtlichen De-
lirien ging er rasch über die ganze rechte Schädel- und Gesichts -Hälfte.
Salinische Abführmittel. Am 10. Juli sind die Delirien anhaltend gewor-
den und so heftig, dass Pat. kaum im Bette zu halten ist. Im Gesichte
erblassend, kriecht das Exanthem weiter über den ganzen Schädel und
nach dem Nacken hin. Calomel wegen Obstruction Erst am 12. Juli
nehmen Fieber und Delirien ab. Die Rose aber setzt ihre Wanderung nach
dem Rücken und den Oberarmen hin fort. Am 20 Juli endlich ist der
Process abgelaufen. Störungen hat er nicht hinterlassen.
Die relative Seltenheit der Störungen im Verlaufe der Schädel -
wanden selbst und namentlich jener insidiösen Formen, welche sich
an den eitrigen Zerfall der in den Maschen der Diploe abgesetzten
Blutextravasate knüpfen, ist der beste Beweis von dem Nutzen,
welchen die von Stromeyer so dringend empfohlene consequente
Application der Kälte mittelst der Eisblase gewährt. Sie zeugt auch
davon, «lass die Rathschläge dieses Meisters, welche die schonende
Behandlung der frischen Schadelwunden betreffen, Seitens unserer
Peld&rzte wohl beherzigt wurden. Die sonst üblichen diagnostischen
und prophylaktischen Kreuzschnitte galten allgemein für obsolet, und
mu noch ausnahmsweise sah man sich zur Erweiterung der frischen
105
Wunden durch eine kleine Incision nach einer oder der anderen
Richtung veranlasst, um ganz abgetrennte Knochensplitter leichter
zu extrahiren, während das Zuwarten Regel war, wo es sich um
Knochensplitter handelte, die noch adhärirten und durch ihr Zurück-
bleiben nicht offenbar schadeten. Desto fleissiger wurde das Messer
benutzt, wo sich Eiterdepots bildeten, welche durch die Wunde nicht
freien Abzug hatten.
Die Verband weise war allgemein höchst einfach. Zur Ver-
meidung unnöthiger Reizungen der Wundränder durch anklebende
und bei dem Wechsel des Verbandes mühsam zu lösende Charpie-
fäden trug nicht wenig die Benutzung der gefensterten Leine-
wand*) als nächstes Deckmittel bei. Besonders aber bewährten
sich die Kopfnetze, mit welchen unsere Feldlazarette seit 1859
bedacht sind. Sie sind das beste Verband-Haltmittel, weil sie die
Lage der übrigen Verbandstücke ohne jede Pressung und Erhitzung
des Kopfes sichern und dem Verwundeten nicht zumuthen, an sich
zu erproben, wie weit sein Helfer es in der Bandagirkunst gebracht,
oder ob das Heftpflaster seine Klebefähigkeit bewahrt oder einge-
büsst habe.
Von der umschlungenen oder geknöpften Naht, welche
auf den Verbandplätzen angelegt wird, werden die Schädelverletzten
keinen Nutzen haben, so lange man sie in den Lazarethen so wenig
respectirt, dass man bei entstehender Eiterung das Wiederau seinan-
derzerren der eben verklebten Ränder einer kleinen Incision daneben
vorzieht. Anderer Seits wird das Respectiren der mitgebrachten
Nath und das Verzichten auf eigene gründliche Visitation der
Wunden den Lazarethärzten erst dann allgemeiner zuzumuthen sein,
wenn ihnen vom Schlachtfelde mit den Verwendeten zugleich No-
tizen über das Resultat der dort stattgehabten Untersuchung zugehen.
Eine solche Notiz ist eine wirkliche Wohlthat für den Verwundeten.
Wer sich auf dem Schlachtfelde die Zeit nimmt, blutige Nähte an-
zulegen, wird auch dafür noch einige Secunden opfern
Unter den Mitteln, deren man sich zur vorbauenden antiphlo-
*) Schon seit mehreren Jahren ist im Garnison -Lazaretue zu Berlin zur
Fertigung dieses Verbandsmittels eine besondere Maschine aufgestellt, welche
mit Leichtigkeit den Bedarf der ganzen Armee deckt. Hiermit nicht bekannt,
hat die private Humanität ein Analogon , die sog. Gi tte r- Ch arpie , den La-
zarethen zugewendet. Dieses Pro'dukt zarter Frauenhand ist noch weicher und
schmiegsamer; aber die Mühe der Fertigung desselben in grossen Mengen und
Dimensionen lässt si- h künftig ersparen. *
106
gißtisch- den vatorißcheil Behandlung der Schädelverletzten bediente,
Bteht obenan das Eis. Da dasselbe nirgends gemangelt hat, so
konnte mancher Aderlass erspart werden. Bei der allgemeinen
Blutentziehung kommt es ohnehin weniger auf Masse und Häufigkeit,
al> auf den rechten Zeitpunkt an. Viel weniger Ersatz findet der
Aderlass für den fraglichen Zweck in den Blutegeln — es sei
denn, dass man solche nach französischem Vorbilde (Begin, Mal-
gaigne) „en permanence" applicirt, was nirgends geschehen ist.
Die Militärärzte sollten sich überhaupt gewöhnen, möglichst ohne
Blutegel zu curiren. In grösseren und von den Lokalverhältnissen
weniger begünstigten Kriegen ist es der Administration nicht mög-
lich, beliebige Mengen davon präsent zu halten. Dass sie meistens
zu entbehren seien, beweisen die glücklichen Erfolge, welche auch
in den Lazarethen erzielt wurden, wo man ohne Blutegel fertig ge-
worden ist
Die Ableitung auf den Darm wurde, wie die Casuistik zeigt,
durch verschiedene Mittel — abführende Salzlösungen, Sennaaufguss,
Ricinusöl, Calomel mit Jalappe — angestrebt. Sehr oft mag es un-
wesentlich sein, ob das eine oder das andere gebraucht wird. In
dringenden Fällen scheint es nicht unzweckmässig, eine Dosis der
prompt und kräftig wirkenden Verbindung von Calomel mit Jalappe
vorauszuschicken uud danach durch mildere Mittel den Darmkanal
in gesteigerter Function zu erhalten.
Ob und in wie weit der Tartarus stibiatus für den fragli-
chen Zweck besondere Vorzüge besitze, ist eine Frage, zu deren
Lösung unser Feldzug kaum beigetragen hat. Er ist nicht oft ge-
braucht worden. Die besondere krankhafte Disposition der Darm-
Schleimhaut, welche sich während eines Feldzuges so leicht aus-
bildet, und welche auch 1864 die Heilung mancher Verwundeten,
besonders der dänischen, erschwert hat. macht den Gebrauch dieses
Mittels in der Kriegsklinik nicht unbedenklich. Der mitgetheilte
Fall 27, in welchem der Brechweinstein vom zweiten bis siebenten
Tage nach der Verwundung consequent gereicht wurde, war schwer
genug und verlief glücklich. Aber wegen der gleichzeitigen sehr
finM-gisi-hori allgemeinen und örtlichen Blutentziehungen bleibt es
fraglich, wie viel von dem Erfolge auf Rechnung des Brechwein-
steins zu setzen ist.
Die wiederholten kleineren Gaben von Calomel, eventuell bis
zum Speichelfluss, sind während der Keimzeit der entzündlichen
Reactionen kaum indicirt, wie wenig Concurrenten (Jodkalium) sie
107
auch für die spätere Periode haben, wo es sich darum handelt, die
Rückbildung der Entzündungsproducte zu fördern.
2. Die Schuss v erletzungen des Gesichts.
Die Gesichts- Schüsse bluten und schmerzen durchschnittlich
mehr als die Schädel -Schüsse. Rasche und ausgedehnte Schwellung
des lockeren subcutanen und submucösen Zellgewebes, theilweise
oder gänzliche Unterbrechung der Function der Sinnesorgane, Stö-
rungen des Kauens und Schluckens und Speichelfluss kommen hinzu,
um in Verein mit der durch Zerreissung der Weichtheile und durch
Knochenzertrümmerung verursachten Entstellung Leiden und Leidens-
bilder zu schaffen, welche den Verwundeten fühlbarer und peinlicher
und mitunter selbst für den Arzt ergreifender anzuschauen sind.
Um so erfreulicher ist der erstaunliche Heiltrieb, welcher bei
diesen Verletzungen der Kunsthülfe entgegenkommt, und die Be-
schränktheit der Lebensgefahr, welcher sich an dieselben knüpft.
Die nachstehende Tabelle giebt das numerische Bild von
Tabelle VII.
Form und Verlauf der Gesichts -Verletzungen
bei den Nichtgefallenen.
Preussen
Dänen
Preussen und
Dänen
Form der Verletzung.
davon
davon
davon
Zahl.
geheilt.
gestorbei
Zahl.
geheilt.
gestorbei
Zahl.
geheilt.
gestorbei
A. Verletzung der Weich-
theile
B. Verletzung der Augen
68
68
15
15
83
83
und Augenhöhlen .
16
16
14
14
30
30
C. Verletzung der Ober-
D. Verletzung des Unter-
13
13
~~
6
6
19
19
kiefers .
11
10
1
20
18
2
31
28
3
E. Verletzung des Ober-
und Unterkiefers . .
3
3
4
3
1
7
6
1
Summa . .
in
HO
1
59
56
3
170
166
4
108
Die beiden Verletzungsformen (D. und E.), welche Todesfälle
geliefert haben, waren somit bei den Dänen mit 40 pCt. , bei den
Preussen nur mit 1*2 pCt. vertreten. Dagegen stehen bei den über-
liaupt nicht tödtlichen Gruppen A., B. und C. 88 pCt. bei den
Preussen und 60 pCt. bei den Dänen einander gegenüber. Diese
Verhältnisse gleichen denen, welche sich bei den Schädel-Verletzungen
herausgestellt haben und erklären zur Genüge die Sterblichkeits-
Differenz. Von den Preussen starb kaum 1 pCt., von den Dänen
T> pCt. Ich füge hinzu, dass _ von den Weichtheil - Verletzungen
preussischer Seits 26 (bei 2 (Meieren und bei 24 Mann) so leicht
waren, dasfi ihre Heilung bei der Truppe geschehen konnte.
Aus der Casuistik der Schädel- Verletzungen ergab sich, wie oft
die Geschosswirkung vom Schädeltheile auf den Gesichtstheil des
Kopfes übergreift. Noch schwieriger ist die anatomische Abgren-
zung der Gesichtsschüsse unter einander. Nur die grösseren Stücke
dos Knochengerüstes werden häufig allein getroffen, während die
Verletzungen der kleineren Knochen, wie Jochbein, Nasenbein,
Thräoenbein, sehr selten isolirt vorkommen. Diess der Grund,
warum ihnen in der Tabelle kein besonderer Platz eingeräumt ist.
In welchem Maasse die kleineren Knochen des Gesichtes betheiligt
waren, wird sich aus den folgenden Notizen entnehmen lassen.
Die Weichtheile des Gesichtes wurden in der mannichfaltigsten
Form verletzt, von der leichten Hautcontusion und Hautritzung bis
zu ausgedehnten Zerreißungen und tiefen vollkommenen Schuss-
kaa&len. Letztere waren ohne Knochenverletzung nicht gerade
häutig, kamen aber doch sogar ziemlich lang vor, namentlich in der
Richtung von den Lippen oder Wangen nach hinten bis in die
Kackengegend - eine Art Contourirung des Knochengerüstes. Die
quer laufenden streiften oder durchsetzten bisweilen den knorpligen
Theil der Nase und ihrer Scheidewand. Derartig wurde z. B.
l all 46 Der Untereorporal H. Hauschild vom 18. däu. Inf.-Reg. am 22.
Februar verwundet Die eine runde zollweite Oeffnung befand sich auf
der Mitte der rechten Wange, die andere am linken Nasenflügel. Durch
Communication mit dem Ductus stenonianus entstand an der Wange eine
enge SfM-ir he IfistH, welche die Sonde 2" tief einzuführen gestattete.
Bei dem Tonchiren der üpp gen Granulationen, welche die Wangenwunde
füllten, schloss sich die Fistel ohne weiteres Zuthun. Schon am 22. März
war die Heilung vollendet.
I ugwieriger ist der Verlauf, wenn eine Verletzung der Speichel-
fi rü<e selbst die Wangenwunde complicirt.
109
Fall 46. Musketier W. Hintze vom 60. Inf.-Reg. erhielt am 2. Februar eiue
2" lange Schussrinne, welche einige Linien vor dem linken Ohre vertikal
verlief, und in deren Grunde die Acini der Drüse sichtbar waren Speichel
floss aus Unter starker Schwellung der Umgebung, an welcher sich auch
Submaxillardrüsen betheiligteu, entwickelten sich reichliche Eiterung der
Wunde und Abseedirungen in der Nachbarschaft, welche dicht vor dem
Ohrläppchen und am Unterkieferwinkel Einschnitte erheischten. Noch Mitte
März floss Speichel aus der Wunde, zeitweis in starkem Strahle. Gegen
Ende März waren jedoch die Schusswunde wie die Incisionen verheilt
mit eingezogenen Narben, welche die Bewegung des Unterkiefers genirten.
so dass H. Ende Mai als temporär invalide entlassen wurde.
Fälle von Durchsetzung der Mundhöhle von den Wangen
aus ohne jede Neben Verletzung sind meines Wissens nicht
vorgekommen. Wenigstens einige Zähne pflegen dabei verloren zu
gehen.
Fall 47. Musketier J. Ringe, vom 15. Inf.-Reg. wurde am 29. Juni von
einer Kugel getroffen, welche \u vom Mundwinkel die rechte Wange durch-
bohrte, die Zunge streifte und ihren Austritt am linken Mundwinkel nur
durch eine leichte Schramme am Lippensaume bezeichnete. Rechts gingen
drei Zähne, links einer verloren und wurden in Kiel durch künstliche er-
setzt.
Bedeutender war die Verletzung der Zunge vom Boden
der Mundhöhle her in folgendem Falle:
Fall 48. Der dän. Soldat H. Lassen vom 20. (oder 2.) Inf. Reg. erhielt
am 18. April eine Kugel, welche an der rechten Schulter auf- und die
Weichtheile daselbst 2" weit durchsetzte, dann aber am unteren Rande des
Unterkiefers, denselben streifend, von unten her in die Mundhöhle ein-
schlug. Sie drang in die Substanz der Zungenbasis und wurde an deren
linkem Rande im Lazarethe zu Broacker ausgeschnitten (St.-A. Michel)
Unter lokaler Eisbehandlung blieb die Reaction sehr gering. Die Heilung
wurde nur verzögert durch eine oberflächliche Nekrose an dem Unterkiefer-
rande. Der kleine Sequester unterhielt daselbst noch einen feinen Fistel-
gang, als L. am 13. August von Flensburg aus nach Kopenhagen entlassen
wurde.
Von den Schädigungen des Gehörs war schon bei den Schädel-
verletzungen die Rede. Viel häufiger hatte das Sehorgan zu
leiden. Abgesehen von den geringeren Störungen seiner Function
gingen in 3 Genesungsfällen beide Augäpfel zu Grunde, in 14 ein
Augapfel, und in 4 Fällen erfolgte totale Erblindung eines Auges
mit Erhaltung der Form.
Von diesen 21 Fällen wurden 4 schon bei den Verletzungen
des Schädels erwähnt. In einem — Fall 30 — bestand neben dem
Einbrüche der äusseren Tafel des Stirnbeines Fractur der Pars
orbitalis; der Bulbus atrophirte In den anderen 3 Fällen handelte
110
es Bich um Schussfracturen des Schläfenbeines. Die mit ihr
verknüpfte Commotion der Augenhöhle und des Auges
hatte 1 Mal eine nicht näher detinirte „Zerstörung des linken Auges"
zur Folge (F. 34), 2 Mal Erblindung des formell erhaltenen Aug-
apfels (F. 6 und 35). Nur von einer dieser Amaurosen ist der
Grund ophthalmoscopisch festgestellt, nämlich Atrophie der Netz-
und Aderhaut in Folge von B lutextr avasat (F. 35).
Das Extrem einer solchen Commotion der Augen von dem
Schädelknochen her sahen wir in dem tödtlich verlaufenen Falle 8.
Die Kugel hatte den Kopf im Querdurchmesser von einer Schläfen-
gegend zur anderen durchbohrt. Beide Bulbi waren geplatzt
und aufgetrieben, die Augenlider durch Blutextravasat geschwellt.
Die Section, wäre sie gemacht worden, würde ohne Zweifel auch
den Grund der Augenhöhle mit Blut gefüllt ergeben haben.
E rschütterungs - Amaurosen und Amblyopien ohne
jede Gewebsläsion im optischen Apparate giebt es wol
überhaupt nicht. Der directe Nachweis der feineren Apoplexien
des Sehnerven wird sich allerdings auf die innerhalb des Bulbus
vorkommenden beschränken. Aber auch damit ist practisch schon
viel gewonnen. Der Augenspiegel führt in solchen Fällen frühzeitig
zu einer Therapie, welche die Folgen der Läsion möglichst zu be-
schränken geeignet ist. Wo letztere Schädel Verletzungen begleitet,
welche an sich ein aufmerksames antiphlogistisch - delatorisches
Verfahren erheischen, wird freilich die Störung im Sehapparate ohne
Weiteres mit ausgeglichen.
Früher wurde den Verletzungen der Supraorbitalgegend
eine besonders üble Rückwirkung auf das Sehorgan zugeschrieben.
Dieser Vorzug beschränkt sich jedoch auf die Folgen, welche sich
an die Mitläsion des Nervus supraorbitalis knüpfen. In dem früher
erwähnten Falle 29 war dieser Nerv gequetscht oder vielleicht theil-
weis getrennt. Das bewies die Anaesthesia dolorosa der ent-
sprechenden Stirnhälfte.
Aber hiervon abgesehen, hat diese Gegend in Betreff der Coin-
niotionswirkung auf das Sehorgan nichts Specitisches, sondern nur
die grössere Häufigkeit vor den anderen voraus. Von den folgenden
beiden Fällen giebt der erste ein Beispiel der Augen -Commotion
von der Supraorbitalgegend aus ohne Betheiligung des N. supra-
orbitalis, der andere eins von der Infraorbitalgegend.
Pal] 49. Schuss-Splitterbruch des oberen äusseren Auge n hü h-
lenraudes. Gehirnerschütterung. Schwachsichtigkeit und
III
Schwerhörigkeit. Sergeant K. König von der 2. 12pfdgn. Batterie
3. Art.-Brig. wurde am 18. April verwundet und im Lazareth zu Rinkenis
(Sect. Weise 3. schw. F.-L. 3 A.-C.) aufgenommen. Die Weichtheilwunde
erstreckte sich vom äusseren Ende des oberen Augenhöhlenrandes 2" weit
nach dem linken Ohre. Die Kugel wurde auf dem Schlachtfelde ausgezo-
gen. Es sind drei bewegliche Knochenstücke fühlbar, zwei kleinere vom
oberen Rande der Augenhöhle und ein grösseres — der abgetrennte Proc.
zygomaticus des Stirnbeines. Das obere Augenlid ecchymotisch geschwol-
len, die Bindehaut des nicht verwundeten Bulbus ecchymotisch, die Pupille
erweitert, die Sehkraft des Auges fast aufgehoben. Heftiger Kopfschmerz,
wiederholtes Erbrechen. Aderlass und Eisblase. Am 19. April wurde we-
gen sehr starker Spannung und Schwellung die vordere Wand des Schuss-
kanals gespalten. 15 Blutegel; Abführung mit Sennaaufguss. Unter fort-
gesetzter Anwendung der Eisblase nehmen die Erscheinungen ab. Die
Pupille wird normal, die Sehkraft hebt sich. Im weiteren Verlaufe werden
bei guter Eiterung wiederholt kleine Knochenstücke entfernt, am 1. Juni
ein zolllanges, welches dem Margo supraorbitalis angehört. Der Proc. zy-
gamaticus ist dagegen wieder fest geworden. Bis zu diesem Zeitpuukte
waren periodisch Anfälle heftigen Kopfschmerzes eingetreten, welche mit
Blutegeln und Eisblase bekämpft wurden. Als K. am 7. Juni nach Glücks-
burg verlegt wurde, war die Wunde grossentheils vernarbt. Auch hier
kehrten noch heftige Anfälle der erwähnten Art wieder und wurden mit
denselben Mitteln bekämpft. Obwohl die mittelst des Augenspiegels con-
statirte, durch Bluterguss bedingte Netzhautablösung allmählig kleiner
wurde (St.-A. Becker und A.-A. Baum), so bestand doch bei der im
September erfolgten Entlassung eine Beschränkung des Sehfeldes nach un-
ten, ungefähr dem horizontalen Durchmesser des Bulbus entsprechend, fort.
Zugleich war bei Verengerung des äusseren Gehörganges die Hörfähigkeit
des linken Ohres beschränkt, acustische Lähmung jedoch nicht vorhanden.
Fall 50. Gewehrschuss durch Oberkiefer und Jochbein. Splitte-
rung des unteren Orbitalrandes. Amblyopie. Musketier W. Ba-
delt vom 24. Inf.-Reg. wurde am 29. Juni verwundet nnd in Oster-Satrup
(Sect. Lücke, 1. schw. F.-L. 3. A.-C) aufgenommen. Die Kugel war in
die Fossa canina des linken Oberkiefers eingetreten und durch den Körper
des Jochbeines wieder hinaus. Der knöcherne untere Orbitalrand war zer-
trümmert, und es wurden gleich einige Knochensplitter entfernt. Das un-
tere Augenlid war völlig erhalten. Das linke Auge, äusserlich ganz nor-
mal, hatte nur schwache quantitative Lichtempfindung. Der Augenspiegel
ergab eine bedeutende, fleckige und diffuse Trübung des Glas-
körpers; es gelang nicht den Augenhiutergrund zu erblicken. Die Wund-
heilung verlief unter zeitweiser Abstossung von Splittern regelmässig, aber
langsam. Noch im October brachen die Narben wieder auf, um sich nach
Entfernung der letzten Splitter im November definitiv zu schliessen. Da-
gegen wurde der Verlauf dieses Falles durch eine rechtsseitige Nephritis
gestört, welche Ende Juli eintrat und von ziemlich heftigen Erscheinungen,
Blutharnen, Nierenschmerzen, verlangsamtem Puls, Delirien begleitet war.
Gegen Mitte August war der Urin normal geworden , doch kehrten Abends
Hallucinationen wieder, und oberhalb des rechten Poupartschen-Bandes ver-
112
blieb ein hartnäckiger Schmerz ohne objectiv nachweislichen Grund. Da-
neben Obstruction. Es wird am 20. August Calomel verordnet. Das
linke Auge, welches lange geschlossen wurde, Hess zwar bei der Mitte Juli
erneuten Untersuchung äusserlich nichts Abnormes wahrnehmen, aber die
Pupille war träge uud die quantitative Lichtempfindung war schwach. Auch
zur Zeit der Evacuiruug des Pat. nach Apenrade — 25. August — wird
das Sehvermögen im Journal als „fast Null" bezeichnet.
In Apenrade hatte ß. zunächst einen sehr hochgradigen Spei-
che Ifluss zu überstehen, welcher erst Mitte September ganz aufhörte.
Eine Verbesserung der Sehkraft wurde auch dort noch nicht gefunden.
Dennoch ist eine solche später erfolgt. Pat. blieb im Lazarethe zu Span-
dau, wohin er am 2G. September evacuirt wurde, bis zu seiner Invalidisirung
am 16. Januar 18B5. Grössere Gegenstände vermochte B. derzeit zu er-
kennen, kleinere nur unvollkommen. Angestrengterer Gebrauch des Auges
ruft Thränen desselben hervor Das Resultat einer ophthalmoscopischen
Untersuchung zu dieser Zeit liegt leider nicht vor.
[ch habe diesen Fall etwas ausführlicher mitgetheilt, weil das
Referat von Lücke (1. c. S. 79), welcher denselben in Oster-Satrup
behandelte, mit der Evacuation nach Apenrade abschliesst und dess-
halb die Quecksilber- Wirkung — Speichelfluss und spätere
nicht unerhebliche Besserung der Amblyopie — unerwähnt lässt
Lücke hat auch der schon in Oster-Satrup erfolgten Verabreichung
des Calomel nicht gedacht, und daraus folgt wol, dass kein ab-
sichtlicher Versuch einer Einwirkung auf die Amblyopie vorliegt,
üm so beachtenswerter dürfte die dennoch erfolgte sein.
Geht die Commotion des Augapfels von seiner Umgebung aus,
so mnss wenigstens eine Knochencontusion stattgehabt haben, wenn
auch sinnfällig nur eine Verletzung der Wei.chtheile vorliegt. Ist
letztere der Art, dass eine Knochencontusion nicht annehmbar er-
scheint, und treten dennoch bedeutendere Folgen am Augapfel ein,
so handelt es sich wol um eine unentdeckt gebliebene directe
M i t Verletzung des Bulbus selbst. Nur so ist der Verlauf des
folgenden Falles erklärlich:
Kall 51. Streifuug der Gesichtshaut durch Granatsplitter.
Erblindung des linken Auges. Der dän. Soldat Jachimseu vom
11. Inf. -Reg. wurde am 18. April von Granatsplittern getroffen, welche
links seitlich vom Auge und in der rechten Wangengegend oberflächliche
Hautwunden machten. Bereits Anfangs Mai verheilten sie unter Schorf-
bildung. Dagegen ist das Sehvermögen des linken Auges fast ganz auf-
gehoben. Die Bindehaut ist stark injicirt, die Iris nach innen und unten
abgelost. Trotz wiederholter Application von Blutegeln und Eis, trotz
Atropin - Einträufelungen und Einreibung von Ung mercuriale in der Um-
gegend, erfolgt Verschluss der verzogeneu Pupille durch Exsudat.
113
Wahrscheinlich hatte in' diesem Falle gleichzeitig ein kleiner,
sofort wieder herausgefallener Granatsplitter oder ein Steinchen den
Augapfel selbst contundirt. Verletzungen der Art kamen gar
nicht selten vor, ohne jedoch stets so schlimme Folgen zu hinter-
lassen. Durch in der Nähe crepirende Sprenggeschosse wurden
theils ganz feine Splitter, theils Partikel des aufgewühlten Bodens
in die Augen geschleudert. Den oberflächlichen Verletzungen der
Bindehaut und Hornhaut, welche dadurch entstanden, folgte mehr
oder minder heftige Entzündung dieser Häute und schliesslich
grössere oder geringere Störung der Sehfähigkeit durch narbige oder
exsudative Trübung der Hornhaut, War die Hornhaut nicht mit
verletzt, so blieb die Sehfähigkeit ungestört. Bei dem Füsilier
K. Pries vom 64. Inf.-Reg. wurde der nämliche Process und Aus-
gang dadurch hervorgerufen, dass am 29. Juni feine Splitter einer
an dem Laufe seines Gewehres zerschellten Bleikugel in das linke
Auge flogen.
In die Categorie der directen Verletzungen des Aug-
apfels gehört auch der Fall, welchen Lücke (1. c. S. 80) als
Fall 52. Streifschuss gegen die äussere Orbitalwand; Atrophio
des Bulbus. Grenadier Carl Krüger vom 4. Garde-Regiment z. F.
mit dem Bemerken erwähnt hat, dass er über die Art, wie das
Auge zu Grunde ging, nichts angeben könne, weil Mitte Mai, als
der Fall in seine Behandlung gelangte, der Bulbus schon atrophirt
war bei völliger Intactheit der Orbita und der Augenlider. Krüger
wurde nämlich am 18. April verwundet und zuerst in Ulderup (1.
F.-L. 5. Div.) gepflegt. Ein Granatsplitter hatte ein umfängliches
Stück der Gesichtshaut nahe dem rechten Auge weggerissen; ein
anderer hatte den Augapfel selbst getroffen, die Cornea perforirt
und Vorfall der Linse bewirkt. Das künstliche Auge, welches K.
später in Berlin erhielt, wurde mittelst des verbliebenen Bulbus-
Rudimentes sehr gut bewegt.
In der nämlichen Art verlor der am 29. Juni vermeintlich durch
einen Kolbenschlag verwundete dän. Soldat F. Olsen vom 3. Inf.-
Reg. sein linkes Auge. Dass es sich nicht um blosse Commotion
oder Contusion handele, wurde jedem Zweifel entrückt, als es am
6. Juli gelang, aus der Hornhautwunde ein Geschossstück zu ent-
fernen.
Wenn Kugeln oder grössere Projectilstücke die Augen strei-
fen, so werden die Augenlider mehr oder weniger zerrissen und
Loeffler, Generalbericht. 8
114
der Augapfel geht in Folge der erlittenen Quetschung zu Grunde.
So verlor der dän. Soldat Hans Petersen vom 20. Inf.-Reg. sein
linkes Auge fain 18. April verwundet, am 11. Juli heimgesandt),
der Untercorporal Jens Fr Oberg vom 9. dän. Reg. das rechte
Auge (am 18 April verwundet, am 12. August heimgesandt).
Die gerade von vorn treffenden Kugeln dringen fast immer
tiefer und in die Schädelhöhle. Im Feldzuge von 1864 ist wenigstens
kein Fall von Liegenbleiben der Kugel im Grunde der Orbita vor-
gekommen.
Viel häutiger als isolirte Quetschungen des Bulbus
durch Streifschuss sind die mit Schussfracturen der Or-
bita verknüpften Verwundungen des Auges. Unter den
30 Fällen der Gruppe B. unserer Tabelle sind 12 der Art. Nur 3
davon kommen auf den preussischen Antheil, 9 auf den dänischen,
und in dem letzteren gingen 3 Mal beide Augen verloren, während
in allen übrigen Fällen ein Auge erhalten blieb.
Nur 2 von diesen Verletzungen verliefen unter bedenklichen
auf einer Betheiligung des Gehirnes beruhenden Erscheinun-
gen. Eine derselben ist die einzige, welche durch Sprengstücke
entstand.
Fall 53. 1. Zertrümmerung des Jochbeines, Zerreissung des
Bulbus und unteren Augenlides der linken Seite und Spaltung
der Unterlippe durch Granatsplitter mit Einlagerung solcher
am Unterkiefer rechter Seits Musketier C. Acksel vom 64. Inf.-
Reg. wurd»* am 16. März verwundet und in Broacker (1. F. -L. der Cav-
Div.) aufgenommen Die Granatsplitter trafen ihn von der linken Seite
her Der eine schlug von der Schläfengegend her durch das Jochbein, den
Augapfel und das untere Augenlid, welches mit Substanzverlust zerrissen
wurde. Ausserdem ist die Unterlippe in der Mitte senkrecht einen Zoll
weit und bis auf die Schleimhaut gespalten. Drei Schneidezähne des Un-
terkiefers sind dabei verloren gegangen. Anfangs scheinen Kopfsymptome
gefehlt zu haben. Schon am 18. März, wurde der Verw fieberhaft unruhig,
vom 19. ab aber verlangsamte sich der Puls unter steigender Benommen-
heit des Kopfes allmählig bis zu 41 Schlägen in der Nacht vom 20. zum
21 März. Ausser der Eisblase wurde Calomel gereicht. Erst am 25 März
erreichte der Puls wieder die normale Frequenz bei völlig freiem Senso-
rium. Unter mit verdünnter Arnica-Tinctur getränkten Compressen und
eiskalten Ueberschlägen war die bedeutende Schwellung der Augenlider
inzwischen so gemindert, dass eine Besichtigung des Augapfels möglich
wurde. Man fand ihn seines Inhalts beraubt völlig collabirt. Am 26 März
wurde A. nach Flensburg ver'egt. Weitere Hirnsymptome stellten sich
nicht ein, wol aber Ausfluss aus dem linken Ohre. Die Lippenwunde
115
war theilweis geschlossen An der rechten Seite ist zwischen Wange und
Unterkiefer ein fremder Körper fühlbar. Mittelst Incision der Schleimhaut
werden drei Eisenstücke, darunter eins von der Grösse eines Zweigroschen-
stückes, extrahirt Ein Erysipel, welches am 5. April vom rechten Ohre
aus beginnt, läuft in 4 Tagen ab. Am 12. April werden mehre gelöste
Stücke des zertrümmerten Jochbeins und mit ihnen ein schmaler Bleistrei-
fen (vom Granat - Mantel) von \" Länge entfernt. Die Ausheilung schritt
dessenungeachtet äusserst langsam vor. Besonders hartnäckig bestand eine
ödematöse Schwellung des ectropirten unteren Augenlides. Im Lazarethe
zu Berliu, wohin A. am 19. Juli gelangte, konnte desshalb erst Ende Januar
1865 eine Operation des Ectropium versucht werden. Wegen des theil-
weisen Verlustes des Knorpels war der Erfolg nicht bedeutend. Um so
besser wirkte die Wiederholung der Operation im März (O.-St.-A. Wendt),
so dass A. am 5. Mai 1865 mit einem künstlichen Auge entlassen werden
konnte.
Die Combination mit Erscheinungen de? Gehirndruckes hatte
in diesem Falle ihren Grund wahrscheinlich in einer von der frac-
turirten Orbitalwand bis zur Schädelhöhle sich erstreckenden Fissur.
Alle übrigen Verwundungen der fraglichen Kategorie geschahen
durch Gewehrkugeln. Der Typus dieser Verletzungen variirt einiger-
massen, je nachdem das Geschoss, wie in dem eben mitgetheilten
Falie. durch die äussere Orbitalwand oder durch die Nasenwurzel
L" in die Augenhöhle dringt. Der letztere Typus ist der seltenere: er
fand sich unter unseren 12 Fällen nur 3 Mal.
Fall 54. 2) Schuss durch die Nasenwurzel. Zertrümmerung
der Nasen- und Thränen -Beine Verlust des rechten Auges.
Heilung. Füsilier H. Lechtken vom 55. Inf. -Reg. wurde am 29. Juni
verwundet. Die Kugel schlug am inneren Winkel des linken Auges ein,
zertrümmerte beider Seits die Thränenbeine und Nasenknochen, zerriss den
rechten Augapfel und trat durch die Lidspalte dieser Seite wieder hinaus.
Das linke Auge unverletzt. Unter Eisumschlägen mindert sich die schmerz-
hafte Schwellung der Nasenwurzel sehr bald, das Allgemeinbefinden wurde
gar nicht gestört. Schon am 7. Juli konnte die Evacuation von ßroacker
nach Flensburg erfolgen. Abnahme der Sehkraft, Flimmern und Funken-
sehen liesseu hier eine Zeit lang auch für das nur erschütterte linke Auge
fürchten. Es blieb indes» sehkräftig. Im Hospital zu Münster, wohin L.
am 25. August gelangte, wurde das durch Narbenzusammenziehung ent-
standene Ectropium des linken unteren Augenlides von Herrn Medicinal-
rath Dr. Riefenstahl mit Erfolg operirt, und das verlorene rechte Auge
durch ein künstliches ersetzt-
Denselben Lauf nahm die Kugel, nur in umgekehrter Richtung,
in folgendem Falle.
Fall 55. 3) Schuss durch die Nasenwurzel. Zertrümmerung der
Naseuknochen. Verlust des linken Auges. Heilung. Musketier
Christian Schaekel vom 55. Inf.-Reg. wurde am 17. März bei Rackebüll
8*
116
verwundet. Die Kugel schlug am inneren Winkel des rechten Auges ein,
zertrümmerte subcutan die Nasenknocheu und trat unter Zerstörung des
Augapfels an der linken Seite aus. Auch hier blieb die allgemeine Re-
aetion ganz aus. Die massige Bindehautentzündung des rechten Auges
schwand unter Verschluss desselben. Als S. im October vom Lazareth zu
Frankfurt a. 0. entlassen wurde, war die Nasenwurzel zwar wenig verun-
staltet, aber das rechte* Nasenbein noch nicht ganz fest und gegen Druck
noch empfindlich.
Je näher der Augenaxe die Kugel bei diesem Verletzungstypus
einsetzt, desto mehr droht der Verlust beider Augen.
Fall 56. 4) Schuss durch die Nasenwurzel. Verlust beider Au-
gen. Beilung. Hans Nielsen, Gemeiner vom dän. Kanonenboot Nr. 18.
wurde bei einem Landuugsversuche am 29. März bei Warnitz verwundet.
Das Langblei trat links unter Zerstörung des Augapfels ein, durchbohrte
unter Zertrümmerung der Nasenknochen die Wurzel der Nase und streifte
beim Heraustreten den rechten' Augapfel. Das Allgemeinbefinden wurde
im Verlaufe nicht gestört. Die örtliche Reaction war rechts lebhaft. Die
-tarke und sehr schmerzhafte Wulstung des gequetschten Auges machte
eine Incision nöthig. Als Pat. am 16. Juni von Apenrade heimgesandt
wurde, war die Vernarbung nahezu vollendet.
In den übrigen 8 Fällen schlug das Gesehoss durch die äussere
Wand einer der beiden Augenhöhlen. Mehr oder weniger ausge-
dehnte Zertrümmerung des Jochbeines der betreffenden Seite
war also die consrante Knochenläsion. Von dem Aufschlagswinkel
hängt es ab, welche Ausdehnung die Verletzung erreicht. Ist der-
selbe stumpf, so wird nur das Auge dieser Seite mitverletzt (4 Fälle);
je mehr er sich dem rechten nähert, desto weiter dringt das Ge-
sehoss auch durch die Nasenwurzel (2 Fälle) oder durch Nasen-
wurzel und zweites Auge (1 Fall). Bei rechtwinkligem Einschlag
endlich dringt das Gesehoss quer durch beide Augenhöhlen, beide
Jochbeine und die Nasenwurzel durchschlagend (1 Fall). Der An-
blick dieser Verletzungen wird um so ergreifender, je mehr die
Augenlider dabei mitzerrissen sind. Zur ersten dieser Gruppen
gehörten :
Fall 57. 5) Gemeiner Peter Jensen vom 20. dän. Inf.-Reg., am 18. April
verwundet, mit Verlust des linken Auges am 2G. Juli geheilt aus Flens-
burg entlassen.
Kall 68. 0) Gemeiner Jene Petersen vom 20. dän. Inf.-Reg., am 18. April
verwundet und mit Verlust des linken Auges fast geheilt von Flensburg
aus am 12. August heimgesandt Eine am 28 Juni behufs Restauration
<ies zerrissenen unteren Augenlides versuchte plastische Operation blieb
erfolglos, weil sich nach derselben noch ein nekrotisches Stück des un-
teren Augenhöhlenrandes ablöste.
117
Fall 59. 7) Gemeiner Sören Sörensen vom 20. dän. Inf. -Reg , am 18.
April verwandet und mit Verlust des rechten Auges am 24. Juni von Flens-
burg aus geheilt entlassen.
Fall 60. 8) Gemeiner Lorenz Christiansen vom 18. dän. Inf. -Reg., am
29. Juni verwundet und mit Verlust des rechten Auges von Glücksburg
am 26. August geheilt entlassen.
In keinem dieser Fälle ist der Verlaul durch besondere Zufälle
gestört worden. In den folgenden beiden wurde die Nasenwurzel
mitzertrümmert.
Fall 61 9) Gemeiner Jens Petersen vom 2. dän. Inf.-Reg., am 18. April
verwundet. Die Kugel drang am rechten Jochbogen ein, zerschmetterte
ihn und durchbohrte dann das rechte Auge, das Thränenbein, die Nasen-
scheidewand und trat durch das linke Nasenbein aus. Rasche Atrophie
des Bulbus, lang dauernde Geschwulst des ectropirten oberen Augenlides
und reichliche Eiterung folgten, aber keine fieberhafte Reaction. Vom
Jochbein, oberen Orbitalrande, vom Nasenfortsatze des Stirnbeins und von
der Nasenscheidewand lösten sich Splitter und wurden nebst Bleistück-
chen zum Theil mittelst besonderer Incisionen entfernt (Baurup; Apenrade).
Nach vollendeter Ausheilung erfolgte die Auslieferung von Rendsburg aus
am 26. August.
Noch bedeutender und theils wegen der damit verknüpften, von
Seiten des Gehirnes drohenden Gefahr, theils wegen der Combina-
tion mit 3 anderen Schussverletzungen von besonderem Interesse
war die folgende Verwundung.
Fall 62. 10) Schuss durch die rechte Augenhöhle mit Zertrüm-
merung des Siebbeines und Jochbeines und des Augapfels.
Meningitis. Heilung. Gemeiner Christian Andersen vom 4. dän.
Inf.-Reg. wurde am 29 Juni verwundet und in Oster-Satrup (Sect. Lücke
des 1. schw. F.-L. 3. A-C) aufgenommen. Er hatte 4 Schüsse zugleich
erhalten: einen Streifschuss an der rechten Schulter, einen anderen am
rechten Oberschenkel, einen Haarseilschuss an der Aussenseite des rech-
ten Knies und den Schuss durch das rechte Auge. Die Kugel hatte den
rechten Jochbogen zerschmettert, das obere und untere Augenlid zum
Theil weggerissen, den Bulbus vernichtet, beide Nasenbeine und den Na-
senfortsatz des Stirnbeines weggerissen uud das Siebbein zersplittert. Nach
Entfernung der gelösten Knochensplitter lag die Dura mater frei, so dass
die Pulsationen des Gehirns deutlich zu erblicken waren.
Das Sensorium war indess völlig frei. Am 1. Juli sehr frequenter Puls,
grosse Unruhe des Kranken, der fortwährend den Verband abreisst. Trotz
des vorgenommenen Aderlasses Zunahme der Unruhe am 2. Juli; Pat.
wirft sich im Bette umher, schleudert den Verband von sich. Puls voll
und frequent. Aderlass, Klysma, Calomel. Die Symptome nehmen erst
ab, dann aber wieder zu; dritte Venaesection. Erst am 13. Juli ist das Sen-
üoriura wieder frei bei guter Esslust. Später wurde das Befinden nur noch
118
durch hartnäckigen Durchfall gestört. Unter reichlicher Eiterung und zeit-
weiser Abstossung kleiner Sequester füllt sich der grosse Defect an Nase
und Auge allmählig mit Granulationen. Die übrigen Wunden heilen sehr
langsam. Auch von dem Kopfe des Wadenbeines exfoliirten sich nekro-
tische Stücke. Am 28. August konnte Pat. nach Apenrade evacuirt und
von hier mit fast vernarbten Wunden und ungestörtem Allgemeinbefinden
am 17. September in seine Heimath entlasssen werden.
In folgenden beiden Fällen wurden beide Augen verwundet
und vernichtet:
Fall H3. 11) Corporal Jörgen Jürgensen vom 18. dän. Tnf.-Reg., erhielt
am 29. Juni einen Schuss durch beide Augen und wurde in ßroacker auf-
genommen. Die Kugel, von der rechten Schläfengegend durch die äussere
Orbitalwand dringend, zerquetschte den rechten Bulbus, durchbohrte dann
das Siebbein und trat unter Zerreissung des linken Bulbus durch die Lid-
spalte dieser Seite aus. An den Augeulidern war nur die Bindehaut theil-
weis abgerissen. Eine fieberhafte Reaction trat nicht ein. Die Geschwulst
der Augenlider war zwar sehr bedeutend, aber die Schmerzhaftigkeit un-
ter den Eisaufschlägen auffallend gering. Schon am 7. Juli konnte Pat.
nach Flensburg evacuirt und am 9. August von hier geheilt und mit wohl-
erhaltenen Augenlidern heimgesandt werden.
Den furchtbarsten Anblick aber bot die letzte dieser traurigen
Verstümmelungen :
Fall G4. 12. Schuss quer durch beide Augen. Zerstörung beider
Augäpfel Zertrümmerung beider Jochbeine. Durchbohrung
der Nasenwurzel. Zerreissung der Augenli der. Heilung. Der
dän. Soldat Soeren Ereksen vom 8. Inf. - Reg. wurde am 29. Juni im
Gefecht bei Kjaer auf Alsen von einer Kugel getroffen, welche von der
rechten Seite den äusseren Rand der Augenhöhle zertrümmerte, die Augen-
lider und den Bulbus zerriss, die Nasenwurzel durchbohrte und nun in
umgekehrter Folge die linke Augenhöhle, an deren äusseren Wand durch-
schlagend, ebenso zurichtete. Die Augenlider hingen in grossen Fetzen
herunter: zahlreiche Knochenstückchen füllten die Augenhöhlen, von denen
nur noch die linke ein Rudiment des Augapfels enthielt. Die Nase er-
schien plattgedrückt: die Oberkiefer gegen den Schädel beweglich. Den-
noch wurden weder auf dem Verbandplätze noch bei der Aufnahrae in
Sandberg (1. F. - L. 5. Div ) Zeichen von Hirnerschütteruug bemerkt. Das
Beneorinm war völlig frei. Die losen Knochensplitter wurden entfernt, die
Augenlidfetzen nicht geheftet, sondern nur durch einen weichen Charpie-
Verband leicht angedrückt.
Auch im weiteren Verlaufe traten keinerlei Hirnsymptome ein. Selbst
die Fieberung blieb sehr gering. Ebenso überraschend war der Wundver-
lauf. Die sämratlichen Wunden der Augenlider heilten per
primam inten tionem. Zahlreiche Knochensplitter stiessen sich nach
den Augenhöhlen zu los. während eines die Haut der Nasenwurzel durch-
bohrte und hier ausgezogen wurde. Vom 12. Juli ab hinderte ein Trismus
119
spurius, durch Schwellung der Kiefergelenke bedingt, nur mehrere Tage das
Oeffnen des Mundes. Anfangs August war die Consolidation der Knochen
schon so weit vorgeschritten, dass die Oberkiefer nicht mehr gegen den
Schädel bewegt werden konnten. Der Unglückliche, welcher an der Hoffnung
auf Wiederkehr des Augenlichtes festhielt , wurde am 26. August nach
Apenrade evacuirt und von hier am 17. September in seine Heimath ent-
lassen.
Die Schussverletzungen der Kiefer
bilden nach unserer Tabelle ca. 33 pCt. der Gesichtsverietzungen.
Ein erheblich höherer Satz würde sich ergeben, wenn man den An-
theil mitberechnete, welchen namentlich die Oberkiefer an den so
eben besprochenen Verwundungen hatten. Es leuchtet von seibst
ein und ist desshalb nicht immer ausdrücklich betont, dass die
meisten jener Schussfracturen der Orbita den Processus zygomaticus
oder nasalis der Oberkiefer oder beide nicht unberührt Hessen.
Eine minutiöse, jedoch practisch werthlose Berechnung des An-
theiles der einzelnen Stücke des Antlitzskelettes würde wol auch
die Differenz beseitigen, welche scheinbar zwischen den Ergebnissen
unseres und des italienischen Krieges von 1859 besteht, wenn
Demme die Schussfracturen des Oberkiefers als die häufigsten von
allen Schussbrüchen des Gesichtes bezeichnet, während dieselben
nach unserer Tabelle gegen die des Unterkiefers in der Minorität
erscheinen.
Wichtiger ist, dass die Schussbrüche der Oberkiefer allein nicht
leicht das Leben bedrohen. In den vier Fällen von tödtlich
verlaufener Kieferverletzung, welche die Tabelle nachweist,
war der Unterkiefer allein oder mitverletzt. Die Gefahr knüpft sich
indess auch da nicht an die Knochenverletzung als solche. Er-
stickung und Blutung sind die Momente, welche einzeln oder
vereint bei den Kieferschüssen das Leben bedrohen. Worauf jene
beruht und von welchem Punkte diese ausgeht, wird selbst bei der
Section nicht immer mit Sicherheit ermittelt.
Fall 05. 1) Sehuss durch Unterkiefer, Zunge und Oberkiefer:
plötzlicher Tod am 3. Tage. Gemeiner Mathias Philippsen vom
22. dän Inf. -Reg. erhielt am 18. April einen Schuss, welcher an der einen
Seite durch den aufsteigenden Ast des Unterkiefers eindrang, Zunge und
Schlund verletzte und durch den Oberkiefer der anderen Seite austrat.
Rasch folgte eine enorme bis zum Brustbein sich ausdehnende Schwellung.
Eisblase und Eispillen. Der Tod erfolgte plötzlich in der Nacht zum
I
120
81. April. Ein Protokoll über die in Rinkenis gemachte Section liegt nicht
vor. Es ist nur uotirt, dass es nicht möglich gewesen sei, die Todesursache
zu ermitteln.
Fall GG. 2) Schussfractur beider Unterkieferhälften. Querwunde
der Zunge. Plötzlicher Tod am 3. Tage. Christian Haim vom
1. (län. Inf.-Reg. wurde am 29. Juni verwundet. Die Kugel war quer über
beide Unterkieferwinkel gegangen. Die Zunge schien nur wenig verletzt.
Die massige Blutung wurde durch in den Mund genommenes kaltes Wasser
bald gestillt. Bis auf erschwertes Schlingen fühlte sich H. nicht unwohl.
Am Morgen des 1. Juli wurde er todt im Bette gefunden. Die Section er-
gab, dass die Zungen wurzel durch die Kugel gespalten war; der obere
dünne Lappen Hess sich leicht nach hinten über den Kehldeckel zurück-
schlagen. Die Lungen waren völlig frei von Blutgerinseln oder Jauche.
Herr Prof. Lücke, welcher diesen Fall im Lazareth zu Oster-
Satrup beobachtete, bemerkt bei Erwähnung desselben (1. c. S. 99),
dass die Erstickung wol durch Zurückrollen des oberen Zungen-
lappens über den Kehldeckel entstanden sei und vielleicht zu verhüten
gewesen wäre, wenn die Lageänderung des Lappens mittelst einer
Fadenschlinge verhindert gewesen wäre — so, wie es bei der Re-
section des Mittelstückes der Mandibula mit der ganzen ihres Haltes
beraubten Zunge geschieht. Dieser Rath ist sicherlich beherzigens-
wert!), wenn Schussfracturen des Unterkiefers jener Resection ähn-
lich die Zunge haltlos machen. In dem fraglichen Falle vermisst
man indess, abgesehen davon, dass der Zungenlappen in der ge-
fährlichen Lage nicht gefunden wurde, die Bedingungen jenes Er-
stickungsmodus.
Fall G7. 3) Einseitige Schussfractur des Unterkiefers mit Ver-
letzung der Zunge und Zurückbleiben der Kugel. Blutungen.
Tod durch Erstickung nach 14 Tagen. J Rasmussen vom 7.
<län. Inf.-Reg., am 17. März bei Düppel verwundet, wurde bis zum 23. März
in Broacker, dann in Flensburg gepflegt. Die Kugel hat die rechte
Hälfte des Unterkiefers zertrümmert, ihr weiterer Verlauf in der Mundhöhle
war jedoch nicht zu ermitteln. Die am 23. März erfolgte Verlegung lässt
Bchliessen, dass bis dahin drohende Erscheinungen nicht eintraten. Der
weitere Verlauf aber zeichnet sich durch häufige und mitunter beträcht-
liche Blutungen aus, welche sich jedoch durch Einspritzungen von Eis-
waeser Btillen Heesen. Eine bedenkliche Schwäche trat erst ein, als am
29. Mär/, wieder drei heftige Blutungen erfolgten. Energische Anwendung
der Kälte stillte auch sie. Am 1. April Morgens stellte sich plötzlich
grosse Athemnoth ein, welche sich schnell zur Erstickung steigerte. Die
Sectio n ergab ausser der Comminutivfractur des Unterkiefers Zerreissungen
an der rechten Seite der Zunge und des Schlundes. Quelle der Blutungen
waren wahrscheinlich die zerrissenen Art. lingualifl und inframaxillaris.
An der hinteren Seite des Schlundes ausgedehnte Blutextravasate. Die
Kugel wird zwischen Zungenbein und Schildknorpel aufgefunden.
121
Die Kugel hat sich wahrscheinlich allmählig bis zu dieser Stelle
gesenkt und da angekommen die plötzliche Erstickung bewirkt.
Fall 68. 4) Schuss durch den Gelenkfortsatz des rechten Unter-
kiefers. Zurückbleiben der 'Kugel. Blutungen. Drohende Er-
stickung. Extraction der Kugel nach vorheriger Unterbindung
der Carotis. Tod am 6. Tage. Unteroffizier Johannes Meissner vom
Leib-Gren.-Reg. No. 8. wurde am 18. April verwundet und in Flensburg
(2. schw. F.-L. 3. A.-C. Sect. Fischer) aufgenommen. Die Kugel war
durch den Gelenkfortsatz des rechten Unterkiefers eingedrungen. Der un-
tersuchende Finger gelangt in eine grosse, der Flügel- Gaumen-Grube ent-
sprechende Höhle. Massige Schlingbeschwerden bei sonstigem Wohlbefinden-
Eis. In den nächsten Tagen schwillt die rechte Wange unter zunehmenden
Schlingbeschwerden. Pat. ist sehr unruhig und heiser. Am 21. April nö-
thigt die zunehmende Schwellung der Wange zu Incisionen. Am 22. April
leichte Blutung aus dem Schusskanale. Sie wiederholt sich öfters im Laufe
des Tages, steht aber nach Tamponade. Gegen Mittag wird sie profus.
Pat. collabirt. Zugleich erreichen die Schlingbeschwerden einen hohen
Grad und Athemnoth mit lautem Stridor und seltenen, abnorm tiefen und
langen Athemzügen tritt hinzu. St.-A. Fischer unterband zunächst die
Carotis communis. Dessenungeachtet kam es bei der nachfolgenden Er-
weiterung des Schusskanales zu einer heftigen Blutung, welche die Unter-
bindung der Maxillaris interna erforderte. Nach Entfernung der Knochen-
splitter, darunter fast der ganze Gelenkfortsatz, wurde die deformirte
Kugel in der Tiefe gefunden und ausgezogen.
Nach der Operation geringer Nachlass der Athemnoth, aber fort-
dauernder Stridor, grosse Anämie und furibunde Delirien. Letztere wichen
demnächst einem somnolenten Zustande, welcher am 24. April unter den
Erscheinungen der Lungenlähmung mit dem Tode endigte.
Bei der Section fand sich neben dem zerschmetterten Gelenkfortsatze
der Kronenfortsatz intact. Oberkiefer gestreift, ebenso das Keilbein in der
Gegend des Foramen caroticum. Die Carotis interna nicht verletzt. Die
Kugel hatte retropharyngeal in der Gegend der Tonsille gesessen und den
weichen Gaumen von rechts nach links gedrängt. Starke Blutextravasate
waren nach abwärts an der Pharynxwand und der rechten Hälfte der Glottis
und Epiglottis gelagert.
Die Blutungen aus jener Region, welche von dem aufsteigen-
den Aste des Unterkiefers nach vorn und aussen gedeckt wird —
Fossa pterygopalatina, sphenomaxillaris und temporomaxillaris — ,
stehen schon längst in üblem Rufe. Um jeden künstlichen Anlass
zu denselben zu vermeiden, wird allgemein empfohlen, möglichst
zögernd und vorsichtig an die Extraction von Knochensplittern und
Projectilen zu gehen. Demme sucht diesen Rath noch zu unter-
stützen, indem er bemerkt, „mehrere Fälle" zu kennen, in denen
sich Projectile dort Monate lang der Nachforschung entzogen und
122
dann hei bestimmten Bewegungen des Unterkiefers zugänglich wurden
oder durch Senkung und Abscedirung nach der Mundhöhle durch-
brachen.
Im vorerwähnten Falle begann die Blutung am 5. Tage, obwohl
andauernd Ei^ applicirt war. Ihre schnellen Wiederholungen wirkten
erschöpfend, und das Leben war gleichzeitig bedroht durch Er-
stickung. Letztere schien bedingt durch das in der Tiefe sitzende
Geschoss. Um zu demselben zu gelangen, war keine Resection des
Unterkieferastes nöthig: die Herausnahme der Knochenstucke genügte.
Zur Verhütung erneuter Blutung während dieser Operation unter-
band man vorher die Carotis communis ohne Erfolg. Die Maxil-
laris interna blutete bei der Erweiterung des Schusskanales doch
und musste unterbunden werden.
Ebenso erfolglos blieb die Unterbindung der Carotis in einem
zweiten Falle von secundärer Blutung der fraglichen Region, ob-
wol derselbe übrigens glücklich verlief.
Fall Quersehuss durch den Unterkiefer. Secundäre Blutun-
gen. Unterbindung der Carotis communis. Erneute Blutung.
Isolirte Unterbindung der blutenden Aeste Heilung. Grena-
dier Karl Wittig vom 3. G.-Gren.-Reg. K. E. wurde am 18. April ver-
wundet Die Kugel hat den linken Unterkiefer seinem Winkel nahe zer-
schmettert und ist an der rechten Seite, den unteren Rand streifend,
ausgetreten. In Flensburg, wohin Pat. am 20. April gelangte, bot der Ver-
lauf bis zum 28 April nichts Ungewöhnliches. An diesem Tage aber trat
eine starke Blutung aus der Eingangsöffnung ein Sie stand auf Tampo-
nade. Am 29. April folgten wiederholte und starke Blutungen aus der
Ausgangsöffnung. Weder der einfache noch der mit Liquor Ferri sesqui-
chlorati getränkte Tampon halfen. St.-A. Fischer unterband desshalb die
Carotis communis dextra. Die Blutung stand danach nur kurze Zeit.
Durch weite Dilatation der Ausgangsöffnung wurde nun der Weg zu den
blutenden Arterien gebahnt. Es wurden mehrere unterbunden: welche, ist
aus dem Journale nicht zu ersehen. Unter fortgesetzter Eisauflegung blieb
der weitere Verlauf ungestört. Die letzte Ligatur löste sich am 11. Tage
nach der Operation; es war die der Carotis. Im Juni wurde noch die In-
ciriOD eines kleinen JSenkungsabscesses an der Ligaturseite des Halses nö-
thig. Anfangs August war der Unterkiefer völlig cousolidirt. Bei der An-
fangs Ortober in Berlin erfolgten Entlassung war das Oeffnen des Mundes
durch Narbencontractur noch etwas behindert.
Die-* Bwei Unterbindungen der Carotis sind meines
Wissens die einzigen, welche 1864 auf unserer Seite gemacht sind.
Sie fordern nicht auf zur Wiederholung in einer künftigen Feld-
praxis, wenn es sich um secundäre Blutungen handelt. Man wird,
123
muss einmal operativ eingeschritten werden, nur sicher gehen, wenn
man die blutenden Aeste selbst behufs der Unterbindung zu er-
reichen sucht — nöthigen Falles mittelst der Resection des Unter-
kiefers.
Obwohl noch eine Reihe von Kieferverletzungen, an denen die
Aderstämme der fraglichen Region resp. der Zunge betheiligt sein
mussten, vorgekommen ist, so bleiben doch die letzterwähnten
beiden Fälle die einzigen, in welchen Eis und Tampon nicht aus-
reichten, Secundär- Blutungen zu verhüten oder zu stillen. Es ist
wol mehr als blosser Zufall, dass sie in der Periode nach dem
Sturmtage, wo die momentane Ueberfüllung der Lazarethe in Flens-
burg die Entvvickelung der pyämischen Disposition begünstigte, vor-
kamen.
Primäre arterielle Blutungen, bei welchen die Unter-
bindung der Carotis nach den Erfahrungen im ersten schleswig-
holsteinischen Kriege viel mehr Aussicht auf Erfolg bietet und von
Pirogoff wegen der Unsicherheit der Erkenntniss des verletzten
Aderzweiges als prophylactisches Mittel dringend empfohlen wird,
sind in einem das operative Einschreiten fordernden Grade 1864
nicht vorgekommen.*) Stärkere und wiederholte venöse Blutungen
begleiteten mitunter die frischen Verletzungen der Zunge; aber der
Eisbeutel und die Eispille genügten zu ihrer Stillung.
Was die Erstickung betrifft, welche in unseren 4 Todesfällen
den Ausschlag gab, so blieb die Ursache derselben im ersten Falle
trotz der Section un ermittelt , in den anderen drei Fällen wurden
mechanische Momente — Zurückrollen eines Zungenlappens über
den Kehldeckel, Senkung des Geschosses bis zur Stelle zwischen
Zungenbein und Schildknorpel, Verengerung des Aditus laryngo-
pharyngealis durch die hinter der Tonsille liegende Kugel — theils
vorausgesetzt, theils gefunden. Nirgends erwähnen die Beobachter
dieser Fälle ein Moment, welches namentlich von Pirogoff betont
wird — das acute submucöse Oedem. Es bleibt bei den Kieler-
verletzungen, welche die Mund- oder Rachenhöhle tangiren, in der
*) In dem erwähnten offiziellen Berichte aus dem amerikanischen Kriege
werden Nachblutungen als die häufigste Todesursache bei den Gesichtsver-
letzungen bezeichnet. Die Ligatur der Carotis pflegte den tödtlichen Ausgang
nur einige Zeit zu verzögern. Unter 1579 Gesichtsschüssen mit Knochenläsion
endeten 107 tödtlich; von 581 ist der Ausgang unbekannt.
124
That kaum jemals ganz aus und trägt durch die Schlingbeschwer-
den, welche es hervorruft, nicht wenig zur Steigerung der Leiden
dieser Verwundeten bei. Sollte nicht das Fortschreiten dieses Oedems
auf die Stimmritze auch an einem oder dem anderen unserer Todes-
falle Antheil gehabt haben? Die Frage ist, glaube ich, nicht ohne
practische Bedeutung. Wo man mechanische Ursachen der gedachten
Art nicht constatiren oder augenblicklich nicht beseitigen kann,
oder wo nach Beseitigung derselben die Zeichen fortbestehen, sollte
man nicht zögern, mittelst der Tracheotomie einzuschreiten, um
Zeit zu gewinnen. Diese Operation hat möglicher Weise bei dem
traumatischen Oedema glottidis mehr Aussicht auf Erfolg,
als bei manchen anderen Indicantien derselben.
Die Schussfracturen des Oberkiefers
haben, wie gesagt, ihren alten Ruf als wenig gefährliche und wun-
derbar gut heilende Verletzungen auch 1864 bewährt. Und doch
gab es eine kleine Gruppe derselben, bei welcher das Geschoss ge-
rade jene verhängnissvolle Region, von welcher eben die Rede war,
durchsetzte. Es kamen 3 Fälle vor, in denen die Kugel dicht
unter dem Ohre zwischen dem Zitzenfo rtsatze des
Schläfenbeines und dem aufsteigenden Aste des Unter-
kiefers einschlug und nach der Mundhöhle vordringend
den harten Gaumen zertrümmerte. Der weitere Verlauf der
Kugel war verschieden. Einmal trat sie in ziemlich gerader Rich-
tung den Alveolarfortsatz durchschlagend dicht unter der Nase zu
Tage, zweimal drang sie schräg gerichtet in den Körper des Ober-
kiefers der anderen Seite, um in dem einen Falle durch die vordere
Wand desselben auszutreten, im anderen monatelang in dem Antrum
Bighmori Quartier zu nehmen.
Fall 70. 1) Schussf ractur des harten Gaumens. Einseitige
Taubheit und Faciallähmung. Heilung. Martin Paulsen vom
2. däii [nf.-Reg. wurde am 18. April verwundet und in Broacker aufge-
nommen. Die Engel ist dicht unter dem linken Ohre zwischen der Spitze
des Zitzenfortsatzos und dem hinteren Rande des Unterkieferastes einge-
drungen und dicht unter der Nase durch die Oberlippe ausgetreten. Sie
hat auf diesem Wege den harten Gaumen in seiner ganzen Länge zer-
trümmert und 3 Schneidezähne herausgeschlagen. Das linke Ohr ist taub,
das Trommelfell gesprengt, die linke Gesichtsseite gelähmt. Nicht uner-
125
hebliche Atheni- und Schling- Besch werden erregten Anfangs Besorgniss.
Pat. konnte nur aufrecht sitzend ausdauern, fand aber in der Benutzung
des über seinem Bette aufgehängten Irrigators zum beständigen Ausspülen
des Mundes das wohlthuendste Hülfsmittel. Gegen Ende Mai war der
ziemlich bedeutende Defect, der im harten Gaumen entstand, dem Ver-
schlusse nahe.
Fall 71. 2) Schussfractur des harten Gaumens und Oberkiefer-
körpers. Heilung. Füsilier Heinrich Knauer vom 15. Inf.-Reg. erhielt
am 17. März bei Rackebüll eine Kugel, welche hinter dem rechten Ohr-
läppchen ein und an der linken Wange unterhalb des Jochbeines austrat.
Sie hatte auf dem Wege den hinteren Theil des harten Gaumens zertrüm-
mert, die obere Fläche der Zunge gestreift und das Antrum Highmori
durchsetzt. Pat. wurde zuerst in Baurup, später in Apenrade gepflegt.
Die Schwellung des Gesichtes und Halses war sehr bedeutend, die Kräfte
nahmen wegen der gehemmten Ernährung sehr ab, aber eine fieberhafte
Reaction wurde kaum merkbar. Gegen Ende Mai war der Defect im harten
Gaumen bis auf Sechsergrösse verkleinert. Von da ab ging die Ausheilung
langsamer. Noch in Münster, wo Pat. Ende Juni eintraf, konnte er nur
mit Mühe einige Speisen zu sich nehmen. Grosse Erleichterung gewährte
der künstliche Verschluss des Gaumenloches mittelst einer an den Zähnen
befestigten Goj.dplatte. Unter ihr verkleinerte sich jedoch der Defect noch
weiter, so dass K. Ende October feste wie flüssige Nahrung nehmen,
rauchen und verständlich sprechen konnte.
Fall 72. 3) Schussfractur des harten Gaumens. Sieben Monate
später Extraction der Kugel aus dem Antrum Highmori.
Heilung. Musketier 0. Spillecke vom 60. Inf.-Reg. wurde am 18. April
verwundet. Die Kugel ist hinter dem linken Ohrläppchen eingedrungen
und hat das Gaumengewölbe fracturirt. Eine AusgangsötTnung ist nicht
vorhanden. Gleich nach der Verwundung war die rechte Gesichtshälfte
stark geschwollen, so dass schon auf dem Verbandplatze versucht wurde,
die Kugel mittelst einer Incision an der rechten Wange, wo man sie ver-
muthete, zu entfernen. Man fand sie jedoch nicht. Im Lazarethe zu
Flensburg war der Verlauf unter consequenter Eisanwendung sehr milde.
Schmerz sehr gering Der Eiter fliesst durch Mund und Nase ab. Ende
April ist die Schuss- wie die Schnittwunde geschlossen. Die Bruchstücke
des harten Gaumens haben sich gut an einander gelagert, die Weichtheile
desselben der Heilung nahe. Als Pat. Mitte Mai evacuirt wurde, war von
den Folgen der Verletzung nichts weiter übrig, als ein massiger Eiter-
abfluss aus der Nase. Ohne Schmerz oder andere Beschwerden be-
stand dieser noch im November, als man im Garnisonlazarethe zu Berlin
mit der Sonde auf einen festen Körper im rechten Antrum Highmori traf.
Er Hess sich mit der Pincette fassen, aber nicht ausziehen. Am 23. No-
vember wurde in der v. Lan gen beck 'sehen Klinik der Nasenflügel ein-
geschnitten und die grosse an der Spitze gespaltene Kugel ausgezogen.
Die geheftete Schnittwunde heilte grossen Theiles ohne Eiterung. Am
4. Januar 1865 wurde S. geheilt entlassen.
126
Die Erfahrung, dass Geschosse lange und ohne Beschwerden
zu machen in der Höhle des Oberkiefers verweilen können, ist nicht
neu. Die Indolenz dieser Knochenhöhle bewährt sich selbst bei
langen und scharfen Fremdkörpern, so dass solche sich darin ver-
stecken können, auch wenn sie durch die Gesichts wand eindringen.
Fall 73. Anscheinend unbedeutende ßajonnet - Stich wunde der
Wange. Sechs Monate später Extraction eines mehre Zoll
langen Bajon netstückes aus der Kieferhöhle. Heilung. Mus-
ketier Martin Rzy mi an o wicz vom 18. Inf. -Reg. wurde am 15. April bei
Düppel verwundet. Das Geschoss hatte das Bajonnet seines Gewehres
zerschmettert und den rechten Zeigefinger gestreift. An der linken Wange
hatte er eine anscheinend von einem Bajonnetstiche herrührende Haut-
wunde. Beide Verletzungen erschienen so unbedeutend, dass er in rascher
Folge die Lazarethe in Stenderup, Rinkenis und Flensburg durch
Evacuation passirte. In Rendsburg, wo er am 21. April anlangte, wurde
Einbruch der vorderen Wand des linken Oberkiefers constatirt.
Schmerz im Kiefer und Lockerung der Zähne erschwerten das Kauen. In
dem heimischen Reserve -Lazarethe zu Burg, wo R. vom 12. Mai bis 12.
September gepflegt wurde, stiessen sich bei massiger Eiterung wiederholt
kleine Knochensplitter ab. Bei der Aufnahme in das Lazareth zu Posen
am 14. Septbr. bestand dicht unter dem linken Infraorbitalrande etwas nach
innen von der Mittellinie ein fistulöses Geschwür mit einer etwa 2"' wei-
ten Oeffnung, durch welche die Sonde auf eine rauhe harte Fläche traf.
Es wurde wenig dünnflüssiger Eiter, der einzelne schwarze Partikel ent-
hielt, abgesondert. Die Umgebung erschien normal; Zeichen entzündlicher
Reizung fehlten. Pat. klagte jedoch über ein dauerndes Gefühl von Schwere
im Kiefer und über Schmerz bei jedem Kauversuche. Am 5. October
drängte ein schwarzer Fremdkörper in die Geschwürsöffnung vor. Er Hess
sich jedoch nicht ordentlich fassen und sass sehr fest. Die Schmerzen
bei jeder Kieferbewegung wurden jetzt heftiger. Nach einer Dilatation der
Geschwürsöffnung trat der Fremdkörper weiter vor, so dass am 11. October
die rauhe dreieckige Bruchfläche eines Bajonnetstückes deutlich zu erkennen
war. Man konnte es gut fassen, aber es sass so fest, dass es dem Zuge
nicht folgte. Folgenden Tages sollte es in der Chloroform - Narkose ent-
fernt werden. Unmittelbar vorher fasste O.-St.-A. Roland den noch etwas
weiter vorgetretenen Körper knapp mit den Fingern; er folgte jetzt dem
Zuge in schräger Richtung nach der Nase ganz leicht. Ein 2\" langes,
3 Loth schweres Bajonnetstück wurde entwickelt. Es passte genau zu
dem etwa 2" langen Stücke, welches nebst der Tülle am Gewehr verblieben
war. Aus der Richtung des erfolgreichen Zuges ergab sich, dass das
Eisenstück schräg von vorn und innen nach hinten und aussen in der
Kieferhöhle gelagert hatte.
Schmerzen und Kauhinderniss waren nun beseitigt. Unter mässiger
Eiterung stiessen sich von Zeit zu Zeit noch kleine Sequester ab. Ein
kleiner Fistelgang bestand noch als R., übrigens völlig wohl und gekräftigt,
am 3. Mai 1865 als temporär invalide entlassen wurde.
127
Geschosse, welche gerade von vorn treffen, müssen sehr
matt sein, wenn ihre Wirkung auf den Gesichtstheil des Kopfes be-
schränkt bleiben soll; sonst dringen sie weiter in den Schädeltheil
mit mehr oder weniger schnell tödtlichen Folgen, unter denen die
Sprengung der Schädelbasis obenansteht.
Die meisten Verletzungen des Oberkiefers entstehen durch Ge-
schosse, welche von der Seite einschlagen. Mitunter wird dabei
nur die vordere Wand der Kieferhöhle tangential eingedrückt.
An und für sich ungefährlich, lassen Comminutivfracturen der Art
um so grössere Entstellungen durch Narbeneinziehung zurück, je
gründlicher die Splitterausziehung beim ersten Verbände betrieben
ist. Granatsplitter wirken in dieser Beziehung besonders übel wegen
ihrer Zerfetzung der Weichtheile. In den Belagerungs-Batterien vor
Düppel sind sehr ausgedehnte Verletzungen der Art vorgekommen.
Ist der Aufschlagswinkel weniger stumpf, so gesellen sich zu
der Zerschmetterung des Oberkiefer-Körpers in der Regel weitere
Verletzungen, namentlich des Knochengerüstes oder des Knorpel-
theiles der Nase, des Ober- oder des Unterkiefers der anderen Seite.
Nach Ochwadt (1. c. S. 331) sind in den Flensburger Laza-
rethen, obwohl durch sie die meisten Verwundeten passirten, „Ver-
letzungen beider Oberki efer durch ein von der Seite ein-
gedrungenes Projectil" gar nicht beobachtet werden. Danach
könnte es scheinen, als sei diese Verletzungsform besonders selten.
Diess ist jedoch nicht der Fall. Jene Notiz trifft auch nur zu für
die amtlichen Lazarethe in Flensburg. In dem dortigen Johanniter-
Lazarethe sind zwei Verwundete der Art behandelt.*)
Fall 74. Der eine — v. S., Hauptmann vom 64. Inf.-Reg. — wurde am 18. April
verletzt. Die Gewehr-Kugel war in der linken Naso-Labialfalte einge-
drungen, und nach Durchbohrung des Nasenfortsatzes, der Nasenscheide-
wand und des Oberkieferkörpers der anderen Seite oberhalb des rechten
Kiefergelenkes ausgetreten. Der harte Gaumen war nirgends perforirt;
aber die schmerzhafte Schwellung desselben verrieth, dass seine obere Fläche
von dem Geschosse gestreift sei. Die Heilung erfolgte sehr rasch. Schon am
13. Mai waren die Wunden geschlossen.
Kürzlich sah ich diesen Offizier auf dem Kriegstheater in
Böhmen wieder. Die Spuren jener Verletzung sind fast völlig ver-
wischt.
*) S. J. Ressel 1. c. S. 22 u. 18.
Loeffler, Generalbericht.
9
128
Bedeutender war die Verletzung, welche
Fall 75., Oberstlieut. v. G., vom preuss. Leib-Reg. Nr. 8, am 28. März erlitt.
Am linken Jochbeine eingedrungen, hatte die Kugel den linken Oberkiefer
schräg von oben und aussen nach unten und innen durchbohrt, dann an
der Grenze zwischen hartem und weichem Gaumen in die Mundhöhle
tretend, diese ohne Zungenverletzung durchsetzt, und nach Zertrümmerung
des hinteren Abschnittes des Alveolarfortsatzes vom rechten Überkiefer
durch die Mitte der rechten Wange ihren Ausweg genommen. Bedeutender
Blutverlust, starke Eiterung, Speichelrluss und erschwerte Ernährung wirkten
bei dem vorgerückten Alter (54 Jahre) schwächend genug. Dennoch ver-
lief die Ausheilung ungestört. Am 1. Mai waren die Wunden fast ge-
schlossen. Der silbergroschengrosse Gaumen-.Defect verkleinerte sich
unter Touchiren mit Höllenstein langsam aber stetig und verheilte Anfangs
Juli vollständig.
Ausser diesen beiden sind noch 4 andere und theilweis schwerere
Verletzungen der Art vorgekommen.
Fall 76. Schuss quer durch beide Oberkiefer. Erschütterung
des rechten Auges. Heilung. Grenadier Midrit vom 3. G.-G.-R.
Königin Elisabeth wurde am 8. März vor Friedericia verwundet und in
Kolding (schw. F.-L. des Garde-Corps; Sect. St.-A. Wolff) gepflegt. Die
Kugel ist dicht unter dem r. Jochbeine ein- und fast genau an derselben
Stelle der linken Seite ausgetreten, hat beide Kieferhöhlen und die Nasen-
höhle durchsetzt, den Gaumenfortsatz aber unberührt gelassen. Die Sehkraft
des rechten Auges ist geschwächt, die Pupille erweitert und schief nach
unten und aussen verzogen. Die Ausheilung des Schusskanals verlief
ohne Störung. Als M. am 27. Juni in Wittenberge eintraf, waren die
Wundöffnungen vernarbt. Aus der Nase kommt noch etwas Eiter. Bei
der am 8. September in Berlin erfolgten Entlassung war die Sehkraft des
rechten Auges noch geschwächt, die Pupille noch erweitert, aber nicht
mehr verzogen.
Fall 77. Schuss quer durch beide Oberkiefer. Heilung. Gren. ,
Schwarz vom Leib-Gren.-Reg. No. 8 erlitt am 18. April eine der vorigen
sehr ähnliche Verwundung. Die Schussöffnungen lagen nur dem Orbital-
rande etwas näher, so dass rechts ein kleines keilförmiges Stück desselben
vorgedrängt war. Allgemeine Reaction wurde kaum merkbar. Die Eiterung,
In den ersten 14 Tagen stark, währte am längsten aus der Nase. Bereits
Ende Mai waren die Schussöffnungen vernarbt. Nachdem er die Lazarethe
zu Baurup, Apenrade, Steinau passirt hatte, wurde S. am 25. Juli von
Berlin als invalide entlassen, weil Unwegsamkeit der rechten Nasenhöhle
und in Folge derselben Erschwerung des Athmens bei Anstrengungen
restirte.
Die andern beiden Fälle waren mit Gaumen- Verletzung
complicirt.
Fall 78. Schuss quer durch beide Oberkiefer. Zertrümmerung
des linken Gaumen- und Zahnfortsatzes. Heilung. Musketier
Grewe vom GO. Inf.-Reg. wurde am 2. Februar vor Missunde dicht unter
129
i]e,iu rechten proo. orbitalis von einer Kugel getroffen, welche beide Kiefer-
höhlen nennt der zwischen ihnen liegenden Nasenhöhle durchschlug. Da«
vordere Stück des linken proe. alvcolaris und der Gaumenfortsatz die, er
Seite wind abgesprengt, so das* hier Mund-., Nahen- und Kieferhohle corn-
munkm-n. Heftige örtliche Reaetion, Fieber rnäsaig und nur in den ersten
Tagen. Nach starker Eiterung und häufiger Losung kleiner Sequester
waren am 28. März, bis wohin 0. in Kckernförde und KieJ gepflegt wurde,
nicht bloss die beiden äusseren Scbu.-.söflnungen, sondern au eh die Gaumen-
verlet'/ung vernarbt, hie Narben -Contractu? führte zu Ketropien beider
unteren Augenlider, welche am 9. Mai die Invalidisirung in Berlin motivirten.
Fall 71*. Querschuss durch beide Oberkiefer im Bereiche der
Gaumen- und A I v e o 1 a r for ts ätz e. Grosser Defeet im harten
G a u m e n. Heil u n g. Waffenmeister F. S c h m i sar vom 22. Gän. Inf -
Regt, wurde am 18. April verwundet. Kingangsöffnung klein und rund in
der Mitte der linken Wange: Ausgangsöffnung an der entsprechenden Stelle
der rechten Wange, aber gerissen und H" lang. Gie Kugel hat links den
Zahnfortsatz im Bereiche sämmtlicher Backenzähne herausgeschlagen und
den Gaumenforteatz so zertrümmert, daea ein t" laiiger, j" breiter Defeet
mit scharfen Knochenrändern besteht. Auf der rechten Seite bezeichnet
ein mehre Linien breiter, quer über die untere Seite des harten Gaumens
gehender Weichtheil- und Pcriost-Defect den weiteren Lauf der Kugel,
welche schliesslich das die ersten beiden Backenzähne tragende Stück
des Zahnfortsatzes dieser Seite abgesprengt hat, ohne die Kieferhöhle zu
öffnen. Im Lazareth Rinken is Wörde die Vereinigung der rechten Wangen-
wunde nach Ebenung der Ränder durch Nähte versucht. Sie gelang
grössten Theiles. Fieber trat kaum ein. Die Ausheilung ging in Glücks-
burg, wohin S. am 5. Mai verlegt wurde, ohne Störung und so günstig
vor sich, dass gegen Knde Juni selbst der Sehluss des Gaumen-Defektes
vollendet war. Am 3. Juli wurde S. heimgesandt,
[m italienischen Kriege, von 1850 waren nach der Mittbeflnng
von Demme zur Heilang der Gaumen- befeetc plastische Ope-
rationen sehr beliebt. Die Erfahrung von 1864 beweist, dass solche
bei der traumatischen Form dieses Uebels in der Regel nicht er-
forderlich sind.
Wenn die den Oberkiefer von der Seite treffende Kugel die diago-
nale Richtung nach dem Unterkiefer der anderen Seite nimmt, so pas-
sirt sie die Mundhöhle. Ks kommt vor, dass sie hier liegen bleibt, ohne
weitere Zerstörung anzurichten. So geschah es z. B. bei dem
Jäger F. Seh w ick vom 3. Jäger-Bataillon am Juni. In der
Kegel aber sind die combinirten Sch ussfracturen des 0 ber-
und Unterkiefers mit mehr oder weniger bedeutenden Ver-
letzungen in der Mund- resp. Rachen-Höhle verknüpt. Ein tödtlich
verlaufener Fall der Art ist bereits erwähnt (Fall 65; S. 119),
Sechs andere nahmen einen glücklichen Ausgang. Wegen des be-
9*
130
sonderen Interesse, welches sich an sie knüpft, hebe ich einige der-
selben hervor.
Fall 80. Schussfractur des Ober- und Unterkiefers. Gauraen-
defect. Zungenriss. Heilung. Niels Christian Jensen vom 3. Dan.
Inf.-Regt. wurde am 29. Juni verwundet. Das Langblei drang an der
linken Wange ein, durchbohrte den Körper des Oberkiefers, schlug ein
rundes Loch durch den harten Gaumen, riss die Zunge links unten auf,
fracturirte den rechten Horizontalast des Unterkiefers mit Verlust des
Eckzahnes und der beiden ersten Backenzähne und ging dann an dessen
Aussenseite abwärts bis dicht vor dem Muse, scalenus anticus, wo sie
ausgeschnitten wurde. Unter dem linken Jochbeine wurde ein Zünd-
spiegel gefunden. Die Zungenwunde snchte man durch ein Heft von
Silberdraht zu vereinigen. Schmerzen, Gesichtsschwellung und die Unmög-
lichkeit zu sprechen und zu schlucken, machten Anfangs viel Beschwerde.
Aber der Zungenriss heilte schnell; das Gaumenloch war am 10. August
geschlossen, so dass J. am 12. August von Broacker (1. F. L. 13. Divis.;
St.-A. Hagemann) heimgesandt werden konnte.
Fall 81. Schussfractur des Ober- und Unterkiefer s. Abreissung
einer Tonsille. Heilung. Sergeant Kro essin vom 35. Füs.-Reg. wurde
am 18. April verwundet und in Baurup (1. schw. F.-L., 3. A.-Corps; Sect.
St.-A. Lücke) aufgenommen. Die Kugel schlug durch den Zahnfortsatz des
rechten Oberkiefers in der Gegend der hinteren Backenzähne, streifte den har-
ten Gaumen, riss die linke Tonsille ab und trat durch den linken Ast des Unter-
kiefers dem Winkel nahe aus. Knochenzertrümmerung und Zerreissung der
Weichtheile waren hier so bedeutend, dass man mit zwei Fingern in den Mund
greifen konnte. Die Carotis pulsirte nahezu blossgelegt im hinteren Wundwin-
kel. Die abgerissene Tonsille war zwischen den Zähnen eingeklemmt und wurde
mittelst der Kornzange von dem Schleimhaut-Stiele, an welchem sie noch haf-
tete, abgedreht. Der Verlauf der Wundheilung blieb ungestört. Aber mit der
vorschreitenden Vernarbung wurde der Unterkiefer unbeweglicher durch
Narbenstränge zwischen ihm und dem Oberkiefer. Durch Einschneiden
derselben und Einschieben eines Holzkeiles, besonders während
der Nacht, gelang es, die Beweglichkeit zu erhalten.
Dieses von Lücke mit Erfolg geübte Verfahren gegen Narben-
Ankylose des Unterkiefers verdient prophylactisch besondere Beach-
tung bei den Schussverletzungen der Gegend des Unterkieferwinkels.
Die Ankylose droht namentlich bei combinirter Schussfractur des
Ober- und Unterkiefers derselben Seite — einer allerdings nicht
häufigen Verletzungsform.
Fall 82. Schussfractur des Ober- und Unterkiefers rechter
Seits. Falsche Ankylose des letzteren. Heilung. Pionier Jon.
Borchardt vom 2. Pionier-Bat. wurde am 29. Juni verwundet und in
Os t er- S a tr u p (1. schw. F.-L. 3. A.-C; Sect. St.-A. Lücke) aufgenommen.
Die Kugel trat von oben her durch die rechte Wange und den Zahnfort-
satz des rechten Oberkiefers in den Mund, streifte und fracturirte den auf-
131
steigenden Ast des Unterkiefers derselben Seite und drang unter der Haut
des Halses weiter abwärts bis hinter das Brustbeinende des rechten
Schlüsselbeines. Die deformirte Kugel wurde hier ausgeschnitten. Dicht
unter ihr lag die Art. subclavia, deren Pulsation in der Schnittwunde
längere Zeit sichtbar blieb. Knochenstücke und Zahntheile waren bis
hierher mit fortgerissen und wurden nach und nach extrahirt. Anfangs
August wurde wegen des sehr erschwerten Oeffnens des Mundes ein harter
Narbenstrang zwischen den Kiefern durchgeschnitten. Stücke vom Oberkiefen
Kugelfragmente und ein grosser Sequester vom Unterkiefer wurden nun
gefunden und allmählig entfernt. Durch consequentes Tragen von
Holzkeilen zwischen den Zähnen wurde die Wiederkehr der falschen
Ankylose verhütet. Gegen Ende August ist der Unterkiefer zum Kauen
wieder brauchbar. Erst Anfangs November schloss sich die Schnittwunde
an der Clavicula. Schon im August hatte durch Contractur der Narben
und des Kopfnickers ein Caput obstipum der rechten Seite begonnen.
Es bestand noch, als B. Ende December von Berlin entlassen wurde.
SchussverletziiDgen des Unterkiefers
sind, abgesehen von den als Combinationen der Oberkiefer-Schüsse
schon erwähnten, nach der statistischen Tabelle VII. (pag. 107)
31 vorgekommen. Unter diesen bewirkten 6 keine vollständige
Unterbrechung der Continuität des Kieferbogens; es handelte sich
bei ihnen vielmehr nur um Absprengung grösserer oder kleinerer
Knochenstücke. Die übrigen 25 waren wirkliche Fracturen resp.
Zertrümmerungen, welche den Kieferbogen mehr oder weniger weit
unterbrachen. 14 davon betrafen einen oder den anderen Seiten-
theil des Kiefers (incl. aufsteigender Ast), 5 waren Doppelfracturen
beider Seitentheile, 6 concentrirten sich auf den Kinntheil.
Von welchen Momenten die Lebensgefahr bei diesen Ver-
letzungen abhängt, ist unter Mittheilung der 3 resp. 4 tödtlich ver-
laufenen Fälle bereits erörtert worden (v. pag. 119 ff.). Art und
Ausdehnung der Knochenverletzung selbst sind kaum von Einfluss
darauf. Die Schussfracturen in der Nähe der Winkel und an den
aufsteigenden Aesten des Knochens sind nur deshalb gefährlicher,
weil sie leichter und häufiger mit solchen Neben Verletzungen, welche
das Leben — durch Blutung oder Erstickung — bedrohen,
complicirt sind.
Bei den profusen Eiterungen, welche sich an die schwereren
Verletzungen des Unterkiefers knüpfen, und welchen die stete Bei-
mischung des in Masse secernirten Speichels den foetiden Charakter
verleiht, ist es auffallend, dass die Pyämie kein Opfer unter den
132
Verletzten dieser Categorie zu fordern pflegt. Noch auffallender
aber und die gängige Erklärung mancher plötzlichen Todesfälle
bei Resectionen am Kinntheile des Unterkiefers in Frage stellend
ist die Erfahrung, dass den Schussverletzungen, welche den Kinn-
theil des Knochens zerstören und die an demselben haftenden Mus-
keln ihres Haltes berauben, diese Gefahr nicht eigen ist. Beson-
ders lehrreich sind in dieser Beziehung die umfänglichen Zerstörun-
gen des Kiefers, welche Legouest erwähnt und theilweis durch
Bilder erläutert hat (1. c. pag. 898 ff.).
Dergleichen Prachtexemplare sind unter unseren Verwundeten
glücklicher Weise nicht vorgekommen. Die bedeutendste Verletzung
der Art war die folgende.
Fall. 83. Zertrümmerung des Unterkiefer- Kinntheiles. Grosser
Knochen- und Haut-Defect. Plastische Op eration. Heilung.
Grenadier F. Trebbin vom 4. Garde-Reg. z. F. wurde am 18. April durch
Granatsplitter verwundet, zunächst im Lazareth zu Stenderup (1. F. L.
6. Divis, aufgenommen und vom 22. April ab in Baurup (1. schw. F. L.
3. A. C. ; Sect. Lücke) gepflegt. An der Volarfläche des linken Vorder-
arms war ein fast handtellergrosses Hautstück weggerissen, das Mittelstück
des Unterkiefers 3 Finger breit herausgesprengt, die umgebenden Weich-
theile umfänglich zerrissen. Heftige Blutungen, welche hier eintraten, wur-
den durch mit Liq. ferri sesquichlorati getränkte Charpie-Tampons gestillt.
Der Knochendefect reichte vom linken ersten Backzahn bis zum rechten
Eckzahn, der indess auch nebst dem ersten Backzahne mit herausgerissen
war. In der Wundfläche lagen mehrere halb lose Knochenfragmente. Die
Lippe hing nur am rechten Mundwinkel an, völlig getrennt von der Kinn-
haut. Darunter ein zollbreiter Hautdefect und ein abgerissener mit der
rechten Wange durch eine Hautbrücke zusammenhängender Lappen. Links war
die Kinnhaut abgelöst und zusammengerollt; sämmtliche Lappen hatten
gangränöse Ränder. (S. die Abbildung bei Lücke 1. c. p. 102). Ein scheuss-
licher Gestank steigerte das Widerwärtige des Anblickes dieser Verletzung.
Sorgfältige Reinigung; Verband mit Chlorwasser. Trotz noch bestehender
starker Infiltration nahm Lücke schon am 24. April eine plastische Ope-
ration vor. Die gangränösen Ränder der Hautlappen wurden abgetragen
und durch Nähte so vereinigt, dass die Unterlippe restaurirt war und
nur rechts in der Kinngegend ein Defect blieb, der durch Granulation er-
setzt werden sollte. (S. fig. 2 bei Lücke 1. c. pag. 103). Die prima
intentio gelang bis auf einen kleinen Punkt. Schon am 18. Mai war auch
der Kinndefect durch Granulation geschlossen. Anfangs Juni wurde T.
von Gesichtsrose befallen, welche erst mit der Ablösung eines grossen Se-
questers vom Unterkiefer zum Abschluss gelangte. Inzwischen hatte er
auch einen tiefen Abcess in der linken Hinterbacke glücklich überstanden.
Mitte Juli war die Vernarbung vollständig. Eine knöcherne Verbindung
der Kieferenden hat sich nicht hergestellt. Das rechte Ende ist mit der
133
Unterlippe verwachsen. Das Kauen fester Speisen ist gestört durch den
Umstand, dass die stehengebliebenen Zähne des Unterkiefers auf die cor-
respondirenden des Oberkiefers nicht passen.
Auch bei weniger bedeutenden Verletzungen des Kieferknochens
wird durch die Zerfetzungen der Weichtheile, welche Granatsplitter
zu bewirken pflegen, die Frage gestellt, welcher Zeitpunkt für die
erforderlichen plastischen Operationen zu wählen sei. Man
ist darüber keineswegs einig. Lücke empfiehlt, diese Operationen
möglichst früh zu machen, d. h. sobald die Sicherheit da ist,
dass keine weiter schreitende Gangrän den Effect mehr stören kann
— besonders weil wegen des allmähligen Schrumpfens der Wund-
lappen später weit verletzendere Operationen erforderlich werden, um
den Zweck zu erreichen. Die Erfahrung hat gelehrt, dass das
Stadium der Infiltration kein absolutes Hinderniss der prima in-
tentio ist.
Eine Schussfractur des Unterkiefers, besonders wenn sie dop-
pelseitig und mit mehr oder weniger bedeutenden Verletzungen in
der Mundhöhle complicirt ist, pflegt den Verletzten alsbald in die
peinlichste Lage zu bringen. Zu der Störung im Kauen, Schlucken
und Sprechen und zu der raschen Schwellung des subcutanen und
submucösen Zellgewebes gesellt sich ein profuser Speichelfluss, wel-
cher ihn zum erquickenden Schlafe nicht kommen lässt.
Der Esmarch'sche Irrigator wird in diesem Zustande zum
Wohlthäter in zwiefacher Richtung. Er gestattet dem Verwundeten,
die Behaglichkeit des Mundausspülens sich beliebig oft zu verschaf-
fen und flüssige Nahrung zu nehmen, ohne die zur Einführung der
Schlundsonde jedes Mal nöthige Assistenz. Die Erfahrung hat ge-
lehrt, dass die Verwundeten sehr schnell den Irrigator-Schlauch zu
dem Zwecke handhaben lernen.
Von complicirten Apparaten und Verbandweisen zum Zwecke
der Fixirung der Bruchenden wurde allgemein abgestanden, weil
sie von den Verwundeten fast nie vertragen werden, wenn sie so
angelegt sind, dass sie den Zweck erfüllen können, am wenigsten
von Denen, welche ihrer am Dringendsten zu bedürfen scheinen.
Das dreieckige Tuch war das einfachste und gebräuchlichste
Haltmittel. Mitunter gewährten Schlingen von Silberdraht,
um die Zähne geschlungen, mit Gutta-Percha-Rinnen einigen
Vortheil. In 1 Falle hat man die zu dem Zwecke durchbohrten
Bruchenden selbst mittelst Silberdraht in Contact zu erhalten ver-
134
sucht. Die Consolidation war nach 2 Monaten vollständig; allein
die Einfachheit des Bruches in diesem Falle lässt vermuthen, dass
die Heilung auch ohne die Knochennaht erfolgt sein würde.
Resectionen des Unterkiefers zu machen, lag niemals genü-
gender Grund vor — es sei denn, dass man auch die Wegnahme
grösstenteils oder ganz gelöster Knochensplitter und die Glättung
lädirender Knochensplitter durch Knochenzange oder Säge so nennt,
wie es missbräuchlich bisweilen geschieht.
Die Nebenverletzungen in der Mundhöhle und namentlich die
der Zunge erheischen eine sorgsame Beachtung bei der Kur der
Schussbrüche des Unterkiefers. Sie sind häufig, weil bei der Zer-
trümmerung eines so harten Knochens wie der Unterkiefer Stücke
desselben und der in ihm wurzelnden Zähne fortgeschleudert und
zersprengt in die nachbarlichen Weichtheile eingetrieben werden.
Ohne Zweifel ist es gerathen, bei bedeutenden Zerreissungen der
Art Nähte anzulegen. Aber gerade bei der Zunge ist besondere
Vorsicht nöthig, um den in ihr etwa gebetteten und nicht immer
leicht aufzufindenden Fremdkörpern, den spontanen Austritt nicht
zu erschweren. Derselbe erfolgt ohnehin bisweilen langsam genug.
Fall 84. Einseitige Schussfractur des Unterkiefers. Ver-
sprengung von Kiefer- nnd Zahn-Theilen in den weichen Bo-
den der Mundhöhle und in die Zunge. Langsame Elimination
durch Abscessbildung. Heilung. Grenadier W. Rauch vom Leib-
Gren.-Reg. No. 8 wurde am 28. März von einer Miniekugel getroffen und
zunächst in Stenderup (1. F. -L. 6. Div.) aufgenommen. Die Kugel hat
den rechten Horizontalast des Unterkiefers in der Gegend der ersten Back-
zähne zertrümmert und ein vier Zähne tragendes Stück des Zahnfortsatzes
auf ihrem Wege quer durch die Mundhöhle unter der Zunge weg mitfort-
gerissen. Eine Ausgangsöffuung ist nicht vorhanden, die Kugel nirgends
zu fühlen. Ihr Sitz verräth sich erst durch eine allmählig sich entwickelnde
schmerzhafte Schwellung an der linken Seite des Halses. Der Abscess
wurde am 4. April vorsichtig, als handele es sich um den Voract zur
Unterbindung der Carotis, eröffnet. In der Tiefe desselben fanden sich
dicht an der nach aussen gedrängten Schlagader ausser der Kugel mehre
Knochen- und Zahn-Stücke. Uebrigens war der Verlauf zunächst der bei
solchen Verletzungen gewöhnliche. Als R. am 22. April in dem heimischen
Reserve-Lazarethe zu Havelberg anlangte, war die Schussöffnung rechter
Seits bereits vernarbt. Die Schnittwunde an der linken Seite und eine
zweite unter dem Kinne granulirten üppig. Die Verbindung der Bruch-
enden war bereits ziemlich fest; immer aber an der Bruchfläche des Zahn-
fortsatzes waren noch mehre kleine Sequester zu fühlen, deren Berührung
Schmerzen macht. Der Mund kann nur wenig geöffnet werden. Das Spre-
135
chen ist sehr erschwert, das Kauen unmöglich. Das Allgemeinbefinden
gut, der Schlaf aber durch den beständigen Speichelfluss gestört. Die
Zunge ist geschwollen, wenig beweglich und zeigt am rechten Rande eine
stark eiternde Geschwürsöffnung. Der Boden der Mundhöhle ist infiltrirt
und hinter dem Kinne tritt rechts eine schmerzhafte Geschwulst vor.
Warme Breiumschläge mindern nicht bloss die Schmerzen, sondern bewir-
ken auch, dass der Mund etwas weiter geöffnet werden kann. Am 3. Mai
lässt sich die Geschwürsöffnung an der Zunge erweitern. Es ge-
lingt, die gesunden Kronen des ersten und zweiten Backzahnes aus
dem Grunde zu extrahiren. Folgenden Tages tritt aus der Schnittwunde
unter dem Kinn ein Stück Zahnwurzel zu Tage und wird von dem Kran-
ken selbst vollends herausgenommen. Nach mehrtägigen lebhafteren
Schmerzen geschieht das Nämliche am 9. Mai. Hiernach und nach Eröff-
nung des hinter dem Kinne entwickelten Abscesses trat grosse Erleich-
terung ein. Am 25. Mai konnte wieder eine sehr lange Zahnwurzel aus
der Zunge entfernt werden. Während des Juni bemühte man sich, die
Zunge etwas beweglicher zu machen durch Trennung der Adhäsionen,
welche sie am Boden der Mundhöhle fixirten. Erst Anfangs Juli klagte
R. von neuem über Schmerzen im hinteren Theile der Zunge. Die Unter-
suchung ergiebt auf der oberen Fläche einen bereits geöffneten Abscess
Nach Erweiterung der Oeffnung wird am 4. Juli die Krone eines Back-
zahnes entfernt, der also über ein Vierteljahr in der Zunge logirt hatte.
Die völlige Ausheilung erlitt nun keine Störung weiter. Der Mund konnte
alsbald vollständig geöffnet werden. Die wiederholten Versuche, der hart-
näckigen Neigung der rechten Zungenhälfte zum Verwachsen mit dem
Boden der Mundhöhle mittelst des Messers entgegenzuwirken, führten
endlich dahin, dass zur Zeit der Entlassusg (11. September) die Zunge
wenigstens bis zur Unterlippe vorgestreckt werden konnte. Die Sprache
war dadurch erheblich gebessert.
Zweites Capitel.
Die Schussverletzungen der oberen Glieder.
Aus den vorausgeschickten statistischen Nachweisen (v. Tab.
III, IV u. V.) ergab sich, dass die Schussverletzungen der Ober-
glieder nächst denen der unteren Extremitäten die häufigsten sind,
in der Skala der Tödtlichkeit dagegen die letzte Stelle einnehmen.
Wie die einzelnen Glied -Regionen sich in diesen Beziehungen zu
einander verhalten, zeigt die folgende Uebersicht.
136
Tabelle VIII.
Preussen
Dänen
Getroffene
Glied - Region
verwundet
gestorben
verwundet
gestorben
Zahl
pCt.
Zahl
pCt.
Zahl
pCt.
Zahl
pCt.
155
25
22
14,2
110
35
27
24,5
Oberarm
168
28
20
11,9
102
32
22
21,5
122
20
9
7,3
66
21
7
10,6
365
27
4
2,4
39
12
6
15,4
Summa .
610
55
9
317
62
19,5
Allgemeinen Vergleichswerth haben von den vorstehenden Zah-
len natürlich nur die den preussischen Antheil betreffenden, weil
nur sie alle an den Armen durch Schuss Verletzte umfassen, auch
die beiden, welche auf dem Schlachtfelde starben. Beide hatten
Schult er -Schüsse. Ausgeschlossen sind nur die Glied -Schüsse,
welche mit Brust-Schüssen von grösserer Bedeutung complicirt
waren; sie sind statistisch bei letzteren in Ansatz gebracht.
Die Differenzen der Betheiligung der einzelnen Gliedabschnitte
sind nicht sehr erheblich. Dass die Hand trotz geringeren Umfan-
ges mit Schulter und Oberarm concurrirt, erklärt sich leicht aus
dem Umstände, dass sie in der Action am meisten exponirt ist.
In den Procentzahlen der Mortalität prägt sich das bekannte
Gesetz aus, nach welchem die Gefährlichkeit der Gliederverletzungen
mit ihrer Rumpfnähe steigt. Die Zahlen für die Dänen habe ich
daneben gestellt, um den wesentlichsten Grund, warum die Tödtlich-
keit ihrer Armschüsse mehr als doppelt so gross ist, ersichtlich zu
machen. Die lethalste Gruppe ist bei ihnen um 10 pCt. mehr, die
ungefährlichste um 15 pCt. weniger als bei den Preussen vertreten.
Auch innerhalb der einzelnen Gruppen finden sich bedeutende Dif-
ferenzen. Die leichter Verletzten aller Gruppen, besonders aber
die der wenigst lethalen Gruppe, entgingen der Gefangenschaft.
Noch deutlicher prägen sich diese Verhältnisse aus in der
nächsten Tabelle, welche die Arm -Schüsse nach ihrem specielleren
anatomischen Character gruppirt. Vorweg zu bemerken ist, dass
dabei die 2 gefallenen Preussen und dänischer Seits gleichfalls
2 Schulter- Verletzte, welche bald nach der Verwundung starben,
ausgeschlossen sind, weil genauere Data über sie in den amtlichen
Nachweisen nicht zu finden sind.
137
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Zahl der
Verw.
Zahl der
Verw.
Zahl der
Verw.
CfQ
Er-
schöpfung
Septi-
caemie
Pyaemie
Brand
Trisraus
Accesso-
rische
Leiden
CD
2 »
P CD
CD p
p B
P
B
B
gö
©'
B
PS
138
Nur der preussische Antheil in der vorstehenden Tabelle ist
natürlich brauchbar, um das Häuh'gkeits- resp. Gefährlichkeits-Ver-
hältniss zu berechnen, in welchem die bezeichneten Gruppen der
Armschüsse von 1864 zu einander stehen.
Häufigkeit. Mortalität.
Gruppe B 57 pCt. 1,1 pCt.
- E 31 - 11,3 -
- F 7 - 39,5 -
- Ä 3 - 40,0 -
- D 0,5- 100,0 -
Häufigkeit und Gefahr stehen im entgegengesetzten Verhältnisse.
Zur Rubrik „Todesursachen" bemerke ich, dass ich
„Brand" und „Septicämie" trotz des in der Regel analogen
Todesprocesses getrennt habe, weil die Entmischung des Blutes
durch Jaucheresorption gerade bei den Schusswunden so oft ohne
die gewöhnlichen Zeichen des örtlichen Brandes vorkommt. Die
Trennung der „Septicämie" von der „Pyämie" bedarf keiner Recht-
fertigung. Sind auch die Relationen, in welchen diese beiden Pro-
cesse zu einander stehen, noch nicht vollständig geklärt, so ist doch
die Differenz zwischen den reinen Formen klinisch wie pathalogisch-
anatomisch prägnant genug. Wohl aber bedarf es der Entschuldi-
gung, dass ich das Sammelwort „Pyämie" beibehalten habe, obwohl
es keinem Zweifel mehr unterliegt, dass genetisch differente Pro-
cesse darin zusammengefasst sind. Die klinische Sonderung hat je-
doch wegen der vielen Mischformen ihre grosse Schwierigkeit, be-
sonders in der Kriegsklinik, deren Sectionsbefunde aus nahe lie-
genden Gründen nur ausnahmsweis für feinere Distinctionen der
Art ausreichen. Was die Kriegsklinik von 1864 an nutzbarem Ma-
terial zur Beleuchtung der Pyämie- Frage ergeben hat, werde ich
später in einem besonderen Capitel zusammenfassen.
Der Kunsthülfe wird von den Schussverletzungen der oberen
Extremitäten ein weites und dankbares Feld geboten. Auf ihm
concentriren sich denn auch die meisten und schönsten Triumphe
der erhaltenden Kunst.
Die äusseren Umstände, welche bei deren Erzielung von Ein-
fluss sind, können im Kriege kaum günstiger sein, als sie 1864
waren. Das Studium der in diesem Feldzuge gewonnenen Resul-
tate wird dadurch um so belehrender.
139
A. Abreissungen und Zermalmungen grösserer Glied-
abschnitte.
Die Gruppe der Arm-Schüsse, welche die gliederhaltende Kunst
unbedingt ausschliessen, — möge ein grösserer Gliedabschnitt durch
das Geschoss völlig abgerissen oder nur durch Zermalmung seiner
Lebensfähigkeit beraubt sein — war 1864 trotz des vorwiegenden
Belagerungskampfes preussischer Seits nicht allzu zahlreich (3 pCt.
vgl. Tab. IX). In dem Berichte vonDjörup ist diese Verletzungs-
Categorie nicht gesondert. Wir erfahren also nicht, wie zerstörend
die Vollkugeln und die Sprenggeschosse, welche von unsern Bela-
gerungs-Batterien jenseits der Düppeler Schanzen in die dänischen
Reihen und Blockhäuser schlugen, auf die Arme gewirkt haben.
Unter den in unsere Lazarethe gelangten Gefangenen war keiner
mit einer solchen Armverletzung.
Die preussischer Seits vorgekommenen sind
Abreissungen Zermalmungen
der Hand .... 1 2
des Unterarms . 4 4
des Oberarms . 1 8
Summa 6 14
Unter den später zu besprechenden „Schuss-Fracturenu
und namentlich unter den durch Kartätschen grossen Calibers
bewirkten, sind zwar nicht wenige, welche die Lebensfähigkeit des
Gliedes gleichfalls vorweg in Frage stellten. Aber im Interesse der
Frage, wie weit der Feldarzt mit seiner gliedconservirenden Ten-
denz gehen dürfe, habe ich in diese Gruppe ausser den Abreissun-
gen nur wirkliche Zermalmungen der Knochen und Weichtheile
solchen Umfanges und solcher Tiefe aufgenommen, welche selbst
bei dem entschiedensten Feinde des Amputationsmessers die Con-
servirungsidee nicht aufkommen lassen. Eine subcutane Zermal-
mnng war nicht darunter.
Tabelle X.
Art
der
Verletzung
Zahl
der
Ver-
letzten
nicht
am-
putirt
im Hand
gelenk
Davo
im
Unterarm
n sind
amputir
im
Oberarm
t
im Schul-
tergelenk
am- |
putirt|
3
tSJ
+
N
N
+
3
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CSJ
+
3
öS
N
+
in
Summa
von
4-
Abreissun-
gen u. Zer-
malmungen
Hand . .
Unterarm
Oberarm
3
8
9
2
2
1
2
2
6
3
3
2
4
1
3
8
7
3
3
Summa
20
2
2 | 1 |-| 4 |-| 9 | 5 | 4 | 1
18
6
140
In 2 Fällen ist, wie die Tabelle zeigt, nicht amputirt. In
dem einen gebot momentane Erschöpfung durch Blutverlust bei Zer-
malmung des Oberarmes das Zögern mit der indicirten Absetzung
im Schultergelenk ; der Tod kam der Operation zuvor. In dem an-
deren (Füsilier Fricke vom Füs.-Reg. 35) hatte am 18. April ein
Granatstück den rechten Oberarm circa 4 Zoll unter dem Schulter-
gelenk abgerissen. Die dabei durchrissene Art. brachialis lag wie
torquirt mit dem pulsirenden Ende circa 1 Zoll lang frei im Stumpfe.
Man beschränkte sich auf einfachen Verband und Eisblase. Blu-
tung trat nicht ein. Erst am 21. Mai erfolgte der Tod durch
Pyämie, welche der Zeit in Broacker manchen kunstgerecht Ampu-
tirten viel schneller wegraffte.
Nur ausnahmsweis dürfte indess ein Granatstück so gut am-
putiren, dass der Chirurg nicht Anlass hat, behufs der Lebenser-
haltung und Bessergestaltung des Wundverlaufes nachzuhelfen.
Die übrigen 18 Verwundeten dieser Categorie sind denn auch
primär amputirt worden theils auf den Verbandplätzen, theils
in den von diesen nicht weit entfernten Depots der leichten Feld-
lazarette.
Es waren 2 Doppel-Amputationen darunter. Der Gefreite
Ludwig Grünenthal vom Leib -Gren.- Reg. 8 erlitt am 18. April
durch Sprengstücke eine Zermalmung der linken Hand nebst unte-
rem Ende des Unterarms und eine Zerschmetterung des rechten
Fusses nebst Knöchel. Auf dem Verbandplatze des 1. F.-L. 5. Div.
wurde der linke Unterarm im oberen Drittheil (von St.-A. Dr.
Siegert), der rechte Unterschenkel hoch oben (vom Chefarzt
Dr. Abel) amputirt. Der Verlauf war ein glücklicher, obwohl
auch das linke Schienbein eine Absplitterung erlitten hatte.
Dem Kanonier Karl Schale von der 3. Art.-Brgd. wurden am
3. April in einer Belagerungs-Batterie vor Düppel durch eine beim
Laden crepirende Granate die Weichtheile des Gesichtes zerfleischt
und beide Unterarme zerrissen.
Auf dem Verbandplatze des 1. F.-L. der Garde-Div. zu Wiel-
hoi wurde alsbald der linke Unterarm hoch oben (vom St.-A.
Dr. Grasnick) und der rechte Oberarm in der Mitte (vom Chef-
arzt Dr. Ulrich) amputirt. Allein die Erschöpfung führte schon
am nächsten Tage zum Tode. (In der Tabelle X. ist dieser Fall
als Oberarm-Amputation gezählt.)
Die anderen 5 Todesfälle kommen auf Rechnung der Pyämie,
141
welche nach dem 18. April in Folge von Ueberfüllung mit Schwer-
verletzten in mehreren Lazarethlokalen zu Broacker sich ent-
wickelte Von den in anderen Lazarethen gepflegten Amputirten
dieser Categorie ist keiner gestorben.
Am Schlüsse dieses Kapitels werde ich eine Uebersicht aller
an den oberen Extremitäten ausgeführten Operationen geben und
Bemerkungen über die operative Technik etc. daran knüpfen. Hier
beschränke ich mich deshalb auf ein kurzes Verzeichniss jener Am-
putirten, welche geheilt wurden.
1) p. Grünenthal vgl. oben „ Doppelamputation".
2) Füs. Friedrich Schulz IV. vom 64. Inf.-Reg Zermalmung
der rechten Hand durch Granatsplitter am 18. April; eodem Ex-
articulation im Handgelenk im schw. F.-L. des Garde.-C. zu
Broacker (St.-A. Dr. Michel). Völlige Vernarbung am 5. Juli
in Glücksburg. Verblieb bis zum 4. October in Kiel behufs
Empfanges einer künstlichen Hand.
3) Füs. Heinr. Daubenspeck vom 13. Inf. Reg. Zerreissung
der linken Hand am 2. Februar vor Missunde. Amputation
des Unterarms nahe über dem Handgelenk, im Depot des 1.
F.-L. der Kav.-Div. zu Cosel (vom Chefarzt Dr. Neubaur). Traf
am 31. März mit völlig vernarbter Wunde in Berlin ein.
4) Gefreiter Gottlieb Bock vom Füs. - Reg. 35. Vor Mis-
sunde am 2. Februar. Zermalmung im linken Handgelenk.
Amputation des Unterarmes auf dem Truppen - Verbandplatze in
der Ornumer Mühle (vom Reg.-Arzt Dr. Bein). Bei seinem Ein-
treffen in Berlin am 29. März war die Vernarbung vollendet.
5) Kanonier Gottfried Stürmer von der 3. Art.-Brg., erlitt am
19. April durch das beim Entladen eines gezogenen Geschützes ex-
plodirende Geschoss ausser Verbrennungen im Gesicht und am
rechten Oberschenkel eine Zermalmung des rechten Unterar-
mes im unteren Drittheil. Amputation des Unterarmes im
oberen Dritt heil im L F.-L. der 6. Division (vom Chefarzt Dr.
Taubner). Völlige Vernarbung am 20. Juni. Blieb in Kiel zum
Empfange eines künstlichen Armes bis zum 20. October.
6) Musk. Wilhelm Wittstock vom 60. Inf.-Reg., erlitt am
17. März bei Düppel eine Zermalmung des rechten Unterar-
mes durch Granatsplitter und wurde sofort auf dem Kampfplatze
vom St.-A. Dr. Rosenzweig im unteren Drittheil des Ober-
armes amputirt. Die Wunde wurde durch Nähte nicht vereinigt.
142
Im Lazareth zu Broacker Umhüllung des Stumpfes mit Watte. Ver-
narbung Mitte Juli vollendet. Blieb in Kiel zum Empfange eines
künstlichen Armes bis zum 4. October.
7) Musk. Heinrich Kasan vom 18. Inf.-Reg. Am 28. März
vor Düppel Abreissung des rechten Unterarms mit Zerreissung
der Weichtheile am Oberarm. Sofortige hohe Amputation des
Oberarmes mittelst Cirkelschnitt auf dem Verbandplatze des
1. F.-L. 6. Div. in der „Grützmühle" (St. -A. Dr. Bött ich er).
Heilung p. p. i. bis auf die Canäle der Ligaturfäden. Ende Mai
(im Res.-Lz. zu Burg) abscedirende phlegmone am Stumpf. De-
finitive Vernarbung am 18. Juli.
3) Musk. Emil Till vom Leib-Gren.-Reg. 8. Abreissung
des linken Unterarms am 18. April. Abends Amputation
des Oberarms im Depot des 1. F.-L. 13. Div. zu Wester-Schna-
beck (St.-A. Dr. Hage mann). Definitive Vernarbung nach Extra-
ction von zwei Ligaturfäden am 8. Juli in Kiel, wo er zum
Empfang eines künstlichen Armes bis 2. October verblieb.
9) Füs. Friedrich Wittike vom Leib-Gren.-Reg. 8 erlitt
am 13. April vor Düppel eine Zermalmung des rechten Ober-
armes im Ellenbogengelenk durch Granatsplitter. Hohe
Amputation des Oberarmes im 1. F.-L. 6. Div. zu Stende-
rup (Chefarzt Dr. Taubner). Vernarbung am 18. Juni vollendet.
Blieb in Kiel bis 4. October zum Empfange eines künstlichen
Armes.
10) Grenadier Karl Kühn vom 4. Garde-Reg. z. F. wurde am
23. Februar auf Strandwacht bei Stenderup von einer Schiffs-Voll-
kugel getroffen. Reg.-A. Dr. Grosse exarticulirte sofort den zer-
malmten rechten Oberarm im Schultergelenk. Heilung am
15. Juni in Berlin vollendet.
11) Füs. Friedrich Trieb vom 35. Füs.-Reg. Am 18. April
Zermalmung des linken Oberarmes durch Granatsplitter. Exarti-
culation im 1. F.-L. Cav.-Div. durch Chefarzt Dr. Neubaur.
Vernarbung 5. Juli. Heimgesandt über Kiel am 15. August.
12) Musk. Joseph Piskoroz vom 18. Inf.-Reg. Zermalmung
des linken Oberarmes durch Granatsplitter am 18. April. Selben
Tags Exarticulation im 1. F.-L. 13. Div. zu Wester -Schnabeck
durch St.-A. Dr. Hagemann. Vollständige Vernarbung im Juli
zu Kiel, wo er bis zum 4. September verblieb.
143
B. Weichtheil-Schüsse.
Bei unsern Verwundeten gehört nach Tab. IX. mehr als die
Hälfte (57 pCt.) der Arm-Schüsse zu den einfachen d. h. den-
jenigen, welche sowohl die grösseren Nerven- und Gefäss - Stämme
als die Knochen und Gelenke verschont haben. Sie bilden den Ge-
gensatz der eben besprochenen Gruppe. Ich habe sie in leichte
und schwere gesondert und ersteren alle oberflächlicheren Prell-
schüsse, Streifschüsse und Haut- Haarseilschüsse, letzteren die aus-
gedehnteren Hautzerreissungen , die tiefer wirkenden Prellschüsse
und alle in die Muskulatur tiefer eindringenden, resp. dieselbe
durchdringenden Verletzungen zugezählt. Tabelle IX ergiebt, dass
in diesem Sinne 2 Drittheile der Weichtheilschüsse leichte, ein Drit-
theil schwere waren. Bei 7 Officieren und 84 Mann war die Ver-
letzung so leicht, dass Pflege im Lazareth nicht nöthig wurde. Bei
dem dänischen Antheile finden wir diese Verhältnisse umgekehrt.
Die Weichtheilschüsse repräsentiren nur 45 pCt. und die Zahl der
„schweren" darunter ist grösser als die der leichten.
Alle die bekannten Variationen in Form, Richtung und Aus-
dehnung waren unter diesen Verletzungen vertreten; ich verschone
indess den Leser mit numerischen Angaben darüber, weil ein prak-
tisches Interesse sich kaum daran knüpfen dürfte. Nur was die
Schusskanäle betrifft, sei bemerkt, dass die blinden viel seltener
waren als die mit 2 Oeffnungen. Das Langblei macht durchschnitt-
lich viel kleinere Hautlöcher als die dänische Spitzkugel grösseren
Calibers. Dieses Moment ist namentlich bei den Schüssen des Ober-
schenkels von Einfluss auf den Verlauf gewesen; bei den Arm-
schüssen lässt sich ein solcher nicht nachweisen. Wenigstens wa-
ren Eitersackungen in Folge der tieferen Weichtheilschüsse am
Arme bei unseren Verwundeten durchaus nicht seltener als bei den
dänischen.
Besonders bei den tieferen Schüssen der Schultergegend
erfordert diese Complication des Verlaufes die grosseste Aufmerk-
samkeit, weil sie nicht bloss die Dauer und die Beschwerden des
Wundlagers sehr vergrössern, sondern selbst das Leben gefährden
kann.
Fall 85. Tiefer Weiehtheilschuss durch die Schulter. Eiter
Senkungen. Blutungen. Zellgewebe- und Muskel-Verjauchung.
Tod. Pionier Christian Schumacher vom 2. Pion.-Bat. erhielt am
Loeffler, Generalbericht. 10
144
18. April einen Gewehrschuss durch die rechte Schulter. Eingang in der
rechten Subclaviculargend, Ausgang am hinteren Rande des Deltamuskels.
Obwohl im Lazareth (Flensburg) wegen der Nähe des Schultergelenks eine
intensive und consequente Eisbehandlung eingeleitet wurde, stellte sich
eine starke Eiterung mit Sackungen in der Achselhöhle ein. Incision und
Fortsetzung der Eisumschläge. Trotzdem weitere Senkung des Eiters nach
dem Oberarme wie an der Brustwandung. Der Eiter selbst wird jauchig
und statt des bis zum 8. Tage kaum getrübten Allgemeinbefindens tritt die
acute Wundhectik mit kleinem frequentem Pulse und profusen Schweissen
ein. Auch weitere Incisionen vermögen dem Verjauchungsprocesse nicht
Schranken zu setzen. Anfangs Mai gesellen sich wiederholte und heftige
Blutungen hinzu, welche die Kräfte vollends erschöpfen. Tod am 7. Mai.
Bei der Section fand sich eine weitausgedehnte Verjauchung des Zellge-
webes und der Muskulatur an Schulter, Oberarm und Brustwandung.
Fall 86. Tiefe Weichtheilverle tzung an der Schulter durch
Granatsplitter. Eitrige Infiltration. Thrombotische Pneu-
monie. Tod. U.-O. Friedrich Schräder vom 4. Garde.-Reg. z. F.
wurde am 4. April vor Düppel von einem Granatsplitter an der rechten
Schulter dicht unter dem Acromion getroffen. Das Geschoss hatte sich
in den Deltamuskel eingebohrt und war alsbald extrahirt. Die örtliche
Reaction war heftig. Die Schwellung und schmerzhafte Infiltration er-
streckte sich rasch über den ganzen Arm trotz der Eisapplication. Schon
am 7. April wurde durch 3 Incisionen viel dünnflüssiger Eiter entleert.
Schmerzen und Fieber ermässigen sich danach. Am 9. April werden den
fluctuirenden Stellen entsprechend weitere Incisionen gemacht. Der Eiter
wird nun jauchig. Chinin und Wein, örtlich Einspritzungen einer Lösung
des Kali hypermanganicum wirken sichtlich günstig. Aber am 16. April
treten die Erscheinungen einer Pneumonie hinzu, welche unter rapid stei-
gender Dyspnö am 19. April zum Tode führt. Section: Bronchien mit
Schleim gefüllt; rechte Lunge hyperämisch; im oberen und unteren Lap-
pen pneumonische Heerde von der Oberfläche keilförmig nach Innen ge-
hend. Oberer Lappen der linken Lunge eitrig infiltrirt.
Der Verlauf des ersten Falles fällt in die Periode der Lazareth-
überfüllung nach dem 18. April. Da besondere örtliche Anlässe
wenigstens nicht erwiesen sind, darf angenommen werden, dass er
sich unter dem Einflüsse des Hospital -Miasma so ungünstig gestal-
tete. Im zweiten Falle stellt die schnell nach der Verletzung über
den ganzen Arm ausgedehnte Schwellung ausser Zweifel, dass der
in den Deltamuskel gedrungene Granatsplitter einen Nervenstamm
gequetscht habe. Die Form der Pneumonie ist die thrombotische.
Fehlt auch der Nachweis im Sectionsprotokoll, so wurde sie doch
ohne Zweifel durch den Zerfall des in der gequetschten Vene ent-
standenen Thrombus herbeigeführt.
145
Fall 87. Tiefer Weichtheilschuss in der Hohlhand. Eitersen-
kungen. Pyäraie. Tod. Untercorporal Jonas Frederiksen vom 18.
dän. Iuf.-Reg., am 29. Juni auf Alsen verwundet. Die Kugel war tief in
die Muskulatur an der Volarseite des linken Daumen eingedrungen und
wurde extrahirt. Luxation des Carpo-metarcarpus-Gelenkes. Im Lazarethe
zu Glücksburg wurde Anfangs Eis applicirt, später das permanente Warm-
wasserbad benutzt. Guter Verlauf bis zum 8. Tage. Die Eiterung wurde
nun jauchig. Zugleich entstanden Eitersenkungen in allen Richtungen, be-
gleitet von typhusartigen Zufällen. Am 12. Juli erster Schüttelfrost, am
13. der zweite. Tod am 14. Juli. Die Section ergab zerfallene Throm-
ben in der Axillarvene und Eiterheerde in Lunge und Leber.
Dieser Fall repräsentirt eine Combination der Septicämie mit
thrombotischer Pyämie. Die Salubrität der Lazarethe in Glücks-
burg war unmittelbar nach dem Kampfe auf Alsen, von welchem
rasch sehr viel Verwundete dahin gelangten, nicht die beste. Das
Hospital -Miasma würde indess mit mehr Sicherheit als Ursach der
Septicämie in diesem Falle bezeichnet werden können, wenn nicht
die Luxation neben der Weichtheilverletzung bestanden hätte und,
da das Sectionsprotokoll über den Lokalbefund schweigt, fraglich
Hesse, welchen Einfluss eine etwaige Mitverletzung des luxirten Ge-
lenkes auf den Verlauf gehabt hat.
Nur drei Todesfälle der Art unter 490 Verletzten. Die Opfer,
welche der pyämische Process unter den nicht complicirten Weich-
theilschüssen der oberen Extremitäten fordert, erscheinen danach
als Ausnahmen, um so mehr, da ich eine sehr grosse Zahl von
Fällen gegenüberstellen könnte, in denen trotz ausgedehnter Infil-
trationen und Eitersackungen, trotz wiederholter Blutungen während
der Eiterungsperiode die Heilung gelang — in den nämlichen La-
zarethen und in denselben Perioden, welchen die vorerwähnten To-
desfälle angehören. Der früh- und rechtzeitige Gebrauch des Mes-
sers und der Irrigator haben zu diesem Resultate nicht wenig bei-
getragen. Aber der Umstand, dass verbreitete Eitersenkungen bei
einfachen Weichtheilschüssen überhaupt häufig waren, obgleich eine
genügende örtliche Antiphlogose durch Eis-Application die Kur fast
allgemein eröffnete, verdient Beachtung. Die üble Manier, den
Eiter auszudrücken, ist noch nicht vollständig verbannt. Nur
ausnahmsweis sah ich dieselbe bei einem Arzte; um so strenger
werden die Gehülfen zu instruiren und zu controlliren sein. Wie
schwer es ist, alte Gewohnheiten auszurotten, sieht man an dem
Gebrauche der Schwämme. Der Irrigator wird ihnen hoffentlich
10*
146
die Thür zu den Wundlazarethen verschliessen, wäre es auch nur,
um zu verhüten, dass die Hand, welche den Schwamm erfasst hat,
um die Peripherie einer eiternden Fläche zu reinigen, trotz des be-
reiten Irrigators nach alter Gewohnheit auch über die zarten Gra-
nulationen zerstörend hinfährt. Dergleichen Unsitten bedrohen nicht
immer das Leben; aber sie stören und verzögern unnöthig den
Heilproeess.
Uebrigens möchte ich nicht dafür einstehen, dass alle Fälle
von tiefen Weichtheilschüssen, welche ich in Tab. X. als solche
bezeichnet habe, ganz einfache gewesen sind. Hier und da mag
eine unentdeckt gebliebene Knochen - Streifung oder Contusion die
Ursache langer Eiterung mit Senkungen gewesen sein. Wie sehr
die sehnen- und sehnenscheidenreichen Regionen der Hand dazu
neigen, ist bekannt.
Stromeyer hat in seinen Maximen (S. 480) auf eine beson-
dere Art der Verletzung des Schultergelenkes aufmerksam gemacht,
nämlich die zufällige Eröffnung der Kapsel bei einer In-
cision, welche den die lange Sehne des Biceps begleiten-
den Fortsatz derselben trifft. Da dergleichen Fälle nicht häufig
sein dürften, so will ich einen mittheilen, dessen Verlauf kaum an-
ders zu erklären ist.
Fall 88. Tiefer Weichtheilschuss im oberen Drittheile des
Oberarms. Heilung mit Luxation des Humerus. Der Lazareth-
gehülfe August Mewes vom 3. Jäger-Bat. wurde am 29. Juni auf Als en
verwundet und zunächst in Sandberg (1. F.-L. 5. Div.) aufgenommen.
Die Kugel ist am linken Oberarm im oberen Drittheil an der hinteren Seite
eingedrungen und an der vorderen inneren Seite in derselben Höhe aus-
getreten. Humerus und Schultergelenk erscheinen unverletzt. Reaction
sehr gering; ungestörter Verlauf bis zum 9. Juli, wo eine kleine venöse
Blutung aus der vorderen Wundöffnung eintrat. Dieselbe wurde leicht ge-
stillt, wiederholte sich aber ziemlich stark in der folgenden Nacht und
stand erst nach längerer Compression. Pat. will auch sonst nach leichten
Verletzungen stark geblutet haben und giebt an, mehrere Verwandte mit
gleicher Neigung zu besitzen. Es wurde Mixt, sulph. acid. verordnet. Nur noch
einmal kehrte die Blutung wieder. Demnächst verlief die Ausheilung
der Schusswunde normal, so dass am 23. Juli die Evacuation nach Flens-
burg erfolgen konnte. Man fand M. hier anämisch, an Brustkatarrh und
nächtlichen Schweissen leidend — die Wunde aber sehr massig und
gut eiternd, die Bewegungen des Schultergelenkes vollkom-
men frei und schmerzlos. Bis Mitte August keine wesentliche Aen-
derung. Aber die Fortdauer des Fiebers mit nächtlichen Schweissen erregt
den Verdacht auf sich entwickelnde Tuberculose der Lungen.
147
Am 17. August wird eine Eitersackung in der Gegend der In-
sertion des Deltamuskels constatirt und eine Incision gemacht.
Hiernach und beim Gebrauche von China besseres Allgemeinbefinden trotz
fortdauernder Schweisse. Am 3. September erheischt eine Infiltration an
der unteren äusseren Seite des Oberarmes eine neue Incision. Derselbe
Vorgang in der Achselhöhle am 12. und 17. September und gegen Ende
des Monates wieder an der äusseren Seite des Armes. Dabei sinken die
Kräfte. Auch im October kommt es noch wiederholt zur Bildung von
Eiterdepots bald an der inneren bald an der äusseren Seite des Armes
und ebenso oft zu Incisionen. Erst im November lässt die Eiterung merk-
lich nach. Am 15. December 1864 wird Pat. von dem Cantonnements-La-
zareth des 11. Grenadier-Reg. in Flensburg übernommen. Es wurde eine
nicht zu reponirende Luxation des Humerus nach vorn con-
statirt. Die eine Schussöffnung und die meisten Incisionswunden sind
geschlossen. Cachectisches Aussehen, grosse Abmagerung, Hectik; physi-
kalische Zeichen von Infiltration der Lungenspitzen. Bei dem Gebrauche
von Ol. jecoris und Ferrum lacticum langsame Besserung. Anfangs Januar
1865 schliesst sich die letzte Incisionswunde. Gegen Ende Januar verlie-
ren sich die nächtlichen Schweisse. Der im Februar, März und April fort-
gesetzten sorglichen diätetischen und arzneilichen Pflege gelingt es, jede
Spur des schweren Allgemeinleidens zu verwischen. Bei der Entlassung
am 13. Mai 1865 sah M. blühend und kräftig aus. Der luxirte Ober-
arm steht freilich unbeweglich fest, nur den Bewegungen der Sca-
pula folgend. Die Muskeln desselben, namentlich der Deltoideus, sind sehr
atrophisch. Die Bewegungen des Unterarms und der Hand sind ziem-
lich frei.
Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass in diesem Falle, des-
sen glücklicher Ausgang ein schönes Zeugniss der Sorgfalt ist, mit
welcher er behandelt und gepflegt wurde, eine Vereiterung des
Schultergelenkes stattgefunden hat. Da jedes Zeichen einer
Affection des Gelenkes bis zu der ersten Incision am 17. August
fehlte, so darf jene von dieser datirt werden.
Aus Tabelle IX ist ersichtlich, dass von den 113 Todesfällen
nach Schussverletzungen der oberen Extremitäten 10 = circa 9 pCt.
auf Rechnung des Trismus kommen. Auch dieser Wundcompli-
cation wird später ein besonderes Capitel gewidmet werden. Unter
jenen Todesfällen war nur eine Hand-, keine Finger- Ver-
letzung. Zwei davon gehören zur Gruppe der einfachen Weichtheil-
schüsse in der Schultergegend.
Fall 89. Weichtheilschuss an der Schulterhöhe. Tetanus. Tod.
Musk. Friedrich Paetzke vom 48. Inf. -Reg. erhielt am 15. März beim
Uebergange nach Fehmarn eine Kugel, welche haarseilartig die Weich-
theile über Clavicula und Scapula gerade von vorn nach hinten linker
Seits durchsetzte. Der Verlauf der anscheinend leichten Verletzung zeigte
148
im Lazarethe zu Oldenburg (Holstein) während der ersten 8 Tage keine
ungewöhnliche Erscheinung. Am 24. März kam aus der hinteren Wund-
öffnung ein Papierpfropf zu Tage. Am 25. März die ersten Zeichen des
Trismus. Die tetanischen Anfälle tödteten bereits nach 48 Stunden.
Fall 90. Haarseilschuss an der Schulter. Tetanus. Tod. Sergeant
Heinrich Schwan vom Leib-Gren.-R. No. 8 wnrde am 28. März in dem
Nachtgefecht vor Düppel an der Aussenseite der rechten Schulter getroffen.
Das Geschoss hatte dort die Weichtheile haarseilartig durchsetzt. Kanal
gegen 3 Zoll lang. Im Lazarethe zu Stenderup wurde am 29. März ein
Zündspiegel extrahirt. Ungewöhnliche Aufregung und Reizbarkeit bei
der anscheinend nicht schweren Verletzung. Die ersten Symptome des
Trismus stellten sich am 6. April ein. Schon nach 2 Tagen erfolgte der
Tod durch Tetanus.
In beiden Fällen ist leider durch die Section nicht aufgeklärt,
ob die Läsion eines grösseren Nervenastes im Wundbereiche die an
und für sich leichten Haarseilschüsse complicirt habe.
Günstiger verlief die Trismus - Complication in einem dritten
Falle von Schulter - Weichtheilschuss, obgleich dabei ein grösserer
Nervenstamm vorübergehend insultirt wurde.
(Lieut. Carl S. vom 53. Inf. -Reg., am 18. April verwundet.)
Herr Dr. Res sei hat denselben (1. c.) ausfürlich mitgetheilt. Die
Kugel war am vorderen Rande der rechten Achselhöhle eingetreten
und wurde am sechsten Tage eine Hand breit über dem Cond. int.
hum. an der innern Seite des Oberarmes entdeckt und ausgeschnit-
ten. Sie hatte nur die Weichtheile verletzt, wahrscheinlich aber
den N. ulnaris insultirt, da Schmerzen im Laufe dieses Ner-
ven vor dem Ausschneiden der Kugel bestanden hatten.
Oertlich wie allgemein war die Reaction von Anfang an sehr hef-
tig, und die Ausheilung verzögerte sich durch Eitersenkungen. Am
5. Mai wurde Schwierigkeit und Schmerz beim Mundöffnen empfun-
den; am 6. Mai Hess sich kaum ein Finger zwischen die Zahn-
reihen einschieben. Es wurden Blutegel im Nacken gesetzt und
zweistündlich \ Gr. Morphium gereicht. Am 9. Mai waren die
Trismussymptome verschwunden.
Solche abortive Trismusformen sind im Feldzuge von 1864
auch bei Verletzungen anderer Regionen mehrfach vorgekommen
und — bei sehr verschiedener Therapie — glücklich vorüberge-
gangen. Nicht immer gehen peripherische Neuralgien im Ver-
letzungs-gebiete voraus.
149
C. Weichtheilschüsse mit Verletzung von
Nervenstämmen.
Die Mitverletzung grösserer Gefäss- und Nervenstämme ist bei
den Knochen- und Gelenkschüssen der Glieder eins der wesentlich-
sten Hindernisse der conservativen Chirurgie. Wir werden später
sehen, wie oft sie 1864 Anlass war, dem Amputationsmesser eine
Concession zu machen. Werden bloss Weichtheile von dem Ge-
schosse getroffen, so weichen die durch ihre Scheiden geschützten
Ader= und Nervenstämme in der Regel glücklich aus. Was insbe-
sondere die letzteren betrifft, so beweist die kleine Zahl von 9 Mit-
verletzungen grösserer Nervenstämme, welche Tabelle IX. unter c.
500 Weichtheilschüssen der Arme constatirt, dass sie auch der
Spitzkugel und dem Langblei oft genug entgehen. Gerade an den
oberen Extremitäten verlaufen die Nervenstämme streckenweis so
exponirt, dass die Seltenheit ihrer Läsion sehr auffallend ist. Ohne
Zweifel werden die vorübergehenden Folgen von Commotion oder
Contusion besonders der Gefühlsnerven nicht selten übersehen, und
was die Neuralgien betrifft, so kann man mit Sicherheit nur
solche Fälle als primitive Nervenläsion bezeichnen, in denen die-
selben zu den unmittelbaren Consequenzen des Schusses gehören.
Unter unsern 9 Fällen ist nur 1 solcher. (Gefr. Heinr. Kel-
termann vom 35. Füs.-Reg., am 18. April verwundet, in Glücks-
burg behandelt.) Ein Haarseilschuss an der innern Seite des linken
Oberarmes c. 2 Zoll über der Ellenbogenbeuge war von vornherein
von heftigen Schmerzen, besonders in Daumen und Zeigelinger be-
gleitet. Die Ausheilung der einfachen Verletzung verlief ganz nor-
mal; aber die Neuralgie hat allen dagegen versuchten Heilmitteln
widerstanden und die Vernarbung überdauert.
In den übrigen Fällen war Lähmung (des Gefühls oder der
Bewegung oder beider) die primitive Consequenz. In keinem Falle
ist die vollständige Heilung derselben gelungen, nur in wenigen
wurde Besserung erzielt. Vier davon sind Verletzungen der am
Oberarm herabsteigenden Aeste des Plexus brachialis (2 Mal des
N. ulnaris); in den übrigen wurde dieser selbst getroffen.
Fall 91. Grenadier August Retsch vom Leib-Gren.-R. No.8 wurde am 28. März
von einer Gewehrkugel getroffen, welche am inneren Rande des rechten
Biceps 1^ Zoll oberhalb der Ellenbogenbeuge eindrang und { Zoll über
dem Cond. int. humeri austrat, ohne den Knochen zu verletzen. Anästhesie
150
und motorische Parese im Bereich des N. ulnaris. Ausheilung der Wunde
verläuftu ngestört. Die Folgen der Nerven-Verletzung bestehen aber fort.
Periodisch heftige Schmerzempfindung im Unterarm. Anfangs Mai kam
Pat. mit ganz vernarbter Wunde in das Garnison-Lazareth zu Frankfurt a. 0.
Die vordere 1 Zoll lange Narbe ist beweglich und gegen Druck nicht
schmerzhaft. Die hintere \\ Zoll lang, schwielig, adhärent und sehr empfind-
lich. Die Muskeln an der Ulnarseite des Vorderarmes reagiren auf den
electrischen Strom fast gar nicht. Die Sensibilität an der Hand und den
Fingern ist in der Bahn des ulnaris vollständig erloschen. Mittelst der
mehre Monate consequent fortgesetzten electrischen Behandlung gelang es,
wenigstens das Tastgefühl in der Ulnaris-Bahn wiederherzustellen.
Auch die Lähmungen in Folge der Verletzung des Plexus
brachialis selbst widerstehen in der Regel allen Kurversuchen.
Mit der Zeit kehrt wohl in einer oder der andern Region des Glie-
des die Sensibilität wieder, und einzelne Muskelgruppen, die nicht
ganz gelähmt waren, gewinnen eine ausgiebigere Functionsfähigkeit.
Es ist jedoch sehr zu bezweifeln, dass die Heilkunst diese Besse-
rung sich zuschreiben darf. Die durch ein Geschoss zerquetschten
Nervenfasern scheinen nie regenerirt zu werden; die spätere parti-
elle Besserung beschränkt sich auf Faserzüge, in denen die Leitung
nicht durch Continuitätstrennung, sondern nur durch mässige Com-
motion oder Contusion gestört wurde. Um so erfreulicher ist es,
dass unter den 265 Schüssen (Tab. VIII.), welche die Schulterge-
gend in allen möglichen Richtungen und Tiefen durchsetzt haben,
nur 5 sich finden, bei denen unzweifelhaft eine mehr oder weniger
ausgedehnte Zerreißsung des Plexus brachialis statt hatte. Ausser
den 4 Weich theilschüssen , welche, wie erwähnt, durch diese Ver-
letzung complicirt waren, und von denen einer wegen gleichzeitiger
Verletzung der A. axillaris im nächsten Abschnitte (Fall 92) Er-
wähnung finden wird, ist nämlich noch eine Schussfractur des
Schlüsselbeines von der, wie es scheint, ziemlich vollständigen Zer-
reissung des Plexus begleitet gewesen. Dieser Fall (Pr.-Lieutenant
Hugo S. vom Leib-Gren.-Reg. 8, am 18. April verwundet), ist aus-
führlich von Herrn Dr. Res sei (1. c. p. 85 ff.), geschildert worden.
In meiner Statistik steht er unter den Schussfracturen des Schlüssel-
beins. (Tabelle IX., E.)*)
*) In Begleitung von Knochenschüssen kommt die Verletzung der einzel-
nen Nerven -Stämme des Armes ohne Zweifel nicht selten vor, aber sie wird
nicht immer von vornherein constatirt, weil die Knochen-Verletzung selbst die
Aufmerksamkeit fesselt und weil die schleunige Immobilisirung des Gliedes die
151
Die quetschende Gewalt braucht nicht die Continuität aufzuhe-
ben, um die Leitung in einem Nervenstamme für immer zu zer-
stören. Die momentane Zusammenschnürung durch einen Faden
genügt, um bleibende Lähmung zu bewirken. Dies zeigt sich bei
Gefüssunterbindungen, bei denen aus Versehen ein Nervenstamm
mitgefasst, aber gleich darnach wieder befreit wurde. Ich werde
in dem folgenden Kapitel einen solchen Fall mittheilen.
Der Verlauf der Weichtheilschüsse wird durch die complicirende
Nervenstammverletzung kaum merkbar beeinflusst. Ausheilung wie
Vernarbung pflegt ebenso rasch vor sich zu gehen, wie wenn die
Complication fehlt. Bei Paralysen durch Mitverletzung des Plexus
brachialis erheischt jedoch die Lagerung des Gliedes bei den schwe-
reren Weichtheilverletzungen besondere Aufmerksamkeit wegen der
durch die Lähmung bedingten besonderen Neigung der Haut zum
Absterben durch Druck. In einem der vorerwähnten Fälle erreichte
der Decubitus an der innern Seite des Ellenbogens den Umfang
einer Handfläche.
D. Weichtheilschüsse mit Verletzung von
Gefässstämmen.
Sieht man ab von den tödtlich verlaufenen Fällen des Wund-
starrkrampfes, für dessen Entstehung und Verlauf wenigstens die
Grösse des verletzten Nerven von ganz untergeordneter Bedeutung
ist, so kann man sagen, dass die Complication der Weichtheil-
schüsse mit Nervenverletzungen das Leben nicht gefährde. Anders
verhält es sich mit den Läsionen der Aderstämme. Sie setzen nicht
bloss bei den Knochen- und Gelenkschüssen dem Bestreben, die
Glieder zu erhalten, eine Schranke, deren Nichtachtung, wie wir
sehen werden, höchst bedenklich ist; sie prägen auch dem Weich-
theilschüsse den Charakter der Lebensgefährdung auf.
Die Mit Verletzung der A. subclavia wird nicht leicht Gegen-
stand kriegsklinischer Beobachtung. Sehr wahrscheinlich sind auch
die beiden Preussen, welche durch „Schulterschuss" 1864 auf dem
Schlachtfelde fielen, durch rasche Verblutung aus der Subclavia ge-
storben.
Nerven-Verletzung, wenn sie sich nicht gerade durch Neuralgie oder Trismus
offenbart, zu verdecken pflegt. Nachträglich constatirte Neuralgien oder Pa-
ralysen lassen sich oft auf andere Ursachen als primitive Mitverletzung des
Nerven zurückführen.
152
Die Axillaris verhält sich schon anders. Eine Verletzung
dieser Arterie, wie beschränkt sie auch sei, wird stets von bedeuten-
der primärer Blutung begleitet sein ; allein sowohl für die künstliche
wie für die natürliche Hülfe bleibt Zeit, sich geltend zu machen.
Von den 2 Beobachtungen, welche dafür sprechen, ist die interes-
santere leider nur sehr aphoristisch aufgezeichnet.
Fall 92. Gewehrschuss durch die Achselhöhle. Starke primäre
Blutung. Lähmung im Bereich des Plexus brachialis. Hei-
lung. Gem. Karl Paulsen vom 8. dän. Inf. -Reg. erhielt am 17. März
vor Düppel einen Schuss durch die rechte Achselhöhle. Eingang vorn auf
der rechten Brustseite in der Höhe der 3. Rippe, Ausgang an der hinteren
Seite des rechten Oberarmes, der Ansatzstelle des M. teres major entspre-
chend. Als derselbe am 24. März nach Flensburg kam, wurde ausser
hochgradiger Anämie und theilweiser Lähmung des rechten Ar-
mes Fehlen des Radialpulses constatirt. Die Blutung unmittelbar
nach der Verletzung soll sehr bedeutend gewesen, aber durch Druck ge-
stillt worden sein. Starke Eiterung, hochgradiges Oedem des ganzen Glie-
des und Druckbrand am Ellenbogen, welcher den Umfang eines Handtel-
lers erreichte, complicirten den weiteren Verlauf unter bedenklicher Con-
sumtion der Kräfte. Am 25. Juli konnte P. jedoch bis auf die Armläh-
mung geheilt ausgeliefert werden.
Die hochgradige primäre Blutung, das später constatirte Feh-
len des Pulses und das Ausbleiben einer Nachblutung machen es
wahrscheinlich, dass in diesem Falle die Axillaris vollständig
durchrissen wurde, denn dies ist die Form der Arterienverletzung,
bei welcher, wie die Erfahrung an abgerissenen Gliedern lehrt, die
spontane Hämostase am wenigsten unsicher ist. In dem andern
Falle handelte es sich nur um einen Riss in derselben Ader.
Fall 93. Gewehrschuss durch die Achsel. Starke primäre Blu-
tung. Wiederholte arterielle Nachblutungen. Unterbindung
der Axillaris. Heilung. Gem. Hans Fabian vom 18. dän. Inf.-Reg.,
am 22. Februar verwundet. Eingang des Schusskanals in der Mitte der
linken Achselhöhle, Ausgang vorn über der Achselfalte. Die bedeutende
Blutung wurde auf dem Verbandplatze durch Druckverband gestillt, der
Verwundete noch an demselben Tage nach Flensburg transportirt und hier
in das dänische Lazareth aufgenommen. Obwohl die Blutung auf dem
Transporte nicht wiedergekehrt war, bestand Anämie hohen Grades. Es
stellten sich in verschiedenen Zwischenräumen, zuerst nach 5 Tagen, klei-
nere und stärkere Nachblutungen ein, welche von dem behandelnden dä-
nischen Arzte (Dr. Salomon) mit Eis und Druckverband bekämpft wurden.
Als am 18. März die 4. Nachblutung aus der Eingangsöffnung eintrat,
wurde letztere erweitert und oberhalb wie unterhalb der schlitzförmi-
gen Oeffnung, welche sich in der Axillaris fand, ein Faden umgelegt.
153
Ausserdem musste noch ein Seitenast unterbunden werden. Die Blutung
kehrte nicht wieder.
Der weitere Verlauf ist vom Herrn Dr. Heine, welcher die
Behandlung am 21. März übernahm, schon veröffentlicht worden
(1. c. pag. 101). Ich hebe daraus hervor, dass die Ausheilung
bis zum September gedauert hat, dass der eine Ligaturfaden erst
am 13. Mai sich löste, weil der N. radialis von ihm mitgefasst
war, und dass die dadurch entstandene Lähmung im Gebiete dieses
Nerven, namentlich die Paralyse der Extensoren der Hand und
Finger, die Vernarbung der Wunde überdauert hat.
Grösser ist die Zahl der Fälle, in welchen eine Verletzung
der Art. brachialis den Weichtheilschuss complicirte — 5. Es
ist aber nur 1 Heilung darunter. Ich erwähne ihn zuerst, weil er
sowohl durch die Rumpfnähe der Verletzung, als durch die Mit-
unterbindung eines Nerven dem vorigen am nächsten steht.
Fall 94. Weichtheilschuss am Oberarm dicht unter der Achsel.
Blutung am 12. Tage. Unterbindung der Axillaris. Heilung.
Christian Josephson vom 17. dän. Inf. -Reg., am 18. April verwundet.
Das Langblei hat die Weichtheile an der inneren Seite des rechten Ober-
armes dicht unter der Achselhöhle von vorn nach hinten durchbohrt. Auf-
nahme in Flensburg am 19. April. Der Verlauf hatte unter der bei Weich-
theilschüssen üblichen Behandlung bis zum 30. April nichts Ungewöhnliches.
An diesem Tage — 12. nam der Verwundung — zeigte sich eine Blutung
aus der hinteren Oeffnung, welche jedoch unter einem Druckverbande steht.
Als nach der Abnahme des letzteren am folgenden Tage die gebildeten
Coagula entfernt wurden, drang arterielles Blut aus beiden Schussöffnun-
gen. Sofort wurde zur Unterbindung der Axillaris (Incision am Rande
des Haarwuchses) geschnitten. Nach Schliessung des Fadens Neuralgie
und Lähmung des Armes. Die Ligatur wurde schnell gelöst und die Arterie
isolirt unterbunden.
Blutungen sind nicht wiedergekehrt. Wohl aber stellten sich vom
3. Mai ab Schüttelfröste ein, die sich bis zum 10. Mai trotz Chinin täglich
wiederholten, ohne dass die Eiterung sich verschlechterte. Gleichwohl ent-
stehen Eiterdepots unter dem grossen Brustmuskel, am rechten Ellenbogen
und in der rechten Hinterbacke. Die letzteren werden mit Tct. Jodi bepin-
selt. Weitere pyämische Erscheinungen haben sich nicht gezeigt. Die Aus-
heilung währte bis Ende Juli. Die Lähmung, besonders die der Flexoren
und Extensoren der Hand, war bis dahin kaum merklich vermindert.
In diesem Falle war die Brachialis von dem Geschosse höchst
wahrscheinlich nur gestreift worden, und die Abstossung eines
nekrotisirten Stückchens der Wandung wurde die Ursache der Blu-
tung am 12. Tage,
154
Fall 95. Weichtheilschuss am Oberarm dicht ander Achsel. Blu-
tung aus der zerrissenen Art. brachialis. Unterbindung der
Axillaris. Brand. Tod. Der Gefreite Ernst Prochnow vom 35.
Füs.-Reg. erhielt am 18. April einen Gewehrschuss durch die Weichtheile
an der inneren Seite des linken Oberarmes dicht an der Achselfalte und
wurde im Depot des 1. F.-L. 6. Div. in Stenderup aufgenommen. Die
wiederkehrende Blutung bei fehlendem Radialpulse nöthigte noch an dem-
selben Tage zur Unterbindung der Axillaris. Der Arm wurde jedoch
schnell brandig, und am 24. April erfolgte der Tod.
Bei der Schnelligkeit, mit welcher nach Unterbindung der Ar-
terienstämme in der Continuität der collaterale Kreislauf sich ent-
wickelt, kann jene allein nicht der zureichende Grund sein, wenn
bald darauf Brand des Gliedes eintritt. Welches Moment im vor-
stehenden Falle zu diesem Ausgange boigetragen, ist aus den da-
rüber vorliegenden Daten nicht erkennbar, da sie nichts enthalten
über etwaige Mitverletzung der Nerven- und Venen -Stämme.
Wenn mit dem Hauptarterienstamme des Armes der ganze Plexus
brachialis zerrissen ist, so wird wohl die Entwickelung des collate-
ralen Kreislaufes wegen der mangelnden Innervation ausbleiben und
das Glied absterben. Es ist jedoch nicht wahrscheinlich, dass ein
solches Verhältniss in dem fraglichen Falle bestanden habe. Die
Zeichen desselben sind characteristisch genug, und wären sie vor-
handen gewesen, so würde man ohne Zweifel, statt die Axillaris
zu unterbinden, den Arm im Schultergelenk exarticulirt haben.
Dass partielle Lähmungen des Armes die Erhaltung des
Gliedes bei dem Verschluss der Axillaris gestatten, geht aus den
oben referirten Beobachtungen (Fall 92, 93 und 94) hervor.
Sehr wahrscheinlich war ausser dem Arterien- der Venen-
stamm verletzt. Die gleichzeitige oder rasch aufeinander-
folgende Unterbrechung der zu- und abführenden Blut-
bahn scheint fast immer zum Brande zu führen.
Fall 96. Der Obergefr. Seering von der 3. Art.-Brg. wurde am 19. April
beim Entladen eines gezogenen Geschützes durch die Explosion des auf
die Erde fallenden Geschosses verwundet und in Stenderup (1. F.-L.
6. Inf.-Div.) aufgenommen. Ausser einer complicirten Fractur des rechten
Radius und ausser mehren Weichtheilzerreissungen an den Beinen bestand
eine solche auch an der vorderen Seite des linken Oberarmes. Arteria
und Vena brachialis waren mitzerrissen. Die folgende Gangrän
des Gliedes nöthigte am 22. April zur Amputation des Oberarmes
im oberen Drittheil. Die Amputationswunde heilte schnell bis auf die Ca-
näle der Ligaturfäden. Die übrigen Verletzungen verliefen durchaus gün-
stig, die Fractur des rechten Radius im permanenten Wasserbade. Am
155
8. Mai schwoll plötzlich der Amputationssstumpf stark an; zugleich wurde
die Eiterung an demselbeu profus und jauchig — während die übrigen
Wunden ihr gutes Aussehen behielten. Erst am 12. Mai verlieren
auch diese ihre Heiltendenz unter steigernder Schwellung des Stumpfes
bis über das Schulterblatt. Nach dem am 16. Mai erfolgten Tode fand sich
die Vena brachialis und axillaris thrombosirt.
Für die Pyämiefrage sind dergleichen Fälle von gleichzeitiger
Verletzung mehrerer Körpertheile sehr belehrend, weil die Reihen-
folge der Erscheinungen über den Ausgangspunkt des Processes
keinen Zweifel lässt. Hier interessirt zunächst die Frage, ob die
sofortige Amputation mehr Aussicht auf Lebenserhaltung geboten
haben würde. Wäre der Humerus zugleich fracturirt gewesen, so
würde man wahrscheinlich mit der Amputation nicht gezögert
haben. Die Quelle der Gefahr, welche sich an die sogenannten
intermediären Amputationen bei Schlussfracturen knüpft, ist
aber so ziemlich dieselbe, aus welcher hier der Todesprocess resul-
tirte — die Venen-Trombose.
Es ist leider nicht immer leicht, bei frischen Verletzungen zu
constatiren, ob und wie ausser dem Arterienstamme der entspre-
chende Venenstamm mitverletzt sei, wenn nicht, wie in dem eben-
erwähnten Falle, die verletzte Stelle wegen der Weichtheilzerstörung
dem Auge blossliegt. Wenn erst die ausgedehnte Schwellung des
Gliedes, welche den Brand einleitet, ausgeprägt ist, pflegt die Kunst-
hülfe zu spät zu kommen.
Fall 9 7. Füsilier Rante vom 15. Inf.-Reg. wurde am 17. März bei Satrup
von einem Granatsplitter am rechten Oberarm getroffen. Es waren nur
Weichtheile verletzt, aber bei dem Fehlen des Pulses an der Radialis liess
die bedeutende Blutung und eine starke Blutergiessung in das Zellgewebe
auf die Mitverletzung der A. brachialis schliessen. Die gangränescirende
Schwellung des ganzen Gliedes bestimmte am 22. März zur Exarticu-
lation des Schultergelenks nach vorgängiger Unterbindung
der Axillaris. Schon am 25. März erfolgte der Tod.
Wenn das der verletzten Arterie entsrömende Blut auf dem
Wege zu den Oeffnungen eines Schusskanales einem Hindernisse des
Abflusses nach aussen begegnet, wie es namentlich an den Armen
schon durch veränderte Haltung des Gliedes gesetzt werden kann,
so gesellt sich zu den spontanen hämostatischen Mitteln die Tam-
ponade durch Coagula. Die Blutung steht; aber handelt es
sich um den Hauptarterienstamm des Gliedes, so kann Brand ein-
geleitet werden durch die Mitcompression der daneben liegenden
Hauptvene, wenn diese auch nicht selbst mitgetroffen wurde.
150
Fall 98. Gera. Jürgen Soerensen vom 22. dän. Tnf.-R. erhielt am 18. April
einen Gewehrschuss durch den rechten Oberarm ohne Knochenverletzung
und wurde in Flensburg aufgenommen. Der Radialpuls fehlte; es hatte
sich ein sogenanntes Aneurysma traumaticum primitivum gebildet. Am
20. April unzweifelhafte Zeichen der Gangrän. Exarti culation im
Schultergelenk. Verlauf Anfangs sehr günstig. Eine Eitersackung er-
heischt am 24. April Lösung der verklebten Wuudränder. Das Allgemein-
befinden ist nur durch Diarrhö etwas alterirt. Am 1. Mai erfolgt plötzlich
eine Blutung aus der A. axillaris, welche in wenigen Minuten tödtet. Bei
der Section fand sich keine Spur von Thrombenbildung in der A. axillaris,
übrigens aber ausser der Blutleere kein pathologischer Zustand der inne-
ren Organe.
Man kann in Frage stellen, ob es nicht in derartigen Fällen
gerathener sei, die Enden der Arterie im Schusskanale aufzusuchen,
um sie zu unterbinden, und mittelst der dazu nöthigen Incision die
Blutcoagula zu entfernen und dadurch die Vene zu entlasten. Die-
ser Act, der wenigstens an der Brachialis nicht allzugrossen Schwie-
rigkeiten begegnet, würde jeden Falles ein milderer Eingriff sein,
als die durch Zuwarten nöthig werdende Absetzung des Gliedes.
Man läuft nur Gefahr, ihr vergeblich zu machen, weil es, wie ge-
sagt, schwer oder unmöglich ist, sich vorweg von der Unversehrtheit
der Vene zu überzeugen, wenn die verletzte Aderstelle mehr oder
weniger tief in einem Schusskanale verborgen liegt.
Ausser den vorerwähnten Fällen von Verletzung der Art. axil-
laris (2) und brachialis (5), welche Weichtheilschüsse begleiteten,
sind noch 1 der Axillaris als Complication von Schultergelenkschuss
und 7 der Brachialis neben Schussbrüchen des Humerus zur Beob-
achtung gelangt — im Ganzen also 15 Verletzungen des Hauptar-
terienstammes der oberen Glieder — dies sind 1,6 pCt. aller Schuss-
verletzungen der oberen Extremitäten, 2,8 pCt. aller Schulter- und
Oberarmschüsse — nach Abzug der 9 Abreissungen resp. Zermal-
muugen des Oberarmes (v. Tab. X.).
Den die Gelenk- und Knochenschüsse behandelnden Kapiteln
vorgreifend, bemerke ich, dass die Axillarisverletzung, welche die
Zertrümmerung des Gelenktheiles der Scapula begleitete, wegen
Blutung am 5. Tage zur Unterbindung der Subclavia veranlasste und
tödtlich ablief. Die 7 Verletzungen der Brachialis neben Schuss-
fracturen des Humerus nöthigten früher oder später zur Amputation
. — 4 Mal mit tödtlichem Ausgange.
Somit haben von den 15 Verwundeten, welche eine Schuss-
Verletzung des Hauptschlagaderstammes der oberen Extremität er-
157
litten, nur 3 Leben und Glied, 3 das Leben mit Verlust des Glie-
des behalten. Merkwürdiger Weise war den 3 ersteren der Besitz
des Gliedes durch die nämliche Complication — partielle Lähmung
durch Läsion des Plexus brachialis — gestört.
Die Statistik würde die Bedeutung der Complication mit Ader-
verletzung sehr mangelhaft beleuchten, wenn sie die Läsionen der
Hauptstämme nicht von denen der Gefässe niederer Ordnung son-
derte. Ausser der erheblichen Differenz in Betreff der Folgen für
Glied und Leben nöthigt dazu die Unmöglichkeit, auch nur annä-
hernd genau zu ermitteln, wie oft die Arterien niederer Ordnung
mitverletzt wurden.
Bedeuteudere primäre Blutungen kommen auf den Verband-
plätzen schon bei Verletzungen der grösseren Stämme selten zur
Beobachtung, weil, wenn sie nicht alsbald von selbst oder auf pro-
visorische Compression ständen, die Zeit zwischen Verletzung und
Ankunft auf dem Verbandplatze mehr als genügen würde, Verblu-
tung zu gestatten. Arterien zweiter Ordnung, wie die Radialis und
Ulnaris pflegen zur Beobachtung bedeutender primärer Blutuug nur
Anlass zu geben, wenn sie an oberflächlichen Strecken ihres Ver-
laufes (dicht über dem Handgelenk) blos angeschossen oder durch
Knochensplitter angerissen werden, und ein paar Ligaturen dieser
Gefässe an dieser Stelle, von Truppenärzten ausgeführt, waren 1864
meines Wissens die einzigen, welche die an den Armen Verletzten
von den Kampfplätzen in die Lazarethe mitbrachten.
Die grössere Entfernung vom Centrum schützt die primären
Thromben in den Arterien niederer Ordnung viel mehr vor dem in
der Reactionsperiode gesteigerten Stosse der Blutwelle. Die inter-
mediären Blutungen aus diesen Adern sind daher sehr selten.
Erst in der Eiterungsperiode vom 8. Tage ab, wenn die Schuss-
brandschorfe sich lösen, wenn gequetschte Stellen der Aderwand
sich nekrotisch abstossen, Gerinnsel oder Fremdkörper, welche Risse
verstopften, sich lockern, kommen auch aus den den verletzten
Arterien niederer Ordnung Secundärblutungen zu Stande*).
Letzteres geschieht besonders bei tiefen Schüssen muskelrei-
cher Regionen des Armes, namentlich bei den tieferen Schüssen
der Schulter, des oberen Drittheiles des Unterarmes und des Dau-
*) Von den sogenannten pyämisch en Blutungen ist hier nicht die Rede;
ich werde dieselben erst in dem Capitel über Pyämie gesondert in Betracht
ziehen.
158
mens, mögen die Knochen mitverletzt sein oder nicht. Erhöhte
Lage, Kälte, Compression, namentlich auch die digitale des zufüh-
renden Aderstammes, genügen in der Regel zur Stillung der Blu-
tung, wenn keine Phlebostase im Spiele ist. In vielen Fällen der
Art ist es sehr schwer, genau den Aderzweig, welcher blutete,
nach dem Schema der descriptiven Anatomie zu bestimmen. Nicht
selten sind es Nebenästchen, welche erst in Folge der Verwundung
und der darauf folgenden Reaction zu ungewöhnlicher Entwickelung
gelangt sind. Wie bedeutend diese sein und wie rasch sie erfolgen
kann, sieht man am besten bei intermediären Amputationen (4. bis
6. Tag).
Aus Alledem folgt, dass es unmöglich ist, für die Häufigkeit
der Mitverletzung von Gefässen niederer Ordnung einen sicheren
Massstab zu gewinnen. Ich habe in der Tabelle IX. sub D. nur
3 Fälle der Art mitberechnet, weil die verletzte Aderbahn nicht
zweifelhaft ist, und weil ihr Verlauf von dem gewöhnlichen ab-
weicht. Verletzungen ähnlicher Art sind ohne Zweifel viel häufi-
ger gewesen; aber die allgemein übliche kalte Behandlung der fri-
schen Wunden hat nicht wenig dazu beigetragen, sie unschädlich
zu machen.
Fall 99. Weichtheilschuss am Handrücken. Arterielle Blutung
am 5. Tage. Unterbindung in loco. Pyämie. Tod. Gem. Bunte
vom 5. dän. Inf.-Reg. erhielt am 29. Juni auf Alsen einen Langbleischuss
an der rechten Hand. Eingang in der Mitte der Dorsalseite des Handge-
lenks; Ausgang am Rande der Hautfalte zwischen Daumen und Zeigefinger.
Das Geschoss hatte nur Weichtheile verletzt und nach seinem Austritte
noch die Haut am Ulnarrande des Daumen gestreift. B. kam am 1. Juli
nach Glücksburg, bis dahin waren nur kalte Umschläge gemacht; hier
wurde ein Eisbeutel aufgelegt. Am 3. Juli Morgens fand man den ganzen
Schusskanal wurstförmig aufgetrieben; aus der Ausgangöffnung ragte ein
Blutpfropf hervor. Als man denselben entfernte, erfolgte eine heftige ar-
terielle Blutung. Nach Compression der Brachialis wurde der Schusskanal
gespalten und das blutende Gefäss — der ramus dorsalis der A. radialis
— in loco unterbunden. Eisbeutel. Der Blutverlust war gross genug
gewesen, um die Verabreichung von Wein und Eisen zu fordern. Am
15. Juli Schüttelfrost, der sich in den nächsten Tagen bei lebhafter Fie-
berung wiederholte. Pyämische Nachblutungen. Tod am 20. Juli. Bei
der Section fanden sich grosse Lungen- und Leber-Abscesse.
Ader und Langblei liefen in der nämlichen Richtung; wahr-
scheinlich war erstere deshalb nur an-, nicht durchgeschossen.
Hätten die Umstände eine frühzeitige und consequente Eisapplica-
tion gestattet, so würde trotzdem wohl ein festerer Verschluss des
Aderlumens durch den Thrombus zu Stande gekommen sein. Ohne
159
Frage war die Unterbindung in loco hier indicirt; vielleicht wäre es
besser gewesen, sie zu verschieben, — da die temporäre Beherr-
schung der Blutung nicht schwer war — um eventuell nach Ablauf
der intermediären Periode zu operiren. Besonders in Lazarethen,
deren Sanität wegen momentaner Ueberfüllung zweifelhaft ist, wie
es derzeit die des Lazarethes in Glücksburg war, geben auch der-
artige Operationen leicht den Anstoss zur Entwickelung der Pyä-
mie, wenn sie am 4. oder 5. Tage gemacht werden.
Fall 100. Weichtheilschuss im oberen Drittheil des Unterar-
mes. Blutung am 12. Tage. Unterbindung der Brachialis.
Heilung. Peter Lund vom 22. dän. Inf. Reg. wurde am 18. April ver-
wundet. Das Langblei ist am linken Ellenbogen in der Gegend des Cond,
ext. humeri eingetreten, 2 Zoll tiefer an der Volarseite des Unterarmes
ausgetreten. Trotz der in Flensburg eingeleiteten Eisbehandlung entstand
eine Phlegmone; um dem Eiter besseren Abzug zu verschaffen, wurde die
Wundöffnung am Vorderarm am 26. April dilatirt, wonach die Schwellung
rasch abnahm. In der Nacht vom 30. April zum 1. Mai starke Blutung
aus beiden Wundöffnungen, deren Stillung Mühe machte. Es wurde ver-
sucht, die blutende Arterie — wahrscheinlich der Stamm der Radialis —
in loco zu unterbinden; es gelang indess nicht, sie aufzufinden. St.-A.
Dr. Besser unterband deshalb die A. brachialis. Die Blutung ist nicht
wiedergekehrt; der Ligaturfaden löste sich am 11. Mai. Im Juni war der
Radialpuls noch nicht wiedergekehrt. Die Vernarbung aller Wunden war
Mitte Juli vollendet.
Die Unterbindung in loco hat bei frischen Schusswunden we-
niger Schwierigkeit, und mit Piro g off müsste man deshalb wün-
schen, dass sie in allen den Fällen, wo über die Mitverletzung
eines Arterienstammes kein Zweifel waltet, schon auf den Verband-
plätzen geschehe, wenn auch die Primärblutung augenblicklich steht.
Das oben berührte Verhalten der Primärblutungen in Verbindung
mit der bekannten Arbeitshäufung auf den Verbandplätzen wird
aber wohl auch künftig die Primärligaturen in loco, wie in der Con-
tinuität selten machen. Das Aufsuchen kleinerer und tief liegender
Arterien nach Beginn der Eiterung — von der Gefahr dieses Actes
in der Reactionszeit war schon die Rede — ist wegen der dann
noch vorhandenen Schwellung und Infiltration der durchschossenen
Gewebe sehr viel schwieriger und zugleich viel verletzender als die
Unterbindung des zuführenden Stammes in der Continuität. Selbst
die Blutung aus kleineren Aesten, wenn sie bedeutend und durch
Anastomosen zum Widerstande gegen andere Blutstillungsmittel be-
fähigt wird, kann unter diesen Umständen zur Ligatur des Haupt-
stammes nöthigen.
Löffler, Generalbericht, u
160
Fall 101. Weichtheilschuss am Oberarm. Blutung am 12. Tage.
Unterbindung der A. brachialis. Heilung. Hans Jürgense n vom
18. dän. Inf. -Reg. erhielt am 29. Juni einen Gewehrschuss am unteren
Drittheil der inneren Seite des linken Oberarmes, welcher nur Weichtheile
durchbohrte und in keiner Weise von Bedeutung schien. Am 12. Tage
nach der Verletzung trat arterielle Blutung ein aus einem der in jener
Gegend aus der Brachialis abgehenden Gelenk-Aeste. Die Blutung stand
erst, nachdem der Stamm der Brachialis dicht über dem Schusskanale un-
terbunden wurde. (St.-A. Dr. Loe wenhardt). Der weitere Verlauf blieb
ungestört. J. wurde am 16. August geheilt ausgeliefert.
Für die Frage, wie bald nach Ligaturen in der Continuität die
Blutbahn in den grösseren Aesten des unterbundenen Stammes wie-
der betreten wird, können die Beobachtungen an der Brachialis am
leichtesten benutzt werden, weil der Radialpuls einen bequemen
Massstab bietet.
Es ist bekannt, dass dieses Verhältniss sehr variabel ist, und
dass bisweilen Dasein und Fehlen des Pulses wiederholt wechselte.
In dem eben erwähnten Falle hat Herr O.-St-A. Dr. Abel schon
am Tage nach der Operation eine leise Pulsation der Radialis
constatirt. Der Puls ist auch bei dem längeren Aufenthalte im
Lazarethe zu Ulderup gefühlt, aber sehr viel schwächer als an der
gesunden Seite. Als der Operirte am 25. Juli durch Evacuation
nach Apenrade gelangte, war der Puls nicht fühlbar, und in dem
betreffenden Journale wird der 4. August ausdrücklich als der erste
Tag bezeichnet, an welchem sich ein schwacher Pulsschlag in der
Radialis gezeigt habe.
Als Complication der Knochen- und Gelenkschüsse hat die Mit-
verletzung der Gefässe niederer Ordnung zwar nicht die Bedeutung
eines fast absoluten Hindernisses der Gliederhaltung; aber ihr er-
heblicher Einfluss auf Verlauf und Ausgang jener Verletzungen wird
sich in den folgenden Kapiteln deutlich genug herausstellen.
E. Knochenschüsse der oberen Extremitäten.
Nach der in Tabelle IX. vorausgeschickten Uebersicht waren
von den Schussverletzungen der Oberglieder preussischer Seits
31 pCt. mit Knochenläsion complicirt. Dies ist nicht ganz genau,
weil bei den zu einer besonderen Categorie (F) vereinigten Schuss-
verletzungen der drei grösseren Gelenke des Armes gleichfalls fast
ausnahmslos die articulirenden Knochenenden mitbetheiligt sind, und
weil es sich auch in der bereits besprochenen Gruppe der „Ab-
reissungen und Zermalmungen" durchweg um Mitverletzung der
161
Knochen handelt. Stellt man blos 2 Categorien — Schüsse mit
und ohne Knochenverletzungen — einander gegenüber, so kommen
an den oberen Gliedern 41 pCt. auf erstere, 59 pCt. auf letztere.
Bei dem dänischen Antheile ist das Häufigkeitsverhältniss um-
gekehrt — 53 pCt. mit, 47 pCt. ohne Knochenläsion. Dies ist
jedoch für die vergleichende kriegschirurgische Statistik bedeutungs-
los, weil die Ausgleichung in dem nicht in Kriegsgefangenschaft
gerathenen Theile der dänischen Verwundeten gegeben ist. Man
darf also z. B. aus dieser Differenz nicht ohne Weiteres den Schluss
ziehen, dass das Langblei häutiger die Knochen verletze als die
Spitzkugel.
Viel auffallender ist die Differenz des Mortalitätsverhältnisses
der Knochenschüsse auf beiden Seiten. Es stellt sich nach Tab. IX.
für die Gruppe E. preussischer Seits auf c. 11 pCt., dänischer Seits
auf c. 26 pCt. Zum Theil erklärt sich dies aus dem numerischen
Ueberwiegen der an sich lethaleren Knochenschussformen dänischer
Seits. Dies sind, wie bekannt, und wie sich aus Tabelle IX. deut-
lich genug ergiebt, die Knochenschüsse der Schulter und des Ober-
armes. Dieselben verhalten sich numerisch zu den Knochenschüssen
des Unterarmes und der Hand preussischer Seits wie 46 : 54, dä-
nischer Seits wie 56 : 44.
Was die Lethalitäts-Scala der Knochenschüsse nach den Glied-
abschnitten betrifft, so stellt sich nach der Tabelle bei den Preussen,
wie bei den Dänen heraus, dass die am Oberarm etwas lethaler
waren, als die an den Schultern. Dies widerspricht dem bekann-
ten Gesetze, dass die Lethalität der Gliederschüsse mit der Rumpf-
nähe steigt. Aber der Widerspruch ist nur ein scheinbarer. Was
die Knochenschüsse der Schulter ohne Mitverletzung der Gelenk-
enden an Bedeutung verlieren, das holen sie doppelt und dreifach
nach in der Categorie der Gelenkschüsse. Tabelle IX. zeigt, dass
die Schussverletzungen des Schultergelenkes bei den Dänen eine
Mortalität von 60 pCt. erreichten und bei den Preussen nicht we-
niger als 55 pCt.
Aber auch abgesehen von dem Mortalitätsverhältniss bieten die
Knochenschüsse der verschiedenen Gliedregionen vom technischen
Standpunkte so erhebliche Differenzen dar, dass es ohne gesonderte
Betrachtung derselben unmöglich ist, die Praxis von 1864 und ihre
Resultate richtig zu beleuchten.
11*
162
E. 1. Schussbrüche der Schulterknochen.
Tabelle XI.
Nationalität
Zahl
der
Verwundeten
V
Schlüsselbein
3rletzte Knoch
Schulterblatt
en
Schlüsselbein
und
Schulterblatt
Summe der
Gestorbenen
V.
+
V.
+
V.
+
Preussen . .
Dänen . . .
40
26
7
6
28
14
2
5
5
6
4
5
6
10
Summa
66
13
42
7
11
9
16
Die vorstehenden Zahlen bezeichnen nicht ganz genau die
Häutigkeit der Schüsselbein- und Schulterblattbrüche. Es fehlen
darin diejenigen, welche neben B ru st Verletzungen vorgekommen
sind. An solchen ist besonders das Schulterblatt gar nicht selten
betheiligt, ohne dass die Verletzung desselben an sich auf Verlauf
und Ausgang in concreto entscheidend einwirkt Wer sich trotz-
dem für ganz exacte Zahlen der Art interessirt, wird die ergän-
zenden Data in dem Kapitel über die Brustschüsse finden.
Ueberhaupt ist die K nochenläsion bei diesen Verletzungen
nicht dasjenige Moment, welches die Wachsamkeit und Thätigkeit
der Kunsthülfe besonders in Anspruch nimmt. Es giebt nur eine
Form derselben, welche an und für sich die Erhaltung des Lebens
wie des Gliedes in Frage stellt, nämlich die Verletzung des
Schu ltergelenktheiles der Scapula. Dieselbe wird in dem
Kapitel über die Schultergelenkschüsse die ihrer Bedeutung entspre-
chende Berücksichtigung linden und ist deshalb in Tab. IX. gleich-
falls ausgeschlossen.
An den übrigen Theilen des Schulterblattes sowie am Schlüssel-
beines bewährt sich der aus der Friedenspraxis bekannte Heiltrieb
derselben auch bei den Schussbrüchen, obwohl letztere fast immer
mit bedeutender Splitterung verknüpft sind. Die ausgedehntesten
Zertrümmerungen der Art gelangten zur Consolidation. Unter den
50 Heilungsfällen von 1864 belinden sich nur 2, in welchen kleine
163
abgesprengte Stücke (einmal vom Acromion, das andere Mal vom
äusseren Rande des Schnlterblattkörpers), ohne nekrotisch zu wer-
den, beweglich geblieben sind.
Dazu kommt, dass, um zu diesem Ziele zu gelangen, die Schul-
terknochen in ihren Ansprüchen an die Bandagirkunst höchst be-
scheiden sind. Um den Bruchstücken die nöthige Ruhe zu sichern,
genügt zweckentsprechende Lagerung resp. Haltung des Glie-
des durch das dreieckige Tuch, die sogenannte Mitelle.
Nichtsdestoweniger haben die Schussverletzungen dieser Cate-
gorie auch ihre Schattenseiten. Schon ein Blick auf Tabelle XI.
lehrt, dass in unserm Feldzuge c. 21 pCt. derselben tödtlich ver-
laufen sind, obwohl die Repräsentanten der Complication mit
Brust- und mit Schultergelenk- Verletzung nicht darin stehen.
Ist dies ein gutes oder das gewöhnliche oder ein schlechtes
Resultat? Nur der Vergleich mit den Resultaten aus anderen Feld-
zügen kann darauf antworten. Um so mehr bedauere ich, kaum
eine brauchbare Parallele in der kriegschirurgischen Literatur ge-
funden zu haben. In der Tabelle der „Resultate der Knochen-
verletzungen der Extremitäten mit und ohne Operation", welche
Stromeyer für den ersten schleswig-holsteinischen Krieg seinen
„Maximen" zugefügt hat, fehlen autiallender Weise die Schuss-
brüche der Clavicula und Scapula ganz. Der ofticielle Rapport aus
dem jüngsten amerikanischen Unionskriege weist in der Classifica-
tion der Verletzungen 389 „Schussfracturen der Scapula und Cla-
vicula ohne Verletzung der Brusthöhle" nach; aber in den späteren
Heilungs- resp. Mortalitätsnachweisen fehlen die Zahlen für diese
Categorien.
In dem „Tableau des Blessures de TEpaule" bei Chenu(l. c)
stehen für die 3 Categorien „Fractures des os de l'epaule — Fr.
de l'omoplate — Fr. de la clavicule" aus dem Krimmkriege: Pen-
sionnes 60 — Sortis gueris ou evacues (!) 135 — Morts 165.
Daraus berechnet sich eine Mortalität von 46 pCt. Allein einer-
seits ist fraglich, in wie weit die mit Brustverletzung complicirten
Fälle mitberechnet oder ausgeschlossen ^ind; andererseits registrirt
die Tabelle unter den „Plaies ou Fractures indeterminees
161 Todesfälle. Bringen wir ohne Rücksicht hierauf blos die Frac-
turen des Schulterblattes und des Schlüsselbeines durch Gewehr-
kugeln in Ansatz, so bleibt immer noch ein Sterblichkeitsverhältniss
von 35 pCt.
164
In Tabelle XI. habe ich die Schussfracturen der Schulterkno-
chen in 3 Gruppen gesondert — Schussfracturen des Schlüsselbeins,
des Schulterblatts, beider Knochen zusammen. Die Zahlen der Todes-
fälle daneben bilden eine Art Climax (von 0 — 80 pCt). Es wäre
aber ein grosser Irrthum, wenn man daraus schlösse, dass diese
Zahlen den Einfluss repräsentiren, welchen die Knochenläsionen als
solche auf den Verlauf dieser Verletzungen haben. Die Schussfrac-
turen beider Schulterknochen sind nur darum bedeutsamer als die
der einzelnen Knochen, weil Richtung und Tiefe der Schüsse, welche
jene erzeugen, häufiger der Art ist, dass, wie gering auch die Kno-
chenläsion selbst sei, deletäre Wundverhältnisse sich entwickeln.
Ein Blick auf die vorgekommenen Todesprocesse wird dies deut-
lich machen.
Vorweg sind diejenigen auszusondern, welche durch Neben -
krankheiten herbeigeführt wurden.
Der Unterofficier Carl Sander vom 15. Inf.-Reg., welcher am
29. Juni auf Alsen eine auf den äusseren Rand des Schulterblattes
beschränkte Schussfractur erlitt und bis zum 9. Juli im 1. F. - L.
5. Div. zu Sandberg gepflegt wurde, erkrankte später im Johanni-
ter - Lazareth zu Flensburg am Typhus nnd starb daran den
17. August.
Gem. Peter Bjelke vom 16. dän. Inf.-Reg. wurde am 18. April
verwundet und in Blan s (1. F.-L. 5. Inf.-Div.) aufgenommen. Quer-
schuss in der linken Fossa infraspinata mit 2 Oeffnungen und Fractur
der Scapula. Am 4. Tage stellte sich Delirium tremens ein.
In der Nacht entsprang er dem Wärter, und längere Zeit nachher
wurde er in einem nahen Pfuhle ertrunken gefunden.
Das Delirium tremens ist bei den verwundeten Preussen
1864 gar nicht, bei den Dänen nur einige Mal zur Beobachtung ge-
kommen. Es ist am Wundbette bisweilen schwer, zu entscheiden,
ob es sich um diesen Krankheitsprocess oder um das die Septicämie
einleitende delirium traumaticum handele.
Auch der Trismus hat unter den Verwundeten dieser Kate-
gorie ein Opfer gefordert. (Untercorporal Friedrich Petersen
vom 3 dän. Inf.-Reg., am 29. Juni verwundet — Zertrümmerung des
Körpers der linken Scapula, — am 6. Juli in Sonderburg gestor-
ben). Die peripherische Nerven-Läsion ist durch die Section nicht
constatirt.
Bei Erwähnung der multiplen Schusswunden habe ich des
165
extremsten Falles der Art von 1864 gedacht (vgl. S. 47). Der
schwedische Officier Lundegreen hatte am 18. April ausser ver-
schiedenen anderen Verletzungen auch einen Schuss durch die rechte
Schulter mit Streifung des Schlüsselbeines erhalten. Sein Tod
erfolgte erst nach 9 Tagen vorzugsweis in Folge der Erschöpfung
durch den bedeutenden Blutverlust am Kampftage. Aber der Um-
stand, dass von der Schulterwunde aus eine Eitersenkung in den
Pleurasack eintrat, hat mich bestimmt, diesen Fall statistisch den
Schulterschüssen zuzuzählen.
Von den übrigen 12 Todesfällen repräsentiren 3 eine der übelsten
Seiten der Schulterschüsse — die Gefahr hartnäckiger arterieller
Secundärblutungen im Eiterungsstadium. Der Gefässreichthum
der Schultergend und die vielfachen Anastomosen, durch welche
die Aderzüge untereinander verbunden sind, erschweren die Erkennt-
niss der Blutungsquelle und deren Sistirung in hohem Grade, be-
sonders wenn es sich um lange und tiefliegende Schusskanäle han-
delt. Schon bei den Weichtheilschüssen wurde darauf hingewiesen.
Fall 102. Gewehrschuss durch die Fossa subscapularis. Arteri-
elle Secundärblutung am 10. Tage. Unterbindung der Subcla-
via. Gangrän. Tod. Musketier Wilhelm Hoppe vom 24. Inf.-Reg. er-
hielt am 29. Juni auf Alsen einen Gewehrschuss in die linke Schulter.
Die Kugel war an der innern Seite des Oberarmes hart am Schulterge-
lenke eingetreten und , zwischen Brustwand und Schulterblatt schräg nach
innen und unten verlaufend, bis zum inneren Rande des letzteren gedrun-
gen. Sie wurde hier mittelst Incision extrahirt. Das mittlere Drittheil
dieses Randes war gesplittert.
Im Lazareth zu Glücksburg (3. schw. F.-L. 3. A.-C.) wurde neben ein-
fachem Wundverbande zuerst Eis applicirt; später laue Umschläge.
Bei ungestörtem Allgemeinbefinden blieb der Verlauf regelmässig bis zum
9. Juli. Plötzlich arterielle Blutung, welche trotz der Stillungsversuche
durch Tamponade und Kälte so oft und heftig wiederkehrt, dass am
10. Juli zur Unterbindung der A. subclavia oberhalb des Schlüs-
. selbeines geschritten wurde. (Chef-Arzt Hochauf). Das Befinden ist
in den nächsten Tagen bis auf Schlaflosigkeit gut. Am 13. Juli Morgens
trat jedoch von neuem eine heftige arterielle Blutung aus der Ausgangs-
öffnung des Schusskanales ein. Charpietamponade, Eis. Zu der Schwäche
durch Blutverlust gesellt sich jetzt Appetitlosigkeit und Durchfall. Der
Arm schwillt ödematös an. Am 14. Juli Abends nochmals arterielle Blu-
tung. Iüjection von Liquor Ferri sesquichlorati in den Schusskanal. Am
15. Juli Tod bei entwickelter Gangrän des Armes.
Bei der Section fand sich in der Subclavia oberhalb der Ligaturstelle
dünnflüssiges Blut, unterhalb ein Thrombus und eine merkliche Erweite-
rung der abgehenden Aeste. Der Arm ist bis zum Thorax gangränös,
166
ebenso die Muskulatnr der Brustseite und der Fossa subscapularis, während
die Muskulatur der Fossa supra- und infraspinata gesund erschien. An der
Scapula fand sich ausser weiter Periostablösung nur der innere Rand ge-
splittert.
Die Knochenläsion spielt in dem Verlaufe dieses Falle gar keine
Rolle. Um das Ausgangsmoment des Todesprocesses, die arterielle
Secundärblutung in der Eiterungsperiode möglichst zu verhüten,
thut man wohl, bei den tiefen Schüssen dieser Gegend, mag die
Knochenläsion bedeutend oder gering sein oder auch ganz fehlen,
und mag sich der Verlauf noch so -günstig gestalten, die Anwen-
dung des Eises, wo man es haben kann, möglichst lange fortzu-
setzen.
Es ist in Frage gestellt, ob es nicht gerathen sei, in solchen
Fällen behufs der Blutstillung die Scapula von der fossa infraspi-
nata aus zu reseciren, um die blutende A. subscapularis aufzusu-
chen und an Ort und Stelle zu unterbinden. Begreiflicher Weise
gehört indess besonderes Glück dazu, wenn die Operation ihren
Zweck erfüllen soll.
Fall 103. Schussfractur des Akromialen des der Clavicula und
des Körpers der Scapula. Arterielle Secundärblutung am
8. Tage. Resection der Scapula. Unterbindung der A. subcla-
via. Gangrän. Tod. Gefreiter Ernst Riese vom 4. G.-Reg. zu Fuss
wurde am 6. April bei Düppel verwundet und in Broacker (schw. F.-L. des
G.-C.) aufgenommen. Das Geschoss ist über dem Akromialende des rech-
ten Schlüsselbeins ein- und c. 1| Zoll über dem Angulus scapulae ausge-
treten. Das äussere Ende der Clavicula ist fracturirt, die Scapula an der
Ausgangsstelle von der Fossa subscapularis her durchbohrt und gesplittert.
Einfacher Verband; Mitelle; kalte Umschläge. Am 7. April lebhafte Fie-
berung mit leichten Delirien. Mehr Ruhe am folgenden Tage. Am 9. April
mässige aber schmerzhafte Schwellung des Armes bei geringer Fieberung.
Einwkkelung des Armes; Eisbeutel. Der weitere Verlauf unter reichlicher
und guter Eiterung bis zum 14. April regelmässig. An diesem Tage stellte
sich eine mässige Blutung aus der Ausgangeöffnung ein und eine Eiter-
sackung nach unten, welche sich durch Druck aus jener entleeren lässt.
Mit der eingeführten Sonde entdeckt man, dass der Scapulakörper längs
des Schusskanales gesplittert ist. In Folge wiederholter Blutung wird am
20. April behufs Aufsuchung der Quelle vom Herrn Gen. - Arzt Dr. von
Langenbeck durch einen Längsschnitt in der Fossa infraspinata die
zersplitterte Scapula blossgelegt. Nach Entfernung der Bruchstücke finden
sich die Weichtheile mit in eitrigem Zerfalle begriffenen Blntextravasaten
durchsetzt. Die blutende Arterie wird nicht gefunden. Darauf wird die
Eingangöffnung des Schusskanales am Schlüsselbein mit dem Pott'schen
Bistouri nach rechts und links erweitert, ein gelöstes Bruchstück der Cla-
167
vicula entfernt und schliesslich die A. subclavia ihrem Ursprünge mög-
lichst nahe unterbunden. Am 22. April wurde der Arm theilweis blau uud
kalt, und unter fortschreitender Gangrän erfolgte der Tod am 27. April,
Diese beiden Unterbindungen der Subclavia schliessen sieh den
3 im ersten schleswig-holsteinischen Kriege zu demselben Zwecke
vergeblich gemachten an. Der erste Fall zeigt, dass diese Ope-
ration nicht einmal die Sistirung der Blutung garantirt, wenn die
Unterbindung nicht ganz nahe dem Ursprünge der Ader geschieht.
Es hat übrigens 1864 nicht an Fällen arterieller Nachblutung bei
Schulter-Schussfracturen gefehlt, in denen die Ausdauer in der An-
wendung der bekannten sonstigen Blutstillungsmittel von Erfolg
gekrönt wurde. Einer der bemerkenswerthesten ist von Herrn
Dr. Res sei im Johanniter- Lazareth zu Flensburg behandelt und
(1. c. pag. 91 ff.) ausführlich beschrieben. Ich beschränke mich
darauf, die auf die Blutung bezüglichen Data zu referiren.
Fall 104. Schussfractur des Schlüsselbeins. Arterielle Se-
cundärblutung am 9. Tage. Viermalige Wiederholung. Hei-
lung. Prem.-Lieut. Ernst v. B. vom 15. Inf.-Reg. erhielt am 29. Juni auf
Alsen einen Gewehrschuss durch die rechte Schulter. Die eine Oeffuung
des Schusskanals zwischen Wirbelsäule und innerem Rande der Scapula
in der Höhe des zweiten bis dritten Brustwirbels, die andere auf dem
massig gesplitterten Schlüsselbein an der Grenze des äusseren und mitt-
leren Drittheils. Bei gutem örtlichem und allgemeinem Zustande in der
Nacht vom 7. zum 8. Juli erste arterielle Blutung aus der vorderen
Wundöffnung. Blutverlust c. \ Pfund. Die Blutung stand von selbst,
kehrte auch, nachdem folgenden Tages die Coagula entfernt waren, nicht
wieder bis zum 12. Juli Abends. Kurz nach einem Besuche naher Ver-
wandter kam ein massiger Blutstrom aus der vorderen Wundöffnung unter
der deckenden Charpie hervor. Irrigation mit Eiswasser ; Tampo-
nade und Verstärkung der letztern auf kurze Zeit durch Di-
gitalcompression. Die Blutnng steht leicht. Am 13. Juli Nachmit-
tags neue Blutung in einem kräftigen arteriellen Strahle. Irrigation mit
Eiswasser vergeblich. Dilatation der Wunde nach oben und hinten durch
c. 2 Zoll lange Incision, wobei 4 oberflächlich gelegene kleine Arterien
unterbunden werden mussten. Die Blutung steht. Als aber zur Probe mit
warmem Wasser irrigirt wird, dringt wieder ganz aus der Tiefe in der
Nähe des hinteren oberen Winkels der Scapula ein kräftiger Blutstrahl
hervor, ohne Zweifel aus der A. dorsalis scapulae. Bei der beständigen
Ueberschwemmung der Tiefe gelang es nicht, dieselbe zu fassen. Tam-
ponade der ganzen Wunde, dazu Compression mittelst der
über die Schulter gelegten Hand mehre Stunden; daneben Eis-
beutel. Die Blutung steht. Am 15. Juli Morgens Reinigung der Wunde
von Coagulis; letztere sehen etwas unrein und blass aus. Verband mit
168
Inf. Chamom., Rothwein und Campher- Mischung. Vierte kleine Blutung
am 16. Juli Abends aus der vorderen Wunde in Folge einer etwas raschen
Bewegung des Patienten. Leichte Stillung durch Irrigation und Tampo-
nade. Eine Stunde später jedoch ziemlich starke fünfte Blutung.
Nur kräftige Tamponade mit Digitalcompression blieb übrig.
Letztere wurde 4 Stunden lang fortgesetzt. Die Blutung ist seit-
dem nicht wiedergekehrt. Der weitere Ausheilungsprocess erfolgte ohne
Störung. Nach wiederholter Ablösung grösserer und kleinerer Fragmente
der fracturirten Clavicula konnte Pat. am 5. Sept. in die Heimath reisen.
Die hintere Oeffnung des Schusskanals war vernarbt; die vordere Wunde
bis zur Grösse einer Erbse verkleinert.
Es liegt freilich auf der Hand, dass die Hülfen, deren conse-
quente Anwendung in diesem Falle zum Ziele führte, namentlich
die Tamponade und die stundenlange Digital- resp. Manual -Com-
pression, bei Blutungen, deren Quelle in der fossa supra- oder infraspi-
nata liegt, viel mehr Chancen des Erfolges haben, als bei Blutun-
gen aus der fossa subscapularis, deren Quelle von ihnen nur sehr
mittelbar erreicht werden kann. Aber auch bei jenen Blutungen
wird die Freude an dem Erfolge leicht durch ein Moment getrübt,
dessen Zutritt durch die bei den fraglichen Hülfsarten unvermeid-
liche Insultation der eiternden Wunde und deren Umgebung wenn
nicht direct herbeigeführt, so doch gefördert werden kann. Ich
meine den septicämischen und pyämischen Process. Der
folgende Fall liefert ein Beispiel davon und zugleich von arte-
rieller Spätblutung.
Fall 105. Schuss auf der Schulterhöhe mit leichter Absplitte-
rung der Spina Scapulae. Arterielle Blutung am 38. Tage.
Septicämie. Tod. Christian Petersen vom 2. dän. Inf.-Reg. erhielt
am 18. April einen Gewehrschuss durch die linke Fossa supraspinata von
hinten nach vorn und wurde in Flensburg aufgenommen. Einschussöffnung
am inneren Drittheil der Spina scapulae, Ausschussöffnung über der Cla-
vicula c. 1£ Zoll vom Sternalende derselben. Letztere ist nicht verletzt;
die Eingangsöffnung führt auf die abgesplitterte Spina. Der Wundverlauf
war sehr langsam, bot aber bis zur Mitte Mai nichts Ungewöhnliches.
Während der Zeit hatte sich eine derbe gegen Druck sehr empfindliche
Infiltration der Umgebung der vorderen Wundöffnung gebildet. Behandlung
mit Breiumschlag. Die Infiltration wird dadurch beseitigt. Allgemeinbe-
finden ungetrübt. Am 26. Mai Morgens arterielle Blutung aus der vor-
deren Wundöffnung. Sie steht durch Tamponade. Eisbeutel; Acid.
phosphoric. innerlich. Nachmittags wiederholt sich die Blutung. Sie
schien aus kleinen Arterienästchen der inneren Wandung des Schusskanals
nahe der vorderen Mündung zu kommen. Stillung durch ümstechung.
Am 28. Mai neue Blutung aus der Tiefe des Schusskanales. Druck ge-
169
gen den Processus transversus des letzten Halswirbels, wo Pulsation ge-
fühlt wird, stillt die Blutung. Darauf wird der Schusskanal mittelst
Waschschwamm tamponirt.
Der Blutverlust hat eine merkliche Herabsetzung der Kraft herbeige-
geführt. Wegen starker Jauchung der Wunden wurden am 30. Mai die
oberflächlichen Tampons entfernt; die tieferen blieben liegen. Verband mit
Chlorwasser. Wiederkehr der Blutung am 1. Juni in starkem arteriellen
Strahle aus der Tiefe. Druck gegen den letzten Halswirbel sistirt ihn.
Darauf von neuem Tamponade und Compression. Am 4. Juni wer-
den einige Schwammstückchen aus der Wunde entfernt. Unter der hintern
Schussöffnung hat sich eine Eitertasche gebildet. Incision am 6. Juni.
Die Blutung kehrt nicht wieder; der Puls wird kräftiger, der Appetit hebt sich.
Am 7. Juni entwickelt sich jedoch unter lebhafter Fieberung eine über die linke
Seite des Gesichtes, des Nackens und der Brust sich ausdehnende Schwel-
lung. Dieselbe steigt rapide. Am 9. Juni ist der ganze linke Arm öde-
matös. Die Haut am äusseren Rande des Schulterblattes gangränescirt.
Behufs der Jaucheentleerung tiefe Incision. Tod am 10. Juni. Bei der
Section fanden sich in den inneren Organen, abgesehen von der Blut-
leere, keine Krankheitsproducte. Die Gefässe des stark ödematösen Ar-
mes zeigten keine Abnormität. An der Verbindungsstelle der Vena sub-
clavia und jugularis communis ein starkes weissliches etwas rauhes Ge-
rinnsel, welches sich bis ins rechte Herz erstreckt. Venenwandung glatt.
Ein rabenkieldicker Arterienast, aus dem Truncus thyreo-cervicalis entsprin-
gend, verläuft nach hinten bis zum Schusskanal, der in dem infiltrirten
Gewebe nicht weiter zu verfolgen ist. (A. transversa scapulae). Starke
entzündliche Infiltration der linken Wangen- und Nacken-Seite. Der Schuss-
kanal stellt eine grosse jauchige Höhle mit infiltrirten Wänden dar. Am
inneren Drittheil der Spina scapulae sind einige Splitter abgebrochen.
Der Vergleich dieses Falles, in welchem die geringe Knochen-
läsion höchstens als Grund des langsamen Wundverlaufes in der
ersten Periode in Betracht kommt, mit dem sub No. 103 skizzirten
dürfte nicht ohne Interesse sein. Das Schema der Hülfsleistung
gegen die Blutung ist das nämliche. Aber die Execution zeigt
manche Differenzen. Man thut, glaube ich, gut, dieselben in Be-
treff ihres Einflusses auf den Ausgang nicht zu unterschätzen. Die
Individualität des Verwundeten und die Constitution des Hospitals,
in welchem er behandelt wird, sind ohne Zweifel sehr wichtige
Potenzen bei der Genesis der Septicämien ; aber die lokalen Wund-
verhältnisse machen ihnen eine sehr beachtenswerthe Concurrenz.
Die noch nicht erwähnten 9 Todesfälle kommen gleichfalls auf
Rechnung der Septicämie und Pyämie Auch in ihrem Ver-
laufe hat es an Blutungen nicht gefehlt; dieselben waren indess
anderen Ursprunges, als die bisher besprochenen, nämlich Producte
170
jener Processe selbst, deren tödtlicher Verlauf durch sie nur be-
schleunigt wurde, sogenannte pyämische. Von ihnen wird in
dem Capitel über Pyämie die Rede sein. Dort werde ich auch auf
jene Fälle selbst, soweit sie für die Pyämie -Frage von Interesse
sind, zurückkommen.
Der Grund, dass diese Processe zu den Schussfracturen der
Schulterknochen sich verhältnismässig oft gesellen, ist viel weni-
ger als bei den Verletzungen anderer Theile des Skelettes in der
Knochenläsion selbst zu suchen. Die Structur jener Knochen ist
ihrer Entstehung sehr wenig günstig. Um so mehr eignen sich
die langen und tiefen Schusskanäle der gefässreichen Schultergegend
zu Keimstätten derselben. Sehr oft mögen kleinere Blutungen, ohne
zu Tage zu treten, das Material zur Bildung von Jaucheheerden
in der Tiefe vermehren. Und erwägt man die in der Regel lange
Dauer der Eiterung, welche sich an die Splitterbrüche der
Schulterknochen trotz ihrer Geneigtheit zum Wiederersatz und zur
Consolidation zu knüpfen pflegt, sowie die Eitersenkungen,
welche ihren Verlauf zu begleiten pflegen, so dürfte die Zahl der
Opfer, welche die Pyämie bei dieser Categorie von Verwundeten
1864 gefordert hat, als gross kaum zu bezeichnen sein.
Lange Dauer der Eiterung und Eitersenkungen bilden in der
That eine weitere Schattenseite der Schussfracturen der Schulter-
knochen. Ich will den Leser nicht ermüden durch Mittheilung von
Krankengeschichten, welche beweisen, dass die vollständige Aus-
heilung trotz erfolgter Consolidation über Jahr und Tag sich verzö-
gern kann.
Fall 106. Schusszertrümmerung des Schlüsselbeins in seiner
Länge. Lange Eiterung. Abscessbildung an anderen Körper-
stellen. Heilung. Christian Friedrichsen vom L dän. Iuf.-Reg.
wurde am 6. Februar bei Oeversee verwundet, in das dänische Lazareth
zu Flensburg aufgenommen und später mit diesem von dem 2. schw. F.-L.
3. A.-C. übernommen. Das Geschoss, in der Gegend des rechten Steruo-
claviculargelenks eingedrungen und auf der Höhe des Acromion derselben
Seite ausgeschnitten, hatte die Clavicula in ihrer ganzen Länge zersplit-
tert. Unter der Behandlung Anfangs mit den in der dänischen Chirurgie
noch eine grosse Rolle spielenden Breiumschlägen, später mit sogenannten
hydropathischen Umschlägen verlief der Eiterungsprocess zwar sehr lang-
sam, aber ohne wesentliche Störungen. Eine Menge grösserer und kleine-
rer Splitter war allmählig gelöst und entfernt. Die Consolidation resp:
der Wiederersatz war im Mai so vollständig, dass die Schulterstellung nor-
mal blieb. Auch in den folgenden Monaten handelte es sich bei gutem
171
Allgemeinbefinden nur noch um periodische Splitterextractionen. Ära
6. August wurde ein sehr spitzer Splitter mit der Zange aus einer Fistel-
öffnung gezogen. Eine Entzündung der Gegend über dem Schlüsselbeine
entwickelte sich. Trotz Eisapplication lebhafte Fieberung.
Am 10. August zeigte sich eine schmerzhafte Schwellung neben dem
rechten Schienbein. Am 13. August wurde der Eiter durch Incision ent-
leert. Darauf Abscedirung im rechten Daumenballen. Incision. Zu wei-
terer Bildung von Eiterheerden kam es nicht; aber die einmal eröffneten
Eiterungsquellen versiegten nur sehr langsam unter allraähliger Abnahme
des Fiebers. Die Vernarbung war noch nicht vollendet, als F. am 3. Oc-
tober, übrigens wieder gekräftigt, in seine Heimath zurückkehrte.
Die multiple Ab sc essbildung an anderen Körperstellen
mit glücklichem Ausgange ist 1864 öfters auch bei anderen Ver-
letzungen vorgekommen. Ihr Verhältniss zum pyämischen Processe
wird mit diesem später besprochen werden. Uebrigens mahnt der
Fall an die Vorsicht, welche auch späte Splitterextractionen erhei-
schen. .
Zu der langwierigen durch die Splittermenge unterhaltenen
Eiterung gesellt sich besonders bei den Schussbrüchen der Scapula
die Neigung zu Eitersenkungen, um die Kräfte zu consumiren und
die Gefahr der Pyämie zu unterhalten. Zwei Arten der Scapula-
Schüsse zeichnen sich in dieser Beziehung besonders aus. Die eine
ist eine Unterart einer ziemlich häutigen Verletzungsform — Schuss-
fractur des Schulterblattkörpers in der fossa infraspi-
nata mit blindem Schusskan ale, welcher den Längs-
durchmesser des Knochens gerade oder mehr weniger
schräg kreuzt. Gewöhnlich ist es die linke Scapula, welche in
dieser Weise getroffen wird, was sich wohl erklärt durch die Hal-
tung beim Anschlagen des Gewehres. Verlief die Kugel dabei an
der hinteren Seite der Scapula, diese tangential zerdrückend, so
steckt sie oberflächlich am inneren Rande der Scapula oder unter der
Haut zwischen diesem und der Wirbelsäule oder selbst mehr oder
weniger jenseits der letzteren. Da Auffindung und Excision in der
Regel leicht ist, so unterscheidet sich der weitere Verlauf bei die-
sen Blindkanälen sehr wenig von dem bei den doppelmündigen.
Anders, wenn das Geschoss in der fossa infraspinata den Knochen
durchschlägt und an dessen Vorderseite weiter dringt. Unter den
Verwundeten von 1864 hatten 6 derartige Schussfracturen. Das
Loch in der Scapula war einige Mal cirkelrund. Zwei Mal blieb
das Geschoss unter dem inneren Rande der Scapula sitzen und
%
172
wurde nach Wochen mittelst tiefer Incision herausbefördert, nach-
dem sich die Stelle durch Abscedirung marquirt hatte. In den übri-
gen Fällen dauerte es länger, ehe die Kugel entdeckt wurde, am
längsten in dem folgenden Falle, welcher zugleich der einzige ist,
in welchem das Geschoss bis über die Wirbelsäule hinausgedrungen
war, ohne sie zu verletzen.
Fall 10 7. Füsilier Friedrich Birkholz vom 35. Füs.-Reg., am 18. April
verwundet. Die Kugel ist dicht unter der linken Spina scapula eingetre-
ten, hat in die Scapula ein kaum für den Finger durchgängiges Loch mit
zackigen Rändern geschlagen. Ihr weiterer Lauf ist nicht markirt. Es
gelang nicht, sie aufzufinden; nur Knochenstückchen wurden einige Mal
extrahirt. Die Eiterung war 'stark. Auch entstanden im Mai Senkungen
hinter dem Schulterblatte, denen durch Incision 2 Zoll unter dem Angulus
scapulae Abfluss verschafft werden musste. Im Juni entwickelte sich von
der Wunde aus unter mässiger Fieberung ein bis zum Hinterkopf gehendes
Erysipel, welches jedoch in 7 Tagen ablief. Als B. Ende Juni von Apen-
rade im stehenden Kriegslazareth zu Rendsburg eintraf, bestand neben
Anämie noch profuse Eiterung aus der Incisionsöffnung unterhalb des
Schulterblattes. Nach längerer Beobachtung fand man nahe dem oberen
inneren Winkel der rechten Scapula eine kleine tiefliegende Geschwulst,
welche bei vollständiger Annäherung des Armes an den Thorax unter der
Scapula verschwindet. Punktion mit der Nadel trifft auf einen Widerstand,
welcher von einem festen Körper herzurühren scheint. Da indess jede
sonstige Spur des Laufes der Kugel bis hierher fehlt, Beschwerden auch
mit jener Geschwulst nicht verknüpft sind, wird von der Incision Abstand
genommen. Bis zum 24. Juli war die Ausheilung der Wunde so vorge-
schritten, dass B. behufs seiner Kräftigung nach Bad Cudowa geschickt
werden konnte. Erst am 30. Januar 1865 ist die Kugel im Lazarethe zu
Berlin ausgeschnitten und zwar an der bereits in Rendsburg punktirten
Stelle. Die früheren Wunden hatten sich bis zu kleinen Fistelgängen ge-
schlossen, aber noch Monate währte die Eiterung aus ihnen fort, unter-
halten durch kleine Splitter und periodisch verstärkt, so oft ein solcher
sich ablöste.
Der Verlauf der übrigen Fälle war ähnlich. In allen 6 ist
Genesung erfolgt.
Noch bedenklicher sind die Schussfracturen des sogenannten
Halses der Scapula. Das Geschoss, welches sie bewirkt, dringt
gewöhnlich in der regio infraclavicularis oder von der fossa supra-
spinata aus ein. Mehr oder weniger starke Primärblutung, arterielle
Secundärblutungen und Eitersenkungen nach allen Seiten, beson-
ders nach der Achselhöhle hin, pflegen den Verlauf dieser Ver-
letzungen zu begleiten, während eines langen Wundlagers die Le-
bensgefahr zu unterhalten und die Geduld des Arztes wie des Kran-
173
ken auf eine schwere Probe zu stellen. Sie ist 1864 wiederholt
glücklich bestanden worden. Einen der schwersten Fälle dieser
Art hat Herr Dr. Res sei (1. c. S. 97 ff.) ausführlich beschrieben.
Die Heilung desselben kann als ein schöner Triumph unermüdlicher
ärztlicher und vorzüglicher diätetischer Pflege gelten. Ich verweise
deshalb auf ihn, ohne damit das in der Beschreibung mehrfach be-
tonte Ausdrücken der Eitersackungen als nachahmungswerth zu
empfehlen.
Den starken und lange dauernden Eiterungen schliesst sich
nach den fraglichen Schulterschüssen trotz bester Knochenheilung
eine mehr oder weniger hochgradige und lange anhaltende Störung
der Gebrauchsfähigkeit des Gliedes an, bedingt durch Narbenver-
löthung und Muskelschwund. Deshalb stellen diese Verletzungen
ein verhältnissmässig grosses Contingent zu den Invaliden.
Schon längst ist in Frage gestellt, ob durch activeres chirur-
gisches Einschreiten, namentlich durch partielle Resectionen der
Knochen eine Kürzung des Verlaufes zu erzielen sei. Theoretisch
kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die frühzeitige und voll-
ständigere Entfernung der Splitter und Fremdkörper, welche da-
durch in manchen Fällen ermöglicht wird, ein Mittel sei, profusen
und langwierigen Eiterungen und Senkungen vorzubeugen. Allein
gerade in den Fällen, wo diese Hülfe am nöthigsten wäre, droht
die Ausführung die mit diesen Verletzungen verknüpften Gefahren
zu steigern, wenn sie nicht der Verwundung sehr bald folgt.
Ich wage kaum, den vielen Aufgaben, welche die heutige Kriegs-
chirurgie in den ersten 48 Stunden nach Gefechten gelöst wissen
will, noch diese hinzuzufügen. Was den Erfolg betrifft, so hat die
Kriegsklinik von 1864 kein Erfahrungsmaterial zu seiner Würdigung
geliefert. Grosse Vorsicht und Zurückhaltung beim Extrahiren von
Bruchstücken und Fremdkörpern aus den frischen Wunden, auf-
merksame Beachtung der sich bildenden Eitersackungen und früh-
zeitige Herstellung des Abzuges durch das Messer, allmählige Ent-
fernung der Sequester nach ihrer völligen Lösung während der
Eiterungsperiode waren in der Praxis von 1864 allgemein befolgte
Grundsätze. Das Resultat mag nicht glänzend sein; aber es giebt
meines Wissens keinen Feldzug, in welchem ein besseres oder auch
nur ein so gutes erzielt wurde.
Der Verlauf einiger von den in der Tabelle XI statistisch ver-
rechneten Schulterschüssen war noch durch Nebenverletzungen com-
174
plicirt. Von der Mitverletzung des Plexus brachialis ist schon die
Rede gewesen. Commotion und Contusion resp. Streifung der Lunge,
jene namentlich bei den Schüssen durch die fossa subscapularis,
diese durch Geschosse, welche den Raum zwischen Schlüsselbein
und erster Rippe passirten, werden in dem Abschnitte des Berich-
tes über die Brustschüsse Erwähnung finden.
E. 2. Schussverletzungen des Oberarm-Knochens.
In der numerischen Uebersicht der Schussverletzungen der
oberen Glieder — Tabelle IX — sind nur 79 Knochen -Schüsse
des Oberarmes aufgeführt. Dies ist insofern nicht ganz correct,
als solche auch in der später zu besprechenden Gruppe „Gelenk-
Schüsse" stehen, nämlich alle, welche die obere oder untere Epi-
physe des Humerus oder so nahe an letzterer getroffen haben, dass
die Splitterung resp. Fissuren bis in das Ellenbogengelenk reich-
ten. Am oberen Ende des Humerus ist auch 1864 meines Wissens
keine Ausnahme von dem durch Stromeyer ermittelten Gesetze,
wonach die Schussbrüche unter dem sogenannten chirurgischen Halse
des Humerus das Schultergelenk durch Fissuren nicht bedrohen, con-
statirt worden.
Auch nicht alle 79 Schussverletzungen, welche, weil die Gelenke
nicht betheiligt waren, hier in Betracht kommen, waren Schuss-
Brüche in dem Sinne, dass die Continuität des Knochens in sei-
ner Längsaxe ganz unterbrochen wurde. Ich habe jedoch nur
5 Fälle ermittelt (3 Preussen, 2 Dänen), in denen es sich bloss
um eine peripherische Absplitterung gehandelt hat. So-
genannte Lochschüsse, wie sie an dem Femur, namentlich am
unteren Ende desselben, und am Kopfe der Tibia vorgekommen
sind, hat der Humerus 1864 nicht dargeboten. Schon bei Bespre-
chung der Weichtheilschüsse wurde bemerkt, dass keineswegs in
allen Fällen, welche als solche aufgeführt sind, dafür gebürgt wer-
den könne, dass der Knochen ganz unberührt geblieben sei. Bei
manchen durch ungewöhnlich lange Eiterung und Neigung zu Eiter-
senkungen ausgezeichneten Fällen lag die Vermuthung nahe, dass
Contusion des Knochens oder beschränkte Periostabstreifung im
Spiele sei.
Was nun zunächst jene 5 Absplitterungen betrifft, so ge-
hören dieselben, eine ausgenommen, dem unteren Drittheil des Kno-
chens an und zwar den Condylen resp. ihren leistenartigen oberen
175
Ausläufen. Die örtliche Reaction war Anfangs ziemlich lebhaft, so
dass die Betheiligung des Gelenkes in Frage kam. Bei der üb-
lichen Behandlung mit Eis klärte jedoch der weitere Verlauf bald
darüber auf. Mehr oder weniger bedeutende Störung der Gebrauchs-
fähigkeit des Gliedes in Folge der Anlöthung der Narben am Kno-
chen pflegt die Ausheilung kürzere oder längere Zeit zu über-
dauern.
Der fünfte Fall betrifft das obere Ende des Knochens. Er ist
unter der Bezeichnung „unvollkommene Fractur" von Herrn
Dr. Ressel (1. c. S. 105) beschrieben. Nach der Digitaluntersu-
chung schien das Geschoss, welches 2 Zoll nach aussen und oben
von der linken Brustwarze ein- und neben der hinteren Achselfalte
an der hinteren Fläche des Oberarmes austrat, an der inneren Seite
des chirurgischen Halses einen Halbkanal in den Knochen geschlagen
zu haben. Unter wiederholter Ausstossung von Knochensplittern
währte die Eiterung über 3 Monat. Eine Nachkur im Bade Landeck
hatte die gute Wirkung, dass bereits im September — die Verwun-
dung datirte vom 18. April — * die Gebrauchsfähigkeit des Armes
völlig hergestellt war.
Die übrigen 74 Verletzungen des Humerus waren wirkliche
Schussfracturen. Ich gebe zunächst eine
Uebersicht der Schussbrüche des Oberarmknochens
nach Nationalität, Kurart und Ausgang.
Tabelle XII.
d
<v
Art
d
3 r
3 e h an
d 1 u n g
d
d
o>
d
o>
<v
o>
+->
Nationa-
lität
der Verwunc
nicht
operativ
primär
amputirt
nicht pri-
mär am-
putirt.
in der
Continuität
resecirt.
im Schul-
tergelenk
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ima der Gehei
ia der Gestoi
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Zahl
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<v
WD
+
Zahi
-d
WD
+
c
s
n
a
3
Preussen
42
32
26
6
7
5
2
1
1
2
2
9
Dänen
32
21
16
5
1
1
4.
1
3
3
3
3
1
2
18
14
Summa
74
53
42
11
8
5
3
5
1
4
5
2
3
3
1
2
51
23
Loeffler, Generalbericht. 12
176
Für die Kur der Schussbrüche des Oberarmknochens hatte die
schleswig-holsteinische Kriegsklinik von 1848 — 1850 folgende Sätze
ergeben:
1) Alle Schussfracturen des Humerus durch Kleingewehrfeuer
oder Kartätschen ohne Mitverletzung der Art. brachialis gestatten
die Conservativkur ;
2) Die Mitverletzung der Art. brachialis erheischt frühzeitige
Absetzung des Gliedes;
3) Die Continuitäts-Resection als Mittel der Conservativkur
ist zu verwerfen.
4) Die primäre Extraction der Splitter ist auf die kleinen voll-
ständig abgetrennten und leicht erreichbaren zu beschränken.
5) Eine kräftige und consequente Antiphlogose, besonders die
örtliche durch Eis, ist heilsam und nothwendig.
6) Frühzeitige feste Contentiv verbände sind unnöthig und
schädlich.
Die Praxis von 1864, obwohl im Allgemeinen auf diesen Sätzen
fussend, ist mehrfach von ihnen abgewichen. Ob dies heilsam ge-
wesen ist, und in wie weit die Abweichungen einen Fortschritt in
der Behandlung der Schussbrüche des Humerus bezeichnen, wird
sich aus der folgenden Betrachtung der Resultate ergeben.
Aus der Zahl der Primäramputirten lässt sich auf den
Umfang schliessen, in welchem das Streben nach Gliederhal-
tung sich bethätigt hat. Sie beträgt 10 pCt. der Verwundeten
(8 von 74). Conservativkur ist also bei 90 pCt. der Schuss-
brüche des Humerus versucht worden.
Die Primäramputationen lassen sich nach dem Motiv in
zwei Gruppen sondern. In 3 Fällen bewog Ausdehnung der
Splitterung nebst bedeutender Läsion der Weichtheile
zum Verzichten auf die Conservation des Gliedes ; es ist wenigstens
die Mitverletzung der A; brachialis in den Journalen nicht aus-
drücklich bemerkt. In Berücksichtigung des Umstandes, dass die
Verwundungen theils von Gewehrkugeln (2 Mal), theils von einer
Kartätschkugel herrührten, lässt sich vielleicht in Frage stellen, ob
in diesen Fällen die absolute Nothwendigkeit der Primäramputation
vorlag. Man darf indess nicht vergessen, dass die plumpere Sorte
der dänischen Spitzkugel und die Kartätschkugel grösseren Calibers
in der Zerreissung der Weichtheile bisweilen mit den Granatsplittern
concurrirten.
177
In den übrigen 5 Fällen war die Art. brachialis mit ver-
letzt. Die Verwundungen rührten her von Granatstücken (2 Mal)
und Kartätschen (3 Mal).
Verlauf und Ausgang dieser primären Oberarm- Ampu-
tationen ergiebt sich aus den folgenden Notizen über die einzel-
nen Fälle.
Fall 108. 1. Musk. Wilhelm Henschel vom 13. Inf.-Reg., am 18. April
verwundet, in Westet - Schnabeck (1. F.-L. 13. Div.) aufgenommen. Zer-
schmetterung des rechten Oberarmes mit bedeutender Zer-
reissung der Weichtheile durch eine Kartätsche; Weichtheil-
schuss durch den linken Deltamuskel. Am nämlichen Tage
Amputation des rechten Oberarmes an der Grenze zwischen 1. und 2.
Drittheil mittelst Cirkelschnitt. (St.-A. Dr. Schroeder). Regelmässiger
Verlauf. Am 9. Juni Ablösung eines nekrotischen Knochenringes vom
Sägeende des Humerus. Invalidisirung am 9. August.
Fall 109. 2. Feldwebel Julius Kromraschmidt vom 50. Inf. -Reg., am
3. Juli bei Lundby verwundet durch eine grosse dänische Spitzkugel, im
Lazareth zu Hobro aufgenommen. Zertrümmerung des rechten Hu-
merus in der Mitte mit grossem Substanzverluste der Weich-
theile. Hohe Amputation des Oberarmes am 4. Juli. Ungestörster Ver-
lauf. Traf am 28. August mit völlig vernarbtem Stumpfe behufs Empfanges
eines künstlichen Ersatzes in Kiel ein.
Fall 110. 3. Gemeiner Jens Westphal vom 22. dänischen Inf.-Reg., am
18. April verwundet, in Broacker (1. F.-L. Cav. Div.) aufgenommen. Zer-
schmetterung des rechten Oberarmes im unteren Drittheil
durch Langblei. Sehr bedeutender Blutverlust. Am 20. April
Amputation des Oberarmes in der Mitte (A.-A. Dr. Fuchs). Verlauf in
den ersten 8 Tagen günstig. Dann Pyämie. Tod am 10. Juni.
Fall 111. 4. Musk. Friedrich Heisterkamp vom 55. Inf.-Reg., verwundet
vor Düppel am 16. April, aufgenommen in Stenderup (1. F.-L. 6. Div.).
Zerschmetterung der unteren Hälfte des rechten Humerus
durch ein Granatstück; Art. brachialis durch ein Knochen-
stück angespiesst. Selbigen Tages hohe Amputation des Oberarmes
mittelst Cirkelschnitt. (St.-A. Dr. Bötticher.) Trotz sorgfältigster Unter-
bindung 8 Stunden nach der Operation Nachblutung, welche zur Wieder-
öffnung der durch Nähte vereinigten Operationswunde und zur Anlegung
von noch 5 Ligaturen zu den früheren 8 nöthigte. (Die Unterbrechung
des Blutlaufes in der Brachialis scheint eine Entwickelung des Collateral-
kreislaufes von seltener Rapidität zur Folge gehabt zu haben.) Nichts-
destoweniger verlief die Heilung nicht blos ungestört, sondern ungewöhn-
lich schnell. W. kam am 18. Juni mit definitiv vernarbtem Stumpfe be-
hufs Empfanges eines künstlichen Armes in Kiel an.
Fall 112. 5. Kan. Wilhelm Schwettmann von der 7. Art -Brgd. , am
26. März in der Gammelmarkbatterie durch ein Granatstück oder durch
ein von dem Batteriedache losgeschlagenes Stück Holz verwundet, in Bro-
12*
178
acker (1. F.-L. d. Cav.-Div.) aufgenommen. Zerschmetterung des
linken Oberarmes in der Mitte; das untere Bruchstück sieht
aus der zerrissenen Haut hervor; Radialpuls nicht fühlbar.
Sofortige hohe Amputation mittelst Zirkelschnitt. (St.-A. Dr Neuhaus)
Tod durch Pyaemie am 1. Mai.
Fall 113. 6. Füs. Emil Krüger vom 8. Leib-Gren.-Reg. 8., im Machtge-
fechte des 28. März durch eine Kartätschkugel verwundet; in Stende-
rup (1. F.-L. 6. Div.) aufgenommen. Ausgedehnte Zerschmetterung
des linken Oberarmes mit grossem Blutverluste aus der ver-
letzten A. brach ialis. Am 29. März hohe Amputation mit Bildung
eines inneren Lappens, während der Schnitt an der Aussenseite wegen der
Zerstörung der Weichtheile in halbem Cirkel geführt werden musste.
(St.-A. Dr. Asche.) Ungestörter Verlauf. Definitive Vernarbung am
4. Juni.
Fall 114. 7. Musk. Wilhelm Süssmilch vom 60. Inf.-Reg., am 18. April
verwundet, in Stenderup (1. F.-L. 6. Div.) aufgenommen. Eine Kar-
tätsche hat den rechten Humerus zerschmettert, Art. brachi-
alis und N. medianus zerrissen. Erst am 20 April giebt Patient
operatives Einschreiten zu. Der Arm war kalt und an der Hand zeigten
sich bereits Spuren der Gangrän Hohe Amputation mit Bildung eines
äusseren Lappens. Thrombenbildung in Art. und V. brachialis hoch hinauf.
Tod durch Septicaemie am 25. April.
Fall 115. 8. Füs. Christian Koepke vom 64. Inf.-Reg., am 18. April ver-
wundet, in Stenderup (1. F.-L. 6. Div.) aufgenommen. Zwei schwere Ver-
letzungen durch Kartätschen. Der rechte Oberarm ist zerschmet-
tert, die A brachialis mitverletzt An der linken Hand sind
das 2., 3. und 4. Os metacarpi nebst dem vorderen Theil des
Carpus zerschmettert, der Daumenballen zerrissen. Am
20. April wird der rechte Oberarm dicht unter dem Schultergelenk unter
Bildung eines inneren und eines äusseren Lappens amputirt. (St.-A. Dr.
Bötticher.) Die linke Hand wird in das permanente Wasserbad gelegt,
um die Conservation zu versuchen.
Der Verlauf war überraschend günstig. Die Amputationswunde schloss
sich bis auf die Ligaturkanäle p. p. int. und war bereits Mitte Mai defini-
tiv vernarbt. Die Ausheilung der Handwunde vollendete sich erst im No-
vember; das Handgelenk wurde ankylotisch.
Von diesen 8 Primäramputationen des Oberarmes, die fast alle
hohe waren, haben also 3 (37,5 pCt.) den tödtlichen Ausgang ge-
nommen. Die Septicämie, welche in Fall 7 denselben herbeiführte,
würde vielleicht verhütet worden sein, wenn der Verwundete die
Operation nicht verweigert hätte, bis die Zeichen des Brandes sich
einstellten. Die beiden andern Todesfälle kommen auf Rechnung
der Pyämie inBroacker, von deren Einflüsse auf den Verlauf der
Primäramputationen bereits in dem Abschnitte „ Abreissungen und
Zermalmungen" berichtet ist.
179
Das Motiv, welches bei den 5 letzten der angeführten Ver-
wundungen zur frühzeitigen Absetzung des Gliedes bestimmt hat,
die Mitverletzung derA. brachialis, wird von einzelnen Chi-
rurgen angefochten in dem Streben, für die gliedconservirende Kunst
noch mehr Terrain zu gewinnen. Die nicht zu leugnende That-
sache, dass nach Unterbindungen der A. brachialis der Kreislauf
sich in der Regel schnell wiederherstellt, erregt die Hoffnung, dass
die Mitverletzung keine nachhaltige Störung der Heilung der Schuss-
fractur bedinge, und Legouest (Traite de Chirurgie d' Armee, p. 689)
formulirt den zu befolgenden Grundsatz noch specieller, indem er
sagt: „Si Fartere brachiale est lesee au-dessous des tendons des
muscles grand-rond et coraco-brachial, la grande collaterale externe
et la grande artere nourriciere de l'humerus restent intactes, reta-
blissent assez facilement et assez rapidement la circulation pour
autoriser la conservation du membre. Si, au contraire, l'artere
brachiale est ouverte au-dessus de l'origine de ces vaisseaux, il
faut pratiquer Tamputation."
Bis jetzt hat meines Wissens die kriegschirurgische Literatur
keinen Fall von Gliederhaltung nach einer mit Verletzung der A.
brachialis complicirten Schussfractur des Humerus aufzuweisen. Auch
Legouest führt keinen an; seine Indication ist vielmehr nur das
Ergebniss eines aprioristischen Calculs, welcher überdies den Feh-
ler hat, dass er ein Moment, welches von wesentlichem Einflüsse
auf den Verlauf derartiger Verletzungen ist, ausser Rechnung lässt,
nämlich das Verhalten der Vena brachialis, welche wenigstens bei
Schussbrüchen nicht leicht unversehrt bleibt, wenn die Arterie ge-
troffen wird. Die blosse Mitquetschung genügt, um der Vene einen
erheblichen Einfluss auf den Verlauf der Verwundung zu sichern.
Was nun den Verlauf der Schussbrüche des Humerus
bei Verletzung der Art. brachialis ohne frühzeitige Am-
putation betrifft, so kann ich aus dem Feldzuge von 1864 drei
Fälle anführen, welche um so instructiver sind, da bei zwei von
ihnen die von Legouest gestellte Bedingung zutrifft.
Fall 116. 1. Schussfractur des Oberarmes im u uteren Drittheil
mit Verletzung der A. brachialis. Gangrän am 3. Tage. Hohe
Amputation am 6. Tage. Heilung. Peter Rasmus Christensen
vom 16. dän. Inf. -Reg., am 18. April verwundet, in Wester-Schnabeck (l.
F.-L. 13. Div.) aufgenommen. Ein Langblei hatte den rechten Humerus
nahe über dem Ellenbogengelenke zersplittert. Lagerung, Eis. Am 3. Tage
Gangrän, welche rasch bis zur Mitte des Oberarmes fortschritt, hier aber
180
stillstand. Am 23. April wurde deshalb der Oberarm im oberen Drittheil
mittelst Cirkelschnitt abgesetzt (St.-A. Dr. Schroeder). Die Ausheilung
der Amputationswunde ist ohne erhebliche Zwischenfälle erfolgt, so dass
am 26. August die Auslieferung erfolgen konnte.
Fall 117. 2. Gewehrschussfractur des Oberarmes im mittleren
Drittheil. Gangrän. Arterielle Blutung. Amputation am 10.
Tage. Tod durch Pyämie. Musk. Joseph Rottkarap vom 55. Inf.-
Reg., am 29. Juni auf Alsen verwundet, in Broacker aufgenommen. Der
rechte Humerus ist unter der Mitte gesplittert. Nur eine Schussöffnung.
Der Verwundete ist durch eine starke Primärblutung, welche durch Druck
sistirt wurde, sehr angegriffen. Unter starker Schwellung des Gliedes ent-
wickelt sich Gangrän, welche jedoch nach oben nicht über die Schussge-
gend hinausgeht. Am 8. Juli tritt heftige arterielle Blutung aus der Schuss-
wunde ein, welche, da die Compression der Subclavia nicht nachhaltig
wirkt, die hohe Amputation nöthig macht. Das Geschoss findet sich
im Knochen eingekeilt. Nach dem am 17. Juli durch Pyämie erfolg-
ten Tode fanden sich erweichte Thromben in der Vena subclavia und in
den kleinen Achselvenen, sowie eitrige Lungeninfarcte.
Fall 118. 3. Schussfractur des Humerus im unteren Drittheile
mit Verletzung der Art. brachialis. Gangrän. Exarticulatio
humeri am 25. Tage. Tod durch Septicämie. Ole Peter Ras -
müssen vom 4. dän. Iuf.-Reg., am 29. Juni auf Alsen verwundet, in Oster-
Satrup (1. schw. F.-L. 3. A.-C. Section St.-A. Lücke) aufgenommen.
Der linke Humerus ist durch eine Gewehrkugel zersplittert. Die Kugel
ist circa H Zoll über dem Cond. int. ein- und etwas höher an der Aussen-
seite mit thalergrosser Oeffnung ausgetreten. Extraction mehrer Splitter;
Verband mit Schienen von Cigarrenkistenholz. Wegen beträchtlicher Ge-
schwulst des Armes und weil der Radialpuls fehlt, wird dieser Verband am
3. Juli abgenommen. Die kühle Temperatur der Hand steigt danach, aber
der Radialpuls stellt sich nicht ein. Am 6. Juli gute Temperatur in dem
geschwollenen Gliede; Ausgangsöffnung noch unrein. Gipsverband mit
Fenstern. Am 10. Juli Abnahme des Verbandes wegen erhöhter Schmerz-
haftigkeit. Die Umgebung der Wunde ist geröthet, die Schwellung des kühlen
Vorderarmes gesteigert. An dem Vorderarme geht eine den Venen folgende
Schwellung bis in die Achselhöhle. Schienenverband mit Watteeinwickelung.
Starkes Fieber. In der Wunde käsig bröckelige Massen, weniges, stinkendes
Secret. Die Schwellung des Armes nimmt im weiteren Verlaufe zu; der-
selbe gleicht, wie Herr Lücke in seiner Mittheilung über diesen Fall (1. c.
p. 76) sagt, dem Beine einer Wöchnerin bei Phlegmasia alba dolens. Blu-
tung aus der Wunde; Extraction eines Knochensplitters; Incision wegen
Senkung am Cond. ext. Die Schwellung steigt bis über die Schulter. Am
21. Juli erhöhte Spannung und Röthung des Oberarmes; Hand kalt und ge-
fühllos ; lebhaftes Fieber. Zur Entspannung 7 Incisionen, durch welche viel
Serum entleert wird. Die Hand schwillt ab, doch tritt Gascrepitation und
Gangrän in der Umgegend des Ellenbogengelenkes ein. Deshalb am 23. Juli
Exarticulation im Schultergelenk. Nach 2 Tagen gangränescirte der obere
Lappen. Unter fortschreitender Gangrän Tod am 28. Juli.
181
In dem abgesetzten Arme fand sich die Art. brachialis quer durch-
schossen; der Nervus raedianus ging als freier Strang durch die Wund-
höhle, die Venen des Oberarmes waren mit festen Thromben gefüllt. In
der Leiche fanden sich die Ven. axillaris und jugularis links mit matschen
braunrothen Thromben und etwas dünner jauchiger Flüssigkeit gefüllt, in
welcher zahlreiche Fetttropfen schwimmen. In den Luogenarterien und im
Herzen dünnes dunkelrothes Blut. Leber blass; Milz nicht vergrössert.
In beiden Pleurahöhlen geringer Erguss.
Der letzte Fall ist um so interessanter, weil er deutlich zeigt,
welche Rolle die Venenthrombose in den fraglichen Verletzun-
gen spielt. Der arterielle Strom hatte sich olfenbar schon collateral
entwickelt, als die Venen Verstopfung zu Brand und Verjauchung
führte.
Keiner dieser Fälle repräsentirt ein absichtliches Experi-
ment, das Glied trotz der Mitverletzung des Arterienstammes zu
conserviren. Das Fehlen des Radialpulses ist erst entdeckt, als
die Zeit für die primäre Amputation vorüber war. Ich denke aber
auch, dass in diesen Beobachtungen keine Aufforderung liegt, ein
solches Experiment anzustellen. Es war ein besonderes Glück, dass
im ersten Falle das Leben noch erhalten wurde trotz der verspäte-
ten Amputation. Somit darf nach wie vor als Grundsatz gelten,
dass in jedem Falle von Schussfractur des Humerus vor
Allem das Verhalten der Art. brachialis constatirt und
wo eine Verletzung derselben sich herausstellt, sofort
amputirt werde.
Ausser den bisher erwähnten sind noch 2 Amputationen wegen
Schussfractur des Humerus gemacht worden. Die eine am 5. Tage
nach der Verletzung (Anders Lassen vom 5. dän. Inf. -Reg., am
29. Juni auf Alsen verwundet und in Sonderburg aufgenommen)
mittelst Cirkelschnitt im oberen Drittheil. Das Motiv der Operation
ist aus den vorliegenden Notizen nicht ersichtlich. Am 6. Tage
nach derselben führte Trismus den Tod herbei. In dem anderen
Falle (Christian Wissing vom 9. dän. Inf.-Reg., am 18. April ver-
wundet, in Rinkenis (3. schw. F.-L. 3. A.-C. , Section St.-A.
Weise) aufgenommen) bestand neben der Schussfractur des rech-
ten Oberarmes, von einem Langbleischuss herrührend, eine aus-
gedehnte Quetschung der Weich th eile der rechten Brust-
seite durch B ombenstreifung, welche trotz Eis und Arnica
zu einer enormen Verjauchung führte. Da auch die Armwunde zu
jauchen anfing, wurde am 6. Tage der Oberarm hoch mittelst Lap-
182
penschnitt abgesetzt. Allein trotz der Beseitigung des einen Jau-
cheheerdes reichte der andere aus, die Kräfte rasch zu consumiren
(Tod am 3. Mai).
Bei den übrigen 64 Schussfracturen des Humerus blieb das
Aniputationsmesser ausgeschlossen. Die Erhaltung des Gliedes wurde
consequent verfolgt. Arterielle Secundärblutungen aus Aesten
der A. brachialis sind in der Eiterungsperiode mehre Male vorge-
kommen. Die methodische Digitalcompressi on des Haupt-
stammes hat namentlich dazu beigetragen, die Ligatur des letz-
teren unnöthig zu machen.
Die Conservativkur hat jedoch nicht immer auf operative
Acte verzichtet. Zu diesen gehörte auch, trotz der warnenden frühe-
ren Erfahrung, die Continuitäts-Resection. Tabelle XII er-
giebt, dass sie in 5 Fällen ausgeführt wurde. Das Resultat ist in-
dess durch die 3 Todesfälle, welche die Tabelle nachweist, noch
nicht ausreichend bezeichnet; die beiden Ueberlebenden behielten
ein falsches Gelenk.
Die 3 Gestorbenen (Jürgen Guttorm, Jürgen Clans en und
Hans Soerensen vom 5. dän. Inf. -Reg.) wurden auf Alsen am
29. Juni durch Langblei verwundet, und in das nämliche Lazareth
aufgenommen. Durch die bedeutende Splitterung Hess man sich
bestimmen, eine Wundöffnung durch Incision hinreichend zu erwei-
tern, die Splitter sorgfältig auszuziehen und die Bruchenden „mit
möglichster Schonung des Periostes" zu reseciren, wodurch Kno-
chenlücken von 2 bis 3 Zoll Länge entstanden. Der Verlauf war
in allen 3 Fällen trotz des sofort angelegten Gypsverbandes der
nämliche — baldige Verjauchung und Tod durch Septicämie. Dieser
Ausgang dürfte jedoch weniger der Operation selbst, als vielmehr
dem Umstände zuzuschreiben sein, dass sie in der Reactionsperiode
am 4. resp. 5. Tage nach der Verletzung ausgeführt wurde. Wird
die Resection primär oder in der Eiterungsperiode gemacht, so be-
droht sie weniger das Leben als die Brauchbarkeit des conservirten
Gliedes. Derartig waren die beiden anderen Continuitätsresectionen
des Humerus.
Fall 119. Dem Sergeant August Scheibner vom 35. Füs.-Reg. wurde am
17. März bei Düppel der linke Oberarm durch ein Granatstück zerschmet-
tert. Auf dem Truppen-Verbandplatze in Wielhoi wurden sofort die durch
Zerreissung der Weichtheile an der Aussenseite des Armes blossgelegten
Knochenenden resecirt, so dass ein Knochendefect von über 2 Zoll ent-
183
stand. Schienenverband. InRinkenis, wo S. aufgenommen wurde, wurde
Eis applicirt uud nach acht Tagen statt der Schienen ein Gypsverband
mit einem grossen Fenster angelegt. Der Verlauf wurde durch ungewöhn-
liche Erscheinungen nicht gestört. Am 15. Juni war die Vernarbung voll-
ständig. Allein obwohl vorher wie nachher die Fixirung des Gliedes durch
den Gypsverband unterhalten wurde, der Knochenersatz blieb aus. S. wurde
am 15. Juli mit dem falschen Gelenke aus dem Lazarethe zu Burg ent-
lassen.
Fall 120. Sergeant Georg Cachandt vom 4. G. Gren.-Reg. erhielt am
18. April zwei Gewehrschüsse. Die eine Kugel fracturirte das linke Schlüs-
selbein am Akromialende, und die später öfters eintretenden Anfälle von
Bluthusten bewiesen, dass zugleich Commotiou der linken Lunge stattge-
funden habe. Die andere Kugel durchbohrte den linken Oberarm in sei-
nem oberen Drittheil und fracturirte den Humerus. Aufnahme in Wester-
Schnabeck. Lagerung. Eis. Blutverlust, Schmerzen und Schlaflosigkeit be-
wirkten ein rasches Sinken der Kräfte, dem wegen mangelhafter Verdauung
diätetisch nur unvollkommen begegnet werden konnte. Die Armwunde eiterte
profus, und nachdem sich das Periost mehr gelockert hatte, stellte sich
eine viel bedeutendere Splitterung heraus, als die erste Untersuchung ver-
muthen Hess. Am 22. Mai, also erst 34 Tage nach der Verwundung schritt
man deshalb zur Resection, wobei die Ablösung des mit möglichster Sorg-
falt conservirten Periostes ohne Schwierigkeit geschah. Der obere Säge-
schnitt lag circa 1 Zoll unter dem Kopfe des Humerus. Der Knochende-
fect betrug nach der Operation 3^ Zoll. Gefensterter Gypsverband. Das
Allgemeinbefinden besserte sich merklich, und der Ausheilungsprocess ver-
lief ohne Störung. Allein obwohl auch in den Lazarethen, wohin C. spä-
ter durch Evacuation gelangte (am 19. Juli nach Berlin) die Behandlung
mit Contentivverbänden fortgesetzt wurde, der Knochendefect hat sich nicht
ersetzt. Bei der Invalidisirung am 1. Februar 1865 fanden sich die Kno-
chenenden nur durch eine weiche circa 2 Zoll lange Zwischensubstanz ver-
bunden.
Diesen Resultaten der Continuitäts - Resection, von welchen das
letzte diejenigen Collegen, welche auf Grund früherer Untersuchung
den Knochenersatz für gesichert gehalten haben, besonders interes-
siren wird, hat die Praxis von 1864 keinen Heilungsfall ohne Pseud-
arthrose gegenüberstellen.
Ich habe natürlich die Fälle, bei denen gelegentlich ein oder
das andere Knochenspitzchen abgetragen wurde, als „Resectionen"
nicht berechnet. Dagegen ist ausser den erwähnten 5 noch eine
förmliche Continuitäts-Resection gemacht worden. Der weitere Ver-
lauf des Falles wurde aber durch die nachträgliche Resection des
Schultergelenkes unterbrochen. Ich werde über denselben am
Schlüsse des Capitels berichten. (S. Fall 128).
In der Zeit zwischen dem ersten und zweiten Schleswig -hol-
184
steinischen Kriege ging in der Friedenspraxis eine vollkommene Um-
wandelung der Grundsätze für die Kur der Knochenbrüche vor sich.
Was der Seutin'sche Kleisterverband der antiphlogistischen Vor-
behandlung an Terrain noch übrig liess, nahm der Gyps verband
vollends weg. Er wurde bei den gewöhnlichen einfachen und com-
plicirten Brüchen der Röhrenknochen souverain, und die Anlegung
desselben sobald wie möglich nach der Verletzung stellte
sich als das beste Mittel heraus, die reactive Schwellung und Entzün-
dung vorbeugend im Zaume zu halten.
Der Gedanke, durch dasselbe Mittel die Behandlung der Schuss-
fracturen zu vereinfachen und zu vervollkommnen, war also den Feld-
ärzten von 1864 nahe genug gelegt. Dadurch entstand eine leb-
hafte Concurrenz mit der durch die frühere Kriegsklinik auf dem-
selben Boden sanctionirten Praxis, deren wesentlichste Züge ich
oben angedeutet habe. Während einige Feldärzte an der letzteren
festhielten, versuchten viele andere mit mehr oder weniger Conse-
quenz, den Gypsverband zur Geltung zu bringen. Es ist denn auch
in keinem früheren Feldzuge verhältnissmässig so viel Gyps ver-
braucht worden. Unter den 64 Fällen von Schussfractur des nu-
merus, welche vom Amputationsmesser verschont blieben, sind
äusserst wenige ohne jeden Antheil an diesem Consum geblieben.
Von den vielen Gypsverbänden repräsentiren jedoch verhält-
nissmässig wenige eine wirkliche Concurrenz mit den früheren Be-
handlungsgrundsätzen. In den späteren Perioden des Verlaufes der
Schussbrüche machte auch die frühere Praxis Gebrauch von Con-
tentivverbänden. Der Gypsverband ist ohne Zweifel allen übrigen
vorzuziehen, und da demselben trotz mehrfacher Fensterung aus-
reichende Festigkeit gegeben werden kann, so lässt er sich viel
früher benutzen, als andere. Man braucht nicht zu warten, bis die
Ausheilung so weit vorgerückt und die Eiterung soweit vermindert
ist, dass der Wundverband auf Tage verschoben werden kann.
Von principieller Bedeutung ist vor Allem die Frage, ob und
unter welchen Bedingungen auch die Schussbrüche die sofor-
tige Anlegung des Gyps Verbandes gestatten, und ob
letzterer, sofort nach der Verletzung angelegt, im Stande
sei, der sonst den Schussbrüchen folgenden mehr oder
minder starken reactiven Schwellung und Entzündung
vorzubeugen.
Es wäre ohne Zweifel ein ausserordentlicher Fortschritt, wel-
185
chen die Kriegschirurgie dem Feldzuge von 1864 zu danken haben
würde, wenn die in letzterem geübte Praxis eine zuverlässige be-
jahende Antwort auf diese Frage lieferte.
Dies ist nicht der Fall. Ich will den Illusionen, welche man
sich über jenen Punkt gemacht hat, nicht die Behauptung gegen-
überstellen, dass die Erfahrung von 1864 die Frage verneine. Die
Wahrheit ist, dass, wenigstens bei den Schussbrüchen des Oberar-
mes, kaum ein Fall vorliegt, in welchem der fragliche Behandlungs-
versuch so gemacht ist, dass sein Verlauf als massgebend betrach-
tet werden kann. Dazu wäre nöthig gewesen, dass man gleich
auf den Verbandplätzen z. B. den von Pirogoff (1. c. S. 777)
empfohlenen „leichten fenestrirten (d. h. nicht gefensterten,
sondern nur die Fensterung gestattenden) Gypsverband auf die
ganze Extremität" gelegt hätte. Beiden mässigen Dimensionen
der Kämpfe und bei der Präsenz verhältnissmässig vieler Ambulan-
cen würde man gerade im Feldzuge von 1864 gewiss alle Hinder-
nisse zu überwinden gesucht haben, wenn Pirogoff im Stande
gewesen wäre, seinen Rath durch überzeugende Thatsachen aus der
Kriegspraxis selbst zu unterstützen. Ohne solche konnte sein Rath
nur als Vorschlag erscheinen, der nicht unbedenklich ist. Man hat
sich 1864 begnügt, die Verwundeten dieser Categorie mit einfachen
Stütz- oder Haltverbänden versehen den Lazarethen zu überweisen.
Dieselben waren zum Theil den Kampfplätzen sehr nahe; allein die
Stunden, welche dennoch zwischen Verwundung und Ankunft im
Lazareth zu liegen pflegten, und die weiteren Stunden, welche ver-
fliessen, bis die ärztliche Revision im Lazareth zu diesen Verwun-
deten gelangt, sind nichts weniger als indifferent. In sehr vielen
Fällen genügten sie, um beträchtliche Schwellung der Glieder ent-
stehen zu lassen.
Die Praxis von 1864 halte ich unter diesen Umständen nicht
für competent, über die Wirkung der sofortigen nicht gefen-
sterten Gypsverbände bei den Schussfracturen des Humerus zu ent-
scheiden. Was aber den frühzeitigen d. h. vor der Eiterungs-
periode angelegten gefensterten Gypsverband betrifft, so lässt
sich nicht sagen, dass die Beobachtungen von 1864 ihm zur be-
sonderen Empfehlung gereichen.
Es fehlt nicht an einigen durch beschränkte Splitterung
des Knochens ausgezeichneten Fällen, in denen dieser Verband ver-
tragen wurde. Gewöhnlich aber nöthigten die Erscheinungen
186
sehr bald zur Abnahme desselben, und das Anlegen und Wieder-
abnehmen wechselte bisweilen so oft, dass das Princip der Ruhe,
welchem der Gypsverband vorzugsweis zu dienen berufen ist, viel
weniger verwirklicht wurde als durch Lagerungsapparate (Drahtrinnen)
oder durch die einfache Lagerung auf Spreukissen mit dem Thorax
als Stütze.
Falll21. Schussfractur des Humerus im unteren Drittheil. Früh-
zeitiger gefensterter Gypsverband. Gangrän der Haut im Fen-
ster. Pyämie. Tod. Gren. Friedrich Seneke vom 4. Garde-Reg. z. F.
wurde am 4. April vor Düppel verwundet. Das Geschoss war an der hinteren
Seite des rechten Oberarmes in der Mitte circa \\ Zoll über dem Olecranon
eingedrungen und wurde auf dem Verbandplatze extrahirt. Bei der Aufnahme
in Broacker gelangte der untersuchende Finger im Grunde der Wunde auf
den fracturirten Knochen. Am 5. April wurde ein gefensterter Gypsverband
angelegt. Eisblase auf dem Feuster. Gutes Allgemeinbefinden und Schmerz-
losigkeit in den nächsten beiden Tagen. Am 7. April beginnt die Wunde zu
eitern. Die umgebende Haut ist blauschwärzlich gefärbt, gegen
Druck nicht empfindlich. Da die missfarbige Stelle sich weiter aus-
dehnt und sich unter der abgelösten Epidermis mortificirtes Gewebe findet,
so wird am 9. April der Gypsverband durch Aufschneiden gelockert. Der
Hautbrand ist beschränkt auf den im Fenster gelegenen Kreis. Unter
Umschlägen von Chlorkalklösung erfolgt allmählig die Abstossung des Bran-
digen. Am 12. April liegt die davon bedeckt gewesene Parthie des Tri-
ceps bloss. Das Gewebe des Muskels ist dunkel geröthet und mit eiuigen
missfarbigen Stellen durchsetzt. Das Allgemeinbefinden ist kaum gestört.
Abnahme des Gypsverbandes und Lagerung in einer Hohlschiene. Die
Eiterung bessert sich und die ganze Wundtiäehe bedeckt sich rasch mit
gesunden Granulationen. Dessenungeachtet bekommt Pat. am 20. April
einen Schüttelfrost, welcher die Entwickelung der Pyämie einleitet. Tod
am 2. Mai.
Die Pyämie mag in diesem Falle viel weniger durch das Wund-
verhältniss als durch die Constitution des Lazarethes, in welchem
er gepflegt wurde, bedingt gewesen sein; immerhin repräsentirt er
einen der Nachtheile, welche gefensterte Contentiv verbände her-
beiführen können, wenn sie vor oder im Beginne der Reactions-
periode nach Fracturen angelegt werden. Das lockere Anlegen
über einer Schicht von Watte bewahrt dagegen nicht sicher. Der
Grad, in welchem das sehwellende Glied gegen die ihm angelegte
Fessel andrängen wird, lässt sich am allerwenigsten bei den Schuss-
fracturen voraus bemessen. Verzichtet man einmal durch Fenste-
rung des Verbandes auf die unbestreitbare Wirksamkeit einer gl eich -
massigen Compression gegen die reactive Schwellung, so kann
187
der wenigstens bei den Armbrüchen auch durch andere unbedenk-
liche Mittel erreichbare Zweck, das Glied in Ruhe zu erhalten,
nicht als ausreichendes Motiv gelten, die Folgen unberücksichtigt
zu lassen, welche ungleichmässiger Druck, Beschränkung der ört-
lichen Antiphlogose und die der Beobachtung entzogene Entstehung
von Eitersackungen bei der fraglichen Verbandart so leicht herbei-
führen können.
Fall 122. Schussfractur des Humerus im oberen Drittheil. Früh-
zeitiger gefeusterter Gypsverband. Eitersackungen. Tod
durch Erschöpfung. Grenadier Franz Micklei vom Leib -Gren -Reg.
No. 8 erhielt am 28. März einen Schuss, welcher circa \\ Zoll unter dem
Proc. coracoideus an der linken Brustseite ein- und an der hinteren Seite des
linken Oberarmes im oberen Drittheil austrat. Die Splitterung des Hume-
rus war von der hinteren Oeffnung aus durch den Finger zu constatiren.
Am 29. März wurde im Lazarethe zu Broacker ein Panzergypsverband
mit Fenstern für die Schussöffnungeu angelegt. Am 31. März ist das
Allgemeinbefinden durch Schlaflosigkeit, Appetitmangel, Bronchialcatarrh
und Fieber gestört. Die Ausgangsöffnung sondert reichlich ab. Am 1. April
heftiger Schüttelfrost. Abnahme des Gypsverbandes. Chinin. Am 2. April
Fluctuation unter der linken Brustwarze. Obgleich der Schüttelfrost nicht
wiedergekehrt ist, lebhafte Fieberung mit gastrischen Störungen und Nei-
gung zur Somnolenz. Der Arm ist bis zur Mitte des Vorderarmes bedeu-
tend geschwollen. Entleerung einer grossen Eitermenge durch tiefe Inci-
sion unter der Brustwarze. In den nächsten Tagen ist die Absonderung
aus den Schussöffnungen jauchig. Die Kräfte sinken merklich trotz Chinin
und Wein. An verschiedenen Stellen des Oberarmes und der Brustseite
werden Incisionen nöthig, um Eiterdepots Abzug zu verschaffen. Gegen
Mitte April scheint sich das Allgemeinbefinden etwas zu bessern, so dass
am 20. April die Evacuation nach Flensburg (wegen Ueberfüllung der La-
zarethe in Broacker) erfolgen kann. Aber auch dort gelingt es bei dem
fortwährend profusen Eiterverluste der sorgfältigsten Pflege nicht, den
Kraftverfall aufzuhalten. Decubitus. Tod am 7. Mai. Die Section erwies,
dass die Splitterung bis hoch hinauf, aber nicht in das Schultergelenk
reichte. An den vom Eiter umspülten Bruchenden war eine Calluspro-
duction nicht nachweisbar.
Jeder Contentivverband, mag er durch Gyps oder durch Gutta-
percha- oder anderes Schienen-Material hergestellt werden, kann in
der ersten 7tägigen Periode nach der Verwundung dadurch scha-
den, dass er die Kälte- Application abschwächt oder ganz hindert,
und dass er dem Auge des Arztes die Vorgänge entzieht, welche
ein rasches Einschreiten erheischen, wenn sie nicht verderbliche
Folgen haben sollen. Dass aus dem Feldzuge von 1864 trotz vie-
ler Versuche mit diesen Früh verbänden derartige Folgen nur aus-
188
nahmsweis entstanden, rührt einfach daher, dass glücklicher Weise
Niemand die Dreistigkeit hatte, ihre Entwicklung ruhig abzuwar-
ten. Man beeilte sich vielmehr bei den ersten verdächtigen Symp-
tomen, die Verbände durch Aufschneiden zu lockern, d. h. sie in
einfache Lagerungs-Apparate zu verwandeln, oder ganz zu entfer-
nen. Da dies nun wegen des bei Schussfracturen obwaltenden und
mit seltenen Ausnahmen von dem bei gewöhnlichen Fracturen be-
stehenden sehr verschiedenen Wundverhältnisses in der Praxis von
1864 fast immer nöthig geworden ist, so scheint es mir für
die Zukunft nicht rathsam, jene Versuche zu wieder-
holen.
Unter den 61 Schussfracturen, um welche es sich handelt, wa-
ren in der That nur 4 (2 durch Granatstücke), welche den gewöhn-
lichen complicirten Fracturen dadurch sich näherten, dass das Ge-
schoss selbst nur an den Knochen gedrungen war und Bruch mit
geringer Splitterung bewirkt hatte. Die übrigen waren mit bedeu-
tender Splitterung verknüpft, nicht wenige verdienten die Bezeich-
nung comminutive. Dennoch gehörte starke und hartnäckige
Dislokation der Bruchenden, . welche als zwingendes Motiv
zur mechanischen Correctur durch festen Verband gelten könnte,
zu den seltenen Ausnahmen. Die Schussbrüche des Humerus unter-
scheiden sich hierdurch wesentlich z. B. von denen des Femur.
Um die Vorzüge, welche die Behandlung ohne frühzeitige
Contentivverbände hat, in Erinnerung zu erhalten, will ich nur ein
paar Fälle kurz erwähnen.
Fall 123. Einfache hohe Schu ssfractur des Humerus. Behand-
lung ohne Contentivverband. Rasche Heilung. Musk. Heinrich
Wilkening vom 55. Inf. -Reg. erhielt am 18. April einen Gewehrschuss
dnrch den rechten Oberarm dicht unter dem Schultergelenk. Obwohl ein
einfacher Querbruch des Humerus vorzuliegen scheint, wird in Flens-
burg (2. schw. F.-L. 3. A.-C. Sect. St.-A. Reuter), um einer Bethei-
ligung des Gelenkes an der Entzündung vorzubeugen, während
der ersten 8 Tage energisch und consequent Eis applicirt bei Lagerung
des Gliedes auf einem Spreukissen. Die Infiltration bleibt sehr gering;
das Allgemeinbefinden wird kaum getrübt. Am 3. Mai kann Pat., den Arm
in einer Mitelle auf dem Stromeyer'schen Kissen gelagert, das Bett ver-
lassen. Die Eiterung ist sehr gering. Die Wundheilung ist bereits Ende
Mai vollendet. Am 12. Juni ist die Consolidation so vorgeschritten, dass
Pat. den Arm zu heben vermag. Nachträgliche Ablösung von Sequestern
ist nicht erfolgt.
Dies war ohne Zweifel ein Fall, in welchem auch der früh-
189
zeitige Gyps verband vertragen sein würde. Aber es nicht ein-
zusehen, in welcher Beziehung er den Verlauf noch günstiger hätte
gestalten können. Ja es ist sehr fraglich, ob die örtliche und all-
gemeine Reaction in dem Grade beschränkt geblieben wäre, wenn
wegen des Gypsverbandes auf die energische Einwirkung der Kälte
verzichtet worden wäre.
Fall 124. Splitter-Schussfractur des Humerus im mittleren Drit-
theil. Behandlung mit Eis und einfacher Lagerung. Rasche
Cosolidation. Gren. August Di er vom Leib -Gren.- Reg. No. 8 erhielt
am 18. April einen Gewehrschuss durch den linken Oberarm. In Flens-
burg (2. schw. F.-L. 3. A.-C. Section Reuter) wurde eine ausgedehnte
Zerschmetterung des Mittelstückes des Humerus constatirt. Die Kugel
war ziemlich quer von aussen nach innen durchgedrungen. Lagerung auf
einem Spreukissen. Eisbeutel. Die örtliche wie die allgemeine Reaction
bleibt gering. Schon am 1. Mai kann Pat., den Arm in einer Mitelle auf
dem Stromeyer'schen Kissen gelagert, das Bett verlassen. Mitte Mai ist
die Consolidation fast vollendet; allein die Schliessung der Wunden zögert.
Unter einem einfachen Verbände mit Pappschienen bleibt auch der weitere
Verlauf ohne Störung; die Schliessung der Wunden erfolgte jedoch erst
im September, nachdem sich allmählig 10 kleinere und grössere Knochen-
fragmente abgelöst hatten.
Fall 125. Schussfractur des Humerus im unteren Drittheil. Be-
handlung mit Eis in einer Lagerschiene. Rasche Heilung.
Lieutenant R. vom 64. Inf. -Reg. wurde am 18. April verwundet und im
Johanniter-Lazareth zu Flensburg von Herrn Dr. Res sei behandelt. Die
Kugel hatte den linken Oberarm circa 1 Zoll oberhalb der Condylen von
aussen nach innen durchbohrt und den Humerus stark gesplittert. Auf
den in einer mit Watte ausgepolsterten Drahthohlschiene gelagerten Arm
wurden Eisbeutel gelegt. Die örtliche Reaction blieb sehr gering, die mas-
sige Fieberung liess bald nach. Am 3. Mai wurde der Eisbeutel entfernt,
weil er dem Pat. lästig wurde. Am 21. Mai wird der Arm zum ersten
Male aus der Schiene genommen, um diese neu zu polstern. Am 30. Mai
geschah dies wieder, um einen Gypsverband anzulegen. Der Knochen
erwies sich aber schon als völlig fest. Deshalb nur Einwickelung
mit einer Flanellbinde und Mitelle. Am 20. Juni Eingangsöffnung, am
3. Juli Ausgangsöffnung geschlossen. Entlassung am 15. Juli.
Es liegt auf der Hand, dass bei einer solchen Kurweise die
Ruhe des Gliedes viel mehr gewahrt ist, als bei Contentivverbän-
den, welche bald dieser bald jener Erscheinung wegen gewechselt
werden müssen. Nicht immer freilich bleibt die Infiltration und
die Fieberung so beschränkt. Trotz der energischen Einwirkung
der Kälte, wie sie bei der einfachen Lagerung möglich ist, kommt
es bisweilen zu stärkerer Infiltration und zum eitrigen Zerfalle der
190
Extravasate und Exsudate mehr oder weniger fern von der Bruch-
stelle. Aber dem Auge biossliegend sind dies Vorgänge leicht zu
überwachen und durch frühzeitigen Gebrauch des Messers unschäd-
lich zu machen.
Nach Ablauf der ersten 7tägigen Periode wurden die Gyps-
verbände schon viel besser vertragen, besonders wenn jene gut zur
Antiphlogose benutzt war. Ist auch die zweite 7tägige Periode
abgelaufen, so gehört es nach der Erfahrung von 1864 zu den Aus-
nahmen, dass der gefensterte Gyps verband nicht vertragen wird.
Die Freiheit der Bewegung, welche er dem Verwundeten gestattet
und welche demselben so heilsam ist, und die Bequemlichkeit, welche
er für die weitere Behandlung darbietet, sind zu einleuchtend, als
dass es der Empfehlung desselben für diese Periode des Wund-
verlaufes durch Anführung von Beispielen bedürfte. Der Conten-
tivverband beseitigt dann auch überraschend schnell jene schlaf-
raubenden Neuralgien, von welchen einzelne Verwundete gequält
werden, wenn auch die entzündliche Reaction bei der einfachen
Lagerung und Eisapplication sehr beschränkt bleibt.
Aber eine Beschleunigung der Callusb ildung hat man
vom Gypsverbande so wenig wie von anderen Contentivverbänden
zu erwarten. Die einfache Lagerung, ist sie überhaupt zweckent-
sprechend, führt ebenso schnell oder eben so langsam zu diesem
Ziele. Art und Ausdehnung der Splitterung entscheiden in erster
Instanz darüber, ob eine Frist von 6 Wochen ausreicht oder dop-
pelt so viel Zeit erforderlich ist.
U nter den Momenten, welche die Callusbildung ceteris paribus
verzögern können, will ich nur eins hervorheben, weil es eine
Principienfrage berührt, in welcher der Feldarzt bei jeder Splitter-
Schussfractur von vornherein Partei zu nehmen hat. Auch bei den
Schussfracturen des Humerus erfordert die Ausheilung gar nicht
selten doppelt und dreifach so viel Zeit als die Vereinigung der
Bruchstücke durch Callus. Der bekannte Grund ist die sich ver-
zögernde Ab- und Ausstossung der Sequester. Der Wunsch,
einer solchen Geduldsprobe vorzubeugen, im Vereine mit der Vor=
liebe für den frühzeitigen Gypsverband, dem man ein möglichst ein-
faches Fracturverhältniss überliefern zu müssen glaubte, hat in der
Praxis von 1864 bisweilen veranlasst, in den frischen Wunden nicht
bloss die sorgfältige Entfernung von Fremdköpern, sondern auch
recht gründliche Splitterextractionen vorzunehmen. Die Muste-
191
rung der Fälle, in denen Letzteres geschehen ist, ergiebt, dass die
Consolidation sich ungewöhnlich verzögerte, in einem Falle sogar
ganz ausblieb, obwohl 8 Monate hindurch mit kurzen Unterbrechun-
gen der gefensterte Gyps verband getragen wurde. Stromeyer's
Rath, es bei der Herausnahme der kleinen ganz gelöst im Schuss-
kanale liegenden Splitter bewenden zu lassen, demnächst aber durch
öine kräftige örtliche Antiphlogose dafür Sorge zu tragen, dass die
grösseren in Folge heftiger Entzündung und profuser Eiterung nicht
absterben, wird wohl auch künftig beachtenswerth bleiben.
Das Resultat der nicht operativen Conservativkur
der Schussbrüche des Humerus, welches 1864 erzielt wurde, erscheint
übrigens vom vergleichend statistischen Standpunkte als ein ziem-
lich glückliches, besonders wenn man den preussischen Antheil
für sich betrachtet. Von 32 Verwundeten dieser Categorie sind
26=81 pCt. geheilt. Dieses Verhältniss ist nur ein wenig (um 3 pCt.)
schlechter als das auf demselben Kriegsschauplatze 1850 erzielte —
eine Differenz, welche wahrscheinlich auf Rechnung der zerstören-
deren Wirkung, welche die neueren Geschosse auf die Knochen
ausüben, zu setzen ist. Ich möchte sie wenigstens nicht allein der
verschiedenen Kurweise zuschreiben, wenn auch zugegeben werden
muss, dass es bis jetzt noch nicht möglich ist, statistisch nachzu-
weisen, dass die Resultate der Conservativkur der Arm-Schussbrüche
durch die Einführung des Gypsverbandes verbessert sind. Von den
6 Todesfällen, wT eiche Tabelle XII nachweist, habe ich schon oben
2 erwähnt. Der eine erfolgte durch Erschöpfung in Folge pro-
fuser Eiterung, der andere durch Pyämie. Unter den übrigen 4
sind 1 ersterer, 3 letzterer Art.
Weniger günstig hat sich das Heilungsverhältniss bei den in
unsern Lazarethen gepflegten dänischen Soldaten gestattet. Nach
Tabelle XII sind von 21 Verwundeten nur 16 = 76 pCt. geheilt und
5 gestorben (1 an Erschöpfung, 4 an Pyämie). Und doch geben diese
Zahlen noch nicht das treue Bild des Resultates der Conservativ-
kur. Sie missglückte noch in 2 anderen Fällen, welche in jener
Tabelle unter dem Titel „im Schultergelenk resecirt" be-
rechnet sind. Die gl iedconservirende Tendenz der heutigen Kriegs-
chirurgie hat durch dieselben einen so prägnanten Ausdruck gefun-
den, dass ich nicht umhin kann, sie hervorzuheben.
Auf Grund seiner Beobachtungen bei Verwundeten des Krimm-
krieges hat bekanntlich J. Roux die Osteomyelitis als sehr
Loeffler, Generalbericht. 13
192
häufigen Grund des Misslingens der Conservativkuren wie der
Amputationen bezeichnet und wegen der dabei drohenden Betheili-
gung des nächstgelegenen Gelenkes der Exarticulation den Vorzug
vindicirt. Ich werde besonders bei den Schussfracturen des Ober-
schenkels Anlass haben, auf diese Frage zurückzukommen. An den
oberen Gliedern scheint jenes Heilungshinderniss wenigstens nicht
oft vorzukommen. Unter den Schussfracturen des Humerus von 1864
sind verhältnissmässig viele, welche das untere oder obere Drittheil
der Diaphyse betrafen, und die letzteren (26 von 61) hatten nicht
selten ihren Sitz dicht am chirurgischen Halse. Gleichwohl ist es
nur in 1 Falle zur secundären Gelenkeiterung gekommen. In zwei
anderen wurde bei ausgesprochener Osteomyelitis versucht, die-
ser Eventualität zuvorzukommen, ohne das Glied zu opfern. Von
den 10 Schussfracturen des unteren Drittheils des Humerus hat keine
* das Ellenbogengelenk durch den osteomyelitischen Process bedroht,
und, wie ich vorweg bemerken will, bei den Schussfracturen des
Unterarmes ist dieser Process nur einmal am oberen Ende der Ulna
constatirt und Anlass zur Resection des Ellenbogengelenkes wegen
secundärer Vereiterung desselben geworden.
Dänischer Seits ist den deutschen Feldärzten ein Vorwurf
daraus gemacht worden, dass sie die Schultergelenk-Resection sogar
bis auf hohe Schussfracturen des Humerus-Schaftes ohne Mitverletzung
des Gelenkes ausdehnen. In den fraglichen 3 Fällen ist dies wirk
lieh geschehen; aber es ist leicht einzusehen, dass es sich dabei
nicht um eine Concurrenz der Gelenk -Resection mit der „ nicht
operativen Conservativkur u handelt, sondern um den Versuch,
trotz des Misslingens der letzteren das Amputationsmesser auszu-
schliessen.
Fall 126. Schussfractur im oberen Drittheil des Humerus. Se-
cundäraffection des Schulter gele n ks. Gelenk-Resection. Hei-
lung. Frederik Olsen vom 1. dän. Inf. -Reg. wurde am 3. Februar bei
Overselk durch eine östreichische Gewehrkugel verwundet und nach dem
dänischen Lazarethe in Flensburg gebracht. Das Geschoss war am rech-
ten Oberarm am vorderen Rande des M. deltoideus nahe seiner Insertion
am Humerus ein- und wenig höher am hinteren Rande des Muskels aus-
getreten, üeber Verlauf und Behandlung liegen erst seit dem 16. März
Notizen vor. Der Verwundete wurde an diesem Tage vom 2. schw. F.-L.
3. A.-C. übernommen. Er war sehr heruntergekommen und anämisch.
Dabei eine profuse Eiterung, keine Spur einer Callusbildung an dem zer-
splitterten oberen Ende des Humerus. In den nächsten 8 Tagen stellte
sich die Betheiligung des Schultergelenkes heraus und der drohende Ver-
193
fall der Kräfte nöthigte zum operativen Einschreiten. Am 25. März wurde
deshalb das obere Ende des Humerus nebst Gelenkkopf (3| Zoll lang)
resecirt (St.-A. Dr. Be sser). Knochen osteoporotisch ; Oberarmkopf fast
abgetrennt. Die Operation wirkte sehr günstig auf das Allgemeinbefinden,
bei einer roborirenden Diät verlief die Ausheilung der Resectionswnnde
ohne Störung und war Mitte Juli vollendet. Entlassung nach Copenhagen
am 13. August. Herr Ober- Stabsarzt Dr. Thalwitzer hat dort bei einem
Besuche 10 Monate nach der Operation folgendes Resultat consta-
tirt: Völlige Vernarbung der 13 Ctm. langen Operationsnarbe. Acromion,
Proc. coracoideus und Schultergräte stark vorspringend wegen Atrophie
der Schulter- und Brust -Muskulatur , besonders des Deltoideus. 7 Ctm.
unterhalb des Acromion ist das obere Ende des Humerus deutlich durchzu-
fühlen. Eine Knochenneubildung hat nicht stattgefunden. Selbst eine festere
verbindende Bandmasse ist nicht durchzufühlen. Vollständige Schlotter-
verbindung. Activ ist keine Bewegung des Armes in der Schulter aus-
führbar. Das Ellenbogengelenk kann activ bis zum rechten Winkel ge-
beugt werden; Streckung unvollkommen; Pro- und Supination unbehindert.
Sämmtliche Arm- und Hand -Muskeln sind noch atrophisch. Hand- und
Finger-Gelenke sind zwar frei beweglich, der Druck der Hand aber noch
schwach. Der Operirte trägt eine Bandage zur Fixirung der Schlotter-
verbindung, welche zugleich das Feststellen des gebeugten Vorderarmes in
verschiedenen Winkeln gestattet. Seinen Beruf als Goldschmidt hat er
wegen Kraftmangel noch nicht aufnehmen können; aber er bedarf beim
Aus- und Ankleiden keiner Hülfe.
Um das Leben zu erhalten, war operatives Eingreifen in die-
sem Falle nöthig. Sonst würde man es durch die Exarticulation
im Schultergelenke versucht haben. Dass durch den milderen Ein-
griff der Gelenk -Resection das Glied miterhalten wurde, ist trotz
der verminderten Brauchbarkeit des letzteren für den Verwundeten
gewiss kein Unglück.
Fall 127. Schussfractur des Humerus dicht unter dem chirurgi-
schen Halse. Osteomyelitis. Resection des Schultergelenks.
Tod. — Sven Hausen, vom 18. dän. I.-R., wurde am 29. Juni auf Alsen
verwundet, zunächst in Oster-Schnabeck (1. F.-L. 13. Div.) aufgenommen,
am 12. Juli nach Ulderup (1. F.-L. 5. Div.) evaeuirt. Das Geschoss war
am linken Sternoclavicular-Gelenk ein-, am linken Oberarm an der Inser-
tion des Deltoideus ausgetreten. Jenes Gelenk ist verletzt, der Humerus
dicht unter dem Schultergelenk fracturirt und fast bis zur Mitte herab zer-
splittert. Die Eiterung ist stark, aber nicht jauchig; das Allgemeinbefinden
befriedigend. Am 14. Juli wurden in der Chloroformnarkose durch die
Ausgangsöffnung mehrere Knochenstücke entfernt. Bei der Untersuchung
mit dem Finger stellt sich heraus, dass die Schwammsubstanz bis tief in
den Oberarmkopf hinein so mürbe ist, dass sie sich wie Butter zerdrücken
lässt. An eine Conservation des oberen Bruchstückes war unter diesen
Umständen nicht zu denken. Am 16. Juli wurde deshalb die subperiostale
13*
194
Resection des Kopfes gemacht und dabei ein c. 3 Zoll langes Stück des
Humerns weggenommen (St.-A. Dr. Loewenhardt). (Beim Aufsägen des
Kopfes fand sich die Vereiterung bis an den Knorpelüberzug vorgedrungen).
Der Operation folgte unter lebhafter Fieberung starke Jauchung der Wunde
und acutes Oedem des Armes. Am 24. Juli venöse Blutung aus der Ein-
gangsöffnung des Schusskanales, welche von selbst steht. Am 26. Juli war
das acute Oedem des Armes grossen Theils in Brand übergegangen. Tod
an demselben Tage. Bei der Section fand sich der ganze Schusskanal mit
blutigen schmierigen Gerinnseln gefüllt, hinter dem linken Stprnoclavicular-
Gelenk ein abgekapselter Jaucheheerd; in den kleinen Aesten der V. axil-
laris puriformer Brei.
Die Differenz zwischen diesem und dem vorigen Falle ist mar-
kirt genug. Dort der abgelaufene Process, hier die Osteomyelitis
im Flor. Wenn letzteren Falles der Zustand des Verwundeten kein
Zögern gestattet, so stellt sich die Lebensfrage vielleicht günstiger
durch eine Concession an das Exarticulationsmesser.
Fall 128. Schussfractur des Humerus im oberen Drittheil. Gyps-
verband. Resection in der Continuität. Resection des Schul-
tergelenks. Tod. — Hans Rasmussen vom 9. dän. I.-R. wurde am
18. April verwundet und in Flensburg aufgenommen. Die Kugel ist am
rechten Arme c. 2 Zoll unter der Achselfalte am vorderen Rande des Del-
toideus ein-, etwas tiefer an der hinteren Seite des Armes ausgetreten und
hat den Knochen gesplittert. Ein frühzeitig angelegter Gypsverband wurde
nicht vertragen und deshalb durch Aufschneiden in einen Lagerapparat
verwandelt. Eitersenkung am unteren Theile des Oberarmes; Incision. Am
11. Mai wird die ganz erweichte Gypskapsel abgenommen und durch einen
Schienenverband ersetzt. Der bis dahin gute Eiter wird übelriechend.
Diarrhoen. Am 20. Mai starke Infiltration des Armes. Die Untersuchung
in der Chloroformnarkose ergiebt, dass jede Callusbildung fehlt und die
Knochenfragmente von Eiter umspült sind. Hydropathische Umschläge.
Die Infiltration nimmt etwas ab; die Eiterung bessert sich. Am 22. Mai:
Einschnitt an der äusseren Seite des Armes an der Bruchstelle ; Absägung
eines \\ Zoll langen Stückes vom unteren Bruchende, welches in zwei
scharfe Spitzen ausläuft; Extraction eines über 2 Zoll langen Stückes vom
oberen Bruchtheile, ungefähr der äusseren Hälfte des Knochens entspre-
chend. Die Längsspaltung reicht also bis an das Schultergelenk. An den
Knochenfragmenten ist das Markgewebe schmutzig roth und erweicht; das
Periost Löst sich leicht ab. Nur das dem oberen Bruchtheile angehörige
Fragment zeigt vereinzelte Spuren von Callusproduction.
Der Verlauf gestaltet sich in den nächsten Tagen nach der Operation
günstig. Das Allgemeinbefinden bessert sich; die Infiltration des Armes
nimmt ab. Anfangs Juni jedoch von Neuem stärkere Schwellung, reich-
licher Ausfluss blutgemischter Jauche mit Luftblasen, welcher durch Druck
auf die Schultergegend vermehrt wird. Lebhaftes Fieber. Erweiterung der
vorderen Schussöffnung und Incision an der hinteren Seite, um den freien
195
Abfluss zu sichern. Eine Blutung aus feinen Hautgefässen wird leicht
durch Tarapoiiade gestillt. Da eine merkliche Besserung nicht eintritt,
wird am 7. Juni die Resection des Schultergelenks ausgeführt mit mög-
lichster Conservation des das obere Bruchstück umkleidenden Periostes.
Im Schultergelenk ist noch kein Eiter. Eine arterielle Blutung aus der
Tiefe steht durch Tamponade. Das Markgewebe an dem resecirten Knochen
ist bis hoch hinauf eitrig infiltrirt. Der Operirte war nach der Operation
sehr erschöpft und starb am 8. Juni. Bei der Section werden die inneren
Organe höchst anämisch, sonst aber gesund gefunden.
Beide Resectionen wurden in diesem Falle durch dieselbe
Meisterhand ausgeführt. Aber auch bei den Schussfracturen des
Oberarmes hat die gliederhaltende Kunst ihre Grenzen. Sehr frag-
lich bleibt es freilich, ob das Leben erhalten worden wäre, wenn
man das Glied durch die Exarticulation geopfert hätte.
E. 3. Schussverletzungen der Unterarm-Knochen.
Von den „ Abreissungen und Zermalmungen K des Unterarmes
durch schweres Geschütz, welche die sofortige Absetzung erheischten,
ist schon berichtet. Die Betheiligung der Epiphysen des Radius und
der Ulna an den Schussverletzungen des Ellenbogen- resp. Hand-
Gelenkes wird bei Besprechung der letzteren in Betracht kommen.
Es restiren 71 Verwundete (44 Preussen, 27 Dänen), bei welchen
die Diaphysen dieser Knochen von Geschossen verletzt waren
(Tabelle IX.).
Nicht immer bestand die Verletzung in völliger Trennung der
Continuität. Es sind vielmehr 10 Fälle (7 Preussen, 3 Dänen) con-
statirt, in denen das Geschoss nur Stücke eines jener Knochen oder
beider abgesplittert hatte. Die Knochen- Verletzung an sich übte
zwar auch in diesen Fällen auf den Verlauf Einfluss, insofern durch
dieselbe längere Eiterung, bisweilen auch Eitersackungen erzeugt und
unterhalten wurden. Die Störungen der späteren Brauchbarkeit des
Gliedes hängen jedoch vorzugsweise von Art und Ausdehnung der
Weichtheilverletzungen ab. Das Leben ist in keinem dieser Fälle
bedroht worden. In der Eiterungszeit kamen mehrmals Blutungen
aus Arterienästen vor. Digitalcompression3 Eis, Tamponade genügten
indess zur Stillung, einen Fall ausgenommen, in welchem die Ligatur
der A. brachialis nöthig wurde, weil am 8. Tage nach der Verletzung
(Schuss durch das obere Drittheil des Unterarmes mit Streifung der
Ulna) eine Blutung aus der A. ulnaris eintrat, welche den sonstigen
196
Stillungsversuchen widerstand. (U.-O. Leonhard Dahms, vom
9. dän. I.-R., am 18. April verwundet, in Flensburg gepflegt.)
Die übrigen 61 Fälle sind wirkliche Schussbrüche. Die fol-
gende Tabelle giebt eine
Uebersicht der Schussfracturen des Unterarmes
nach Sitz, Nationalität, Kurart und Ausgang.
Tabelle XIII. _____„„^__
Zah
Kurart
Summa
Verletzter Knochen
l der Vei
nicht
operativ
in der Con-
tinuität re-
secirt
im Ellenbo-
gengelenk
resecirt
secundär
amputirt
d. Geheil
d. Gestor
Zahl
geh.
gest.
Zahl
geh.
gest.
Zahl
geh.
gest.
Zahl
geh.
gest.
CD
B
er
Radius j D£ür;
17
6
17
6
14
6
3
14
6
3
Summa
23
23
20
3
20
3
12
9
12
7
12
7
1
1
1
1
12
8
1
Summa
21
19
19
1
1
1
20
1
Radius u. ) Pr.
Ulna ( Dän.
8
9
6
8
6
7
1
1
1
1
1
1
1
7
8
1
1
Summa
17
14
13
1
1
1
1
1
1
1
15
2
Unterarm- ) p
Knochen >
überhaupt ) an'
37
24
35
21
32
20
3
1
1
1
1
1
1
1
1
1
1
1
33
22
4
6
Summa totalis
61
56
52
4
2
1
1
1
1
2
1
1
55 6
Die Schussbrüche des Unterarmes sind schon längst eine unbe-
strittene Domaine der gliedconservirenden Kunst. Auch in unserem
Feldzuge wurde bei ihnen blos der Knochenverletzung wegen das
Amputationsmesser niemals primär gebraucht, obwohl sehr oft
recht bedeutende Zertrümmerungen der Knochen vorlagen, und zwar
in 28 pCt. der Fälle beider Knochen — in einem Falle, auf welchen
ich bald zurückkommen werde, beider Knochen an beiden
Unterarmen. Ganz einfache Bruchformen waren selten. Sie
werden namentlich durch matte Granatstücke, welche den Knochen
197
selbst nur tangential berühren, bewirkt. In einem solchen Falle
erfolgte der Bruch beider Knochen subcutan (Gren. Andreas
Wedemeyer vom 4. Garde-Reg. z. F., am 18. April verwundet).
InBlans (1. F.-L. 5. Div.) wurde alsbald ein nicht gefensterter
Gypsverband angelegt. Der Verlauf war ganz der bei gewöhnlichen
subcutanen Fracturen übliche. Die Consolidation beider Knochen
ohne Deformität war Mitte Juni vollendet. Pro- und Supination
blieb verhindert. Da die Bruchenden nicht dislocirt waren, so muss
angenommen werden, dass eine theilweise Verknöcherung des Lig.
interosseum stattgefunden hat.
In einem anderen Falle (Füs. Wilhelm Hombring, vom
15. I.-R. , am 2. Febr. bei Missunde verwundet) hatte das Granat-
stück den rechten Unterarm am Radialrande in der Mitte getroffen,
die Haut nur wenig verletzt, aber den Radius fracturirt. Der starken
Sugillation wegen wurden Anfangs kalte Umschläge gemacht, am
14. Februar aber in Kiel ein nicht gefensterter Gypsverband
angelegt. Mit diesem traf Patient am 15. Februar in Berlin ein.
Man schnitt hier das markirte Fenster völlig aus. Sowohl die silber-
groschengrosse gut granulirende Wunde wie der Knochenbruch waren
am 9. März, als der Verband abgenommen wurde, verheilt.
Selbst wenn sie die Weichtheile weit und tief zer-
reissen, machen die Granatsp titter bisweilen sehr einfache Bruch-
verhältnisse.
Fall 129. Schussfractur des Radius und der Ulna durch Granat-
splitter mit bedeutender Zerreissung der Weichtheile. Hei-
lung. — Musk. Nikolaus Nowatscheck vom 18. Inf.-Reg., am 18. April
verwundet. Ein Granatstück hat an der Streckseite des linken Unterarmes
die Weichtheile in der Länge von 3 Zoll und in der Breite von 2| Zoll bis
auf das Periost weggerissen und dabei beide Knochen ohne erhebliche
Splitterung gebrochen. Bei Lagerung auf einer Armschiene wurde die Eis-
blase aufgelegt, die Wunde fleissig irrigirt und mit Campherwein verbunden.
Am 26. April war die Wunde gereinigt. Gefensterter Gypsverband. Die
Füllung des grossen Weichtheildefectes geht ohne Störung vor sich. Als
am 19. Mai der Gypsverband abgenommen wurde, fanden sich die Fracturen
geheilt. Die granulirende Wunde ist noch thalergross. Einwickelung mit
einer Flanellbinde. Ende Mai lösten sich ein paar kleine Sequester. Die
völlige Vernarbung der Weichtheilwunde verzögerte sich bis Mitte October.
Die grosse strahlige Narbe sitzt an den Knochen fest und genirt besonders
wegen schmerzhafter Spannung das Beugen der Hand.
Am Unterarm gilt auch die Mitverletzung der Arterien-
stämme nicht als ausreichendes Motiv, auf die Conservativkur
198
vorweg zu verzichten. Am unteren Drittheile, wo die Adern ober-
flächlich liegen, hat die Unterbindung in der Wunde wenig Schwie-
rigkeit; sie ist einige Mal auf den Verbandplätzen ausgeführt. Für
Blutungen, welche aus höher und tiefer gelegenen Verletzungsstellen
kommen, bietet für den Fall, dass Digitalcompression, Eis und er-
höhte Lage nicht ausreichen, die Unterbindung der A. brachialis
eine Hülfe, an welche, sich nicht, wie bei den Schussbrüchen des
Humerus, die Besorgniss knüpft, dass das Verhalten des Venen-
stammes den Erfolg vereitele. Nichtsdestoweniger ist diese Com-
plication der Schussbrüche auch am Unterarme bedeutsam genug.
Fall 130. Gewehrschuss durch das obere Drittheil des Unter-
armes. Zersplitterung der ülna; einfache Fractur des Radius.
Mitverletzung der Art. radialis und des N. ulnaris. Heilung. —
Grenadier Heinrich Schroeder vom 4. G.-G.-Reg. wurde am 18. April ver-
wundet. Die Kugel trat c. 2 Zoll unter dem Ellenbogengelenk an der Streck-
seite des linken Unterarmes dem Ulnarrande nahe ein. Ausgangsöffnung ist
nicht vorhanden. In Broacker (1. F.-L. Cav.-Div.) wird Zerschmetterung
der Ulna und Fractur des Radius ziemlich in derselben Höhe constatirt.
Lagerung in einer Armkapsel; Eisblase. Am 6. Mai wird die
Kugel an der Beugeseite des Gliedes dem Radius nahe entdeckt und durch
Incision entfernt. Es folgen arterielle Blutungen aus dem Schusskanale,
welche, weil sie allen sonstigen Stillungsmitteln trotzen, am 13. Mai zur
Unterbindung der Art. brachialis nöthigen. Der Arm infiltrirt sich ziemlich
ausgedehnt. Mehrere Abscedirungen erfordern Incisionen. Nichtsdesto-
weniger zeigen die Bruchstellen Ende Mai schon ziemliche Festigkeit. Im
Laufe des Juni und Juli lösen sich wiederholt Sequester von der Ulna,
darunter ein gegen 2 Zoll langer. Die Ligaturstelle am Oberarm heilte
ohne Störung. Erst Ende October wurde die Vernarbung vollständig. Die
Bewegungen im Ellenbogen- und Handgelenk waren damals noch sehr be-
hindert. Am kleinen Finger und am äusseren Rande des Gold-
fingers ist die Sensibilität völlig erloschen.
Die steckengebliebene Kugel scheint in diesem Falle wie durch
Tamponade den früheren Eintritt der arteriellen Secundärblutung
verhindert zu haben. In zwei Fällen der Art musste das Glied
nachträglich geopfert werden, und nur in einem derselben wurde
damit das Leben gerettet.
Fall 131. Zerschmetterung der Ulna durch Kartätschschuss.
Starke arterielle primäre Blutung. Gypsverband. Arterielle
Secundärblutung. Amputatio Humeri. Tod durch Pyämie. —
Gem. Karl Haucke vom 2. dän. Inf.-Reg. wurde am 18. April bei Düppel
verwundet und in Glücksburg aufgenommen. Ziemlich in der Mitte des
rechten Unterarmes an der Beugeseite dem Ulnarrande nahe die Eingangs-
öffnung; in der Mitte der Streckseite die sehr grosse Ausgangsöffnung.
199
Die Ülna ist in grosser Ausdehnung zersplittert; der Radius erscheint un-
verletzt. Eine ziemlich starke arterielle Blutung wird im Lazareth durch
Corapressiv-Verband und Eis gestillt. Am 20. April wird ein gefensterter
Gypsverband angelegt; Eisblase. Schon am 22. April muss derselbe er-
neuert werden, weil er an mehreren Stellen eingebrochen ist. Am 25. April
trat plötzlich eine sehr starke arterielle Blutung ein, deren Sistirung durch
Compression der Art. brachialis nur zeitweise gelingt. Die ausserordent-
liche Schwäche widerräth den Versuch, die Wiederkehr der Blutung durch
Unterbindung der Art. brachialis zu verhüten. Deshalb wird noch selbigen
Tages die Amputation am Oberarm gemacht. Ein Theil der Hautkappe des
Stumpfes stirbt ab. Die Eiterung wird jauchig. Frostanfälle treten vom
2. Mai ab täglich ein. Tod am 12. Mai. Beide Lungen werden mit Abs-
cessen durchsetzt gefunden.
Fall 132. Schussfractur der ülna und des Radius im oberen
Drittheil. Arterielle Secun därblutung. Unterbindung der Art.
brachialis. Ausgedehnte Vereiterung. Amputatio Humeri.
Heilung. — Unterofficier Karl Meyer vom 3. Garde-Reg. z. F. erhielt
am 5. Februar am Mühlberg einen Gewehrschuss durch den rechten Unter-
arm und wurde in Rendsburg aufgenommen. Die Kugel ist am Ulnar-
rande c. 2 Zoll unter dem Ellenbogengelenk ein-, in derselben Höhe am
Radialrande ausgetreten. Der Schusskanal verläuft tief unter den Beuge-
muskeln fort. Von beiden Oeffnungen aus wird vom Periost entblösster
Knochen gefühlt, eine wirkliche Fractur indess nicht coustatirt. Erhöhte
Lagerung auf einer Armschiene; Eisbeutel. In den nächsten Tagen wird
das Fehlen des Radialpulses constatirt. Die Reaction bleibt mässig,
das Allgemeinbefinden kaum getrübt. Am 13. Februar trat in der Nacht
plötzlich aus der Radialwunde starke arterielle Blutung ein. Sie wird
durch Anlegen des Tourniquets inhibirt; Einwickelung des Armes; Eisblase.
Am 14. Februar klagt Pat. über heftigen brennenden Schmerz im Unterarm;
welcher besonders in der Wundgegend stärker geschwollen ist. Radial -
puls zeitweise schwach fühlbar. Am 15. Februar dieselbe Schmerz-
haftigkeit; Puls mässig voll, 100. In der Nacht Schüttelfrost; starker
Schweiss. Acid. sulph. dil., Morphium innerlich; Compressivverband. Am
16. Februar weniger Schmerz, zwei Mal Frost. In der folgenden Nacht
wiederholt Blutungen, welche durch Eis sistirt werden. Die Wunden sind
durch Blutgerinnsel verstopft. Puls 112. Da sich die Blutungen immer
wieder erneuern, so wird am 17. Februar die Art. brachialis unterbunden
und der Schusskanal durch Entfernung der Coagula gereinigt. Taub-
heitsgefühl in Unterarm und Hand. Schmerzen und Schwellung
lassen nun nach. Die profuse Eiterung ist übelriechend. Die Sonde ge-
langt auf rauhen Knochen. Im März dauert die Eiterung reichlich fort;
einige kleine Sequester lösen sich ab. Anfangs April Infiltration des Vorder-
armes mit tiefen Eitersackungen. Incision. Warmwasserbad. Gegen Ende
April wird der Verw. nach dem Johanniter-Lazareth in Stendal evacuirt.
Durch die unaufhörlich profuse Eiterung werden die Kräfte consumirt bis
zur Ausbildung förmlicher Hectik. Deshalb wurde von Herrn Dr. Haake
am 31. Mai der Oberarm in der Mitte amputirt. In dem abgesetzten Unter-
200
arme fanden sich beide Knochen zertrümmert und die nekrotischen Bruch-
enden vom Eiter rings umspült. Die Heilung der Amputationswunde er-
folgte ohne Störung und damit eine rasche Erholung des Operirten.
Es muss dahin gestellt bleiben, in wie weit die durch den
Mangel jeder Dislokation der Bruchstücke (die Knochen waren durch
das Geschoss bei seinem Laufe quer durch den Vorderarm tangential
fracturirt) erklärliche anfängliche Verkennung der Fracturen auf den
späteren Verlauf von Einfluss war. Ich habe die vorstehenden Fälle
deshalb etwas detaillirter mitgetheilt, weil sie, glaube ich, darthun,
warum man sich bei derartig complicirten Schussbrüchen des Vorder-
armes mit der Unterbindung der Art. brachialis möglichst beeilen
muss, wenn methodische Digitalcompression des Aderstammes, er-
höhte Lage des Gliedes und Eis nicht schnell zum Ziele führen.
Die Compression durch Einwickelung des Gliedes ist besonders bei
den Schussbrüchen ein ebenso schädliches wie unsicheres Mittel, die
Blutungen aus den höheren Stellen der Vorderarm-Arterien zu stillen.
In dem folgenden Falle wurde nach diesem Grundsatze verfahren;
aber ein anderer Feind vernichtete den Erfolg.
Fall 133. Splitterung des Radius durch Granatsplitter. Starke
Primärblutung aus der Art. radialis. Unterbindung der Art.
brachialis. Trismus. Tod. — Füs. Wilhelm Treger vom L.-G.-R. 8
wurde am 28. März von einem Granatsplitter am unteren Drittheil des
linken Unterarmes getroffen. Der Splitter hatte die Radialhälfte des Gliedes '
durchsetzt, den Radius stark zersplittert, die Art. radialis verletzt. Die
heftige arterielle Blutung, welche auch nach der Aufnahme in Stenderup
(1. F.-L. 6. Div.) wiederkehrte, bestimmte zur sofortigen Unterbindung der
Art. brachialis am inneren Rande des Biceps. Einige lose Splitter wurden
entfernt. Lagerung; Eis. Patient klagt beständig über lebhafte
Schmerzen im Arm. Am 10. April Zeichen des Trismus mit wechselnder
Stärke. Die Störung der Lazarethruhe, welche sich an den Sturmtag
(18. April) unvermeidlich knüpfte, wirkte sehr ungünstig auf den Verwun-
deten. Die Anfälle des Tetanus kehrten mit gesteigerter Heftigkeit wieder.
Dennoch verzögerte sich der tödtliche Ausgang bis zum 4. Mai. Man fand
bei der Section den N. medianus bis zur Achsel geröthet und geschwollen.
Ein kleines Knochensplitterchen ist in denselben eingedrun-
gen. Die Consolidation des Radius war noch nicht vollständig.
Die Unterbindung der Brachialis erfüllte in diesem Falle ihren
Zweck. Die Blutung kehrte nicht wieder. Dass die Consolidation
sich verzögerte, ist ohne Frage den tetanischen Anfällen zuzu-
schreiben.
Noch in zwei anderen Fällen hat der nämliche Feind den Er-
201
folg der Conservatirkur vereitelt. Der eine (Füs. Albert Mertens
vom 35. Reg., am 18. April verwundet, in Flensburg gepflegt)
ist bereits von Herrn Dr. Heine (1. c. pag. 116 ff.) ausführlich
mitgetheilt. Ich werde auf denselben in dem Capitel über Tetanus
zurückkommen. Es handelte sich wie in dem oben erwähnten
Falle um einen Splitterbruch des Radius im unteren Drittheil, aber
durch eine durchdringende Gewehrkugel bewirkt. Die Art. radialis
war gleichfalls mitverletzt, aber auf dem Verbandplatze in der
Wunde unterbunden. Am 15. Tage nach der Verletzung begann der
Trismus. Der Tod erfolgte am 13. Mai. Auch hier fand sich bei
der Section ein den N. medianus anbohrendes Splitterchen.
Der andere ist die einzige Beobachtung von multipler Schuss-
fractur beider Vorderarme durch Kleingewehrfeuer, wel-
che aus dem Feldzuge von 1864 vorliegt.
Fall 134. Schussfracturen beider Knochen beider Unterarme.
Tetanus. Tod. — Der dän. Soldat Lunstaedt vom 2. Inf.-Reg. wurde
am 18. April durch zwei Kugeln verwundet und in Ulderup (1. F. L.
5. D.) aufgenommen. Am rechten Unterarm Eingangsöffnung an der Ulnar -
seite in der Mitte, Austritt an der Radialseite 1" unterhalb des Ellenbogen-
gelenks. Doppelbruch der Ulna; Splitterbruch des Radius und Absprengung
des Capitulum. Am linken Unterarm Eingang an der Radialseite einige
Zoll über dem Handgelenk, Ausgang an der Ulnarseite einen Zoll über dem
Gelenk, beide Knochen doppelt fracturirt.
Am 20. April wurde an beiden Seiten der Gypsverband angelegt in
der Chloroformnarkose. Am 21. April werden die Fenster eingeschnitten.
Bis zum 28. April gutes Aussehen der Wunde und ungestörtes Allgemein-
befinden. Der Gypsverband rechter Seits wird, weil er vom Eiter durch-
feuchtet ist, durch einen neuen ersetzt. Am 30. April Abends heftige
Schmerzen und klonische Krämpfe im ganzen rechten Arm. Dieselben
\ dauern trotz Morphium Tag und Nacht mit kurzen Intervallen an unter
\ lebhafter Pulsfrequenz und starken Schweissen und werden am 3. Mai all-
gemein, nachdem schon am 1. Mai Trismus hinzugetreten ist. Am 1. Mai
wurde der Gypsverband gespalten und Abends, da eine arterielle Blutung
eintritt, abgenommen. Die Blutung steht auf kalte Irrigation und Tampo-
\ade. Am 2. Mai werden die in die Weichtheile bohrenden Spitzen der
buchenden des Radius abgesägt, dabei kleine spitze Knochenfragraente
ud ein plattgedrücktes Stückchen Langblei entfernt. Allein trotz wieder-
hcter subcutaner Injection von Morphiumlösung dauert Trismus und Te-
tai^s fort. Nachdem noch mehre parenchymatöse Blutungen eingetreten
sint erfolgt der Tod des sehr anämischen und erschöpften Mannes am
4- \i. Bei der Section fanden sich Muskelpartien zwischen den Bruch-
endei des Radius eingeklemmt. Die Bruchstücke der Ulna waren nicht
disloc-t.
202
Das sind 3 Opfer, um welche der Erfolg der Conservativkur
der Schussbrüche des Unterarms durch den Wundstarrkrampf
verkürzt worden ist. Um so bescheidener war die Py am ie. Ausser
dem Falle, in welchem die Amputation des Oberarmes bei dem
durch Blutungen sehr erschöpften Verwundeten eine besondere Dis-
position für dieselbe bildete (vgl. oben Fall 131), hat die Pyämie
nur 1 Opfer gefordert und zwar bei einer relativ einfachen Ver-
wundung — Schusssplitterung des Radius in der Mitte durch eine
Spitzkugel — , welche bei der Lagerung auf einem festen Kissen
und unter dem Eisbeutel bis zum 10. Tage durchaus befriedigend
verlief. Dann trat plötzlich unter heftigem Fieber entzündliche
Infiltration des ganzen Armes ein, gegen welche wiederholte Ent-
spannungseinschnitte erfolglos blieben. Der Tod erfolgte am 17. Tage
nach der Verletzung. (Füs. Rudolf Mühlmeister vom L.-Gr.-R. 8,
am 18. April verwundet, in Flensburg gepflegt.)
Assser der Arterien -Ligatur hat auch die Resection eine
wenn auch sehr beschränkte Rolle bei der Conservativkur der frag-
lichen Schussbrüche gespielt, — nämlich die Continuitäts-Re-
section in zwei Fällen, die des Ellenbogengelenks in einem.
Wie bei den Schussfracturen des Oberarmes, so hat erstere auch
an dem Unterarme kein Glück gemacht.
In dem einen Falle (Karl Strack vom 18. dänischen Inf.-
Reg., am 29. Juni auf Alsen verwundet, in Glücksburg gepflegt)
war die linke Ulna durch Langblei in der Mitte zerschmettert. Am
6. Juli wurden die Splitter extrahirt und beide Bruchenden rese-
cirt, so dass eine Knochenlücke von c. 4" entstand. Der Verlauf
war günstig. Schon Ende August war der Schluss der Wunden er
folgt. Allein bis zum 12. September — dem Tage, an welchen
die Heimsendung erfolgte — hatte sich der Knoch end efect nicit
wieder ersetzt.
Ungünstiger verlief der andere, freilich ungleich schwerere lall.
Fall 135. Schussfractur beider Vorderarmknochen. Conthui-
täts - Resection. Blutungen. Tod durch Erschöpfung. > Ge-
freiter Johann Thiele vom 4. Garde-Reg. zu Fuss wurde am 1$ April
verwundet und in Stenderup aufenommen, von wo er am 21. W nach
Baurup (1. schw. F. L. 3. A. C. Sect. Lücke) evacuirt ward. Pber die
erste Periode liegt keine Journalnotiz vor. Als T. in ßaurup anäm, fand
man auf der Streckseite des rechten Vorderarmes den Schusseinang, wel-
cher direct auf die fracturirte Ulna führte. Ausgangsöffnung ehlt. Die
Kugel ist noch nicht gefunden. Der Unterarm ist stark inftrirt. Drei
203
grosse Incisionen an der Streckseite sind grösstenteils vernarbt; eine
vierte ist noch offen und führt direct auf den gleichfalls fracturirten Ra-
dius. Die Untersuchung in der Chloroformnarkose ergab, dass die unteren
Fragmente beider Knochen mit einander verwachsen und zwishen die oberen
geschoben waren. Der Verwundete war sehr angegriffen und fieberte. Nach-
dem sich das Allgemeinbefinden gebessert hatte, wurden am 3. Juni nach
Extraction von 3 grösseren nekrotischen Knochenstücken die beiden Bruch-
spitzen der Ulna resecirt und von dem oberen Bruchende des Radius so
viel abgetragen, dass es nicht mehr nach aussen ragt. Die Kugel wurde
nicht entdeckt. Massige fieberhafte Reaction; starke Eiterung. Die starke
Schwellung gestattet nicht das Anlegen eines festen Verbandes. Am 23. Juni
wurde ein oberer und ein unterer durch 2 Schienen von Cigarrenkistenholz
verbundener Gypsverband angelegt. Am 26. Juni veranlasst ein durch
Schüttelfrost eingeleitetes und von gastrischen Symptomen begleitetes
Fieber zur Verabreichung eines Brechmittels. Bei der Abnahme des Ver-
bandes am 27. Juni Erythem am Oberarm. Unter Fortdauer heftigen
Fiebers breitet sich das Erysipel vom Oberarm bis zur Hand aus; die
Wundränder sind ödematös, die Eiterung gering. Am 4. Juli plötzlich ar-
terielle Blutung, welche durch Digitalcompression der Brachialis bald si-
stirt wird. Beim Gebrauche einer Chininlösung bessert sich das Allge-
meinbefinden und am 9. Juli ist die Schwellung des Armes so gefallen,
dass ein neuer Gypsverband mit Fenstern angelegt werden konnte. Vom
15. Juli ab kehrten indess die Blutungen täglich wieder trotz wiederholter
Tamponade. Am 19. Juli findet sich bei der durch die erneute Blutung
nöthig gewordenen Abnahme des Verbandes die ganz difforme Kugel in
der EinschussörTnung. Die vielen Blutungen hatten so erschöpft, dass am
20. Juli der Tod erfolgte. Bei der Section fand sich an den inneren Or-
ganen nur hochgradige Anämie. Die Weichtheile in der Nähe der Wunde
in putridem Zerfalle; die Bruchenden der Knochen blasig aufgetrieben.
Auch in diesem Falle dürfte die zeitige Unterbindung der Art.
brachialis behufs der Sistirung der Blutungen den Vorzug vor der
Tamponade verdient haben, wenn auf die Conservativkur nicht ver-
zichtet werden sollte. Die vorausgegangene Continuitätsresection
war durch die bedeutende, der Heilung hinderliche und anders nicht
zu behebende Dislokation der Bruchenden ausnahmsweis gewiss
indicirt. Es fragt sieh aber hauptsächlich, ob diese Eventualität,
wie Herr Prof. Lücke bei seiner Mittheilung des Falles (1. c.
pag. 110) meint, durch die frühzeitige Anlegung eines Gyps-
verbandes zu verhüten gewesen wäre. Eine positive Antwort
ist schon deshalb nicht möglich, weil über Verlauf und Behand-
lung des Falles in den ersten Wochen nach der Verwundung der
Nachweis fehlt. Wenn wirklich während der ganzen Zeit kein Ver-
such gemacht wurde, durch einen Contentivverband einzuschreiten,
204
so dürfte die bedeutende Infiltration, welche notorisch durch mehr-
fache Incisionen bekämpft worden ist, das Hinderniss gewesen sein.
Ist der frühzeitige Gypsverband im Stande, letztere zu
verhüten, und darf deshalb die antiphlogistische Vor-
behandlung bei einfacher Lagerung als ein antiquirtes
Verfahren bei den Sehussbrüch en des Vorderarmes be-
zeichnet werden?
Es ist die nämliche Principienfrage, welche uns schon bei den
Schussbrüchen des Humerus entgegentrat. Ich halte es für sehr be-
denklich, für die künftige Feldpraxis eine Regel aufzustellen, welche
durch die Kriegs-Erfahrung noch nicht genügend fundirt ist. Die
Erfahrung von 1864 berechtigt nicht, jene Frage ohne Weiteres
zu bejahen.
Es ist möglich, dass die sofortige regelrechte Anlegung
eines nicht gefensterten Gypsverbandes, welcher Ellenbogen-
und Handgelenk mit umfasst, mittelst der absoluten Ruhe und der
gleichmässigen Compression des Gliedes, wie bei den gewöhn-
lichen einfachen und complicirten Fracturen, als prophylactisches
Antiphlogisticum wirken kann. Thatsächlich liegt aber von 1864
nur ein solches Experiment vor (der oben erwähnte Fall „ Wede-
meyer und dies ist nicht massgebend, weil es sich um eine
subcutane Fractur handelte. Auch in den Fällen von Tangential -
brüchcn, bei denen die Weichtheile mehr oder weniger mitverletzt
waren, und von welchen ich oben einige erwähnt habe, würde der
sofortige Gypsverband, wenn er angelegt worden wäre, wahr-
scheinlich wie bei den gewöhnlichen mit Weichtheilverletzung
complicirten Fracturen vertragen worden sein. Aber es liegt aus
der Praxis von 1864 kein Fall vor, welcher beweist, ob und in
wie weit der sofortige ungefensterte Gypsverband bei den nicht
subcutanen Schussbrüchendes Unterarms vertragen wird und den
Verlauf günstig beeinflusst.
Die sehr gesteigerte Zahl technischer Hülfsacte, welche die
neuere Kriegschirurgie wegen ihrer gliedconservirenden Tendenz als
dringlich bezeichen muss, nöthigt, glaube ich, zu einer gewissen
Zurückhaltung. Bei und unmittelbar nach Gefechten von einiger
Bedeutung wird es sobald nicht möglich werden, auch alle Schuss-
brüche des Vorderarmes schon auf den Verbandplätzen oder in den
Depots der leichten Feldlazarethe alsbald nach der Verwundung mit
regelrechten Gypsverbänden zu bedenken. Bei den Schussbrüchen
205
eines der beiden Knochen ist das ohne Zweifel auch nicht not-
wendig, und selbst die meisten Schussbrüche des Radius und der
Ulna werden auf den Verbandplätzen nach wie vor ohne Gefahr
mit einfachen Stützverbänden abgefunden werden können. So
bedeutende Dislokationen, wie in dem erwähnten Falle 135,
gehören bei diesen Schussbrüchen zu den Ausnahmen, und gerade
deshalb könnte und sollte ihnen in der That wo möglich schon
auf den Verbandplätzen die Zeit gewidmet werden, welche die An-
legung des Gypsverbandes erfordert.
Der nachträgliche gefensterte Gypsverband ist 1864
auch bei den Schussbrüchen des Unterarmes vielfach in Anwendung
gekommen. Das Resultat ist so ziemlich dasselbe, wie ich es bei
den Schussbrüchen des Humerus bezeichnet habe. Frühzeitig
angelegt, wurde er selbst bei Splitterbrüchen etwas besser vertragen,
als am Oberarm; gleichwohl überwiegt die Zahl der Fälle, in denen
der Verband wegen der starken entzündlichen Reaction mehr oder
weniger bald wieder entfernt werden musste, und bisweilen waren
tiefe und ausgedehnte Abscedirungen die Folge, welche die Aus-
heilung sehr verzögerten. Diese Consequenzen waren entschieden
seltener bei der Behandlung mit einfacher Lagerung und Eis. Darum
uud weil das Wundverhältniss sehr oft nicht gleich vollständig zu
übersehen ist, und weil das Anlegen und das Abnehmen der Gyps-
verbände in der Reactionsperiode keinen Falles gleichgültige me-
chanische Reize sind, scheint es mir rathsamer, den Gypsverband
bis nach Ablauf der ersten 7 Tage zu verschieben und diese bei
einfacher Lagerung auf einer Schiene oder in einer Drahtrinne zur
Application der Eisblase zu benutzen — wenn nicht sehr einfache
Wundverhältnisse eine milde Reaction garantiren, oder wenn nicht
eine bedeutende Dislokation der Bruchenden sofortige und nachhal-
tige Correctur erheischt. Schussbrüche mit blindem Schuss-
kanal e, aus welchem das Geschoss oder andere Fremdkörper noch
nicht entfernt werden konnten, eignen sich gewiss am allerwenig-
sten für den frühen Gypsverband. Nach Ablauf der entzündlichen
Periode den Gypsverband zu benutzen, sobald die Abschwellung ein
längeres Liegenbleiben desselben in Aussicht stellt, braucht heutigen
Tages nicht mehr empfohlen zu werden. Die Erfahrung von 1864
bekundet, dass er dann in der Regel gut vertragen wird. Die be-
schränkten Phlegmonen und die Erysipele, welche in späteren Pe-
rioden besonders als Begleiter der Sequesterablösungen auftreten,
206
nöthigen zwar nicht selten gleichfalls zur temporären Entfernung
des Gypsverbandes. Aber die bekannten Vortheile, welche er für
den Arzt wie für den Kranken bietet, überwiegen den Nachtheil,
welchen der Zeit die vorübergehende mechanische Beunruhigung des
verletzten Gliedes bewirken kann. Besonders hervorgehoben zu
werden verdient noch der Schutz und die Sicherheit, welche der
Gypsverband vor allen übrigen Contentivverbänden bei Evacuationen
nach entfernten Pflegestätten gewährt.
Die Zahl der Fälle von Schussbruch am Unterarm, welche
1864 ganz ohne Benutzung des Gypsverbandes behandelt worden
sind, ist nicht gross. Aber ich kann nicht finden, dass ihr Verlauf,
was Milde der Reaction, Schnelligkeit der Consolidation und Dauer
der Ausheilung betrifft, hinter dem der gegypsten Fälle zurüchstehe.
Von grösserer oder geringerer Lebensgefahr spreche ich gar nicht.
Denn die Musterung der tödtlich verlaufenen Fälle, welche oben
vollständig mitgetheilt sind, ergiebt, dass der tödtliche Ausgang von
Umständen bedingt war, gegen welche der Gypsverband keine Ge-
währ oder Abhülfe bietet — mit alleiniger Ausnahme des Falles
135, in welchem ungewöhnlich starke Dislocation und Zurückbleiben
des Geschosses pro und contra Gypsverband einander gegenüber
stehen.
Ausser dem bereits erwähnten Falle von Continuitätsresection
der Ulna, in welchem der Wiederersatz ausblieb, sind 1864 noch
3 Fälle beobachtet, in welchen die Consolidation des Schussbruches
nicht erfolgte.
In dem einem Falle (Jörgen Hoeg vom 20. dän. Reg.)
datirte die Verwundung vom 3. Februar bei Klosterkrug. Das ur-
sprüngliche Verhalten der Knochen ist nicht genauer bekannt. Der
Verwundete wurde bis zum 16. März im Lazarethe zu Flensburg
von dänischen Aerzten mit einfacher Lagerung und Breiumschlägen
behandelt. Bei der Uebernahme eiterte die Eingangsöffnung in der
Mitte der Streckseite des linken Unterarmes nur noch wenig; die
Incision oberhalb des Olecranon, mittelst welcher die Kugel entfernt
wurde, war fast vernarbt. Die Ulna fand sich consolidirt, die Bruch-
stelle des Radius noch beweglich Nachdem das Eczem der Haut,
die fast constante Folge der dänischen Kurweise mit Breiumschlägen,
beseitigt war, wurde am 8. April ein Gypsverband angelegt. Bis
zur Auslieferung am 6. Mai ist jedoch die Consolidation des Radius
207
nicht erfolgt — vielleicht wegen eines Typhoid, welches Patient in
den beiden letzten Dekaden des Aprils zu überstehen hatte.
In den andern beiden Fällen war der Gyps verband sehr früh
angelegt. Der Musketier Albert Gembus vom 60 Inf. -Reg., am
18. April verwundet, erhielt einen solchen bereits am 19. April in
Flensburg. Der Radius war durch eine Gewehrkugel, welche von
der Beugeseite nach der Streckseite des rechten Unterarmes gerade
durch drang, im oberen Drittheil zerschmettert. Der Gypsverband
wurde gut ertragen und bis zur Vernarbung beibehalten. Dennoch
bestand noch im August, als Patient in Magdeburg behufs seiner
Invalidisirung untersucht wurde, ein zolllanger Defect an der Bruch-
stelle. Nur eine bandartige Verbindung der Bruchenden war erfolgt.
Den anderen Fall theile ich etwas ausführlicher mit, weil er zu-
gleich zeigt, in wie weit die Wirklichkeit manchen Illusionen über
den glatten Verlauf der Schussbruch-Heilung mittelst des Gypsver-
bandes entspricht.
Fall 136. Comminutive Schu ssfractur der Ulna. Frühzeitiger
Gypsverband. Heilung mit Pseu darth ro se. — Jäger Adolf
Koalenz vom 3. Jäg.-Bat. wurde am 29. Juni in Schloss Sandberg (1. F.-
L. 5. I.-Div.) aufgenommen, nachdem er auf Alsen einen Gewehrschuss
durch den linken Unterarm erhalten hatte. Die Kugel war etwas schräg
von der Streck- nach der Beugeseite durchgedrungen und hatte die Ulna
im mittleren Drittheil comminutiv zerbrochen. Die folgende Schwellung
mindert sich unter Eisbeuteln bei einfacher Lagerung. Am 2. Juli wurde
ein gefensterter Gypsverband angelegt. Am 3. Juli jauchige Absonderung
aus den Schussöffnungen. Einige Knochenfragmente und ein Stück des
Projectils werden extrahirt. Ausspritzungen mit Kreosotwasser. In den
nächsten Tagen entleeren sich kleinere und grössere Knochenfragmente
unter fortdauernder Jaucheabsonderung. Allgemeinbefinden wenig gestört.
Am 15. Juli klagt Patient über grosse Schmerzen im Arme. Der Verband
ist locker und durchtränkt und wird deshalb abgenommen. Lagerung;
aromatische Fomente. Am 18. Juli ist die Reinigung des Schusskanals
vollendet; der Eiter gut. Schmerzlosigkeit; ungetrübtes Allgemeinbefinden.
Am 19. Juli neuer Gypsverband; Patient steht auf. Am 22. Juli Fieber,
heftiger Schmerz über der Bruchstelle, Anschwellung der Hand. Abnahme
des Verbandes. Auf der Streckseite unter der Bruchstelle Eitersackung.
Mittelst Incision der gerötheten Stelle Entleerung einer grossen Eitermasse.
Einfache Lagerung des Gliedes. Fomente. Bis Ende des Monates schwillt
der Arm bei dem nunmehr unbehinderten Abflüsse des Eiters ab. Das All-
gemeinbefinden kehrt mehr und mehr zur Norm zurück. Um dem Ver-
wundeten das Verlassen des Bettes zu gestatten, wird das Glied in einer
Drahtrinne gelagert. Am 8. August ist die Ausheilung unter Abnahme
Lö ffler, Generalbericht. 14
208
der Eiterung sehr vorgeschritten. Der Knochendefect beträgt circa 1 Zoll.
Die Sonde trifft noch auf nekrotischen Knochen. Um die Consolidation zu för-
dern, wird wieder ein Gypsverbaud angelegt. Derselbe wird jetzt gut vertra-
gen. Von Zeit zu Zeit lösen sich Knochenfragmente. Am 20. August Fieber mit
Schmerz im Unterarme au der inneren Seite des oberen Drittheils. Da Beides
anhält und steigt, wird am 22. August in der Schmerzgegend ein Fenster ein-
geschnitten. Es findet sich eine fluctuirende Stelle. Incision ; Abfluss von Eiter,
dem Knochenpartikel beigemengt sind. Schmerzen und Fieber verschwinden
danach rasch. Evacuation nach Apenrade am 26. August. Im September
wiederholt Sequesterablösung. Am 26. September sind alle Wunden ausgefüllt
und der Vernarbung nahe. In dem Gypsverbande vom 8. August, der noch
immer hält, wird Patient nach Spandau evacuirt. Als der Verband Mitte
October hier abgenommen wird, findet sich, dass die Bruchenden nicht fest
verbunden sind. Es gelang auch durch weitere Conteutivverbände bis zum
17. December nicht, die Consolidation herbeizuführen.
Die Behandlung dieses Falles kann, wenn der Gypsverband
benutzt wird, als Muster dienen, und deshalb habe ich die Details
mitgetheilt. Allein, wie schon bei den Schussbrüchen des Oberarmes
bemerkt wurde, die Consolidation der Knochen wird durch den
Gypsverband weder gesichert noch beschleunigt, wenn einmal
grössere und durchgehende Delecte durch die Art der Knochen-
verletzung gesetzt sind. Wenn der eine Knochen, wie im letzten
Falle, unversehrt blieb, so hindert schon dieser die Annäherung
der Bruchenden, durch welche die Consolidation unter Verkürzung
des Gliedes begünstigt werden kann.
Ein anderes Hinderniss der Bruchheilung, die Osteomyelitis,
findet natürlich in dem Gypsverbande ebensowenig ein Gegenmittel.
Bei der Dunkelheit der Ursachen, welche bisweilen selbst bei ein-
facheren Bruchverhältnissen dasselbe erzeugen, ist sogar die Besorg-
niss motivirt, dass die Beschränkung der örtlichen Antiphlogose,
welche mit der frühzeitigen Benutzung des Gypsverbandes verknüpft
ist, zu ihnen gehöre. Bei den Schussbrüchen des Unterarmes von
1864 ist die Knochenheilung nur in einem Falle durch Osteomye-
litis vereitelt. Um das Glied zu retten, musste die Resection im
Ellenbogengelenk zu Hülfe genommen werden.
Fall 137. Schu ssfractur beider Vorderarmknochen im oberen
Drittel. Ausbleiben der Consolidation der ülna. Secundäre
Entzündung des Ellenbogengelenks. Gelenkresection. Hei-
lung. — Jacob Madsen vom 4. dän. I.-R. wurde am 29. Juni auf Alsen
verwundet und in Oster-Satrup (1. schw. F.-L. 3. A.-C. Sect. Lücke) auf-
genommen. Die Kugel hatte das obere Drittheil des linken Unterarmes
durchsetzt. Die Ulna ist circa 1 Zoll unterhalb des Gelenkes, der Radius
209
\ Zoll tiefer fracturirt. Keine Splitterung. In den ersten Tagen Schienen-
verband, um das Gelenk leichter im Auge zu behalten. Es blieb shmerz-
los bei Bewegungen. Am 3. Juli Gypsverband, der gut vertragen wird.
Hartnäckiger Durchfall. Bei der Erneuerung des Verbandes am 20. Juli
wurde keine Eitersackung vorgefunden. Anfangs August reichliche, aber
gute Eiterung; die Granulationen im Fenster etwas vorquellend. Die Sonde
trifft auf die entblösste Ulna und eine vertiefte Rinne an derselben. Lokal-
bäder mit Pottasche. Trotz reichlicher Eiterung bleibt das Allgemein-
befinden gut. Die entblösste Knochenstelle bedeckt sich mit Granulationen.
Bei der Abnahme des Gypsverbandes am 16. August findet sich die Fractur
des Radius consolidirt, die der Ulna nicht. An der Innenseite des Ober-
armes ist die Haut über einem Eiterdepot, welches mit der innern Schuss-
öfTnung communicirt, geröthet. Zwei Incisionen; Drainage; Breiumschlag.
Am 20. August teigige und schmerzhafte Schwellung der Gelenkgegend
bei mässigem Fieber. Von der äusseren Schussöffnung aus trifft die Sonde
auf ein nekrotisches Knochenfragment dicht unter dem Proc. coronoideus
Ulnae. Extrahirt erweist es sich als nekrotisirter Osteopbyt. Incisionen.
Die Schwellung am Gelenk mindert sich danach unter fortdauernder
starker Eiterung aus den Incisionswunden. Am 28. August wegen Auf-
lösung des Lazarethes in Oster -Satrup Evacuation nach Apenrade. Am
2. September stärkere Schwellung des Gelenkes; sehr starke Eiterung.
Fluctuation im Gelenk nicht erkennbar, grosse Empfindlichkeit gegen Druck
auf die innere Seite. Am 5. September Durchschneidung der Hautbrücke
zwischen der inneren Schussöffnung und der früheren Incision am Ober-
arm. Schmerz und Eiterverlust bewirken ein bedeutendes Sinken der
Kräfte. Am 13. September wird durch Incision einer fluctuirenden Stelle
an der äusseren Seite des Olecranon eine grosse Menge Eiter entleert.
Bei Bewegung des Armes deutliche Crepitation; die Gelenkenden lassen
sich weit an einander verschieben. Die Ausführung der nunmehr be-
schlossenen Gelenkresection musste wegen des Eintrittes einer rechtseitigen
Pneumonie verschoben werden. Am 19. September war die Lungenent-
zündung bei exspectativer Behandlung in das Stadium der Lösung getreten.
Die Resection wurde nun gemacht (Chefarzt Dr. Schilling). Gelenk-
kapsel und Knorpelflächen finden sich theilweis zerstört. Ausser den
oberen Enden der Vorderarmknochen wird die Epiphyse des Humerus ab-
getragen. Das Präparat zeigt (nach der Mittheilung des Herrn Professor
Lücke 1. c. pag. 138), dass die Fractur des Radius geheilt und der
Knochen gesund ist; an der Ulna eine Pseudarthrose nicht ganz 1 Zoll
unterhalb des Proc. coronoideus, das obere Ende osteoporotisch mit vielen
Knochenauflagerungen bis in das Gelenk hinein besetzt; die Gelenk-
flächen rauh. Das Allgemeinbefinden besserte sich schnell, nachdem die
Residuen der Pneumonie beseitigt waren. Ende September stiessen sich
von den Sägeenden kleine nekrotische Stücke ab. Die übrigen Wunden
heilen so gut, dsss am 6. October ein gefensterter Gypsverband angelegt
werden konnte. Am 17. October wird er abgenommen. Die Incisions- und
Schusswunden fast vernarbt; die Operations wunde mit guten Granulationen
14*
210
gefüllt. Ein neuer Gypsverband stellt das Glied in einen fast rechten
Winkel. Am 27. October Abnahme des Verbandes, weil Patient über schmerz-
haften Druck klagt und der Arm etwas schwillt. Neuer Verband am
30. October. Er mass jedoch am 12. November wieder entfernt werden,
weil das Hervorquellen der Wundränder in den Fenstern auf erneute Schwel-
lung des Armes deutet. Unter Fieber entwickelt sich an der vorderen
Seite des Oberarmes circa 3 Zoll über der Gelenkstelle Fluctuation. Am
15. November entleert eine lncision viel Eiter. Am 17. November Eröff-
nung eines Abscesses an der hintern Seite des Oberarmes. Sonde führt
nicht auf Sequester. Cataplasmen. Durch Gangränescenz der Ränder der
letzten Incisionswunde entsteht eine fast thalergrosse missfarbige Eiter-
fläche. Lagerung des Armes anf einen Luftkissen; Verband mit Campher-
wein. Baldige Reinigung der Wunde.
Am 15. December wurde Patient von dem Cantonnements-Lazareth des
2. Schles. Gren.-Reg. No. 11 in Flensburg übernommen. Die Ausheilung
der Wunden ist seitdem nicht mehr gestört worden, obwohl noch kleine
Sequester sich ablösten. Im Februar 1865 war die Vernarbung vollständig.
Patient erholte sich mehr und mehr und konnte am 23 März völlig wohl
nach Copenhagen entlassen werden. Zustand des Gliedes: Massige
Atrophie der Schultermuskulatur. Linker Oberarm und Ellenbogengegend
haben einen um 5 Ctm. geringeren Umfang als rechts. Am Unterarm und
Hand ist der Muskelschwund geringer. Normales Gefühl in den Fingern.
Das untere Ende des numerus ist durch eine 3 Ctm. lange weiche elasti-
sche Zwischensubstanz mit den Vorderarmknochen verbunden. Sich selbst
überlassen hängt der Arm in einem Winkel von 160° zwischen Pro- und
Supination. Active Beugung und Streckung im Ellenbogen unmöglich.
Passiv lässt sich der Unterarm bis zu einem spitzen Winkel beugen, über-
haupt mit Leichtigkeit nach allen Richtungen bewegen und drehen —
Schlotterverbindung. Der Unterarm bedarf ständigerl Unterstützung. Die
activen Bewegungen der Hand und der Finger sind noch beschränkt und
schwach.
Die Möglichkeit der Correctur durch einen Stützapparat und die
Aussicht auf spätere Kräftigung der Muskulatur besonders der Hand
und der Finger lassen dieses Resultat ohne Frage als einen Triumph
der conservirenden Kunst erscheinen, da es kaum einem Zweifel
unterliegt, dass in diesem Falle ohne die Gelenkresection das Leben
nur durch die Amputation zu wahren gewesen sein würde. ' Ich
habe ihn ausführlicher mitgetheilt, um denjenigen Collegen, welche
nicht Gelegenheit hatten, dergleichen Kuren von Anfang bis Ende
zu verfolgen, ein einigermassen treues Bild der Sorgen und Mühen
zu geben, welche auch bei den Schussbrüchen der oberen Extremi-
täten die Aufmerksamkeit und die Geduld des Feldarztes heraus-
fordern. Der Gypsverband erleichtert einige derselben; andere
werden durch ihn gesteigert. Selbst bei grosser Vorsicht im An-
211
legen des Verbandes schafft derselbe leicht ein Hinderniss des freien
Eiterabflusses und damit Sackungen des Eiters, welche um so übler
sind, weil auch der Geübtere nicht immer sicher ist, ihre Ent-
stehung trotz der Verhüllung des Gliedes rechtzeitig zu erkennen.
Ueberblickt man schliesslich noch einmal das in der Feld-
praxis von 1864 bei den Schussbrüchen der Diaphysen der Unter-
armknochen mittelst der ausnahmslos versuchten Conservativkur er-
zielte Resultat, so stellt sich heraus, dass man unter 61 Fällen
2 mal (circa 3 pCt.) das Glied nachträglich opferte, um das Leben zu
erhalten und dass man ebenso oft eine Conservativoperation — die
Resection — zu Hülfe nahm. Unter den 90 pCt. Heilungen sind 88,
in denen Leben und Glied erhalten wurde.
E. 4. Knochen-Schüsse der Hand.
Ueber die 3 Fälle, in welchen Abreissung resp. Zermalmung
der Hand durch schweres Geschütz zur sofortigen Absetzung ge-
nöthigt hat, ist bereits berichtet worden (V. oben sub A.). Die
Schuss Verletzungen des Handgelenkes und die Betheiligung der
Handknochen an denselben werden im nächsten Abschnitte bespro-
chen werden. Ausserdem sind 79 Verwundete gepflegt worden,
denen die Knochen der Hand resp. die kleineren Gelenke durch
Projectile verletzt waren. Die nachstehende Tabelle giebt eine
Uebersicht der Schussbrüche der Hand
nach Sitz, Nationalität, Kurart und Ausgang.
Tabelle XIV.
Ort der
Verletzung
Zahl der Veiw.
Kurart
Sum
ma
nicht operativ
primäre
Amputation
secundäre
Amputation
der Geheilt.
der Gestorb.j
Zahl
geh. gest.
Zahl geh.
gest.
Zahl
geh.
gest.
Handwurzel u. ) Pr.
Mittelhand f Dan.
21
13
19
12
17
11
2
1
1
1
1
1
1
19
11
2
2
Summa
34
3t
28
3
1
1
2
1
30
4
^ \ DI«.
36
9
80
3
30
2
1
3
4
3
4
3
2
3
2
36
8
1
Summa
45
33
32
1
7
7
5
5
44
1
Handknochen j Pr.
überhaupt ( Dan.
57
22
49
15
47
13
2
2
4
4
4
4
4
3
4
2
1
55
19
2
3
Summa totalis
79
04
60
4
b
ö
7
6
1
74
5
212
Schussverletzungen der Handwurzelknochen ohne Betheiligung
des Handgelenkes oder der Mittelhand sind ziemlich selten. Die
wenigen (2), welche 1864 beobachtet wurden, sind deshalb in vor-
stehender Tabelle mit den Verletzungen der Mittelhandknochen
vereint.
Das bekannte Gesetz der Abnahme der Lebensgefahr der Schuss-
verletzungen mit ihrer Entfernung vom Stamme wird durch jene
Zahlen bestätigt. Allgemeineren Vergleichswerth haben in dieser
Beziehung natürlich nur die Zahlen der Preussen, da die der Dänen
nur einen vermuthlich kleinen Theil der auf feindlicher Seite vor-
gekommenen Verwundungen dieser Categorie repräsentiren. Von
den 57 verwundeten Preussen sind 2 = 3,5 pCt. gestorben. Das Ge-
setz gilt sogar innerhalb der Gruppe. Von 21 Knochverletzungen
der Handwurzel und Mittelhand sind 2 = 9,5 pCt., von den 36 Finger-
knochen-Schüssen ist keiner tödtlich verlaufen.
Diese Verletzungen gehören denn auch zu den älteren Gebieten
der conservirenden Chirurgie. Auch 1864 hat man dieser möglichst
gehuldigt, namentlich bei den Schüssen des Carpus und Meta-
carpus, obwohl es sich zum Theil um recht erhebliche Verletzungen
handelte. In der Mehrzahl der Fälle waren mehrere, in einigen
alle Mittelhandknochen verletzt. Nur in einem Falle Hess sich ein
primärer verstümmelnder Eingriff (Exarticulation des Daumens
im Carpo-Metacarpus-Gelenke) wegen Zerschmetterung des 1. und
2. Mittelhandknochens und der angrenzenden Handwurzelknochen
mit ausgedehnter Zerreissung der Weichtheile durch Granatsplitter
nicht umgehen. Die Mitverletzung der Handwurzelknochen verzö-
gerte nicht bloss die Ausheilung, sondern hinterliess auch in Folge
secundärer Entzündung des Handgelenkes Steifheit des letzteren.
Nichtsdestoweniger blieben die 4 erhaltenen Finger für den Ver-
wundeten ein nützlicher Besitz. (Pionier Friedrich Grisse vom
7. Pionier-Bai, am 18. April verwundet, in Glücksburg aufge-
nommen.)
Ein anderer Fall, in welchem der Granatsplitter selbst, unter
ausgedehnter Zerreissung der Weichtheile, jene Verstümmelung —
Abreissung des Daumens — gemacht hatte, endete im Lazarethe
zu Broacker 5 Wochen nach der Verwundung mit dem Tode durch
Pyämie. (Musk. Friedrich Wruck vom 60. Inf.-Reg., am 18. April
verwundet.) Auch der Trismus hat ein Opfer gefordert, während
die Finger- Verletzungen 1864 von ihm ganz verschont blieben.
213
Fall 138. Zerschmetterung der Basis des 4. und 5. Mittelhand-
knochens und des Os haraatum. Trismus. Neurotomie. Tod.
— Füsilier Karl Bütow vom 24. Inf.-Regiraent erhielt am 18. April eine
Kugel, welche die Verbindung des 4. und 5. Mittelhandknochen mit dem
Carpus der rechten Hand von der Dorsal- nach der Volarseite durchschlug,
die Basis jener beiden Knochen und das Os hamatum zertrümmerte. Bei
einfacher Lagerung unter der Eisblase blieb die entzündliche Reaction sehr
gering. Eine besondere Schmerzhaftigkeit bestand nicht. Die Eiterung
entwickelte sich durchaus normal. Am 2. Mai Abends stellten sich die
Symptome des Trismus ein, denen schon am folgenden Tage tetanische
Anfälle folgten. Anästhesi eim Endgebiete des N. ulnaris Hess auf eine Lä-
sion dieses Nerven schliessen. Mau versuchte deshalb, durch die Durch-
schneidung seines Stammes in der Rinne am Cond. int. Humeri einzu-
greifen. Die Neurotomie blieb wirkungslos. Subcutane Injectionen von
Morphium wirkten mildernd auf die Anfälle. Aber schon am 8. Mai er-
folgte der Tod' während eines solchen. Bei der Section fand man nach
dem Berichte des Herrn Dr. Heine (1. c. pag. 120) den Stamm des N. ul-
naris an der Schnittstelle völlig getrennt, die Schnittenden nicht geschwollen,
auch überhaupt den Nervenstaram bis zur Mitte des Unterarms herab, abge-
sehen von einer Hyperämie seiner Gefässe, nicht krankhaft verändert. Der
untere Theil desselben war von Eiter umspült, aber gleichfalls gesund. Der
Ramus dorsalis über dem unteren Ende der Ulna quer abgerissen. Der
Ramus volaris superficialis war nur theilweise getrennt, der erhaltene Theil
aber an der Verletzungsstelle missfarbig und brüchig. Das Rückenmark
zeigte ausser einiger wahrscheinlich hypostatischer Injection seiner Häute
keine Abnormität. Eiter im Handgelenk. Auch im Ellenbogengelenk fand
sich suppurative Entzündung in Folge einer Kapselverletzung bei der sub-
cutan (!) ausgeführten Neurotomie des Ulnaris.
Blutungen aus den Gefässbögen der Hohlhand, welche die
Stich- und Schnittwunden der Hand so oft compliciren, sind bei
den Schussverletzungen nur selten vorgekommen. In dem folgenden
Falle liess man sich durch eine arterielle Spätblutung der
Art bestimmen, das Glied zu opfern.
Fall. 139. Kartätschschuss durch Handwurzel und Mittelhand.
Arterielle Spätblutung. Amputation des Unterarms. Heilung.
— Der Gefreite Heinrich Pieper vom 15. Inf.-Reg. erhielt vor Missunde
am 2. Februar einen Kartätschschuss durch die linke Hand und wurde in
Eckernförde aufgenommen. Das Geschoss war c. 1" unter dem Hand-
gelenk von der Dorsal- nach der Volarseite durchgedrungen und hatte die
Basis der 3 mittleren Mittelhandknochen und die angränzenden Knochen
der Handwurzel zertrümmert. Das Handgelenk war unverletzt. Der Ver-
lauf gestaltete sich, — anfänglich unter Eis, später im Wasserbade, —
sehr günstig. Am 12. Februar wurden einige Knochenfragmente von der
Dorsalöffnung aus extrahirt. Am 15. Februar musste eine fluctuirende
Stelle am 5. Mittelhandknochen incidirt werden. Die Wunde füllte sich
214
gut mit Granulationen. Am 28. Februar plötzlich heftige arterielle
Blutung aus der Volarwuude, welche nur mit Mühe durch Compression
gestillt wird. Sie kehrte auch in den nächsten Tagen mehrmals wieder.
Am 5. März wurde deshalb der Unterarm in der Mitte amputirt. Die
Ausheilung der Operationswunde erfolgte ungestört; völlige Vernarbung
erst im Juni nach Ablösung einiger Sequester.
Um das Leben zu retten, wurde das Glied geopfert, weil die
Unterbindung der A. brachialis bei den Blutungen aus den Gefäss-
bögen der Hohlhand ein unsicheres Mittel ist. Der folgende
Fall fordert jedoch auf, vor der Amputation ein anderes nicht un-
versucht zu lassen.
Fall 140. Gewehrschuss durch Handwurzel und Mittelhand. An-
haltende Primärblutung. Unterbindung der A. radialis und
ulnaris über dem Handgelenk. Heilung. — Lieut. Gustav S. vom
Füsilier-Regiment 35 wurde am 11. April vor Düppel verwundet und in
das Johanniter-Spital zu Nübel aufgenommen. Die Kugel hat die rechte
Hand in querer Richtung von der Basis des 1. Mittelhandknochen nach
dem Ballen des kleinen Fingers durchsetzt und dabei das os multangulura
majus und minus und den 3. Mittelhandknochen fracturirt. Bestäüdiges
Blutsickern aus beiden Schussöffnungen. Digitalcompression der A. ra-
dialis und ulnaris hält das Bluten an, jedoch nur für die Dauer der Com-
pression. Die Application des Eisbeutels bleibt ohne Erfolg. Bedeutende
Infiltration der Hand. Am 12. April Unterbindung der A. radialis und
ulnaris dicht über dem Handgelenk. Das Glied wird frei und erhöht ge-
lagert, später in einer Drahtrinne. Die Blutung ist nicht wiedergekehrt.
Am 20. April lösten sich die Unterbindungsfäden. Der weitere Verlauf
des Heilungsprocesses blieb ungestört. (Vgl. Ressel 1. c. pag. 122.)
Die noch mangelnde Erweiterung der Gefässe an der Ver-
letzungsstelle und die durch längere Eiterung noch nicht vermin-
derte Plasticität des Blutes begünstigten zwar in diesem Falle das
Gelingen der Blutstillung durch die Doppelligatur und deshalb ga-
rantirt er nicht denselben Erfolg bei Spätblutungen. Zeigt sich
jedoch bei letzteren, dass sie sich durch die Compression der beiden
Adern beherrschen lassen, so ist es, glaube ich, Pflicht, die Unter-
bindung derselben zu versuchen, ehe man amputirt. Aber man
sollte niemals viel Zeit verlieren durch die hier fast stets nutzlosen
Tamponirungsversuche, um nicht durch grösseren Blutverlust das
Blut selbst zur Thrombenbildung unfähiger werden zu lassen.
In der erhöhten Lage auf einer Unterarm und Hand stüt-
zenden Schiene, der consequenten Application der Kälte während
der ersten siebentägigen Periode nach der Verwundung, dem per-
manenten Wasserbade in der Eiterungszeit besitzt die conser-
215
vative Chirurgie sehr wirksame Hülfen, um den Verlauf der frag-
lichen Verletzungen günstig zu gestalten. Dennoch erheischt die
bekannte durch die anatomische Structur der Hand bedingte Dis-
position zu fortgepflanzten Entzündungen und Eitersackungen be-
sondere und stetige Aufmerksamkeit, um den richtigen Zeitpunkt
zum Gebrauche des Messers behufs der Entspannung und der Siche-
rung freien Eiterabflusses nicht zu versäumen. Beschränktere Ver-
letzungen erheischen in dieser Beziehung sogar mehr Vorsicht als
grosse durchgehende Schusskanäle, besonders wenn sie die kleinen
Gelenke berühren. Bei ungünstiger Spitalsconstitution ist selbst
das Leben bedroht, wenn man sich auch nachträglich entschliesst,
das Glied zu opfern.
Fall 141. Schussfractur der unteren Gelenkenden des 2. und
3. Mittelhandknochen. Späte Amputation des Unterarmes.
Tod durch Septicämie. — Peter Riis vom 18 dän. Inf. -Reg. wurde
am 29. Juni auf Alsen verwundet und in Glücksburg aufgenommen.
Das Geschoss hatte streifend die Gelenke zwischen dem 2. und 3. Mittel-
handknochen der linken Hand und den betreffenden Fingern eröffnet und
die Gelenkenden jener Knochen angesplittert. Anfangs Eis; später Kata-
plasmen, permanentes Wasserbad, welchem Kali hypermanganicum zuge-
setzt wurde, weil das Wundsecret sehr stinkend war. Am 16. Juli wurde
ein Eiterdepot an der äusseren Seite des Handgelenkes eröffnet; in den
nächsten Tagen weitere Incision an der inneren Seite und am Hand-
rücken. Dabei tägliche Frostanfälle, welche dem Chinin nicht weichen.
Am 21. Juli hat die eitrige Infiltration die Mitte des Unterarmes erreicht.
Das Sinken der Kräfte erheischt einen entscheidenden Eingriff. Der Unter-
arm wird deshalb im oberen Dritttheil mittelst Lappenschnitt amputirt,
wobei der Blutverlust sehr gering bleibt. Am 24. Juli wird die Operations-
wunde missfarbig; nirgends ist die durch Nähte versuchte prima intentio
gelungen. Dünnes graues Secret. Nach mehrtägiger Pause kehrt am
25. Juli ein Frostanfall wieder, dem schnell Delirium und Tod folgen. Bei
der Section zeigt sich, dass der brandige Zerfall der Gewebe bis zur
Schulter reicht. Die inneren Organe bis auf grosse Anämie normal.
Die conservative Chirurgie verlangt, dass derartige Verletzungen
nach den nämlichen Grundsätzen behandelt werden, welche für die
grösseren Gelenke Geltung haben, — selbst die prophyl actis che
Incision und die primäre Resection nicht ausgeschlossen.
Wenn jene kleinen Gelenke für die Unterschätzung ihrer Ebenbür-
tigkeit sich nicht öfter rächen, so kommt dies bloss daher, dass sie
durch die Projectile selbst in der Regel gründlich genug zerstört
werden.
Noch ein derartiger Fall (Friedrich Andresen vom 4. dän.
216
Inf.-Reg., am 29. Juni verwundet) ist tödtlich verlaufen, jedoch
unter Mitwirkung des Typhus. Der Schuss hatte die oberen Enden
mehrer Mittelhand knochen zersplittert und die Verbindungen mit
den Handwurzelknochen eröffnet. Ausser Eitersackungen erfolgte
secundär suppurative Entzündung des Handgelenkes. Die Amputa-
tion unterblieb wegen des gleichzeitigen typhösen Zustandes. Der
Verwundete starb 43 Tage nach der Verwundung. Bei der Section
fanden sich im Darm die unzweifelhaften Producte des Typhus ab-
dominalis.
Aber es bedarf nicht einmal der Rücksicht auf drohenden Ver-
lust des Gliedes oder selbst des Lebens, um die Frage zu rechtfer-
tigen, ob nicht der Verlauf mancher Verletzungen der Art durch
entsprechende operative Hülfen günstiger zu gestalten sei. Die
Dauer der Eiterungszeit, die Schwächung, welche der Verwundete
durch ein langes und schmerzhaftes Wundlager erleidet, die Zer-
störung und Verlöthung der sehnigen Gebilde, welche schliesslich
resultiren und die Gebrauchsfähigkeit des mühevoll conservirten
Gliedes in Frage stellen, legen an und für sich diese Erwägung nahe.
Fall 142» Schusszertrümmerung des 3. und 4. Mittelhandknochen.
Heftige örtliche und allgemeine Reaction. Evidement. Hei-
lung. — Jens Larsen vom dän. 16. Inf.-Reg. erhielt am 18. April einen
Schuss durh die rechte Mittelhand. Das Geschoss war an der Dorsalseite
des 3. Mittelhandknochen ein-, am Ulnar-Rande des 5. ausgetreten und
hatte den 3. und 4. Mittelhandknochen ausgedehnt zertrümmert. Sehr
bald trat starke Schwellung der Hand unter lebhaftem Fieber ein. In
Baurup (Laz.-Sect. Lücke) wurde anfangs Kälte, vom 25. April ab
warmer Breiumschlag angewandt. Starke Geschwulst neben reichlicher,
aber dünner und missfarbiger Eiterung. Bis zum 30. April hatten sich
einige kleine Knochenstücke gelöst. Aber die Infiltration erstreckt sich
über den Unterarm; das Allgemeinbefinden ist schlecht. Permanentes
Warmwasserbad. In der ersten Dekade des Mai wurden mehrere Incisionen
am Handrücken und am Handgelenk gemacht, um Eiterdepots zu entleeren.
Das Fieber steigt, Appetit und Schlaf fehlen.
Am 13. Mai wurde in der Chloroformnarkose ein Einschnitt über dem
4. Mittelhandknochen gemacht und kleinere und grössere Knochenfragmente
unter möglichster Schonung des Periostes mittelst des Hohlmeissels ent-
fernt. Die nicht unbeträchtliche Blutung stand bald. Warmwasserbad.
Das Allgemeinbefinden bessert sich; die gutartige Eiterung wird geringer.
Ende Mai musste noch ein kleiner Abscess am Ulnarrande der Handwurzel
geöffnet werden. Mitte Juni sind die Wunden der Vernarbung nahe. Pott-
aschenbäder und passive Bewegungen mindern die Versteifung der Finger.
Bei der Entlassung am 4. Juli stand die völlige Brauchbarkeit der Hand
in Aussicht.
217
Die Zukunft muss lehren, in wie weit derartige Operationen,
primär ausgeführt, sich als nützliche Gefährten des Eises bewähren
werden, nm milderen und einfacheren Verlauf der fraglichen Ver-
letzungen zu sichern und brauchbarere Hände zu conserviren. Es
bedarf wohl nicht mehr der ausdrücklichen Warnung gegen die
Vornahme derselben im Stadium der entzündlichen Reaction.
Unter allen Schussbrüchen bedrohen die der Finger das Leben
am wenigsten. Von unsern Verwundeten ist keiner in Folge eines
solchen gestorben, und bei dem dänischen Soldaten (Peter An-
dersen vom 4 Inf.-Reg.), welcher am 29. Juni einen Schuss durch
den rechten Daumenballen mit Zersplitterung der 1. Phalanx erhielt
und am 21. Juli im Lazarethe zu Glücksburg an einer Pleuritis
der rechten Seite starb, ist wenigstens der Causalnexus zwischen
diesem Todesprocesse und der Verwundung nicht constatirt, obgleich
die eitrige Infiltration bis zur Mitte des Vorderarmes, welche den
Verlauf complicirte, einen solchen vermuthen lässt.
Das Conserviren kann sich somit bei diesen Verletzungen
ziemlich schrankenlos geltend machen; es fragt sich nur, in wie
weit es wahrhaft nützlich ist, von dieser Freiheit Gebrauch zu
machen.
Wo völlige Zermalmung ganzer Finger oder einzelner Pha-
langen, wie sie nicht selten durch Granatstücke bewirkt wird, vor-
liegt, wird kein Feldarzt es für weise halten, einem wochenlangen
Eliminationsprocesse zu überlassen , was sein Messer in wenigen
Sekunden zu thun vermag. Derartig waren denn auch die 7 Fälle
primärer Exarticulation, welche Tabelle XIV nachweist. Es wur-
den einmal beide Daumen-Phalangen, einmal bloss die zweite, ein-
mal der Zeigefinger, der vierte Finger einmal ganz, der dritte und
vierte Finger je einmal im Gelenke zwischen 1. und 2. Phalanx
exarticulirt. Am stärksten war die Verstümmelung bei dem Gre-
nadier L ah mann vom 4. G.-G.-Reg., welchem am 3. April vor
Düppel die rechte Hand durch ein Granatstück so zerschmettert
wurde, dass die 4 ersten Finger sofort exarticulirt werden mussten.
Die Erhaltung des fünften gelang.
In 5 anderen Fällen gelang die versuchte Erhaltung nicht
wegen eintretender Gangrän. Secundär wurden deshalb exarticu-
lirt der 2., 3. und 4. Finger je einmal ganz, der Zeigefinger zwei-
mal in dem Gelenke zwischen 1. und 2. Phalanx.
Unpraktisch dagegen scheint mir der Rath, unter allen Um-
218
/
ständen an den Fingern zu conserviren, was sich irgend erhalten
lässt. Durch bisweilen recht erhebliche und langwierige Leiden
wird dem Verwundeten mitunter ein Finger erhalten, der nicht bloss
selbst unbrauchbar ist, sondern auch den Gebrauch der Hand sehr
beeinträchtigt, — ganz abgesehen davon, dass die fortgeleiteten
Entzündungen und Eiterungen schon während der Conservativkur
die eventuelle Brauchbarkeit der übrigen nicht verletzten Finger in
Frage stellen können.
Dem Füsilier Christian Schulz vom Leib-Gr.-Regiment 8
wurde am 18. April durch einen Granatsplitter die erste Phalanx
des rechten Zeigefingers nebst dem Gelenke zwischen ihr und dem
entsprechenden Mittelhandknochen zertrümmert. Der Finger hing
nur noch an den nicht ganz durchtrennten Weichtheilen seines
Ulnarrandes. Man versuchte die Anheilung, und sie ist gelungen.
Der conservirte Finger aber stand völlig steif und nach der Hohl-
hand hin verkrümmt. Er war so äusserst hinderlich im Gebrauche
der Hand; aber der Mann hatte nicht Neigung, nach dem eben
überstandenen ein zweites Wundlager durchzumachen uud verzichtete
deshalb auf die ihm offerirte nachträgliche Exarticulation.
Es sind noch einige Fälle ähnlicher Art vorgekommen; aber
auf dergleichen Triumphe muss die Kunst, glaube ich, im Interesse
der Verwundeten verzichten. Jener Rath ist auch nur durch die
ausgedehnten Verstümmelungen inspirirt, bei denen man in der
That sagen kann, dass jedes noch so dürftige Stückchen, welches
erhalten wird, ein Gewinn sei.
Die auch bei den Fingerschüssen wichtige Regel, während der
intermediären Periode nicht zu amputiren, ist 1864 befolgt. Alle
Finger-Absetzungen sind deshalb glücklich verlaufen.
F. 1, Schussverletzungen des Handgelenks.
Das Handgelenk wird verhältnissmässig selten von den Projectilen
verletzt. Abgesehen von den (3) bereits besprochenen Zermalmun-
gen der Hand durch Granatsplitter, habe ich preussischer Seits nur
7 Fälle der Art (=1,1 pCt, der Arm-, 4,3 pCt. der Handschüsse)
constatirt. Dazu kommen 2 bei dänischen Soldaten. Ausnahmslos
wurde die Conservirung der Hand versucht. Das Resultat — tödt-
licher Ausgang in 3 Fällen (33,3 pCt.), darunter 1 nach secundärer
Amputation des Oberarmes — legt die Frage nahe, ob nicht dem
Conservirungsstreben eine zu weite Concession gemacht, oder ob
219
und in wie weit die conservirende Praxis einer Vervollkommnung
fähig sei. Von dem Mittel wenigstens, welches bei der Conservativ-
kur der Ellenbogengelenk- und Schultergelenkschüsse 1864 eine,
wie man sehen wird, sehr bedeutende Rolle gespielt hat, der Ge-
lenk- Resectio n, ist bei dem Handgelenke gar nicht Gebrauch
gemacht worden.
Die Verletzungen des Handgelenkes waren mit nur einer
Ausnahme zugleich Knochenverletzungen.
Fall 143. Handgelenkkapsel-Schuss. Heilung mit Ankylose. —
Unteroffiz. Friedrich Lösch vom Leib- Gren. -Reg. 8 erhielt am 28. März vor
Düppel einen Schuss an der rechten Handwurzel. Das Projectil war nur
eingedrungen am Ulnarrande oberhalb des 5. Mittelhandknochen und wurde
sofort extrahirt. Eine Knochenverletzung war nicht nachweisbar. In Flens-
burg wurden Eisumschläge gemacht, am 2. April die Wundöffnung dilatirt,
um bei der Schwellung den Abzug des Wundsecretes zu sichern. Am
10. April kam der Verwundete durch Evacuation nach Rendsburg. Er
fieberte lebhaft und hatte heftige Schmerzen in dem stark geschwollenen
Gliede. Das Oedem reichte bis zur Mitte des Vorderarmes; die Wund-
ränder sind weithin unterminirt. Eine Knochenverletzung ist nicht zu
finden. Spaltung der unterminirten Haut nach oben; Chamillenfomente.
Trotz augenblicklicher Besserung wird bis Ende Juni ein unaufhörlicher Kampf
mit den bis hoch am Unterarm an der Streck- wie an der Beugeseite hin-
aufreichenden Eiterinfiltrationen nöthig. Mit der Zeit werden 14 Incisionen
gemacht. Wiederholt stellen sich bedenkliche Erscheinungen ein, welche
eine septicämische Affection fürchten lassen, und die Kräfte sinken in Folge
des profusen Eiterverlustes in dem Grade, dass die Amputation unver-
meidlich erscheint. Die Isolirung des Verwundeten und die Placirung
desselben im Freien, soviel es die Witterung gestattet, helfen ihm indess
über alle Gefahren hinweg. Anfangs Juli werden alle Wunden reiner, die
jauchige Eiterung wird besser und geringer. Eine rasche Ausfüllung mit
Granulationen und Vernarbung folgt. Ende Juli entleert sich aus der
wiederaufbrechenden Schussöffnung ein kleines nekrotisches Knochenstück.
Am 10. August wurde der Knanke nach Rehme geschickt. Er kam dort
schwach und anämisch an. Die Arm- und Handmuskeln fast vollständig
atrophirt, die Hand ödematös, das Handgelenk ankylotisch, alle Finger
versteift. Nach 40 Bädern war vollständige Kräftigung erzielt, das Oedem
der Hand geschwunden, die Flexionen der Finger fast normal. Nur das
Handgelenk blieb steif.
Die Verletzung hat offenbar im Anfange als bedeutende nicht
imponirt. Der Fall zeigt, dass auch das Handgelenk auf geringe
Verletzungen seinen grösseren Genossen ziemlich ebenbürtig reagirt.
In den übrigen 8 Fällen war die Mitläsion der Knochen unzweifel-
haft, jedoch sehr verschiedenen Grades. Ich lasse sie eine kurze
Revue passiren.
220
Fall 144. Gewehrschuss durch das Handgelenk. Sehr milder
Verlauf. Heilung mit Ankylose. — Füsilier August Madel vom
60. I.-R. wurde am 18. Februar am rechten Handgelenk verwundet. Die
Kugel hatte das Gelenk schräg von der Ulnarseite der Rückenfläche nach
der Radialseite der Vola durchsetzt, die Epiphysen des Unterarmes nicht
verletzt, die Handwurzelknochen wenigstens nicht comminutiv fracturirt.
Rasche und starke Schwellung trat ein, wurde aber durch Eis bei ruhiger
Lagerung glücklich bekämpft. Im permanenten Wasserbade, welches
später mehre Wochen hindurch benutzt wurde, verlief die Ausheilung
ohne Störung. Ende März Vernarbung vollendet. Das Handgelenk anky-
losirte.
Fall 145» Gewehrschuss durch das Handgelenk mit Abspren-
gung der Proc. styloidei. Milder Verlauf. Heilung mit Anky-
lose. _ Musketier Bernhard Plenter vom 53. I.-R. erhielt am 18. April
eine Kugel, welche das Handgelenk quer von der Ulnar- nach der Radial-
seite durchschlug, die Arterien nicht verletzte, die Proc. styloid. absprengte,
die Handwurzelknochen streifte. In Stenderup (1. F.-L. 6. Div.) wurde
sofort das permanente Wasserbad angewandt und — vom 29. April ab in
Baurup — bis zum 20. Mai consequent fortgesetzt. Anfangs lebhafte
örtliche und allgemeine Reaction. Später profuse Eiterung. Am 26. Mai
gefensterter Gypsverband mit Freilassung der Finger behufs passiver Be-
wegungen. Die Ausheilung war Mitte Juni beendet. Das Handgelenk war
vernichtet.
Trotz anfänglich lebhafter Reaction verliefen diese durchdrin-
genden Gelenkschüsse ohne Eitersackungen im permanenten Wasser-
bade sehr günstig. Ist die Knochenverletzung bedeutender, so ge-
staltet sich der Verlauf misslicher, weniger, wenn bloss die Hand-
wurzel, mehr, wenn zugleich die Unterarm-Epiphysen betheiligt sind.
Fall 146. Gewehrschuss durch das Handgelenk mit Splitterung
der Handwurzelknochen. Eitersenkungen. Heilung mit Anky-
lose. — Musketier Karl Colberg vom 64. I.-R., am 29. Juni verwundet.
Die Kugel hat von der Dorsal- nach der Volarseite gerade durchgeschlagen
und die articulirenden Handwurzelknochen gesplittert. Einige ganz gelöste
Splitter werden sofort extrahirt. Die lebhafte Reaction wird durch Eis
gezügelt. Dennoch entstehen bald Eitersenkungen nach dem Unterarme, welche
wiederholt Einschnitte erfordern. Von Zeit zu Zeit Entfernung von Knochen-
fragmenten. Erst Ende August beginnt der Vernarbungsprocess. Auch
im September wiederholt sich jedoch noch öfters die Ausstossung kleiner
Sequester, jedes Mal unter erneuter Schwellung der Gelenkgegend. Beim
Eintreffen in Berlin am 19. October bestand nur noch eine kleine eiternde
Stelle an der Volarseite bei vollständiger Ankylose des Handgelenks.
Fall 147. Gewehrschuss durch das Handgelenk mit Fractur der
Epiphysen der Unterarmknochen. Eitersenkungen nach allen
Richtungen. Heilung mit Ankylose. — Larsen Andresen vom
221
2. dän. I.-R. wurde am 18. April verwundet. Der Schuss geht quer von aussen
nach innen -durch mit Zerschmetterung der Epiphysen des Radius und der
Ulna. Heftige und schmerzhafte Reaction. EisbehandluDg in Flensburg bis
zum 10. Mai. Massige Eiterung. Dessenungeachtet und trotz prolongirter
Wasserbäder entstehen Eitersenkungen nach allen Seiten, so dass nach
und nach 6 Incisionen erforderlich werden. Im Juni neue Infiltrationen
am Unterarm, welche mit Breiumschlägen und Incisionen bekämpft werden.
Ende August war die Ausheilung so vorgeschritten, dass A. mit völliger
Ankylose des Gelenkes heimgesandt werden konnte.
Von allen Verletzungen des Handgelenkes, bei denen das Con-
serviren gelungen ist, war die folgende die bedeutendste.
Fall 148. Granatsplitter - Schuss durch das Handgelenk. Hei-
lung. — Musketier Michael Kannchen vom 18. I.-R. wurde am 28. März
bei Düppel verwundet und in Rinkenis (3. schw. F.-L. 3. A.-C. Sect.
Weise) aufgenommen. Der Granatsplitter hat das rechte Handgelenk an
der Dorsalseite getroffen und ist zwischen den Epiphysen der Unterarm-
knochen gerade durchschlagend an der Volarseite ausgetreten. Die Weich-
theile sind namentlich an letzterer umfänglich zerrissen. Zersplitterung
der Epiphysen des Radius und der Ulna, Absplitterung der Carpusknochen.
Bewegung der Finger wegen Verletzung der Beugesehnen aufgehoben. Da
jedoch weder die Art. radialis noch die ulnaris verletzt, auch die Sensi-
bilität der Finger erhalten war, so stand man ab von der Amputation und
legte die Hand sofort in das permanente Wasserbad, welches jedoch,
weil die Weichtheile durch Wasser-Imbibition stark aufquollen, vom 3. April
ab auf die tägliche Dauer von 3 Stunden beschränkt und für die übrige
Zeit durch Chamillenfomente ersetzt wurde. Schwellung und Schmerzen
waren Anfangs sehr heftig. Während der starken Eiterung wurden viele
Knochensplitter allmählig entfernt, und von den zerquetschten Weich-
theilen wurde soviel abgestossen, dass die Wunde ein grosses Loch durch
das Handgelenk darstellte, in welchem die Carpal- Gelenkfläche fast ganz
blosslag. In der zweiten Hälfte des April und im Mai Eitersackungen
in der Vola wie am Handrücken und fortdauernde Elimination kleiner
Knochenstücke, besonders von den Carpalknochen. Dabei ziemlich rasche
Ausfüllung des Wundloches mit Granulationen. Iu Glücksburg, wohin
die Evacuation am 7. Juni erfolgte, fand man bei der Aufnahme beide
Wundöffnungen bereits bis auf kleine Fistelgänge vernarbt. Die Sonde gelangt
auf nekrotischen Knochen. Ein Stückchen wird extrahirt. Die Finger
können ein wenig flectirt und extendirt, etwas besser seitlich bewegt wer-
den. Die hydropathisch umhüllte Hand in einer Drahtrinne tragend, be-
wegt sich Patient im Freien. Wiederholt kommen noch kleine Sequester
zu Tage. Als K. Ende Juli nach Teplitz geschickt wurde, konnte die
Sonde durch den Fistelgang noch ganz durch das verödete Gelenk hin-
durch geführt werden, ohne indess auf Knochen zu treffen. Die definitive
Vernarbung, selbstverständlich mit völliger Ankylose, erfolgte auch erst
Ende October.
222
Das Interessante an diesem Falle ist weniger die glückliche
Richtung, in welcher der Granatsplitter das Handgelenk durchschlug,
und welche das Unversehrtbleiben der Arterien ermöglichte, als
vielmehr der günstige Einfluss, welchen weite Eröffnung des
Gelenkes auf den Verlauf der Gelenkwunden zu üben pflegt. Da
Gewehrkugeln eine solche in der Regel nicht bewirken, so sind die
durch solche gemachten Gelenkverletzungen ceteris paribus gefähr-
licher.
Fall 149. Gewehrschuss durch Handgelenk und Vorderarni-
knochen. Tod durch Pyämie (Thrombose). — Musk. Hugo See-
feld vom 64. Inf.-Reg. wurde am 29. Juni auf Alsen verwundet und in
das Lazareth zu Oster-Satrup (1. schw. F.-L. 3. A.-C; St.-A. Dr. Lücke)
aufgenommen. Die Kugel, an dem ülnarrande des linken Carpus ohne dort
nachweisliche Knochenverletzung eingetreten, schien über dem Handgelenk
ohne Verletzung desselben fortgegangen zu sein und war etwa 2 Zoll über
dem Gelenk mit Zerschmetterung des Radius ausgetreten. Thalergrosse
Austrittsöffnung. Alsbald stellte sich heftiger Schmerz und starke Erre-
gung ein. Am 30. Juni Gypsverband mit grossem seitlichem Fenster;
Bis. Schon am 2. Juli musste der Verband abgenommen werden, weil er
durch die starke Jauchung erweicht war. Da sich ein bis zum Oberarm
reichendes Erythem vorfand, so wurde ein Watteverband mit Schienen
angelegt, am 7. Juli jedoch, da das Erythem abgenommen hatte, ein neuer
Gypsverband. Der Arm schwillt ab, die Wunden reinigen sich. Patient
ist sehr reizbar, verstimmt, hartnäckig obstruirt. Am 18. Juli trat ein
Schüttelfrost ein. Nach Abnahme des Verbandes zeigt sich eine Abs-
cedirung auf dem Handrücken. Incision. Das Handgelenk scheint ganz
frei. Den 19. Juli Unterminirung auf der Streckseite des Vorderarmes.
Incision. 22. Juli Schüttelfrost. Eine am 23. Juli in der Chloroform-
narkose angestellte Untersuchung ergiebt: Comminutivsplitterung des
unteren Radiusstückes, Eröffnung des Handgelenkes und Zer-
malmung der Hand wurzelknochen. Die Ulna scheint bis auf den
Proc. styl, intact. In der Gegend desselben ein Abscess, welcher eröffnet
wird. Das Glied wird nun tagüber in das Wasserbad gelegt. Lebhafte
Fieberung. Schüttelfrost am 25. Juli. An der Ulnarseite schmerzhafte
und geröthete Schwellung. 26. Juli Nachts Schüttelfrost. In der Chlo-
roformnarkose wird ein Abscess an der Ulnarseite, 2 Zoll unter dem Ole-
cranon, geöffnet und aus demselben ein Kugelfragment entnommen. Am
28. Juli häufige Anfälle trocknen Hustens. Gelber Belag der Schussaus-
gangsöffnung. Schwellung am Oberarm. Kurz nach Erneuerung des Ver-
bandes Schüttelfrost. Ebenso am 29. Juli. Am 30. Juli leichte Delirien.
Quälender Husten. Eiterung gering, doch qualitativ gut. Am 31. Juli
starke Athemnoth und Tod.
Section: Ausser den am 23. Juli constatirten Knochenverletzungen
findet sich noch eine Fractur derUlna 2—3 Zoll über dem Handgelenk.
Die Vena basilica ist mit Thromben in eitrigem Zerfalle gefüllt. Im Herzen
223
reichliche feste Gerinnsel; eitriges Exsudat im rechten Brustfellsack, links
spärliche frische Adhäsionen. Beide Lungen mit meist eitrig zerfallenen
Infarcten bis zur Wallnussgrösse durchsetzt. In der rechten Lunge Oedem,
die linke fast durchweg hepatisirt. Leber und Nieren gesund; Milz etwas
vergrössert.
Dieser Fall repräsentirt auf's Reinste die thrombotische
Form der sogenannten Pyämie. Deshalb habe ich ihn so
ausführlich mitgetheilt. Er ist um so interessanter, weil er in
einem von Hospital -Pyämie ganz freien Lazarethe vorkam. Der
Einfluss, welchen die anfängliche und durch die auffallend geringe
Reaction Seitens des Handgelenkes bedingte Unterschätzung der
Tragweite der Verletzung auf den Verlauf geübt hat, bedarf keiner
Erörterung. Wichtiger ist die Frage, ob diese Verletzung, wenn
ihre wirkliche Breite sofort erkennbar gewesen wäre, die Conser-
vativkur gestattet hätte. Man muss , glaube ich , diese Frage be-
jahen. Bei einfacher Lagerung und Fixirung des Gliedes auf einer
Schiene ohne Contentivverband, bei frühzeitiger Benutzung des per-
manenten resp. prolongirten, anfangs kalten, später warmen Wasser-
bades, bei zeitiger Eröffnung aller sich etwa bildenden Eitersackungen,
ganz besonders der im Handgelenke selbst, dürfte es gelingen, auch
solche Fälle zur Heilung zu bringen, wenn man über gute Pflege-
stätten disponirt. Der Versuch der Conservativkur ist um so ge-
rechtfertigter, wenn bei der ursprünglichen Intactheit der Finger-
Sehnen trotz der Ankylose des Handgelenkes eine grosse Brauch-
barkeit der Hand in Aussicht steht.
Nach Stromeyer ist die Amputation indicirt bei Schüssen
durch das Handgelenk in einer seiner grösseren Dimensionen, —
„besonders" wenn die Gewissheit vorliegt, dass die Arteria radialis
oder ulnaris dabei zerrissen worden ist (Maximen, S. 248). Man
kann heute, glaube ich, so weit gehen, zu sagen, auch bei Gewehr-
schüssen durch das Handgelenk in einer seiner grösseren Dimen-
sionen sei die Amputation nicht indicirt, wTofern nicht die Gewiss-
heit vorliegt, dass beide Arterien zerrissen sind.
Um den Erfolg der Conservativkur in so bedeutenden Ver-
letzungen des Handgelenkes zu sichern, scheint ganz besonders die
frühzeitige Anwendung des prolongirten Wasserbades
von einer dem Stadium des Wundverlaufes entsprechenden Tempe-
ratur beachtenswerth. Es hat bei dem Handgelenke keine Schwierig-
Loeffler, Generalbericht. 15
224
keit, zugleich den erforderlichen Grad von Fixirung durch entspre-
chende Lagerung zu erzielen.
Die vorbeugende Behandlung der schweren Glieder -Schüsse
durch Blutentziehungen hat trotz der ihr von Stromeyer
gewordenen Empfehlung unter den jüngeren Feldärzten keine An-
hänger gefunden. Um so mehr Freunde hat die prolongirte Eis-
behandlung. Mit Recht. Ich glaube jedoch, dass das prolon-
girte kalte resp. kühle Wasserbad auch bei anderen als den
Hand -Schüssen dem Eise erfolgreiche Concurrenz machen würde,
wenn es sich ebenso leicht ohne Beeinträchtigung anderer Heil-
bedingungen — Ruhe und erhöhte oder wenigstens horizontale
Lage — ausführen liesse.
Uebrigens ist die leitende Idee für Benutzung des Wasserbades
bei den Verletzungen des Handgelenkes nicht ganz identisch mit
der bei Anwendung der Eisbeutel. Letztere sollen durch anhaltende
Wärmeentziehung die entzündliche Reaction möglichst beschränken.
Derselben Anforderung genügt das Wasserbad, wenn man demselben
die entsprechende Temperatur giebt. Zugleich aber bewirkt es
dauernd, was der Irrigator beim Verbandwechsel periodisch thut,
eine Spülung des Schusskanales — wofern man die durch den
Schuss gesetzten Oeffnungen desselben nicht absperrt durch dichte
Deckverbände, und wenn man frühzeitig künstliche und hin-
reichend weite Oeffnungen anlegt, wo jene für den Spülungs-
zweck nicht ausreichen.
Auch bei dem Handgelenke gehört die Verhütung der eitrigen
Gelenkentzündung nach Schussverletzungen mittelst frühzeitiger und
consequenter Benutzung der Eisbeutel zu den frommen Wünschen,
sobald die articulirenden Knochen mitverletzt sind. Man thut daher
besser, von vornherein nicht darauf zu rechnen. Denn mit dem
Aufgeben dieser Hoffnung tritt von selbst die Aufgabe, der an die
Verhaltung der Entzündungsproducte im Gelenk sich knüpfenden
Gefahr vorzubeugen, in den Vordergrund. Der sub 5 geschilderte
Fall ist in dieser Beziehung sehr belehrend. Da es Regel ist, die
Hand in Pronation zu lagern, so bildet eine weite Schussöffnung an
der Volarseite des Gelenks, wie sie in diesem Falle bestand, ohne
Zweifel die günstigste Bedingung für den Abzug der Secrete. Wo
diese Bedingung, sei es durch den Schuss selbst oder sei es durch
die Kunst, nicht erfüllt wird, bedrohen auch die Verletzungen des
Handgelenks mit geringerer Knochenläsion das Leben — trotz
225
Eisbeutel, trotz des permanenten Wasserbades und trotz später
Einschnitte.
Fall 150. Gewehrschuss durch das linke Handgelen k. Tod durch
erschöpfende Verjauchung. — Jürgen Jensen, Gem. vom 5. dän.
Inf.-Reg., am 29. Juni auf Alsen verwundet. Die Kugel ist am Daumen-
ballen ein-, an der Dorsalseite des Handgelenkes ausgetreten. Die Epi-
physen der Vorderarmknochen scheinen unverletzt. In Flensburg con-
sequente Anwendung der Eisbeutel bis zum 10. Juli. Trotzdem starke
Schwellung der Hand, besonders an der Dorsalseite. Am 10. Juli warme
feuchte Einwickelung. Am 12. Juli Erweiterung der Wundöffnung am Hand-
rücken und Incision neben derselben. Vom 15. Juli ab prolongirte Wasser-
bäder. Der Kranke fiebert und hat täglich um Mittag Frost. Am 18. Juli
wregen überall unterminirter Haut an der Hand und wegen Infiltration des
Vorderarmes bis zum Ellenbogengelenk mehrere Incisionen auf dem Hand-
rücken und an der Volarseite zwei. Ueberall dringt schmutziger Eiter mit
nekrotischen Gewebsfetzen heraus. Am 24. Juli wird ein Abscess am Cond,
int. humeri eröffnet. Das Allgemeinbefinden verschlechtert sich unter leb-
hafter Fieberung. Die Gegend des Schultergelenks schwillt und wird mit
Jodtinctur bepinselt. Ein Abscess am linken Sitzknorren wird eröffnet.
Mitte August hat sich an der linken Schulter deutliche Fluctuation ent-
wickelt. Aus der am hinteren Rande des Acromion gemachten Incision
ergiesst sich eine colossale Menge von Jauche. Die Haut ist nach allen
Seiten weithin unterminirt. Durch die Incisionsöffnung gelangt der Finger
in das geöffnete Schultergelenk bis zu dem noch glatten Oberarmkopfe.
Fortgesetzt starke Jauchung, profuse Schweisse, kleiner Puls von 120 bis
140 Schlägen, äusserste Erschöpfung. Nachdem am 26. und 27. August
noch Blutung aus dem Schulter-Abscess eingetreten, Tod den 27. August.
Bei der Section wurde ausser den nach Obigem zu erwartenden Zer-
störungen durch Verjauchung eine ebensolche in der linken Hinterbacke,
doch ohne Betheiligung des Hüftgelenkes, gefunden. Die Kugel hat Hand-
wurzel und Handgelenk schräg vom hinteren Ende des Metacarpal-Knochens
des Daumens nach der Epiphyse der Ulna zu durchsetzt und den Proc.
styl, der letzteren abgesprengt. Die Lungen, Herz, Nieren, Milz höchst
anämisch, aber sonst nicht krankhaft verändert.
Fall 151. Schuss in die Handwurzel. Heftige Phlegmone. Blu-
tungen. Amputation des Oberarmes. Tod durch Pyämie. — Fü-
silier Martin Stüler vom (>4. Inf.-Reg. wurde am 29. Juni von einer
Spitzkugel an der linken Hand verwundet. Die Kugel durchschlug zuerst
den Ringfinger und drang dann an der Volarseite der Handwurzel am
oberen Ende der Daumenballenfalte ein. Ausgangsöffnung fehlt. Die
zwischen den zertrümmerten Handwurzelknochen eingeklemmte Kugel wurde
von der Schussöffnung aus extrahirt. Der Finger gelangt in das eröffnete
Handgelenk. In Glücksburg wurde die Eisblase aufgelegt. Trotzdem stei-
gende Schwellung der Hand und des Vorderarmes. Wasserbad. Die ent-
zündliche Infiltration wird so stark, dass am Handrücken, am Unterarm
15*
226
und am Ellenbogen einzelne Hautstellen gangränesciren. Incisionen. Wie-
derholte Blutungen bestimmen am 20. Juli zur Amputation des Oberarmes.
Es folgt starke Brustbeklemmung bei kleinem sehr frequenten Pulse und
am 21. Juli der Tod. Bei der Section findet sich völlige Verjauchung des
Handgelenkes, seiner Umgebung und weit hinauf am Unterarm längs des
Lig. interosseum. Zerstreute kleine Abscesse in den Lungen.
Die primäre Amputation des Unterarmes ist an und für sich
eine das Leben so wenig bedrohende Operation, und die Lebens-
erhaltung steht ohne Frage so viel höher als die Gliederhaltung,
dass Fälle wie die zuletzt erwähnten eine Concession auf Kosten
der Couservativkur zu reclamiren scheinen, wofern letztere ausser
Stande sein sollte, ihre Wirksamkeit zu steigern. Die frühzeitige
und weite künstliche Eröffnung des Gelenkes ist bereits
oben als ein Mittel zu dem Zwecke erwähnt. Sie ist um so nöthi-
ger, je weniger durch Lage und Weite der Schussöffnungen der
freie Abzug der Secrete gesichert ist, am nöthigsten bei den blinden
Schusskanälen.
Die methodische Rese ction des Handgelenkes ist für die
deutsche Kriegschirurgie noch eine Zukunftsoperation. Vielleicht
werden die Erfolge, welche neuerdings von Li st er mittelst der-
selben im Frieden erzielt sind, ihr die Pforte zur Kriegsklinik öffnen
helfen. Der officielle Rapport über den amerikanischen Unionskrieg
führt 34 „Resectionen des Handgelenkes". Aber aus der Erläute-
rung ergiebt sich, dass diese Bezeichnung sehr weitsinnig gebraucht
ist, indem man auch Fälle dahin gerechnet hat, in denen die Ope-
ration sich auf Extraction von Knochentrümmern beschränkte. Die
definitiven Resultate, namentlich in Betreff der Brauchbarkeit der
Hand, waren zur Zeit, als der Rapport erschien, noch nicht consta-
tirt. Der Tod erfolgte in zwei Fällen durch Erschöpfung, in einem
durch Pyämie. Zweimal musste nachträglich der Vorderarm ampu-
tirt werden.
F. 2. Schuss Verletzungen des Ellenbogengelenks.
Abgesehen von den „Abreissungen und Zermalmungen" des
Ober- und Unterarmes, an denen auch das Ellenbogengelenk einige
Mal betheiligt war, und über welche schon berichtet ist, führt Ta-
belle IX (s. S. 137) 18 Fälle von Ellenbogengelenk - Verletzung
preussischer Seits. Sie repräsentiren c. 3 pCt. der Arm -Schüsse
überhaupt. Von letzteren betrafen ungefähr 30 die Gegend des
?27
Ellenbogengelenks. Die Schüsse dieser Gegend verletzen also in
überwiegender Zahl das Gelenk selbst (60 pCt.).
Das dänische Contingent zu dieser Verletzungsgruppe umfasst
nach Tabelle IX 29 Fälle. Es kamen jedoch ausserdem 3 vor, in
welchen die Schussverletzung des Ellenbogengelenks neben einer
anderen von an sich grösserer Bedeutung bestand, und welche des-
halb statistisch in anderen Gruppen gezählt werden. Einmal be-
stand neben der Gelenkverletzung ein schwerer und tödtlich ver-
laufener Brustschuss, zweimal Schultergelenk-Schuss dersel-
ben Seite.
Die Diagnose der Mitverletzung des Ellenbogengelenkes ist bei
den Schüssen dieser Gegend in der Regel nicht schwer, da nur bei
ungewöhnlicher Länge des Schusskanales der untersuchende Finger
nicht bis zu demselben gelangt. Mitunter freilich lagen die Mün-
dungen eines blossen Weichtheilschusses so, dass das Unversehrt-
bleiben des Gelenkes nur erklärlich wurde durch die Haltung, welche
das Glied im Momente der Verletzung hatte. Wenn, wie es bei
derartigen Schüssen wiederholt vorkam, die ganze Gelenkgegend an
der reactiven Schwellung sich betheiligt, so lässt sich bisweilen die
Annahme einer Contusion oder oberflächlichen Streifung der Kapsel
nicht von der Hand weisen. Allein eine unzweifelhafte directe
Kapselverletzung ohne Knochenläsion ist in keinem Falle
constatirt worden. Wohl aber befindet sich unter den fraglichen
47 resp. 50 Fällen einer, in welchem die Kapsel durch das Ge-
schoss, wenn auch nicht beim Eindringen, so doch bei der Ex-
traction beschädigt wurde
Fall 152. Schuss in das obere Ende des Unterarmes. Extrac-
tion des Geschosses zwei Monate später. Eitrige Entzündung
des Ellenbogengelenkes. Gelenkresection. Heilung. — Gefr.
Karl Schmidt vom 64. Inf.-Reg., am 17. März bei Düppel verwundet und
in Broacker (J. F.-L. d. Cav.-Div.) aufgenommen. Eine Schussöffnung
an der Beugeseite des linken Unterarmes c. 1" unter der Ellenbogenbeuge.
Flexion, Extension, Pro- und Supinatiou unbehindert. Das Geschoss ist
nicht zu entdecken. In Flensburg, wohin die Evacuation am 26. März
geschah, findet man jene Bewegungen gleichfalls frei, doch nicht ganz
schmerzlos. Der untersuchende Finger trifft nirgends auf verletzten Knochen
oder Fremdkörper, aber die Sonde dringt so tief ein, dass nicht anzunehmen
ist, das Projectil sei herausgefallen. Gypsverband bei rechtwinkliger Beu-
gung des Gliedes; permanentes Wasserbad. Am 4. April Abnahme des
Verbandes; die erneute Untersuchung bleibt hinsichtlich des Geschosses
ohne Resultat. Der örtliche wie der allgemeine Zustand ist so gut, dass
228
ohne festeren Verband bloss Wasserbäder ausreichend erscheinen. Am
21. April, nachdem Patient längst das Bett verlassen hatte, entsteht unter
Fieberbewegungen Röthung der Wundumgegend und eine Phlegmone an der
Streckseite. Nachdem letztere incidirt ist, kehrt das frühere Wohlbefinden
zurück. Die Forschungen nach der Kugel in dem gut eiternden Schuss-
kanale bleiben erfolglos wie die früheren. Erst am 18. Mai gelingt es in
der Chloroformnarkose, mittelst des kleinen Fingers in der Tiefe zwischen
beiden Unterarmknochen eine harte, scharfe und etwas bewegliche Spitze
zu entdecken. Mittelst einiger Gewalt wird eine grosse, plattgedrückte und
zackige Bleikugel extrahirt. Alsbald folgt schmerzhafte Schwellung des
Ellenbogengelenkes und Fieber. Trotz Eis und trotz wiederholter Appli-
cation von Blutegeln entwickelt sich die Gelenkentzündung von Tag zu Tag
stärker neben reichlicher Absonderung dünnen Eiters aus dem Schusska-
nale. Ende Mai lässt der durch Druck neben dem Olecranon stärker wer-
dende Abfluss keinen Zweifel, dass das Gelenk mit Eiter gefüllt ist. Des-
halb wird am 2. Juni die Resection mittelst Längsschnitt am inneren Rande
des Olecranon ausgeführt. (St.-A. Dr. Hahn.) Alle drei Epiphysen wer-
den abgetragen, weil ihre Knorpelbezüge grösstenteils zerstört sind. La-
gerung auf der Esmarch' sehen Schiene. Schnelle Besserung des Allge-
meinbefindens. Aber von Mitte Juni ab — trotz Lagerung im Zelt —
lebhaftes Fieber mit periodischen Schweissen, profuse Eiterung, Eiter-
sackungen, welche Incisionen erheischen. Am 26. Juni wird das nekroti-
sirte Sägeende des Humerus (f") von der dilatirten Operationswunde aus
abgesägt. Erst nach wiederholter Ablösung kleiner Knochenfragmente bes-
sert sich das bedenklich gestörte Allgemeinbefinden. Am 12. Juli Ery-
sipel, welches sich über den ganzen Arm verbreitet. Wiederholung des-
selben am 1. August. Erst nach Ablauf desselben schreitet die Ansheilung
rasch und ungestört vor. Am 18. October völlige Vernarbung.
Ueber das 21 Monate nach der Operation constatirte defini-
tive Resultat werde ich weiter unten bei Besprechung der Re-
sectionsresultate überhaupt berichten. Dass die Kapselverletzung,
um welche es sich in diesem Falle handelt, bei der Extraction des
zackigen, wahrscheinlich durch Anschlagen an einen festen Körper
schon vor dem Eindringen deformirten Geschosses geschah, unter-
liegt keinem Zweifel.
In allen übrigen Fällen handelte es sich, wie gesagt, um gleich-
zeitige Knochenverletzungen. Darunter befanden sich mehre Schuss-
fracturen in der Nähe des Gelenkes, an welchen letzteres durch bis
in dasselbe reichende Fissuren betheiligt war. Die Existenz der-
selben wurde bisweilen erst durch die nachfolgende Gelenkentzün-
dung offenbar.
Aus der folgenden Tabelle wird ersichtlich der
229
Verlauf der Ellenbogengelenk-Schüsse
nach Nationalität und Kurart.
Tabelle XV.
Nationa-
lität
Zahl der Verw.
Kurart
Summa
Bemerkungen
amputirt
ohne vor-
herige Re-
section
resecirt
nicht
operativ
behandelt
der Geheilten
der Gestorb.
Zah
CfQ
CD
P-
CD
CC
Zahl
geh.
(X?
CD
C«
Zahl
cra
CD
er
CM
CD
Cß
Preussen
Dänen
18
29
4
2
2
18
22
13
152)
».,
7
3
1
2
13
18
5
11
') davon 1 nach-
träglich amputirt.
2) davon 1 nach-
träglich amputirt.
Summa
47
4
2
2 | 40
28
12
3
1
2
31
16
Hiernach sind 34 pCt. der Ellenbogengelenkschüsse tödtlich
verlaufen. Man findet jedoch eine erhebliche Differenz zwischen
den beiden Nationalitäten. Die Mortalität stellt sich preussischer
Seits auf c. 28 pCt., dänischer Seits auf c. 38 pCt. In wie weit
hierauf, die in der Tabelle scharf ausgeprägte Differenz der Kurart
von Einfluss war, wird sich aus dem Folgenden ergeben.
Die Diagnose „Ellenbogen gelenk=Schuss" hat für den Feldarzt
schon lange nicht mehr die Bedeutung eines an und für sich aus-
reichenden Motives zum Gebrauche des Amputationsmessers. Die
Wissenschaft ist vielmehr berechtigt, nach den besonderen Gründen
zu fragen, wo die Conservativkur unversucht blieb. Dies gilt für
die vier Fälle, welche in der Tabelle unter dem Rubrum „amputirt
ohne vorherige Resection" stehen.
Fall 153. Schussfractur des Ellenbogengelenks durch Lang-
blei. Verweigerung der Resection Seitens des Verwundeten.
Amputation des Oberarmes. Heilung. — Jens Steffensen vom
9. dän. Inf.-Reg. erhielt am 18. April einen Langbleischuss durch das
rechte Ellenbogengelenk. Die Gelenkenden waren derartig zertrümmert,
dass man im Lazarethe zu W.-Schnabeck (1. F. L. 13. Div.) am 19. April
das Gelenk reseciren wollte. Der Verwundete weigerte sich indess, weil
er augenblicklich wenig Beschwerden von der Verletzung hatte. Trotz der
nun eingeleiteten Eisbehandlung entwickelte sich die eitrige Gelenkent-
zündung so, dass am 28. April bereits das ganze untere Drittheil des Ober-
armes eitrig infiltrirt war. Fieber und Schmerzen bestimmten den Patienten
nun, in die Amputation zu willigen. (Chefarzt Dr. Geisler.) Die Opera-
230
tionswunde war Mitte Juni vernarbt. Die Rückkehr in die Heimath ver-
zögerte sich jedoch bis zum 5. September durch den Aufenthalt in Kiel
behufs des Empfanges eines künstlichen Ersatzes.
In dem folgenden Falle wurde die Amputation ärztlicher Seits
für nöthig gehalten wegen zu weit ausgedehnter Splitte-
rung des Humerus-Sch aftes.
Fall 154. Peter Andersen vom 18. dän. Inf.-Reg. wurde am 29. Juni auf
Alsen verwundet und im Lazareth Sonderburg aufgenommen. Durch
Langblei war das untere Ende des rechten Humerus zerschmettert. Die
Splitterung ging bis in das Ellenbogengelenk und über das untere Drit-
theil hinaus nach oben. Am 30. Juni amputirte Chefarzt Dr. Taubner
im oberen Drittheil mittelst Cirkelschnitt. Am 4. September kehrte der
Operirte geheilt heim.
Die Splitterungen und Spaltungen der Knochen sind, besonders
nach Langbleischüssen, nicht selten, sei es am Resections- oder am
Sectionstische, viel bedeutender gefunden worden, als die Unter-
suchung der frischen Wunden glauben liess. In dem folgenden
Falle schritt man auf Grund der letzteren zur Resection des Ellen-
bogengelenkes, ging aber wegen der dabei sich herausstellenden
Ausdehnung der Splitterung zur Amputation über.
Fall 155. Uutercorporal Sören Jensen vom 9. dän. I. -R. erlitt am
18. April eine Zertrümmerung des unteren Endes des rechten Humerus
bis ins Gelenk durch Langblei. In Ulderup (1. F.-L. 5. Div.) schritt man
am 19. April zur Resection des Gelenkes. Da sich aber herausstellte, dass
mehr als 4 Zoll vom Humerus hätten abgetragen werden müssen, ging
mann sofort zur Amputation über (A. A. Dr. Roth mann). Die durch
Suturen vereinigte Wunde verklebte rasch und vollständig. Am 24. April
trübt sich jedoch das Allgemeinbefinden. Unter immer steigendem Fieber
bilden sich schmerzhafte Schwellungen des linken Hand- und Ellenbogen-
gelenkes, während der Stumpf unverändert gut aussieht. Rapides Sinken
der Kräfte. Tod am 4. Mai. Bei der Section findet sich keine icterische
Färbung der Haut. Die Ränder der Amputationswunde vereinigt. Nach
Trennung derselben trifft man einen Jaucheheerd darunter; in der Vena
brachialis eitrig zerfallene Thromben. Im linken Hand- und Ellenbogen-
gelenk Eiter. Innere Organe normal.
Für die Frage der Vereinigung der Amputationswunden durch
die blutige Naht wie für die Pyämie-Frage bietet dieser Fall man-
ches Interesse. Ich lasse dasselbe vorläufig unberührt. Hier inter-
essirt die Frage, ob die Ausdehnung der Splitterung des Humerus,
wie sie in den beiden letzten Fällen bestand, ein zwingender Grund
sei, auf die Conservation des Gliedes durch die Gelenkresection
vorweg zu verzichten. Es ist gewiss nicht möglich, eine absolute
231
Antwort darauf zu geben. Aber es sind wenigstens Fälle constatirt,
in welchen die Erhaltung des Gliedes gelungen ist, obgleich 4 Zoll
vom unteren Ende des Humerus und darüber bei der Resection
weggenommen wurden. Nicht einmal ein Schlottergelenk ist die
unbedingte Folge, wenn man nicht der Ansicht huldigt, dass die
Gelenkresection jedes Mal auch! in Betreff der Knochenabtragung
eine totale sein müsse. Ich werde auf diesen Punkt bald zurück-
kommen.
In dem vierten Falle endlich gab die Complication der Gelenk-
verletzung mit bedeutender arterieller Blutung Grund zur Am-
putation.
Fall 156. Schussfractur des Radius mit Splitterung in das El-
lenbogengelenk. Blutung. Amputation. Tod durch Pyämie. —
Martin Nielsen vom 17. dän. I.-R,, wurde am 18. April durch Langblei
verwundet. In Blans wurde Zersplitterung des oberen Endes des Radius
mit Streifung der TJlna constatirt. Das Gelenk schien nicht betheiligt.
In Baurup, wohin die Evacuation am 26. April erfolgte, stellte sich die
Gelenkläsion heraus. Die Wunde jauchte bei sehr getrübtem Allgemein-
befinden. Der schon beschlossenen Resection kam am 30. April eine starke
Blutung aus der A. interossea zuvor. Um den Verwundeten bei seiner
Schwäche nicht der Gefahr einer neuen Blutung auszusetzen, und da die
Infiltration sich auch am Oberarm ausdehnte, wurde am 8. Mai amputirt.
Schüttelfröste; häufige Hustenanfälle. Tod am 11. Mai. Bei der Section
fand man die Lungen ödematös und mit Abscessen verschiedener Grösse
durchsäet. Die Venen nicht verändert.
Gewiss war in diesem Falle bei dem Auftreten der Blutung die
Amputation angezeigt, selbst die sofortige. Wenigstens würde
die Unterbindung der A. brachialis, durch welche die Wiederkehr
der Blutung vielleicht zu verhüten war, für die nachträgliche Re-
section auf Erfolg kaum Aussicht gelassen haben. Dies dürfte der
folgende Fall lehren, in welchem die Wegsamkeit des Arterien-
stammes, obschon nicht künstlich, verlegt wurde.
Fall 157. Schussfractur des rechten Ellenbogengelenks. Re-
section. Brand des Unterarmes. Tod. — Johann Fries vom
9. dän. I.-R., am 18. April verwundet und in Broacker aufgenommen.
Das Projectil ist durch das Olecranon ein- und nach Zerschmetterung der
Humerus-Epiphyse an der Beugeseite wieder ausgetreten. Wegen bedeu-
tender Blutung musste wrhrend des Transportes zum Lazareth das Tour-
niqnet benutzt werden. Der Arm steht im Ellenbogen rechtwinklig ge-
beugt; der unverletzte Radius ist zwischen den Bruchstücken des Humerus
eingekeilt. Nachdem der Verwundete von dem Eindrucke des Blutverlustes
sich erholt hat, wird am 20. April das Gelenk resecirt. Bald nach der
232
Operation wurde das Fehlen des Radialpulses entdeckt, die Amputation
jedoch verschoben in der Hoffnung, dass es sich nur um ein vorüber-
gehendes Circulationshinderniss handele. Rasch entwickelte sich jedoch
unter den Erscheinungen des septischen Fiebers Gangrän des ganzen
Unterarms. Tod am 22. April. Bei der Sectio n fand sich die A. ulnaris
hoch oben abgerissen, die A. brachialis an der Theilungsstelle durch einen
Thrombus verstopft.
Die Mitverletzung der A. brachialis selbst gilt bei den
Schüssen des Ellenbogengelenks als ausreiches Motiv der sofortigen
Amputation. Auch die Praxis von 1864 hat keinen Fall aufzu-
weisen, in welchem bei dieser Complication Leben und Glied er-
halten wäre. Fall 157 erneuert die Mahnung, vor jedem Ver-
suche der Conservativkur resp. vor jeder Gelenkresec-
tion besonders auf dieses Moment zu achten, wenn auch
Blutung augenblicklich nicht daran erinnert.
Die Geschichte der Conservativkur der Ellenbogengelenk- Schüsse
ist noch nicht alt genug, um für alle vorkommenden Complicationen
schon so bestimmte Directive des Handelns darzubieten. Die Ca-
suistik des Feldzuges hat letzteres in Frage gestellt für die Com-
bination des Ellenbogengelenkschusses mit Schuss-
fractur des Oberarmes resp. mit Schultergelenkschuss
an derselben Seite.
In v. Langenbeck's Archiv für klinische Chirurgie (Band VI)
hat Neudörfer über seine 1864 gemachten Erfahrungen berichtet.
Bei den Resectionen hebt er namentlich die Verwundung des öster-
reichischen Soldaten Peter Reinisch hervor. Derselbe wurde
bei Oeversee von einer dänischen Minie-Kugel getroffen, während
er sein Gewehr anschlug. Sie drang am Tuberc. majus des rechten
Humerus ein, „zerschmetterte den Knochen seiner ganzen Länge
nach " und trat an zwei Stellen, am Cond. int. Humeri und an dem
fracturirten Olecranon aus. „Der Humerus konnte an jeder belie-
bigen Stelle geknickt werden" und „stellte einschliesslich des Ellen-
bogengelenkes einen mit Knochentrümmern gefüllten Sack dar".
Eine nach zwei Schüttelfrösten wahrgenommene Pneumonie steigerte
die Gefahr. Eine gewichtige Autorität rieth, wie N. sagt, zur schleu-
nigen Exarticulatio humeri, und der Verwundete selbst verlangte
die Amputation. Neudörfer hatte die Ueberzeugung, dass die
Schwere der Allgemeinerscheinungen eine Exarticulation nicht ge-
statte. Er eröffnete das Ellenbogengelenk, entfernte mehrere ganz
lose Knochentrümmer, führte einen Sägenschnitt durch die noch mit
233
der Beinhaut zusammenhangenden Epiphysentrümmer, begrenzte die
beiden Vorderarmknochen durch einen die obere Knorpelfläche des
Radius tangirenden Sägenschnitt, erweiterte sodann die Eingangs-
öffnung am tuberculum majus nach abwärts und extrahirte auch
hier mehre lose Fragmente. Der Operation folgte ein die ganze
Extremität (incl. Schultergelenk) einschliessender gefensterter Gyps-
verband. „Nach 10 Wochen, sagt N., nachdem der Humerus ganz
consolidirt und der Substanzverlust am Ellenbogengelenke durch
Granulationen ganz ausgefüllt war, musste ich 1 Zoll unter der
Eingangsnarbe, am äusseren Rande des Bicep.s, sowie am unteren
Drittheile des Triceps eingehen und noch 8 zollgrosse Knochen-
fragmente entfernen. Der Kranke ist nun bis auf zwei Fisteln voll-
kommen geheilt, der Oberarm kaum dicker, vollkommen gerade
und gut geformt, Schulter-, Ellenbogen- und Handgelenk frei be-
weglich und lässt die Heilung nichts zu wünschen übrig".
Mag auch das definitive Resultat gegen die etwas üher-
schwängliche Schilderung des provisorischen einigermassen ab-
stechen — genug, der Fall beweist, dass die Schussfractur des Ellen-
bogengelenkes resp. die Resection desselben die Consolidation der
darüber gelegenen Fractur des Humerus und letztere die Ausheilung
der ersteren nicht gehindert habe, und damit dürfte die Frage, ob
in solchen Fällen primär zu amputiren resp. zu exarticu-
liren sei, erledigt sein. Denn eine so hochgradige Fractur des
Humerus neben der Gelenkverletzung gehört nicht zu den häufigen
Vorkommnissen, obwohl der geniale österreichische Feldarzt mit
der ihm eigenen statistischen Leichtfertigkeit sagt, er könne jenem
Falle noch „mehrere" an die Seite stellen. Jeden Falles würde die
fragliche Complication, wenn sie geringeren Grades ist, noch weni-
ger die Amputation indiciren. Der Ansicht war man auch in dem
einzigen Falle der Art, welcher in einem preussischen Feldlazarethe
vorkam.
Fall 158. Schussfractur des linken Ellenbogengelenks und
Fractur des linken Oberarmes in der Mitte. Späte Resection
des Gelenkes nach consoli dirter Fractur. Gangrän der Re-
sectionswunde. Amputation des Oberarmes. Heilung. — Sö-
rensen Fester vom 20. dän. I.-R., wurde am 18. April verwundet, und
in Stenderup (1. F.-L. der 6. Div.) aufgenommen. Eine Schussfractur des
linken Ellenbogengelenks indicirte die Resection; man glaubte jedoch die
Operation verschieben zu müssen bis zur Consolidation der gleichzeitigen
„Fractur des linken Humerus in der Mitte" (die vorliegenden Notizen ge-
234
statten keine genaueren Angaben über die Art dieser Fractur. Ref.). In-
zwischen knüpfte sich an die Gelenkverletzung eine lebhafte Entzündung
und wegen ausgedehnter Phlegmone wurden wiederholt Incisionen nöthig.
Erst am 18. Juni hielt man die Fractur des Humerus für hinreichend con-
solidirt, um die Resection des Gelenkes vornehmen zu können. Wenige
Tage danach wurde die Resectionswunde gangränös. Es gelang, die Gan-
grän zu sistiren ; allein bei der Uebernahme des Patienten Seitens des 1.
F.-L. der 13. Div. am 5. Juli war das Allgemeinbefinden so gestört und
die Schwäche so bedeutend, dass es nicht zulässig erschien, die Abstossung
der zollweit in der Wunde blossliegenden nekrotischen Knochenenden ab-
zuwarten. Am 10. Juli wurde deshalb der Oberarm araputirt (A. A. Dr.
Hoppe). Patient erholte sich danach überaus schnell. Die Heilung der
Amputationswunde verlief ohne alle Störung. Heimsendung nach Copen-
hagen am 17. October.
Anscheinend hat es sich in diesem Falle um eine viel einfachere
Form der Fractur des Humerus gehandelt. Künftig wird man in
Fällen der Art versuchen dürfen, trotz der Fractur alsbald zu re-
seciren und die Consolidation derselben während der Ausheilung
der Resectionswunde durch den Gypsverband zu sichern.
Ueber die andere Complication — Sch ultergelenk-Schuss
derselben Seite — habe ich in der Literatur keine Notiz ge-
funden. Sie ist 1864 zwei Mal vorgekommen. In dem einen Falle
(Peter Jensen vom 2. dän. I.-K, am 18. April verwundet) be-
standen neben den Schüssen in das linke Ellenbogen- und Schulter-
gelenk noch Weichtheilschüsse im Nacken und im rechten Ober-
schenkel. Unter Darreichung von Morphium wurde exspectativ ver-
fahren. Septicämie führte bereits am 6. Tage zum Tode. Um so
activer wurde der andere Fall behandelt.
Fall 159. Schussfractur des linken Ellenbogen- und linken
Schultergelenkes. Primäre Resection des Ellenbogengelenkes,
secundäre des Schultergelenkes. Tod. — Rasmus Andersen,
vom 22. dän. Inf.-Reg., wurde am 18. April verwundet und in Rinkenis
(3. schw. F.-L. 3. A.-C. Sect. St.-A. Dr. Weise) aufgenommen. Ein Schuss
durch das linke Ellenbogengelenk hat das Olecranou und die Epiphyse des
Humerus zerschmettert. Ein zweiter Schusskaual befindet sich an der
linken Schulter. Eingang an der vorderen Seite des Gelenkes, Ausgang
dicht hinter dem Acromion. Die Bewegungen im Schultergelenk sind nur
raässig behindert, Crepitation ist nicht zu entdecken, der eingeführte Finger
trifft nicht auf Knochen. Die Verletzung des Schultergelenkes bleibt daher
zweifelhaft. Am 19. April wurde das Ellenbogengelenk resecirt (A. A. Dr.
Baum). Lagerung auf einer Armschiene; Eisbeutel; nach Beginn der Eite-
rung Chamillenfomente. Der Verlauf war bei massiger und guter Eiterung
sehr günstig Am 27. April gefensterter Gypsverband. Starke Eiterung
235
der Schulter wunde mit Lösung von Knochenfragmenten und erneute Unter-
suchung mit dem Finger stellten nunmehr ausser Zweifel, dass auch das
Schultergelenk mit Splitterung des caput humeri eröffnet sei. Da die
Doppeleiterung zu einem bedenklichen Verfalle der Kräfte führte, so wurde
am 12. Mai auch das Schultergelenk resecirt. (Gen.-A. v. Langenbeck.)
Ein Drittheil des Humerus- Kopfes fand sich abgesprengt. Patient war
nach der Operation sehr erschöpft. Unter schnell folgender Jauchung
beider Wundhöhlen Tod am 14. Mai.
Der erste Fall spricht gegen das Zuwarten bei dieser schweren
Verletzungsform. Im zweiten kam es, weil die Verletzung des
Schultergelenkes von vornherein nicht zu constatiren war, nicht zur
Stellung der Frage, was primär zu thun sei, wenn die Verletzung
beider Gelenke feststeht. Man hat, glaube ich, nur die Wahl zwi-
schen primärer Doppelresection und primärer Exarticu-
lation. Die Gefahr einer langwierigen Eiterung aus zwei grossen
operativ zerstörten Gelenken und die Aussicht auf ein unbrauch-
bares Glied, welche sich an die erstere knüpfen, würden mich die
Exarticulation vorziehen lassen.
Die Wissenschaft ist, wie gesagt, berechtigt, nach den beson-
deren Gründen zu fragen, wenn der Feldarzt heutigen Tages bei
einer Schussverletzung des Ellenbogengelenkes das Glied durch die
Amputation opfert ; sie hat dieselbe Berechtigung, wenn ein Feldarzt
heutigen Tages unterlässt, ein schuss verletztes Ellenbogengelenk
zu reseciren — so sehr ist, wenigstens in der deutschen Kriegs-
chirurgie, die op erativ-conservirende Behandlung der nicht
complicirten Ellenbogengelenks -Schüsse Regel geworden. Ich
würde mich auch, wie oben bei der Amputation, so jetzt bei Er-
wähnung der Conservativkur ohne Resection darauf be-
schränken, die Gründe zu referiren, welche preussischer Seits in
der Praxis von 1864 drei Mal die Abweichung von jener Regel
bedingt haben, wenn nicht die schon vom ersten schleswig-holsteini-
schen Kriege her bekannte, mit völliger Verwerfung der Ellen-
bogengelenk-Resection gepaarte Vorliebe der dänischen Feldärzte
für die nicht operative Conservativkur auch die Erfahrungen von
1864 überdauert hätte. In der „Liste über die in den schleswig-
holsteinischen Feldzügen (1848—50)" ausgeführten Resectionen des
Ellenbogengelenkes, welche Esmarch seiner trefflichen Schrift
über „Resectionen nach Schuss wunden u (Kiel 1851) zugefügt hat,
finden sich unter den 40 Resecirten nur 2 Dänen, und obwohl die
dänische Herrschaft in den Herzogthümern nach jenem Kriege fort-
236
bestand und auch den dänischen Aerzten Gelegenheit geboten haben
dürfte, die Resultate der Resection in weiterem Kreise zu verfolgen,
so liesse sich doch annehmen, dass die Fortdauer jener entschiede-
nen Opposition gegen die Resection bis zum Feldzuge von 1864
darin ihren Grund habe, dass nur wenige Fälle zur fortgesetzten
persönlichen Prüfung in der dänischen Hauptstadt zur Verfügung
standen. Anders nach dem Feldzuge von 1864. Aus der Liste
der in preussischen Lazarethen während dieses Feld-
zuges gemachten Resectionen des Ellenbogengelenkes,
welche ich zusammengestellt habe und diesem Berichte anfüge
(Anhang 1.), geht hervor, dass 15 Dänen mit nach Schussver-
letzung resecirtem Ellenbogengelenke von uns in ihre Heimath ent-
lassen sind. Dazu kommen wohl noch einige aus österreichischen
Lazarethen. In Copenhagen hat man denn auch nicht verfehlt, diesen
Operirten eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Der preussi-
sche Ob.-St.-A. Dr. Thalwitzer, welcher nach Auflösung der Feld-
lazarethe in Flensburg im Januar und Februar die dänische Haupt-
stadt besuchte, hatte Gelegenheit, die geringe Befriedigung, welche
unsere Resectionsresultate dort erzeugten, zu constatiren, und der
Freundlichkeit dieses Collegen verdanke ich die Kenntniss theils
des schon mehrfach erwähnten Feldzugsberichtes des Chefarztes der
dänischen Armee von 1864, Dr. Djörup, theils eines Vortrages
„über Resectionen im Schulter- und Ellenbogengelenk nach Schuss-
wunden", welchen der Professor A. G. D räch mann in der „Kgl.
medicinischen Gesellschaft" zu Copenhagen gehalten hat, und wel-
cher demnächst veröffentlicht ist. (Ugeskrift for Loger 2. R. XLII.'
No. 4 u. 5). Wir dürfen absehen von der Insinuation, welche dieser
Vortrag enthält, dass nämlich die deutschen Aerzte in ihrer Schwär-
merei für die Resection so weit gegangen seien, um sie selbst bei
Schussfracturen in der Nähe des Gelenkes, aber ohne wirkliche
Betheiligung desselben auszuführen. An den rationellen Grund,
der dazu, wie in den Capiteln über die Schussfracturen des Hu-
merus und der Vorderarmknochen erwähnt ist, vorliegen kann,
scheint man nicht gedacht zu haben. Ich constatire nur die ziem-
lich unumwundene Erklärung, dass die Resection des Ellen-
bogengelenkes eine überflüssige und wegen ihrer man-
gelhaften Resultate in Betreff der Brauchbarkeit des
Gliedes schädliche Operation sei. Die Conser vativkur
ohne Resection sei „in der Regel" gefahrlos und liefere
237
zwar im Ellenbogen ankylosirte, jedoch brauchbare
Glieder. Wir erfahren aus diesem Vortrage auch, dass im Feld-
zuge von 1864 dänischer Seits nur eine Resection des Ellenbogen-
gelenkes, und diese von einem schwedischen Arzte — mit tödt-
lichem Ausgange — gemacht ist. Djörup verweist in seinem Be-
richte auf den Vortrag Drachmann 's und bekennt sich damit zu
den darin entwickelten und von ihm selbst bereits 1852 vertretenen
Anschauungen.
Dieses ungeschminkt verwerfende Urtheil über einen Kunstact,
auf welchen die deutsche Kriegschirurgie gewissermassen stolz ist,
berührt nicht angenehm. Darf man es vornehm ignoriren etwa als den
Ausfluss einer von der Politik auf die Wissenschaft übergegangenen
Antipathie? Männern wie die genannten dänischen Collegen gegen-
über scheint mir das nicht erlaubt. Trotz der Kritik, welche die
Aeusserungen Djörup's von 1852 in Stromeyer's Maximen ge-
funden haben, scheint es mir nöthig, die Thatsachen, auf welche
die dänischen Aerzte sich neuerdings stützen, etwas näher zu be-
trachten, wäre es auch nur, um uns zu vergewissern, ob wir nicht
einen Splitter im eigenen Kunstauge verkennen.
Zuerst die Lebensgefahr bei der Conservativkur mit und
ohne Resection. Ist etwa das Resultat, welches sich aus der von
Esmarch pro 1848 — 50 gegebenen Casuistik der Ellenbogengelenk-
Resectionen ziehen lässt, so abschreckend? Jene Tabelle enthält
40 Fälle. Lassen wir den einen (No. 15), in welchem der Aus-
gang noch nicht feststand, ausser Rechnung, so bleiben 39 Resections-
fälle mit 6 Todten, d. h. 15,4 pCt.
Die pro 1864 von mir zusammengestellte namentliche Liste
der im Ellenbogengelenk Resecirten umfasst 43 Fälle. Davon bleiben
für die vorliegende Frage ausser Betracht: No. 42 wegen Complica-
tion mit einem tödtlich verlaufenen Brustschusse; No. 41 wegen
Combination mit Schultergelenk-Schuss resp. Resection derselben Seite ;
No. 9, weil die Resection nur wegen Uebersehens eines notorischen
Contraindicans gemacht wurde; No. 6, weil der Tod in Folge eines
anderweitigen selbstständigen Krankheitsprocesses (Pneumonia duplex
und Meningitis basilaris) erfolgte. Nach Abzug dieser Fälle, ohne
welchen sich gar kein Schluss auf die Lebensgefährlichkeit der
Ellenbogengelenk -Resection an sich machen lässt, bleiben 39 Re-
sectionen mit 9 = 23 pCt. Todesfällen.
Beide Nachweise zusammen ergeben 78 Resectionen mit 15 =
238
19,2 pCt. Todten. Nur andeuten will ich schon jetzt den bedeu-
tenden Unterschied, welcher in Betreff der Lebensgefahr obwaltet
zwischen den am Tage der Verwundung oder am nächsten Tage
und den später ausgeführten Resectionen des Ellenbogengelenks.
Resectionen erster er Art sind unter den 78 Fällen beider
Listen 15 mit 1 d. h. 6,6 pCt. Todten.
Zu bemerken bleibt noch, dass in beiden Serien je 2 Fälle
stehen, in denen nachträglich die Amputation nöthig wurde. Die
Fälle der ersten Serie verliefen trotzdem tödtlich, 1864 wurde in
einem das Leben erhalten. Alle 4 Fälle waren Secundärresectionen.
Die 3 trotz der Amputation tödtlich verlaufenen sind in obiger Be-
rechnung der Resection zur Last geschrieben.
Was nun die Conservati vkur ohne Resection betrifft, so
wird, wie erwähnt, dänischer Seits behauptet, sie sei „in der
Regel gefahrlos*4. Die deutsche Wissenschaft begnügt sich nicht
mit so allgemeinen Ausdrücken ; sie verlangt den statistischen Com-
mentar, und man sollte glauben, dass die Verpflichtung, einen sol-
chen zu liefern, besonders gefühlt werden müsse, wenn man so
absprechend urtheilt, wie es dänischer Seits in dieser Frage ge-
schehen ist. Vergeblich habe ich mich indess bemüht, dänischer
Seits eine statistische Angabe der Art zu finden. Djoerup hat
seinen Feldzugsbericht pro 1864 mit mancherlei Ziffern und Procent-
zahlen ausgestattet — ein Beweis, dass er statistische Data für die
Kriegschirurgie nöthig findet. Allein über die Lethalität der Ellen-
bogengelenk-Schüsse bei der gerühmten Conservativkur ohne Re-
section sind numerische Data in jenem Berichte so wenig wie in
seinen früheren Mittheilungen von 1852 zu finden. Herr Professor
Drachmann verzichtet in seinem Vortrage auf ein Urtheil über
die mit der Resection verknüpfte Lebensgefahr und hofft auf Mit-
theilungen darüber deutscher Seits. Um so mehr musste man er-
warten, dass er die behauptete Ungefährlichkeit der Kur ohne Re-
section statistisch nachweisen werde. Statt dessen spricht er von
Todesfällen bei dieser Kur oder von Amputationen, die nachträglich
nöthig wurden, ganz und gar nicht. Sollen wir etwa ohne Weiteres
glauben, die dänische Kurweise sei erhaben über dergleichen Even-
tualitäten ?
Für den Krieg in Jtalien von 1859 hat Demme die Sterblich-
keit bei der Conservativkur der Ellenbogengelenkschüsse ohne Re-
section (aus 81 Fällen) auf 64,2 pCt. berechnet. Das ist ein
239
scharfer Contrast gegen das dänische „in der Regel gefahrlos".
Die Demme'schen Zahlen mögen unzuverlässig sein. Aber wären
sie auch nur annähernd richtig, so würden sie den Stab brechen
über eine Kurart, welche sich conservativ nennt, obwohl sie bei
2 Drittheilen der Verwundeten, denen sie einen Arm retten soll,
tödtlich abläuft. Es ist möglich, dass in den italienischen Laza-
rethen die hygienischen Verhältnisse das Resultat so ungünstig ge-
staltet haben ; es ist auch möglich, dass man in Dänemark sich viel
besser darauf versteht, jene Kur gefahrloser zu machen. Aber die
Wissenschaft hat jeden Falles zu fordern, dass diejenigen, welche
Letzteres behaupten, den Beweis dafür liefern. Mit der Anfüh-
rung von ein paar Fällen von Heilung ohne Resection ist es nicht
gethan. Dies hat D räch mann recht wohl gefühlt. Er führt pro
1864 sieben Fälle der Art an und fügt hinzu: „Unglücklicherweise
wurde meine Aufmerksamkeit ziemlich spät auf diese Frage gelenkt
— erst nachdem unsere verwundeten Kriegsgefangenen zurück-
gekommen waren, also nach Mitte August, wo bereits ein grösserer
Theil unserer Verwundeten mit diesen Verletzungen geheilt und
nach Hause geschickt waren. " Er kann sich darüber beruhigen.
Die Weisheit, dass nicht alle Schussverletzungen des Ellenbogen-
gelenks tödtlich verlaufen, wenn weder amputirt noch resecirt wird,
ist ziemlich alt Auf ein paar Fälle mehr oder weniger kommt es
dabei gar nicht an. Wesentlich vor Allem ist es, zu erfahren, wie
viel solcher Verletzungen überhaupt in der Art behandelt wurden,
und wie viele derselben tödtlich abliefen resp. die Amputation nach-
träglich erheischten.
Unter den von Drachmann erwähnten Fällen ist einer (Nr. 5,
Frederik Wilhelm Larsen vom 1. Reg., am 3. Februar verwun-
det), welcher mit einem ohne Resection steif geheilten Ellenbogengelenk
aus der Gefangenschaft heimkehrte, und auf welchen er deshalb be-
sonderes Gewicht legt, weil er meint, an diesem Falle, bei welchem
die Resection wegen gleichzeitiger Schussfractur des Unterschenkels
unterlassen sei, hätten die deutschen Aerzte lernen können, wie un-
nütz ihre Resections-Passion ist. Dieser Verwundete ist in der That
zunächst und bis zum 9. Juli in dem östreichischen Lazarethe
zu Rendsburg, später und bis zu seiner Auslieferung am 9. Sep-
tember in dem preussischen Lazarethe daselbst gepflegt worden.
„Atrophirter Arm; ankylosirtes Ellenbogengelenk; Fisteln, welche
Loeffler, Generalbericht. \Q
240
auf nekrotische Stellen der Tibia führen; Zeichen von Lungentuber-
kulose" — so lautet das technische Signalement» bei seiner Entlas-
sung von Rendsburg. (O.-St -A. Dr. Krulle). Drachmann hat
ihn 10 Monate nach der Verletzung, also etwa 2 Monate später un-
tersucht. Er sagt von den Lungen nichts; den Unterarm fand er
„nur wenig atrophirt," das Ellenbogengelenk in stumpfwinkliger
Beugung fest ankylosirt, die Beweglichkeit des Arms, der Hand und
der Finger „kraftvoll.4'
Uebrigens befindet sich Drachmann im Irrthum, wenn er
meint, dieser Fall sei der einzige, welcher den deutschen Feldärzten
von 1864 Gelegenheit gegeben hat, die Conservativkur der Ellen-
bogengelenkschüsse ohne Resection zu studiren. Ich kann seine Liste
von Heilungstallen wenigstens um einen aus unsern Lazarethen in
Flensburg vergrössern.
Fall 1G0. Christensen von der 5. Comp. 9. dän. l.-R. wurde am 18. April
verwundet und in Flensburg (2. schw. F.-L. 3. A.-C; Section St. A. Reu-
ter) aufgenommen. Das Geschoss ist in der Höhe des linken Olecranon
ein-, an der Beugeseite des Gelenkes dem Radialrande nahe ausgetreten.
Rasch folgte eine sehr starke und nach oben und unten ausgedehnte Infil-
tration, welche trotz energischer Eisbehandlung bis zum 27. April sich stei-
gerte. Man unterliess deshalb die förmliche Resection, eröffnete jedoch
das Gelenk durch Erweiterung der Eingangsöffnung nach oben und unten
und entfernte einige ganz gelöste Knochenstücke. Deunoch infiltrirt sich
der Oberarm so bedeutend, dass an der inneren Seite desselben am 3. Mai
Gangrän entsteht. Das Gelenk wird nunmehr auch an der Radialseite durch
eine Incision eröffnet. Am 15. Mai wurde noch eine dritte durch die an
der Beugeseite befindliche Schussöffnung gehende Incision gemacht. Der
Eiter erhielt so freien Abfluss; die allmählig sich lösenden Knochensplitter
konnten leicht entnommen werden. Solches geschah unter allmählig ab-
nehmender Schwellung des Gliedes von Zeit zu Zeit, Juni und Juli hin-
durch. Als C. am 26. August nach Copenhagen entlassen wurde, war er
„als völlig geheilt zu betrachten."
Dass sich diese Notiz auch auf die Beweglichkeit des verletzten
Gelenkes beziehe, darf bezweifelt werden. Man hatte freilich seit
Juli passive Bewegungen und Armbäder angewandt, um der An-
kylose vorzubeugen. Wir stellen den dänischen Collegen anheim,
zu ermitteln, ob diese wohl ganz nach ihren Grundsätzen geleitete
Conservativkur vielleicht sogar ein ihr äusserstes Ziel — Ankylose
— übersteigendes Resultat ergeben habe, fühlen uns aber um so
mehr verpflichtet, noch einige andere Fälle von unserer Seits unter-
lassener Resection anzuführen, um zu zeigen, dass wir einigen
241
Grund haben, die dänischen Collegen zu fragen, mit wie viel Opfern
an Leben sie die ankylotisch conservirten Glieder erkaufen.
Ueber Nielsen von der 6. Comp. 2. dän. Inf.-R., welcher am
18. April verwundet und in Broacker gepflegt wurde, kann ich
wegen des sehr lückenhaften Journales nur berichten, dass das Pro-
jectil das rechte Ellenbogengelenk mit Verletzung der Ulna und des
Humerus durchdrungen hatte, und dass er am 16. Mai, ohne rese-
cirt zu sein , an Pyämie gestorben ist. Vollständiger ist die Notiz
über :
Fall 161. Lars Petersen vom 2. dän. Inf.-R., welcher auch am 18. April
verwundet und in Flensburg aufgenommen wurde. Die Kugel hatte den
rechten Oberarm dicht über dem Ellenbogengelenk quer durchsetzt und
den humerus gesplittert Ob eine Fissur bis ins Gelenk dringe, war
mit Sicherheit nicht zu ermitteln. Bei entsprechender Lagerung
wurde eine energische und cousequente Eisbehandlung eingeleitet. Nichts-
destoweniger entwickelte sich eine über das ganze Glied ausgedehnte theils
phlegmonöse theils ödematöse Schwellung. Man incidirte mehrere fluc-
tuirende Stellen. Inzwischen stellte sich deutlich heraus, dass das Gelenk
mitverletzt sei, und die Ilesection wurde in Aussicht genommen, sobald die
Anschwellung des Gliedes dieselbe gestatte. Am 6. Mai beschloss man,
die Operation folgenden Tages zu machen. Ein heftiger Fieberanfall mit
Schüttelfrost kam zuvor und bestimmte zum Zögern. Ein zweiter Schüt-
telfrost am 8. Mai , zugleich starke Diarrhoe. Bei dem Gebrauche von
Chinin und Columbo blieben die Fieberanfälle bis zum 16. Mai aus, wäh-
rend der Durchfall anhielt. Vom 17. Mai ab von neuem häufig wiederkeh-
rende Schüttelfröste, während der Durchfall verschwand; anhaltendes Fieber,
Erbrechen aller Ingesta, Delirien und, ohne dass Jauchung der Wunde ein-
getreten wäre, Tod am 31. Mai. Die Section ist unterblieben. Das Bild
der Pyämie war jedoch im Leben ausgeprägt genug.
Djörup wie Drachmann haben auch unterlassen, sich mit
der wünschenswerthen Präcision über die Grundsätze auszusprechen,
deren Befolgung sie bei der Conservativkur ohne Resection für nö-
thig halten, namentlich über die Frage, ob dazu principiell die
frühzeitige Eröffnung des Gelenkes durch Incisionen
gehöre. In dem eben erwähnten Falle ist dieser Act unterblie-
ben; bei Christensen (V. v. Fall 160) wurde er ausgeführt, und
in dieser Differenz liegt ohne Zweifel der wesentlichste Grund des
verschiedenen Ausganges dieser Fälle. Auch in der dänischen Praxis
ist principielle Consequenz in der fraglichen Beziehung nicht vor-
handen. Wir haben Gelegenheit gehabt, in Flensburg 3 Verwun-
dete der Art zu übernehmen, nachdem sie längere Zeit von däni-
schen Aerzten behandelt waren.
16*
242
Fall 162. Waffenmeister Obel vom 11. dän. Inf.-Reg., am 6. Februar bei
Oeversee verwundet, wurde am 15. März von den in Flensburg zurückge-
bliebenen dänischen Feldärzten übernommen mit profuser Eiterung des
rechten Ellenbogengelenks und hierdurch wie durch Diarrhöen sehr ange-
griffen. Die am 1. April ausgeführte Resection des Gelenkes, bei welcher
sich Zerstückelung des Olecranon und des Capit. radii herausstellte, min-
derte zwar die Eiterung, vermochte aber bei dem hartnäckig andauernden
Durchfalle den am 16. April durch Erschöpfung erfolgten Tod nicht zu ver-
hüten. Die Seetion ergab ausser Schwellung der Darmfollikel überall nur
die Zeichen hochgradiger Anämie. (S. namentl. Liste der Resecirten Nr. 34).
Fall 163. Sören Hansen vom 18. dän. Inf.-Reg., am 2. Februar bei Mis-
sunde verwundet, wurde am 21. März von den dänischen Collegen über-
nommen. Das Geschoss war bei gebogener Armstellung im oberen Dritt-
theil des Ulnarrandes des rechten Unterarmes eingedrungen und oberhalb
des Olecranon ausgetreten. Am 21. März war der Arm hoch herauf ge-
schwollen; über die Haut des fast gestreckt liegenden Armes ist — in
Folge des siebenwöchentlichen Cataplasmirens — ein intenses Eczem ver-
breitet; reichliche Eiterung; die geringste Bewegung sehr schmerzhaft; das
Allgemeinbefinden verhältnissmässig gut. Unter einfachen Fomenten trock-
net das Eczem ab. Am 30. März werden aus der erweiterten oberen Schuss-
öffnung 2 nekrotische Knochenstücke extrahirt. Es stellt sich ausser einer
ziemlich consolidirten Fractur der Ulna und des Radius eine Splitterung
des unteren Humerus-Endes bis ins Gelenk heraus. Die am 4. April ge-
machte Resection des Gelenkes, bei welcher nur das untere Humerus-Ende
(7 Ctm.) weggenommen wird, hat eine lebhafte Reaction zur Folge. Eiter-
sackungen erforderten wiederholt Incisionen. Noch am 9. Mai wurden ein
Kugelstück und nekrotische Knochenfragmente extrahirt. Trotz einer zwi-
schenlaufenden Pleuritis schritt die Ausheilung jedoch so vor, dass Patient
am 13. August nach Copenhagen entlassen werden konnte. (V. namentl.
Liste der Resecirten Nr. 36).
In diesen beiden Fällen war die Gelenkincision von den be-
handelnden dänischen Aerzten unterlassen ; im dritten war eine solche
vorgenommen.
Fall 164. Anders Jensen vom 9. dän. Inf.-Reg., am 3. Februar bei Königs-
hof verwundet, am 21. März aus der dänischen Behandlung übernommen.
Herr Dr. Heine constatirte an diesem Tage: Linke Ellenbogengegend be-
trächtlich geschwollen, Haut (durch langes Cataplasmiren) eczematös. Ein-
trittsöffnung des Schusskanals oberhalb des Olecranon, Austrittsöffnung von
der Grösse eines dänischen Reichsthalers im oberen Drittheil der Dorsal-
fläche des Vorderarmes. Incision s wun de über dem Gelenke bei-
nahe vernarbt. Bruchstellen der Vorderarmknochen consolidirt. Ellen-
bogengelenk, in einem Winkel von 135° stehend, ziemlich fest anky losirt.
Aus den beiden Schussöffnungeu geringe gute Eiterung. Allgemeinbefinden gut.
Trotzdem ist in diesem Falle am 3. Juni, also 4 Monate nach
der Verletzung, die Resection mit Ausschneiden aller 3 Gelenk-
243
enden ausgeführt worden (vgl. namentl. Liste Nr. 39). Warum?
Darüber giebt das Journal leider nicht Auskunft Es geht aus dem-
selben nur noch hervor, dass Patient gegen Ende April von einem
typhösen Fieber befallen und gleichzeitig von einem Erysipel des ver-
letzten Gliedes heimgesucht sei, und dass der späteren Resection
noch ein ziemlich langer Eiterungsprocess folgte, so dass Pat. erst
am 17. October nach Copenhagen entlassen werden konnte, mit
einem — „in jeder Hinsicht unbrauchbaren Arme," wie
Prof. Drachmann auf Grund seiner 7 Monate nach der Operation
angestellten Untersuchung behauptet. Und diese Behauptung
ist leider nahezu richtig. Herr Dr. Thalwitzer hat den Mann
noch einen Monat später als Drachmann in Copenhagen selbst
untersucht und fand:
„Atrophie des Deltoideus und der Schulterblattmuskeln; eine Entfernung des
Armes vom Körper ist activ fast nur durch Hebung der Schulter zu er-
möglichen; gleich beschränkt ist die active Vor- und Rückwärtsbewegung,
wobei die Ellenbogengelenkgegend empfindlich ist. Diese ist wie Vorder-
arm und Hand ödematös. Die Verkürzung des Humerus beträgt etwa 6,
die der Ulna mit dem Radius etwa 3 Ctm. Das untere Ende des Humerus
ist von der Sägefläche aufwärts verdickt, namentlich an dem äusseren und
inneren Rande, entsprechend den früheren Condylen. Die durchfühlbaren
Schnittenden des Radius und der Ulna sind durch Kuochenneubildung nicht
verdickt. Sie sind mit dem Humerus-Ende durch eine c. 8 Ctm. lange weiche
Zwischensubstanz verbunden. Activ ist gar keine Bewegung des Unter-
armes gegen den Oberarm möglich; passiv lässt sich ersterer ohne Schmerz
bis zum rechten Winkel beugen. Bei der passiven Pro- und Supination
drehen sich Ulna und Radius gleichzeitig. Der Unterarm kann ohne Schmerz
der Unterstützung nicht entbehren. Das Handgelenk ist nur passiv zu
beugen und zu strecken. Die Finger sind nur in ihren ersten Phalangen
etwas activ beweglich. Mit Daumen und Zeigefinger kann ein leichter Druck
geübt werden. Das Spreitzen der Finger ist ausführbar. Das Gefühl in
den Fingerspitzen ist nicht beeinträchtigt. Die Temperatur des Ar-
mes ist noch erhöht."
Der Heilprocess war offenbar auch zur Zeit dieser Untersuchung
noch nicht ganz beendet und es kann nach sonstigen Erfahrungen
keinem Zweifel unterliegen, dass grössere active Beweglichkeit der
Schulter, der Hand und der Finger noch zu erwarten war. Aber
die activ unbrauchbare Verbindung an Stelle des Ellenbogengelenks,
das sogenannte Schlottergelenk, muss nach den anderen uns vor-
liegenden und bald zu besprechenden Erfahrungen als Definitivum
anerkannt werden — ein Tausch gegen das bereits 10 Monate früher
erreichte Resultat, die Ankylose, mit welchem dem betreffenden
244
Manne schwerlich ein Dienst geleistet ist. Ich weiss, wie gesagt,
nicht, weshalb die Reseetion in diesem Falle gemacht ist; aber es
lässt sich wohl annehmen, dass es nicht etwa bloss in der Absicht
geschah, das steife Gelenk in ein bewegliches zu ver-
wandeln.
Oder sind etwa die definitiven Resultate der Ellen-
bogengelenk-Resection auch in Betreff der Brauchbar-
keit der Glieder so glänzend, dass die Steifheilung eines
schussverletzten Ellenbogengelenkes ohneWeiteres als
Misserfolg bezeichnet werden kann? Es bestehen deutscher
Seits manche Illusionen über diesen Punkt, und die Dänen haben nicht
ganz Unrecht, wenn sie sich sträuben, die Schlotterarme der
Resecirten als Kunsttriumphe anzuerkennen.
Die kriegschirurgische Literatur ist schon recht reich an Re-
sectionsfällen, aber ziemlich arm an sicheren und genauen Nachwei-
sen über die definitive Brauchbarkeit der resecirten Arme. Des-
halb und um für die künftige Resectionspraxis auch in dieser Be-
ziehung statt der Hoffnungen und Voraussetzungen Thatsachen zu
gewinnen, habe ich versucht, den Zustand unserer Resecirten von
1864 Jahr und Tag nach der Operation zu constatiren. Nicht ohne
Schwierigkeit wurde der zeitige Aufenthalt der nach ihrer Entlas-
sung aus den Lazarethen im Lande zerstreuten Operirten ermittelt.
Collegen, welche am Orte selbst oder in der Nähe wohnten, unter-
zogen sich der Mühe, die Untersuchung vorzunehmen und das Re-
sultat nach den in einem Fragebogen lixirten Rubriken zu notiren
und, wo sich Gelegenheit dazu bot, Photographien fertigen zu las-
sen. Meinen Dank für das Seitens der Herren Collegen mir ge-
währte Entgegenkommen glaube ich nicht besser bethätigen zu kön-
nen, als durch treue Mittheilung der Thatsachen, welche der Wis-
senschaft durch ihre Mühewaltung gewonnen sind. Dieselben be-
schränken sich auf die resecirten Preussen. Von den bei uns
resecirten Dänen liegen nur die provisorischen Resultate vor.
Einige derselben datiren allerdings, wie das oben bei Fall 164 mit-
getheilte, aus einem schon ziemlich vorgerückten Stadium der Con-
valescenz. Ich verdanke die Kenntniss derselben gleichfalls dem In-
teresse, welches Herr Dr. Thalwitzer dieser Frage bei seinem
Aufenthalte in Copenhagen gewidmet hat, und referire darüber vor-
weg um so lieber, weil es sich um die nämlichen Fälle handelt,
245
welche dem Prof. Drachmann als Grundlage für sein Urtheil über
die Resections-Resultate gedient haben.
So ergab in dem oben erwähnten Falle 163 (Sören Hansen)
die zehn Monate nach der Resection angestellte Untersuchung:
Die activen Bewegungen im Schultergelenke noch sehr beschränkt. An
Ellenbogen, Vorderarm und Hand noch Oedem. Am unteren Ende des Hu-
merus noch eine nicht mehr auf den Knochen führende Fistel. Arn unteren
Ende des Humerus fehlen 7 Ctm., welche durch eine weiche Bandraasse
ersetzt sind, so dass der Unterarm stark schlottert. Olecranon und Cap.
radii etwas verdickt. Active Bewegung im Ellenbogen ganz unmöglich;
passive Beugung ausgiebig, aber über den rechten Winkel hinaus schmerz-
haft. Der Unterarm muss beständig unterstützt gehalten werden, weil er
beim Herabhangen schmerzt. Handgelenk steif; die Finger nur in den
letzten Gliedern etwas beweglich. Atrophie und Kühle des Armes; Gefühl
in den Fingerspitzen erhalten.
Fall 165 (nam. Liste Nr. 14). Corporal Christian Soerensen vom 3. dän.
Inf.-Reg., wurde den 29. Juni auf Alsen verwundet und in Snaabeck
(l.-F.-L. 13. Div.) aufgenommen. Schussfractur des linken unteren Hu-
merus-Endes mit Splitterung ins Gelenk. Eingangsöffnung 8 Ctm. über
dem Cond, ext., Ausgangsöffnuug dicht über dem Cond. int. Am 9. Juli
Resection des Gelenkes (Gen.-A. Dr. v. Langenbeck). Vom unteren Hu-
merus-Ende werden gegen 4" weggenommen. Mehrfache Eitersenkungen,
welche Incisionen erfordern. Anfangs Lagerung auf der Winkelschiene, am
1. September der erste Gypsverband, der jedoch in Apenrade, wohin
Pat. am 2. September evacuirt wurde, wegen wiederholter neuer Schwel-
lungen und- Abscessbildungen häufig gewechselt werden muss. Von Mitte
November ab tägliche Uebungen der Bewegung des Gliedes. Entlassung
nach Copenhagen am 5. December.
Resultat 7 Monate nach der Op eration: Atrophie des Deltoideus;
Umfang des Schultergelenkes, über Acromion und Achselhöhle gemessen,
5 Ctm. geringer als rechts. Active Hebung des Armes ohne gleichzeitige
Bewegung der Schulter nur bis zu einem Winkel von 30° möglich. Hu-
merus um 7| Ctm. kürzer als rechts, am unteren Ende knorrig mit Osteo-
pbyten besetzt. Zwischen ihm und den Vorderarmknochen eine weiche
6 Ctm. lange Zwischensubstanz. Sich selbst überlassen hängt der Arm
schlotternd im Ellenbogen fast gerade herab mit Neigung zur Ein- und
Rückwärtswendung. Activ ist unbedeutende Beugung im Ellenbogenge-
lenk möglich, die Beugemuskeln werden dabei deutlich härter und dicker.
Die passive Beugung erfolgt mit grosser Leichtigkeit bis zum spitzen
Winkel. Pro- und Supination nur passiv unter gleichzeitiger Drehung von
Ulna und Radius. Unterarm in der Mitte um 2 Ctm. dünner als rechts.
Bewegung im Handgelenk beschränkt; ebenso die der Finger; am besten
die des Daumens. Gefühl in den Fingerspitzen stumpf. Die Hand ist
stets kalt. Pat. trägt eine im beliebigen Winkel stellbare Armkapsel mit
Schulterkappe.
246
Fall 166 (nam. L. d. Resec. Nr. 19). Corporal Christian Schubert vom 9.
dän. I.-R., am 18. April verwundet, in ßroacker (schw. F.-L. des Garde-C.
Sect. St.-A. Dr. Michel) aufgenommen. Gewehrschuss. Eingangsöflfnung
an der äusseren Seite des rechten Oberarmes etwa eine Handbreit übe1
dem Ellenbogengelenk; Austritt ebensoweit unter derselben an der Volar -
seite des Unterarmes. Knochenverletzung nicht sicher zu constatiren. La-
gerung; Eis. Evacuation nach Flensburg den 23. April. Arm stark in-
filtrirt, Fieber und Eiterung massig. Absprengung des Cond. ext.
humeri constatirt. Eis. Am 27. April Erweiterung der oberen Schuss-
öffnung durch Incision, um dem Eiter besseren Abfluss zu verschaffen. Das
Allgemeinbefinden, hierdurch etwas gebessert, verschlimmert sich bald
wieder. Appetit fehlt ganz; profuse Schweisse; auffallendes Sinken der
Kräfte.
Resection am 3. Mai (St-A. Dr. Fischer). Der Humerus dicht über
den Condylen und das Olecranon werden abgesägt; der unversehrte Radius
bleibt unberührt. Einige Suturen; Lagerung; Eis. Der Ausheilungspro-
cess verläuft ohne bedeutendere lokale Störungen. Am 25. Juni wurde ein
Sequester von der Sägefläche der Ulna entfernt. Das Allgemeinbefinden
wurde Mitte Mai mehrere Tage durch heftige Anfälle von Fieber mit Dys-
pnoe getrübt. Die Anfälle wichen dem Chinin. Ein fieberhaftes Erysipel,
welches am resecirten Gliede den 16. August eintrat, verlief binnen weniger
Tage. Entlassung nach Copenhagen am 26. August.
Resultat 9 Monate nach der Operation: Trotz merkbaren Schwun-
des der Schultermuskeln kann der Arm activ bis zur Horizontale erhoben
werden. Stärke des Oberarms in der Mitte 6 Ctm. weniger als links. Ueber
der äusseren Kante des verdickten und deutlich durchzufühlenden Säge-
endes des Humerus ein Fistelgang, aus welchem eine nekrotische Knochen-
spitze hervorsieht. Die Enden der Ulna und des Radius unförmlich ver-
dickt. Der Umfang der Gelenkgegend ist um 5 Ctm. geringer als links.
Die Verbindung zwischen Humerus und Unterarmknochen besteht in einer
4 Ctm. langen, weichen Zwischensubstanz. Activ ist gar keine
Bewegung im Ellenbogen möglich, die passive ausgiebig. Bei versuchter
passiver Pro- und Supination werden beide Knochen gedreht. Unterarm
nur um 1 Ctm. dünner. Bewegung im Handgelenk ziemlich frei. Finger kön-
nen zur Faust geballt werden. Gefühl in den Fingerspitzen normal.
Fall 167. (nam. L. d. Res. Nr. 13). Mads Christensen vom 9. dän. I.-R.,
am 18. April verwundet. Eintritt des Projectils in der Mitte der Innenseite
des rechten Oberarmes, Austritt dicht am Condylus ext. Zersplitterung
des Gelenkendes. Mässige Reaction bei der Eisbehandlung in Flensburg.
Resection am 27. April (O.-St.-A. Dr. Ochwadt); Wegnahme von
über 3" des Humerus. Lagerung auf Esmarch's Schwebe. Ausheilung er-
folgte bis auf eine Eisersackung nach der Achsel, welche eine Incision
nöthig machte, ohne jede Störung. Entlassung nach Copenhagen
den 26. August.
Resultat 10 Monate nach der Operation: Die activen Bewegungen
im Schultergelenk durch Atrophie der betreffenden Muskeln sehr beschränkt.
247
Der Oberarm ist in der Mitte um 4 Ctm. dünner als links. Das untere
Ende des Humerus von der Sägefläche 5 Ctm. aufwärts verdickt, besonders
an der äusseren Kante. Zwei Fistelgänge führen noch auf entblössten Kno-
chen. Olecranon etwas verdickt aber scharfspitzig. Der Umfang der Ge-
lenkgegeud 6 Ctm. kleiner als links. Die Knochenenden durch eine weiche
4. Ctm. lange Zwischensubstanz verbunden. Sich selbst überlassen
hängt der Arm, im stumpfen Winkel gebeugt, nach ein- und rückwärts ge-
kehrt, herab; wegen der dabei entstehenden Schmerzen muss der Unterarm
beständig gestützt werden. Active Bewegung im Ellenbogen unmöglich.
Passiv lässt sich der schlotternde Unterarm leicht verschieben und beu-
gen. Unterarm in der Mitte um 4 Ctm. dünner als der linke. Das Hand-
gelenk kann activ etwas gebeugt werden, der Daumen nur im 2. Gliede;
Zeige- und 3. Finger sind im 2. und 3. Gelenk zu beugen, der 4. und 5. Fin-
ger nur wenig im 1. Gelenk. Diese beiden Finger sind gefühllos. Der
ganze Arm kühler als der linke.
Die definitiven Resultate, welche sich bei den resecirten Preus-
sen herausgestellt haben, machen es, wie man aus den nachfolgen-
den Schilderungen ersehen wird, sehr unwahrscheinlich, dass in den
5 Fällen, von welchen ich das 7 bis 10 Monate nach der Operation
erhobene Resultat berichtet habe, das Schlottergelenk mit der
Zeit mehr Festigung und Brauchbarkeit erlangt haben werde, wenn
auch bei entsprechender Uebung weitere Kräftigung der Schulter-
Muskulatur und grössere Brauchbarkeit der Hand zu erwarten war.
Aus der namentlichen Liste der Resecirten ergiebt sich, dass noch
in 4 anderen Fällen (Nr. 10, 21, 28, 38) schon bei der Entlassung
aus unseren Lazarethen ein Schlottergelenk in Aussicht stand. Dass
die dänischen Aerzte für dieses Resultat der Resection sich nicht
begeistert haben, wird man begreiflicher finden, wenn ich wenig-
stens ein paar ihrer absichtlichen Steifheilungen ohne Re-
section daneben stelle, und zwar gleichfalls nach dem Befunde
des Herrn Dr. Thal witz er.
1. Hornist Niels Andersen vom 2. dän. Inf.-Reg. erhielt am 18. April
einen Gewehrschuss durch das linke Ellenbogengelenk. Eingang am Con-
dyl. int. humeri, der zertrümmert wurde, Ausgang unter dem gleichfalls
zerstörten capit. radii. Behandlung im Friedrichsberger Schloss zu Copen-
hagen. Viermonatliche Dauer der Kur, bei welcher sich Knochensplitter
entleerten. Untersuchung 9^ Monat nach der Verletzung: Ge-
ringe Atrophie der Schultermuskeln; Umfang des Schultergelenks nur 1 Ctm.
geringer als rechts. Active Bewegung in der Schulter dem entsprechend
wenig beschränkt. Oberarm in der Mitte 2£ Ctm. dünner als der rechte.
Vollkommene Ankylose des Ellenbogengelenkes in einem Winkel von 160°,
Umfang der Gelenkgegend 5 Ctm. geringer als rechts. Der linke Condyl.
int. humeri kleiner als rechts; das Capit. radii nicht zu fühlen; Olecranon
248
nicht verändert Der Arm wird activ so weit nach vorn bewegt, dass die
Hand den rechten Ellenbogen berührt, und so weit nach hinten, dass die
Hand den Rücken berührt. Umfang beider Unterarme in der Mitte gleich.
Bewegungen im Handgelenke frei. Der Daumen kann gut gebeugt werden,
aber nur gegen den 2. und 3. Finger opponiren. Die Bewegung des Zeige-
fingers in allen 3 Gliedern kaum beschränkt, die anderen Finger nur im
1. und 2. Gelenk beweglich. Der Druck der Hand ist nur mit Daumen
und Zeigefinger etwas fest. Gefühl in allen Fingerspitzen normal. Der
Arm ist gegen Kälte sehr empfindlich. — Nach Drachmann hatte der
Mann bereits „mehrere Monate als Stallmeister in einem Wirthshause ge-
dient" uvd beschwerliche Dienste verrichtet, als er (8 Monate nach der
Verletzung) ihn untersuchte. Thalwitzer sagt, der Mann habe seinen
früher übernommenen Dienst als Stallknecht wieder aufgeben müssen, weil
er die Pferde nicht führen konnte; auch könne er einen Stuhl mit dem
kranken Arme nicht aufheben.
2. Niels Eskildsen vom 9. dän. Inf. -Reg. erhielt am 18. April einen Ge-
wehrschuss durch den rechten Arm. Eingang im mittleren Drittheil der
Streckseite des Unterarmes zwischen Radius und Ulna, Ausgang 4 Ctm.
oberhalb des Olecranon zwischen äusserer und innerer Kaute des Humerus.
Aus beiden Oeffnungen wurden viele Knochensplitter entleert, von denen
einer deutlich der trochlea angehört. Es wurden anfangs kalte Einwicke-
lungen gemacht, später cataplasmirt, niemals geschient. Untersuchung
9| Monat nach der Verletzung: Deltoideus kräftig; Bewegungen in
der Schulter frei. Feste Ankylose des Ellenbogengelenkes unter sehr
stumpfem Winkel, so dass die Hand nicht bis zur Schulter gelangen kann,
während der Arm ohne Mitbewegung des Schulterblattes bis zur Horizon-
talen erhoben und auf den Rücken gelegt werden kann. Der rechte Hu-
merus ist 2 Ctm. kürzer als der linke und von den Condylen 7 Ctm. auf-
wärts verdickt. Auch die ulna ist vom olecranon 8 Ctm. abwärts verdickt,
und das stark verdickte capit. radii liegt unter einem vernarbten Ein-
schnitte. Oedem in der Umgegend des Ellenbogengelenks mit durchschim-
mernden Venen. Der rechte Oberarm ist um 3 Ctm. dünner als der linke,
das rechte Ellenbogengelenk um 3 Ctm. stärker, der Unterarm in der
Mitte nur um 1 Ctm schwächer, als der linke. An der Volarseite des
Unterarmes mehre dünne Narben nach Einschnitten. Hand- und Finger-
gelenke in ihren Bewegungen ganz frei; der Händedruck ist kraftvoll, das
Gefühl in den Fingern fein. Der Arm bedarf keiner Unterstützung.
Unsere Ueberzeugung von dem Nutzen der Resection kann uns
nicht abhalten, die Vorzüge eines derartig steifgeheilten Gliedes vor
dem schlotternden anzuerkennen. Sie würden noch grösser sein,
wenn der Winkel, in welchem der Unterarm zum Oberarme steht,
weniger stumpf wäre. Glücklicher Weise sind auch nicht alle
Dänen, welche 1864 in unseren Lazarethen resecirt wurden, mit
Schlottergliedern heimgekehrt. Finden sich doch sogar unter den
8 Resectionsfällen, welche Drachmann in seinem Vortrage citirt
249
hat, 2, welche in Betreff der resultirendea Brauchbarkeit mit den
erwähnten Steifheilungen wenigstens concurriren.
Fall 168 (nam. L. d. Res. Nr. 30). Untercorporal Anders Hansen vom
2. dän. Inf.-Reg. erhielt am 18. April einen Gewehrschuss durch das linke
Ellenbogengelenk. Eingang oberhalb des cond. int. humeri; Ausgang vor
dem capit. radii. Die trotz Lagerung in einer Drahtschiene und Eis sich
einstellende starke Reaction und Eiterung bestimmte am 15. Mai zur Re-
section des Gelenkes mit Abtragung des fracturirten Humerusendes (4 Ctm.),
der am 24. Mai die Absägung des capit. radii zugefügt wurde. (Flensburg;
St.-A. Dr. Hahn.) Lagerung auf der Esmarch 'sehen Schwebe, welche
indess im Juni aufgegeben werden musste, weil der ungleichmässige Druck
die Infiltration des Oberarmes zu fördern schien. Die Ausheilung erfolgte
zögernd, weil sich nach und nach viele kleine nekrotische Knochenfrag-
mente ablösten. Im Juli und August traten fieberhafte Erysipele hinzu,
welche nach kurzer Dauer und mit der Lösung von Sequestern ablie-
fen. Frühzeitige passive Bewegungen. Entlassung nach Copenhagen am
26. August.
Resultat 8£ Monat nach der Operation: Atrophie der Schulter-
muskeln; Umfang des Schultergelenks 9 Ctm. geringer als rechts. 'Bewe-
gung des Armes nach vorn und hinten activ möglich. Oberarm in der
Mitte 6 Ctm. dünner als der rechte. Unteres Ende des Humerus verdickt;
vom Radius fehlen etwa 2 Ctm.; Olecranon in seinen Contouren scharf. Das
Ellenbogengelenk steht ziemlich fest in einem stumpfen Winkel. Activ
ist keine Bewegung in demselben möglich; passiv Beugung um einige
Grad und geringe Pro- und Supination. Die Gelenkgegend hat 5 Ctm. we-
niger Umfang als rechts. Vorderarm 2 Ctm. dünner als rechts. Bewegung
im Handgelenke ziemlich frei. Daumen, frei beweglich, kann gegen alle
Finger opponiren. Die übrigen Finger weniger beweglich, am ergiebigsten,
wenn der Oberarm mit der gesunden Hand umspannt und der Vorderarm
unterstützt ist. Gefühl in allen Fingerspitzen normal. Die Hand ist bläu-
lich gefärbt. H. trägt den Arm in einer Mitelle und braucht Hülfe beim
Kleiden. Er treibt einen Victualienhandel und kann z. B. eine Flasche
Porter mit der Hand halten, auch die Finger zum Geldeinnehmen ge-
brauchen.
Die Schilderung weicht etwas ab von dem Resultate, welches
Drachmann H Monat früher constatirt hatte. Damals war die
Verbindung noch nicht so straff.
Fall 16j9 (nam. L. d. Res. Nr. 7). Hans Hansen vom 4. dän. Inf.-Reg.,
am 29. Juni verwundet. Die Kugel ist dicht oberhalb der Condylen durch
den linken Humerus gegangen und hat dessen Gelenkende zersplittert. In
Oster-Satrup wird am 1. Juli von der an sich grossen und zu dem
Zwecke noch erweiterten Ausgangsöffnung am Cond. ext. aus das Gelenk
resecirt, jedoch nur die Epiphyse des Humerus und eine kleine
Knochenspitze vom Schafte abgetragen. (St.-A. Dr. Lücke.) Un-
mittelbar danach gefensterter Gypsverband, der indess durch die sehr
250
profuse Eiterung rasch erweicht wurde, so dass er schon am 7. Juli durch
einen neuen ersetzt werden musste. Vom 18. Juli ab musste der Gipsver-
band ganz wegbleiben, weil unter lebhaftem Fieber uud verbreitetem Ery-
them Eitersackungeu, namentlich von der bursa olecrani aus nach dem Vorder-
arm, entstanden und Incisionen erheischten. Am 28. Juli Entfernung eines
nekrotischen Splitters vom Humerus. Im August täglich ein halbstündiges
Armbad von Seewasser. Einlegung einer Drainröhre. In Apenrade,
wohin Patient am 28. August evacuirt wird, dauert die Eiterung wechselnden
Grades unter Wiederaufbruch alter Incisionen bei ziemlich gutem Allge-
meinbefinden fort. Gegen Ende October ist die Ausheilung so weit vor-
geschritten, dass methodische Bewegungen mit dem Gliede vorgenommen
werden können. Am 8. November zeigt sich unter Fieberung Fluctua-
tion an der äusseren Seite des Gelenkes. Die Sonde stösst auf nekroti-
schen Knochen. Die dort noch bestehende Fistelöffnung wird dilatirt und
demnächst ein nekrotischer 1 Zoll langer, doch nicht ganz voll-
wandiger Knochen-Cylinder vom unteren Ende des Humerus
extrahirt. Die Vernarbung geht nunmehr so rasch vor sich, dass An-
fangs December die Entlassung nach Copenhagen erfolgen kann.
• Untersuchung 7 Monate nach der Operation: Umfang der
Schulter 5| Ctm. geringer als rechts. Ohne Mitbewegung des Schulter-
blattes kann der Arm activ nur wenig erhoben, die Rotation nur schwer
ausgeführt werden. Die active Vor- und Rückwärtsführung des Armes ist
ziemlich ausgiebig. Oberarm 3 Ctm. dünner als der rechte und 5 Ctm.
kürzer. An jeder Seite des Olecranon eine vertiefte Narbe, rechts 9 Ctm.
lang. Oberhalb des Olecranon eine wenig eiternde Fistelöffnung, die in
weiches Gewebe führt. In der Ellenbogenbeuge eine vertiefte Narbe, 5 Narben
nach Einschnitten über der Ulna bis zur Mitte des Unterarmes. Das untere
Humerusende ist besonders an der inneren Kante verdickt; an der äusseren
eine vertiefte Narbe. Die Umrisse des Olecranon sind scharf. Am Radius
fühlt man 6 Ctm. von der Ellenbogenbeuge entfernt einen halbharten
Knopf, über den hinaus keine Knochenmasse mehr durchzufühlen ist. Um-
fang der Gelenkgegend 3 Ctm. geringer als rechts. Das untere Humerus-
ende ist mit dem Olecranon durch eine 3 Ctm. lange weiche Zwischensub-
stanz verbunden. Der Arm hängt in sehr stumpfem Winkel gebeugt herab
und kann activ zu einem Winkel von c. 160° flectirt werden. Pro- und
Supination activ unmöglich. Passiv ist die Beugung mit grösster Leich-
tigkeit bis zum rechten Winkel ausführbar. Bei versuchter passiver Pro-
nation rotlren Ulna und Radius zugleich. Der Vorderarm lässt sich gegen
den Oberarm nach allen Richtungen verschieben — straffes Schlotter-
gelenk. Der Unterarm 2£ Ctm. dünner als rechts. Beugung und Stre-
ckung im Handgelenke frei; Rotation nicht ausführbar. Bewegung der
Finger frei. Handdruck kräftig. Fingergefühl vollkommen.
Von den übrigen in preussischen Lazarethen resecirten Dänen
sind uns zwar nur die provisorischen Resultate zur Zeit der Ent-
lassung in die Heimath bekannt; diese waren aber wenigstens in
251
den beiden folgenden Fällen, welche Herr Prof. Drachmann nicht
zu kennen scheint, der Art, dass ein sehr schönes definitives Re-
sultat in sicherer Aussicht stand.
Fall 170 (nara. L. d. Res. No. 12). Peter Holmbol vom 9. dän. Inf.-
Reg., am 18. April verwundet und in Wester-Snaabeck aufgenommen.
Sehr kleine Oeffnungen des Schusskanales an beiden Seiten des linken
Olecranon, welche von einer Revolverkugel herzurühren scheinen. Die Ver-
letzung imponirt als leichte; Patient wird am 20. April nach Baurup eva-
cuirt. Auch hier ist eine Fractur nicht mit Sicherheit zu constatiren, weil
weder Dislocation, noch abnorme Beweglichkeit resp. Crepitation vorhanden
ist. Aber unter steigendem Fieber schwoll das Gelenk an, und Druck auf
dasselbe entleerte am 22. April Jauche aus den Wundöffnungen. Bei der
deshalb am 26. April ausgeführten Resection (Gen.-A. Dr. v. Langen-
beck) stellte sich heraus, dass das Olecranon dicht über dem Kronfort-
satze abgesprengt war. Es wurden alle 3 Epiphysen abgetragen und so-
fort ein Gypsverband im Winkel von 145 Grad angelegt. Zwei Tage Eis-
blasen Eine Nachblutung am dritten Tage machte die Eröffnung des Ope-
rationsschnittes behufs Entleerung der Gerinnsel nöthig. Der weitere Ver-
lauf gestaltete sich dessenungeachtet so günstig, dass Patient schon am
14. Mai das Bett verlassen und der erste Gypsverband bis zum 31. Mai
liegen bleiben konnte. Ein zweiter erschien nicht mehr nöthig. Schon in
der sechsten Woche nach der Operation durften passive Bewegungen be-
ginnen- Als Patient am 21. August von Rendsburg aus heimgesandt wurde,
war die Verbindung zwischen Ober- und Unterarm straff, aber schon activ
beweglich.
Unter allen Resectionen des Ellenbogengelenkes von 1864 hat
die folgende das schönste Resultat gegeben. Sie war die einzige,
welche schon am Tage der Verletzung gemacht ist.
Fall 171 (nam. L. d. Res. No. 1). Langbleischus s durch das Ellen-
bogengelenk. Resection 12 Stunden nach der Verwundung.
Rasche Heilung mit sehr brauchbarem Gliede. — Gemeiner
Christen Christensen vom 9. dän. I.-R. wurde in dem Nachtgefechte am
28. März vor Düppel verwundet und kam etwa 2% Uhr Morgens auf dem Ver-
bandplatze des 1. F. L. 6. I.-D. (Chefarzt Taubner) an. Das Gschoss war an
der hinteren Seite des linken Oberarmes über dem Olecranon eingedrungen,
hatte dasselbe zertrümmert und war an der Beugeseite des Unterarmes
dicht unterhalb des abgesprengten Capit. radii ausgetreten. Im Depot
desselben Lazareths zu Stenderup wurde Nachmittags 3 Uhr von St.-A.
Dr. E. Pätsch die Resection gemacht mittelst Längsschnitt über dem Ole-
cranon, so dass die Schusseingangsöffnung in denselben fiel. Alle 3 Epi-
physen wurden abgetragen. Einfacher Verband und Lagerung auf einem
Hechseikissen, dem in den nächsten Tagen eine Drahtschiene zugefügt
wurde. Die Behandlung wurde bis zum 15. April von St.-A. Dr. Asche,
danach von St.-A. Dr. Bötticher geleitet. Eine glückliche Torpidität des
Operirten unterstützte den Erfolg. Niemals zeigte sich allgemeine Reac-
252
tion, die Eiterung blieb eine beschränkte. Am 16. April wurde der Arm auf der
Esmarch'schen Schiene gelagert. Die Granulationen wurden bald so üppig,
dass mit Arg. nitricum touchirt werden musste. Am 28. April — also vier
Wochen nach der Resection — war die Ausheilung fast vollendet. Der
Operirte hatte bereits gegen den Willen des Arztes Bewegungen versucht. Am
29. April wurde — behufs der Evacuation nach Baurup — ein Gypsverband
angelegt. In ßaurup wurde nach Abnahme des Gypsverbandes eine Resec-
tionsschiene abwechselnd in möglichst gestreckter und möglichst gebeugter
Stellung angelegt und active Bewegungsversuche gemacht. Mitte Juni
sind alle Bewegungen frei. Patient hebt einen halben Eimer
Wasser ohne Schwierigkeit mit dem Vorderarme. Die Heimsen-
dung erfolgte Mitte Juli von der Festung Rendsburg.
Die Data, welche Verwundung, Operation und den Gypsverband
betreffen, weichen wesentlich ab von den Angaben, welche die Mit-
theilung des Hrn. Prof. Lücke (1. c. S. 143) über diesen Fall ent-
hält. Die vorstehenden sind correct. Der Fall zeugt nicht, wie
Lücke meint, von der trefflichen Wirkung des Gypsverbandes, da
derselbe nur die untergeordnete und kurze Rolle des Transportver-
bandes nach fast vollendeter Heilung gespielt hat, sondern von den
Vorzügen der primären Resection. Ich werde darauf zurück-
kommen.
Die Resultate der Resection bei den in den preussischen La-
zarethen resecirten Dänen liegen in Obigem vor bis auf den in
der namentlichen Liste sub 5 verzeichneten Fall. Genügende, die
eventuelle Brauchbarkeit des erhaltenen Gliedes betreffende Data
fehlen. Dass aber der Verlauf auch in diesem Falle von primärer
Resection kein ungünstiger gewesen sei, dürfte schon aus dem Um-
stände zu schliessen sein, dass der Operirte bereits im dritten Mo-
nate nach der Verwundung ausgeliefert werden konnte.
Noch mehr Bedeutung für die Würdigung der Brauchbarkeit
der Glieder, welche durch die Resection des Ellenbogengelenkes
erhalten wurden, gebührt den definitiven Resultaten, welche bei
den resecirten Preussen zu ermitteln gelungen ist. Ich stelle die
günstigsten voran.
1. Fall 172. (nam. L. No. 29). Absprengung des Condylus exter-
nus humeri. Secundäre Resection mit Abtragung der Epi-
physe des Humerus. Heilung mit fast vollkommener Restitu-
tion der Gelenkverbindung und der Brauchbarkeit des Gliedes
überhaupt. — Musk. Ernst Birkner von der 1. Comp. 60. I.-R. er-
hielt am 18. April bei Düppel einen Gewehrschuss an der äusseren Seite
des linken Ellenbogengelenks, welcher so wenig bedeutend schien, dass
er in rascher Folge durch mehre Lazarethe bis Kiel evacuirt wurde, wo
253
er am 24. April eintraf. Hier wurde zwar eine Verletzung des Condyl.
ext. humeri constatirt; aber erst vom 7. Mai ab äusserte sich die Bethei-
ligung des Gelenkes durch Auftreibung und nach oben wie nach unten
sich ausdehnende Infiltration. Da letztere unter Zutritt von Fieber und
copiöser Eiterung immer mehr stieg, so wurde am 14. Mai zur Resection
des Gelenkes mittelst des |— Schnittes geschritten. (O.-St.-A. Dr. v. Stück -
radt.) Das Bild (Fig. 1) zeigt die abgesägte, von Herrn O.-St.-A. Dr. Otto
Fig. 1.
nach der Natur gezeichnete Epiphyse des Humerus mit der Sprengfläche des
äusseren Condylus. (Der Knorpelüberzug wurde in der Ablösung begriffen
gefunden.) Die Epiphysen der Ulna und des Radius blieben intact. Bei
der Lagerung auf der Esmarch'schen Schwebe verlief die Ausheilung
ohne erhebliche Störungen. Am 23. Mai wurde an der innern hinteren
Seite des Gelenkes eine Incision nöthig, um ein Eiterdepot zu entleeren.
Schon im Juni konnten passive Bewegungen vorgenommen werden. Wäh-
rend einer dreiwöchentlichen Badekur in Teplitz, welche Patient im August
gebrauchte, verheilte die Operationswunde fast völlig, die Vernarbung er-
folgte jedoch erst im November, bis wohin Herr O.-St.-A. Dr. Büttner in
Berlin die Behandlung leitete, bis auf einen Fistelgang, der sich erst im
Januar 1865 definitiv schloss, nachdem sich, wie wiederholt früher, noch
kleine nekrotische Knochenfragmente (mit der Sägefläche) entleert hatten.
Wegen heftiger rheumatischer Schmerzen im linken Oberarm wurde im
Juni 1865 eine vierwöchentliche Badekur in Warmbrunn gebraucht. Am
24. October 1865 trat B. seinen Lehr er- Beruf wieder an.
Untersuchung \\ Jahr nach der Operation durch Herrn
St.-A. Dr. Gaehde am 23. November 1865: Temperatur, Puls, Gefühl
wie am gesunden Arme. Nur bisweilen etwas rheumatischer Schmerz im
linken Oberarm. Länge des Oberarmes 11| Zoll, \ \ Zoll weniger als rechts.
Umfang in der Mitte \\ Zoll geringer. Der linke Vorderarm misst an
seiner dicksten Stelle 1| Zoll weniger als der rechte. Muskulatur überall
gut entwickelt, nur etwas schlaffer als rechts. Das nntere Ende des Hu-
merus, besonders an der äusseren Leiste, etwas verdickt. Osteophyten
nicht nachweisbar. Die Narben der Operationsschnitte fast gar nicht ein-
gezogen. Zwischen Ober- und Unterarm hat sich eine neue gelenk-
254
Flexion ist nahezu normal. Die active Extension erreicht nur den
Winkel von 130 0 ; aber auch die passive geht nicht weiter. Jener Winkel
ist um 10° grösser als der, bis zu welchem sich der Arm am Skelett ex-
tendiren lässt, nachdem die fossa olecrani ausgefüllt ist. Die Supina-
tion geschieht bis zur Mittelstellung, die Pronation um einen rechten
Winkel — bei gestrecktem wie bei gebeugtem Arm. Auch passiv gehen
diese Bewegungen nicht weiter. Die Brauchbarkeit wird durch die Photo-
graphien hinreichend erläutert. Zum Geigespielen müsste die Supination
vollständiger sein. Zum Ciavierspielen ist noch mehr Gelenkigkeit und
Ausdauer erforderlich — Requisite, deren Erlangung nicht zweifelhaft ist,
wenn die entsprechende Gymnastik weiter zu Hülfe kommt. Bis zur Un-
tersuchung hat B. eine stetige Zunahme des Umfanges und der Kraft des
Gliedes bemerkt.
Fall 173. (nam. L. No. 31). Schussfractur des Condylus exter-
nus humeri und des capitulum radii. Secundäre Resection
mit Abtragung der Epiphyse des Humerus, des Radius und
der Spitze des Olecranon. Heilung mit straffer gelenkartiger
Verbindung und grosser Brauchbarkeit des Gliedes. — Musk.
Hermann Hannisch von der 2. Comp. 55. I.-R. erhielt am 18. April
255
eine Gewehrkugel, welche neben dem äusseren Rande des linken Olecranon,
ohne dieses zu verletzen, eindrang, den Condylus ext. humeri zersprengte
und mit Fractur des capitulum radii an der Volarseite des Unterarmes
austrat. In Broacker vom schw. F.-L. des Garde-Corps (Sect. St.-A.
Michel) aufgenommen, wurde er bei entsprechender Lagerung mit Eis
behandelt und am 23. April dem 1. F.-L. der Cav. -Div. übergeben. Die
Anfangs lebhafte Reation mässigte sich zwar, die immer wiederkehrenden
Verschlimmerungen nöthigten jedoch am 21. Mai zur Resection des Ge-
lenkes (0. -St. - A. Dr. Neubaur). Längsschnitt nach v. Langenbeck.
Abtragung der Epiphyse des Humerus, dessen Knorpelüberzug bereits
gelockert war, der Spitze des Olecranon Zoll) und circa 1 Zoll vom Ge-
lenkende des Radius. Gypsverband 12 Stunden nach der Operation. Der
Operirte wurde am 25. Mai dem 1. F.-L. der 6. Inf. -Div. übergeben und
am 27. Juni von Broacker nach Glücks bürg (3. schw. F.-L. 3. A.-C.)
evacuirt. Bis Ende Juli war die Ausheiluug soweit vorgeschritten, dass
Patient behufs einer achtwöchentlichen Badekur nach Teplitz geschickt
werden konnte. Die Vernarbung erfolgte hier vollständig und definitiv.
Untersuchung 19 Monate nach der Operation durch Herrn
St.-A. Dr. Gaehde. Temperatur und Puls wie am rechten Arme. Die
Fig. 4, Fig. 5.
Web er 'sehen Tastkreise um den 3 bis 4 fachen Durchmesser vergrössert.
Bisweilen die Empfindung leichten Kriebelns in den Fingern. Der
linke Biceps ist gut entwickelt, der Triceps schwach. Die Muskulatur des
Vorderarmes und der Hand noch erheblich schlaffer als rechts. Der linke
Oberarm misst in der Mitte \\ Zoll weniger, der Vorderarm an der dick-
sten Stelle 1 Zoll weniger als rechts. Am unteren Ende des kaum 1 Zoll
Löffler, Generalbericht. 17
256
kürzeren Humerus haben sich neue der Stelle der Condylen entsprechende
Vorsprünge gebildet. Das Olecranon ist durch einen ziemlich dicken
Knochenvorspruug ersetzt. Die Schnittnarbe verschiebbar. Straffe gelenk-
artige Verbindung zwischen Ober- und Unterarm. Die Ausgiebigkeit der
activen Flexion bis zum rechten Winkel und die active Bewegungs-
fähigkeit der Finger wird durch die beiden nach Photographien ausgeführ-
ten Holzschnitte (Figur 4 und 5) ersichtlich. Die bis zum Winkel von
120° mögliche active Extension geschieht durch den noch schwachen
Triceps ruckweis. Pro- und Supination fast aufgehoben. H. ist seit dem
1. Juli 1865 als Briefträger bei dem Königlichen Oberpostamte in Berlin
angestellt und durch die Brauchbarkeit seines Gliedes, dessen Kraft und
Ausdauer, wie er sagt, noch stetig zunimmt, sehr befriedigt.
3. Fall 174. (s. nam. L. No. 4). Gewehrschuss durch das linke El-
lenbogengelenk. Frühe Resection. Heilung mit beschränkter
activer Beweglichkeit. — Füs. Hermann Rawe vom 4. Garde Gren.-
Reg. erhielt am 18. April einen Sehuss, welcher von vorn nach hinten das
Ellenbogengelenk durchbohrte und die Epiphyse des Humerus und das
Olecranon zerschmetterte. Die Einschussöffnung liegt der A. brachialis so
nahe, dass möglicherweise eine Streifung derselben stattgefunden hat. Am
19. April wurde in Stenderup von St -A. Dr. Claus resecirt mittelst Längs-
schnitt, so dass die hintere Schussöffnung in letzterem zu liegen kommt.
Die Ulua wurde unter den Kronenfortsatze, der Radius in gleicher Höhe,
vom Humerus nur der Gelenkfortsatz abgetragen. Sehr günstiger Verlauf
bei geringer Reaction. Anfangs Juni erfolgte der Schluss der Wunden.
Später ist noch eine Badekur in Kreuznach gebraucht. Untersuchung
(21 Monate nach der Operation) am 31. Januar 1866 durch Herrn
Dr. Mittweg in Essen: R. fungirt als Nachtwächter bei der Cöln-Min-
dener Eisenbahn. Definitive Vernarbung der Wunden Das Glied ist noch
etwas magerer als das gesunde. Periodische Schmerzhaftigkeit der Gelenk-
stelle. Puls, Temperatur und Empfindung normal. Active Beweglichkeit
im Ellenbogen von einem Winkel von 105° bis zu 135°. Passiv lässt sich
zwar etwas stärkere Beugung und Streckung bewirken, doch verursacht
dies Schmerzen. Hand- und Fingergelenke frei bis auf Mittel- und Ring-
finger, die etwas steif geblieben sind. Pro- und Supination wenig aus-
führbar.
4. Die Verwundung und Operation des Gefreiten Karl Schmidt ist schon
früher besprochen worden. S. Fall 152 (nam. L. der Res. No. 37). Es
handelte sich um Gelenkeiterung 2 Monate nach der Verwundun g,
Resection mit Abtragung aller 3 Epiphysen und nachträgliche
Absägung eines % Zoll langen nekrotischen Stückes vom un-
teren Ende des Humerus. Bei der am 4. März 1866, also 21 Mo-
nate nach der Operation in Inowraclaw geschehenen Untersuchung
hat Herr St-A. Dr. Tievenow folgendes Resultat constatirt: Der Aus-
heilungsprocess ist völlig abgelaufen. Puls wie an der gesunden Seite;
Temperatur etwas geringer. Sensibilität bis auf eine thalergrosse Stelle
am Ellenbogen gut. Häufig tritt ein Gefühl von Jucken und Kriebeln ein.
257
Fig. 6.
Die Differenz der Ernährung des resecirten
Gliedes von der des gesunden, sowie der
Längenunterschied wird durch Figur 6,
nach einer Photographie gefertigt, veran-
schaulicht. Die Muskulatur ist besonders
am Oberarm sehr schlaff; der Umfang ist
in der Mitte 5 Ctm. geringer als rechts.
Die zurückgebliebene durch eine weiche
Zwischensubstanz vermittelte Schlotter-
verbindung zwischen Ober- und Unter-
arm wird sehr gut durch Figur 7 an der
vollständigen Verdrehung des Vorderarmes
um seine Achse und Rückwärtsbeugung
gegen den Oberarm ersichtlich. In der
Schulter kann der Arm activ nur wenig,
passiv bis zum rechten Winkel gehoben
werden. Im Ellenbogen ist nur eine höchst
geringe active Beugung (c. um \ Zoll)
möglich; passiv lässt sich der Unterarm
258
ohne Schmerz so weit flectiren, dass die Hand das Ohr der Seite berührt.
Die Hand übt zwar nur schwachen Druck, kann aber vollständig zur Faust
geschlossen werden. Ohne Stützapparat ist das Glied unbrauchbar. Mit
dem Stützapparat (Fig. 8) kann er den Arm etwas heben und mit den
Fingern leichte Gegenstände festhalten, z. ß. beim Essen den Teller, nach-
dem er ihn zwischen die Finger geschoben hat. Bei der Ausübung seines
jetzigen Berufes — er ist Chausseegeld-Erheber zu Antonsdorf im Kreise
Schubin — benutzt er ausschliesslich den gesunden Arm.
5. Fall 175. (nam. L. der Res No. 26). Schussfractur des oberen
Endes der Ulna. Späte Gelenkentzündung. Resection. Hei-
lung mit Schlotterverbindung. — Füs. Hermann Hein vom
24. Inf.-Reg. wurde am 11. April vor Düppel verwundet und in Rinkenis
(3. schw. F.-L. 3. A -C, Sect. St.-A. Dr. Weise) aufgenommen. Die Kugel
war am Radialrande der Volarseite des rechten Unterarmes nahe der
Ellenbogenbeuge eingedrungen und ohne Verletzung des Radius, aber mit
Zerschmetterung der Ulna an der Streckseite 2 Zoll unterhalb des Gelenkes
ausgetreten. Einige Splitter der Ulna wurden aus der hinteren Oeffnung
extrahirt. Das Gelenk selbst schien nicht verletzt. Bei entsprechender
Lagerung und Eis schien sich der Verlauf auch günstig zu gestalten. An-
fangs Mai bildete sich jedoch nach vorausgegangenen leichten Schüttel-
frösten ein Abscess oberhalb des Gelenkes, welcher bei der Eröffnung
guten Eiter entleerte. Bald schwoll nun das Gelenk selbst an mit deut-
licher Fluctuation neben dem Olecranon. Am 5. Mai wurde deshalb zur
Resection geschritten (Dr. Lender aus Soldin). Olecranon und Proc.
coronoid. der Ulna fanden sich abgesprengt Abgetragen wurde die
Epiphyse des Humerus und der Ulna; das Cap. radii blieb intact.
Erhöhte Lagerung auf einer gepolsterten Armschiene ; nach 8 Tagen Gyps-
verband. Die Ausheilung ging rasch und ungestört vor sich, so dass Pat.
bereits am 25. Mai das Bett verlassen konnte. Als er am 8. Juni nach
Glücksburg evacuirt wurde, wsr die Wunde fast verheilt. Vernarbung
am 9. Juli vollständig. Sechswöchentliche Badekur in Teplitz. Entlassung
aus der Lazarethpflege (zuletzt in Berlin) mit einem Stützapparat am
13. April 1865.
Untersuchung in Charlottenburg am 25. November 1865 — 19 Monate
nach der Operation — durch Herrn Ass.-A. Dr. Hanckwitz: Puls nor-
mal; Temperatur etwas geringer als links; Sensibilität ungestört. Der Ober-
arm hat in der Mitte 4 Ctm., der Unterarm 2 \ Ctm. weniger Umfang als
der linke. Vom Humerus und von der Ulna fehlen je 8 Ctm. Von den
Enden beider Knochen erstrecken sich Knochenlamellen in die weiche
Zwischensubstanz', welche eine Schlotterverbindung vermittelt. Bewe-
gungen im Schultergelenk und der Hand lassen kaum etwas zu wünschen
übrig. Ohne Stützapparat ist nur eine sehr geringe active Flexion
möglich. Mit dem Stützapparat ist völlige Streckung und active Beu-
gung bis zum rechten Winkel möglich. Die passiv vollständig ausführbare
Pro- und Supination ist activ sehr wenig möglich. H. gebraucht das re-
secirte Glied nur zum Festhalten von Gegenständen, nachdem er sie mit
259
der gesunden Hand in die andere gelegt hat, sofern sie nicht zum directen
Fassen mit letzterer beqnem liegen. Er ist als interimistischer Briefträger
bei der Post im Dienste. Beim Austragen der Briefe lässt er den rechten
Arm gewöhnlich auf der angeschnallten Brieftasche ruhen. Da er Abends
aber genöthigt ist, noch eine Laterne zu tragen, welche beim Ausgeben der
Briefe mit dem kranken Arme zu halten ist, dieser aber danach bald
schmerzhaft wird, so ist er im Begriffe, den Posten aufzugeben.
6. Fall 176. (nam. L. d. Res. No. 38). Schussfractur des unteren
Endes des Humerus. Späte Resection des Ellenbogengelenks.
Heilung mit Schlotterverbindung. — Pionier Wilhelm Fröh-
brodt vom 3. Pion.-Bat. erhielt am 18 April eine Kugel durch den rechten
Oberarm, welche den Humerus nahe dem Ellenbogengelenke zerschmetterte.
Die Gelenkbetheiligung blieb lange zweifelhaft. Als Patient am 5. Juli in
Broacker von dem 1. F.-L. 13. I.-D. übernommen wurde, war er sehr her-
untergekommen und wegen heftiger Schmerzen im rechten Arme schlaf-
los. Das Gelenk ist stark geschwollen und geröthet; aus den beiden
Schussöffnungen und einer Fistelöffnung entleert sich in Menge stinkender
Eiter. Am 13. Juli — 86 Tage nach der Verwundung — resecirte St.-A.
Dr. Hage mann das Gelenk. Ausser dem fracturirten Gelenkende des
Humerus (über 4'') wurden die Epiphysen vonülna und Radius abgetragen.
Sofortiger Gypsverband. Eisbeutel. Die Operation hatte die günstigste
Wirkung auf das Allgemeinbefinden. Die Ausheilung geht schnell und un-
gestört vor sich. Der gefensterte Gypsverband wird am 31. Juli und am
15 August erneuert. Um diese Zeit verlässt Patient das Bett und wird
mit fast vernarbter Wunde am 9. September nach Flensburg, am 14. Oc-
tober nach Berlin evacuirt. Hier lösten sich noch kleine Sequester ab,
der letzte am 2. Februar 1865. Definitive Vernarbung am 20. April. Im
Juni 1865 vierwöchentliche Badekur in Rehme neben Anwendung der Elec-
tricität.
Untersuchung am 7. December 1865 — 17 Monate nach der Ope-
ration — in Berlin durch Herrn Dr. Berkofsky: Puls beider Seiten
wenig verschieden. Temperatur rechts etwas geringer; die Sensibilität
nicht vermindert. Erhöhte Empfindlichkeit gegen Temperaturunterschiede.
Umfang des rechten Oberarmes in der Mitte 1\ Ctm. , des Vorderarmes
oben 2 Ctm. kleiner als links. Der Humerus erscheint rechts 12 Ctm., die
Ulna 3 Ctm., der Radius 1| Ctm. kürzer als links. Der Humerus verjüngt
sich nach unten konisch. Am oberen Ende der Ulna hat sich eine dem
Olecranon entsprechende, nur viel spitzere Protuberanz gebildet. An der
Streckseite der Gelenkgegend ist die 10 Ctm. lange Schnittnarbe mit der
Haut verschiebbar bis auf einen kleineu Theil, welcher verwachsen ist mit
dem fibrösen, bei herabhangendem Arme b\ Ctm. langen Strange, welcher
die Schlotterverbindung zwischen Ober- und Unterarm vermittelt.
Die Bewegungen im Schultergelenk sind activ wie passiv frei. Die pas-
sive Bewegung im Ellenbogen ist nach allen Richtungen ausgiebigst, ac-
tive dagegen weder ohne noch mit dem Stützapparat möglich.
Die Bewegungen der Hand und der Finger sind activ wie passiv sehr frei.
260
Fig. 9.
Die Hand kann vollkommen geschlos-
sen, sämmtliche Finger können activ
vollkommen gestreckt und gespreizt
werden, wie an dem photographischen
Bilde ersichtlich ist. Dennoch ist die
Hand ohne den Stützapparat nicht
brauchbar, weil ohne denselben sehr
bald Ermüdung, etwas Anschwellung,
vermehrtes Kältegefühl und ziehende
Schmerzen eintreten. Nach Anlegung
desselben können mit der Hand die
meisten kleineren Leistungen des ge-
wöhnlichen Lebens ausgeführt wer-
den, sobald nur mittelst des gesun-
den Gliedes die rechte Hand nach
der betreffenden Stelle geleitet ist.
So kann F. z. B. mit der rechten
Hand auf- und zuknöpfen; er schreibt
auch mit dieser Hand, nur muss er
dabei nach jedem Worte den rechten
Arm durch die linke Hand weiter-
schieben. Der Druck der rechten Hand ist ziemlich kräftig; auch kann
er schwerere Gegenstände mit ihr halten. Hat F. nach Fixirung des Stütz-
apparates den rechten Arm längere Zeit in einer Stellung gehabt, so er-
lahmt er; einige passive Bewegungen sind dann nöthig, um das Erlahmungs-
gefühl zu beseitigen. F. ist im Dienste Sr. Königl. Hoheit des Kronprinzen
meist nur mit Austragen von Briefen beschäftigt.
Der Stützapparat, durch Riemen von beiden Schultern getragen, besteht
aus zwei gepolsterten Hohlschienen, welche durch Riemen um den Ober-
und Unterarm geschnallt werden und durch ein Charnier verbunden sind.
Die an der Beugeseite angebrachte Feder hält den Unterarm in halber
Flexion und kann durch einen Stellhaken in jedem beliebigen Beugewinkel
fixirt werden.
7. Fall 177 (nara. L. d. Res. No 23). Schussfractur desCondylus ex-
ternus humeri und des Olecranon. SecundäreResection. Hei-
lung mit Schlotterverbindung. — Musketier Heinrich Mecking
vom 53. Inf.-Reg. wurde den 18. April durch einen Gewehrschuss verwun-
det und am 19. in Flensburg (2. schw. F.-L. 3. A.-C.) aufgenommen.
Der Schusskanal geht vom äusseren Condylus des linken Oberarmes in der
Richtung nach dem Olecranon durch; jener wie dieses ist fracturirt, das
Gelenk aber wenig geschwollen und nur bei Bewegung mässig schmerz-
haft. Bis Ende des Monats bleibt die örtliche Reaction und die Eiterung
bei der Eisbehandlung gering, und das Allgemeinbefinden wird nur vorüber-
gehend durch Frösteln und etwas Durchfall gestört, Vom 1. Mai ab aber
wird die Eiterung stärker, die Schmerzhaftigkeit und Schwellung des Ge-
lenkes bedeutender. Die tägliche Steigerung dieser Erscheinungen veran-
261
lasst am 6. Mai zur Re Sectio n des Gelenkes (St.-A. Dr. Fischer), bei
welcher eine grosse Masse Eiters aus demselben abfliesst und die Gelenk-
euden aller 3 Knochen abgetragen werden. Eisbehandlung; Lagerung auf
Esmarch ' s Schwebe. Die Ausheilung erfolgte sehr langsam und machte,
nachdem die Schnittwunde bald und grossentheils per primam verklebt
war, wegen Eitersackungen wiederholt Incisionen nöthig. Am 25. Juni
wurde ein achtgroschenstückgrosser zackiger Sequester von der Ulna ent-
fernt. Wegen ungleichinässigen Druckes rauss der Arm aus der Schwebe
genommen werden. Vom 1. August ab werden passive Bewegungen vor-
genommen. Am 19. August traf der nach der Heimath evacuirte Kranke
mit sehr geschwollenem und schmerzhaftem Arme in Münster ein. Nach-
dem sich noch wiederholt kleine Sequester abgestossen hatten, erfolgte die
definitive Vernarbung, so dass er am 1. Dezember aus der Lazareth pflege
entlassen werden konnte.
Untersuchung am 5. Januar 1866 — 20 Monate nach der Opera-
tion — dnrch Herrn Dr. Bierbaum in Gemen: Puls normal, Temperatur
und Sensibilität vermindert, Ernährungszustand des Gliedes, verglichen
mit dem des rechten, schlecht. Kuochenneubilduug ist an den resecirten
Knochen nirgends bemerkbar. Schlotterverbindung durch eine etwa
1" lange Zwischensubstanz. Passive Bewegungen lassen sich nach allen
Richtungen leicht ausführen. Active Flexion und Extension nicht
möglich, Pro- und Supiuation sehr gering. Ohne einen Stützapparat, der
bisher nicht in Anwendung kam, ist der resecirte Arm „vollständig un-
brauchbar". Der Blessirte befindet sich im elterlichen Hause.
8. Fall 178 (nam. L. d. Res. No. 16). Schussfractur des Ellenbogen-
gelenkes. Secundäre Resection. Heilung mit Schlott erge-
lenk. — Gefreiter Hugo Beck vom Füs.-Reg. 35, am 18. April verwun-
det, in Rinkenis (3. schw. F.-L. 3. A.-C.) aufgenommen. Die Kugel ist
an der inneren Seite des linken Olecronon ein-, auf der Dorsalseite des
Vorderarmes eine Hand breit unter dem Gelenke ausgetreten. Das Ole-
cranon wird „ entblösst" gefühlt. Die örtliche wie die allgemeine Reac-
tion blieb bei entsprechender Lagerung in den ersten Tagen unbedeutend.
Erst vom 24. April ab stärkere Entzündung, gegen welche Blutegel und
Eis angewendet wurden. Danach bedeutende Abnahme der Erscheinungen.
Am 30. April finden sich in der hinteren Schussöffnuug lose Knochen-
splitter, welche extrahirt werden. Die Gelenkfiäche des Oiecranon ist da-
runter. Am 1. Mai Resection des Gelenkes. (A.-A. Dr. Baum.) Es
findet sich eine ausgedehnte Zerstörung im Gelenk, namentlich auch der
Epiphyse des Humerus, so dass alle 3 Gelenkenden abgetragen werden.
Schienenlagerung; am 4. Mai Gypsverband. Am 12. Mai Evacuation nach
Glücksburg, wo die Behandlung bis Mitte September fortgesetzt wurde.
Demnächst passirte B. die Lazarethe in Flensburg, Spandau, Bran-
denburg, von wo er am 23. October entlassen wurde. Die Behandlung
wurde im elterlichen Hause fortgesetzt. Im Sommer 1865 eine vierwöchent-
liche Badekur in Rehme.
Untersuchung am 11. November 1865 — 18 Monate nach der Ope-
262
ration — durch Herrn 0. St. A. Dr. Bein: Noch immer sind Knochen-
splitter exfoliirt; es bestehen noch zolltiefe Fistelgänge. Puls etwas
schwächer, Sensibilität und Temperatur geringer als rechts. Umfang des
Oberarmes 5^ Ctm., des Unterarmes 3 Ctm., der Hand 35 Ctm. kleiner als
am gesunden Gliede. Der Humerus erscheint um 2 Ctm., die Vorderarm-
knochen um 8 Ctm. verkürzt. Den normalen Protuberanzen entsprechend
haben sich Osteophyten gebildet. Die Gelenkgegend hat denselben Umfang
wie rechts. Es besteht eine Schlotterverbindung, vermittelt durch
eine bandförmige Zwischensubstanz, welche sich nach und nach auf
1 Ctm. Länge verkürzt hat. Zur Zeit ist active Flexion und Ex-
tension unmöglich. Auch mittelst des Stützapparates ist das Glied zu
bestimmten Leistungen vorläufig nicht brauchbar wegen der Muskelatrophie.
Fall 179 (nam. L. d. Res. Nr. 24). (Schussfractur des Ellenboge n -
gelenkes. Secundäre Resection. Heilung mit Schlotterver-
bin dung. — Füsilier Karl Antonius vom Füsilier -Reg. 35 erhielt am
18 April einen Gewehrschuss am linken Ellenbogen und wurde zunächst
in Rinkenis aufgenommen. Die am Unterarm unterhalb des Olecranon
eingedrungene Kugel war am Condylus int. humeri unter der Haut stecken
geblieben und wurde hier mittelst Incision entfernt. Eine Fractur der Ulna
und des Humerus wurde constatirt, die Betheiligung des Gelenkes schien
jedoch nicht sicher. Bei dem angelegten Watte- Schienen - Verband blieb
auch in den nächsten Tagen die Reaction aus, so dass Patient bei gutem
Aussehen der Wunden und gutem Allgemeinbefinden am 6. Mai nach Glücks-
burg evacuirt werden konnte. Hier fand man, dass die Sonde von der
Schnittöffnung aus zwischen Knochenfragmenten in das Gelenk führe, und
dass die durch beide Oeffnungen eingeführten Finger sich berührten. Am
8. Mai wurde deshalb die Resection mittelst Längsschnitt und mit Ab-
tragung aller 3 fracturirten Gelenkenden ausgeführt (St. A. Dr. Horneffer)
und das resecirte Glied auf der Esraarch ' sehen Schwebe gelagert, am
14. Juni aber mit dem Gypsverbande versehen. Der Ausheilungsprocess
verlief ohne erhebliche Störungen. Er war Mitte September so weit vor-
gerückt, dass die Evacuation nach Spandau erfolgen konnte, von wo er
am 24. Januar 1865 entlassen wurde.
Untersuchung am 7. December 1865 — 19 Monate nach der Ope-
ration — durch Herrn St. -A. Dr. Buski: Puls normal. Lästige
Temperatur- und Sensibilitäts -Verminderung. Periodische Schmerzhaftig-
keit der Gelenkstelle. Bedeutende Abmagerung des um circa 2 Zoll ver-
kürzten Armes, besonders am Oberarm. Das Sägeende des Humerus etwas
aufgetrieben. Keine Osteophyten. Schlotterverbindung. Active
Flexion und Extension unmöglich. Ohne Stützapparat mangelt jede Brauch-
barkeit; mit demselben ist das Glied nur brauchbar zum Festhalten von
sehr leichten Gegenständen. Der Operirte ist seinem Bruder bei der Be-
aufsichtigung der Wirthschaft behülflich.
Fall 180. (nam. L. der Res. No 15). Schussfractur der oberen
Gelenkenden der Ulna und des Radius mit Streifung der Epi-
physe des Humerus. Secundäre Resection. Heilung mit
263
Schlotterverbindung. — Musk. Wilhelm Euen vom 24. Inf.-Reg.
erhielt am 29. Juni auf Alsen einen Gewehrschuss durch das linke Ellen-
bogengelenk im Augenblicke, wo er sein Gewehr anschlug. Am 10. Juli
wurde das Gelenk resecirt (St-A. Dr. Vogelsang). Ausser den zertrüm-
merten oberen Enden der Vorderarmknochen wurde die mit verletzte Epi-
physe des Humerus abgetragen. Gefensterter Gypsverband in halber Beu-
gung. Die Schnittwunde heilte per primam. Wegen Eiterverhaltung musste
sie deshalb wiederholt künstlich eröffnet resp. durch neue Incisionen er-
setzt werden. Uebrigens verlief der Ausheilungsprocess ohne erhebliche
Störungen. Am 15. September war die Vernarbung bis auf einen Fistel-
gang geschehen; doch wurde noch eine Incision an der Stelle des früheren
Condyl. ext. humeri nöthig. Man machte fleissig passive Bewegungen.
Nachdem Patient die Lazarethe in Apenrade und Rendsburg passirt
hatte, wurde er am 22. December aus dem Reserve- Lazarethe zu Pots-
dam als invalide entlassen. Untersuchung am 15. November 1865 —
16 Monate nach der Operation — durch Herrn St.-A. Dr. Holtzin-
ger: Kleine § Zoll tiefe Fistel am unteren äusseren Ende des Humerus,
durch welche die Sonde nicht auf Knochen dringt. Vor 14 Tagen soll
ein kleiner Splitter sich entleert haben. Puls etwas schwächer, Tempe-
ratur und Sensibilität normal. Umfang des Oberarmes 2\ Zoll, des Unter-
armes \\ Zoll geringer als rechts. Oberarm \\ Zoll, Unterarm 2| Zoll
kürzer. Dem Condylus extern, humeri entsprechend eine kleine Protu-
beranz. Schlotterverbindung, durch eine £ Zoll lange ligamentöse
Zwischensubstanz vermittelt. Bewegung im Schultergelenk frei. Im Ellen-
bogen kann passiv jede Bewegung über die Norm hinaus gemacht werden.
Active Bewegung unmöglich. Im Handgelenke ist die Flexion un-
gestört, die active Extension aber sehr beschränkt. Die Fingerbewegung
lässt nichts zu wünschen übrig. Ohne Stützapparat ist das Glied unbrauch-
bar; der Arm hängt dann schlaff herunter und kann im Schultergelenk
nur hin und her geschleudert werden. Mit dem Stützapparate versieht die
Hand alle Dienste des gewöhnlichen Lebens. E. isst z. B. mit derselben.
Der Druck der Hand ist kräftig, doch ohne Ausdauer. Sein Beruf — E. ist
Brückenwärter in Havelberg — erfordert das Oeffnen der Brückenklappen
mittelst eines Drehbaumes. E. bedient sich dazu fast nur des linken Armes
und hält sich ausserdem einen Gehülfen.
11. Fall 181. (nam. L. der Res. No. 3). Schussfractur des unteren
Humerus-Endes mit Splitterung in's Gelenk. Primäre Resec-
tion. Heilung mit Schlotterverbindung. — Musketier Hermann
Thiele vom 60. Inf.-Reg. erhielt am 18. April einen Kartätschschuss durch
das untere Ende des linken Oberarmes. Bei der folgenden Tages in Sten-
derup ausgeführten Resection des Gelenkes (Gen.-A. Dr. v. Langenbeck)
wurde es wegen ausgedehnter Zertrümmerung nöthig, ausser den Epiphysen
der Unterarmknochen über 3| Zoll vom Humerus abzutragen. Gypsverband.
Die Ausheilung erfolgte so rasch und ungestört, dass schon Anfangs Juni die
Vernarbung nahe war und methodische Bewegungen vorgenommen werden
konnten. Im September Badekur in Te plitz. Definitive Vernarbung im
264
November. Später ist T. noch in der v. Langen beck' sehen Poliklinik
electrisirt worden, auch hat er im Juni und August 1865 Badekuren in
Warmbrunn und Rehme gebraucht. Untersuchung im December 1865
— 20 Monate nach der Operation — durch Herrn St.-A. Dr. Gaehde:
Puls und Temperatur wie an der gesunden Seite. Sensibilität im Bereiche
aller Hautnerven vermindert. Die Weber'schen Tastkreise haben einen
mehr als vierfachen Durchmesser denen des rechten Armes gegenüber.
Ausser leicht entstehendem Kältegefühl keine krankhaften Sensationen.
Der linke Biceps ist gut entwickelt, der Triceps bildet einen dünnen Strang.
Umfang des Oberarmes in der Mitte nur \ Zoll kleiner, als rechts; der
Vorderarm misst \% Zoll weniger. Bei schlaff herunterhängenden Armen
ist der Oberarm 2£ Zoll, der Unterarm \\ Zoll kürzer als der rechte. Die
Sägeenden der Knochen sind nicht aufgetrieben, sondern setzen sich
in einen deutlich durchfühlbaren, beim Herabhängen des Armes circa
1 Zoll langen, rundlichen Strang fort, welcher die Verbindung der
Knochen unter einander vermittelt. Die oberen Enden des Radius und
der Ulna sind gegen einander beweglich. Die vollkommene Schlotter-
verbindung gestattet die ausgiebigsten passiven Bewegungen, die
Fig. 10.
Fig. 11
Flexion bis zum spitzen Winkel wie in Fig. 10, die Extension weit über die
normale Grenze hinaus. Für die active Bewegung fällt der Triceps gänz-
lich aus; auch der Biceps wird kaum wirksam, wenn man nicht einen
Finger in die Ellenbogenbeuge legt und damit den Ansatz des Biceps fixirt.
Thut man das aber, so vermag der Muskel die Beugung fast bis zu
dem passiv möglichen Grade auszuführen. Hat man den Arm passiv
gebeugt, so kann der Biceps den Vorderarm eine halbe Minute lang in
265
der Stellung erhalten. Pronation und Supination können bei gestrecktem
und gebeugtem Arme gleich gut in normaler Extensität activ vollzogen
werden. Die active Extension der Hand ist mühsam und gelingt völlig
nur, wenn man, wie bei der Bethätigung des ßiceps, den Ansatz des Exteusor
an dem verlorenen Condylus internus humeri gewissermassen herstellt. Die
active Beweglichkeit der Finger wird ersichtlich aus dem Vergleiche der
beiden photographischen Bilder. Sie ist der Art aber nur möglich,
nachdem der Vorderarm in die Beugestellung gebracht ist, theils wegen
der verlorenen Ansatzpunkte der betreffenden Muskeln, theils wegen deren
mechanischer Verkürzung.
Ohne Stützapparat hängt das Glied schlaff am Leibe herab und ist
wenig brauchbar. T. besitzt einen 2 bis 2^ Pfund schweren Stützapparat.
Derselbe besteht aus zwei gepolsterten eisernen Hohlschienen, die je eine
dem Ober- und eine dem Unterarme angepasst sind und durch eine Leder-
kappe geschlossen werden, welche von einer Seite der Halbschiene zur
anderen übergeschnallt wird. An jedem Längsrande der Schienen ist ein
Eisenstab eingesetzt, der das der Gelenkstelle zugewendete Ende um
\\ Zoll überragt. Die Stäbe sind zu einem schwerbeweglichen Charnier-
gelenk vernietet. An der Innenseite der einen Stange befindet sich ein
Zahn, der die Hyperextension hindert, und eine Schraubenvorrichtung,
welche dem Träger gestattet, verschiedene Flexionsgrade zu fixiren. Doch
muss er sich zu dem Zwecke erst entkleiden, weil er ohnedies mit dem
Schlüssel nicht zur Schraube gelangen kann. Ausserdem befanden sich
an der ßeugeseite aussen und innen je eine Spiralfeder, welche den Arm flecti-
ren nnd zusammen eine Zugkraft von 36 Pfund repräsentiren. T. hat die
Federn wieder entfernt, weil er mit dem atrophischen Triceps ihrem Zuge
keinen Widerstand zu leisten vermag. Er benutzt überhaupt den Apparat
sehr wenig, nur in gestreckter Stellung und mit völlig freiem Charnier.
Der Apparat verhindert so das Schlottern des Gliedes, ohne ihm jedoch
einen willkürlichen Gebrauch zu gestatten. Nur wenn er dem linken Arme
mit der rechten Hand eine Beugestellung giebt, kann er mit der Hand
etwas beginnen. Auf die Frage, warum er es nicht vorziehe, den Arm
durch die Schraube permanent gebeugt zu erhalten, erwidert er, dass ihm
dann, wenn er den Arm erheben wolle, derselbe nach aussen oder innen
zur Seite falle; der Apparat sei ihm zu schwer. Er taxirt das Gewicht
desselben mit dem resecirten Arme auf circa 15 Pfund. UebrJgens läuft
von der Mitte der Oberarmschiene ein Lederriemen über den Rücken. Der-
selbe endigt in einen gepolsterten Ring, durch welchen der rechte Arm
gesteckt wird, so dass der Apparat zum Theil von der gesunden Seite
mitgetragen wird.
Trotzdem ist dem Invaliden der Besitz des Armes von Werth, weil er
die Hand gut bewegen und gebrauchen kann, wenn er den Unterarm auf
den Tisch legt. Seinen früher gehabten Posten als Briefträger hat er auf-
gegeben. Jetzt beschäftigt er sich als Copist.
12. Fall 182. (nam. L. der Res. No. 2). Schussfractur des Humerus
mit Splitterung ins Ellenbogen gelenk. Primäre Resection.
266
Heilung mit Schlotterverbindung. — Feldwebel Ferdinand Hart-
man n vom 53. Inf. -Reg. wurde am 18. April verwundet und in ülderup
(1. F.-L. d. 5. 1.-D.) aufgenommen. Der rechte Humerus war dicht über den
Condylen durch eine Gewehrkugel zerschmettert. Bei der am folgenden
Tage ausgeführten Resection des Gelenkes (St.-A. Dr. Mitsch erlich)
wurde ausser einem 2>\ Zoll langen Stücke des Humerus (Fig. 12) das Olecra-
non und das Capitulum radii weggenom-
men. Gypsverband, der indess wegen
schmerzhafter Schwellung der Hand
schon am 21. April abgenommen und
durch einen Pappschienenverband er-
setzt wurde. Am 25. April beim Ab-
nehmen des Verbandes arterielle Blutung
aus der oberen Wundlippe; sie wird
durch Umstechung gestillt. Bei gutem
Allgemeinbefinden und gutem Verlaufe
des Eiterungsprocesses hat Pat. häufig
mehr oder weniger verbreitete Schmerzen
in dem resecirten Gliede. Da sich am
7. Mai ein mit der Schnittwunde com-
municirender Senkungsabscess am Vor-
derarme zeigt, so wird der Arm nun-
mehr auf einer hölzernen Winkelschiene gelagert. Am 13. Mai neuer Abs-
cess auf dem Handrücken. Incision dieses wie des grösseren Depots an
der Dorsalseite des Vorderarmes. Die Gelenkwunde hat sich inzwischen
durch Granulationen gefüllt und zu vernarben begonnen. Schon Ende Mai
macht man Beugeversuche, welche nur massig schmerzen. Patient passirte
mehre Lazarethe (Apenrade, Rendsburg) und traf am 17. Juli mit fast
vernarbter Wunde in Hamm ein. Hier wurden die Bewegungsversuche
eifrig fortgesetzt, wobei besonders die Extension schwer zu erzielen war.
Am 1. October wurde H. von dort mit grosser Hoffnung auf die Brauch-
barkeit der rechten Hand zum Schreiben entlassen. Zunächst bestanden
aber noch Fistelgänge, aus denen sich wiederholt Knochenfragmente ent-
leerten, und welche sich erst im August 1865 definitiv schlössen, nachdem
wegen rheumatischer Schmerzen in der rechten Schulter und zur Stärkung
des Gliedes Moorbäder in Teplitz gebraucht waren.
Untersuchung am 4. Februar 1866 — 21 Monat nach der
Operation — durch Herrn St.-A. Dr. Gaehde: Puls und Temperatur
normal. Häufiger subjectives Kältegefühl im Arm; Nachts reissende Schmer-
zen, besonders im Bereich des N. ulnaris. Die Sensibilität ist im Bereich
des Ulnaris erloschen; dasselbe lässt sich danach ganz genau an Hand
nnd Vorderarm abgrenzen. (Die Narbe von der Eingangsöffnung des Schuss-
kanals liegt so, dass die Verletzung des Nerven durch die Kugel wahr-
scheinlich ist.) Die Ernährung des Gliedes ist nicht unbedeutend herab-
gesetzt. Der Oberarm ist über 1 Zoll, der Unterarm ist über 2 Zoll dünner
als links. Der rechte Humerus misst \\\ Zoll (gegen 1 Fuss \ Zoll links),
267
wovon 7 Linien auf eine Knoehenspitze kommen, welche von der Säge-
fläche am äusseren Umfange des Knochens in der Richtung seiner Achse
vorgewachsen ist. Die Enden der Vorderarmknochen sind knöchern mit
einander verwachsen. Die Sägefläche fühlt sich uneben an, und an der
Radialkante findet sich eine circa 1| Linien hohe spitze Vortreibung. Uebri-
gens erscheinen die Knochenenden nicht verdickt. Namentlich findet sich
keine Andeutung eines neuen Ölecranon, obwohl der Triceps sowie Biceps
und Brachialis internus ihren normalen Ansatzpunkt behalten haben.
Zwischen den Sägeenden vermittelt eine circa % Zoll lange Bandmasse,
welche sich derb und rundlich durchfühlen lässt, den Zusammenhang —
Schlotterverbindung, vermöge welcher der Arm schlaff am Leibe
herabhängt Active Bewegungen sind dabei unmöglich. Bei dem Beuge-
versuche wirken Biceps und Triceps zunächst zusammen, wodurch die
Knochenenden genähert werden, und dann gewinnt der Biceps beim stärk-
sten Kraftaufwand momentan etwas Uebergewieht, wodurch eine Flexion
bis höchstens 10° zu Stande kommt, welche natürlich für eine Leistung
nicht zu verwerthen ist Die passiv e Beweglichkeit geht in der Flexions-
ebene leicht von 40 ö bis 210°. H. will zur Zeit, wo seine Wunde noch
eiterte, zu activen Bewegungen befähigter gewesen sein. Seit der for-
cirten Streckung, durch welche die Beweglichkeit ganz her-
zustellen versucht wurde, sei der Arm ganz schlotternd ge-
worden. Die passive Beweglichkeit des Handgelenkes und der Finger ist
frei, die active aber sehr gestört, wahrscheinlich in Folge der ausgedehnten
Eitersackungen an Vorderarm und Hand, deren Folgen bei der Cnbraueh-
keit des ganzen Gliedes durch Cebungen nicht ausgeglichen sind. Beson-
Fi*. 13
Fig. 14.
268
ders der Zeigefinger und der kleine Finger haben gelitten, letzterer nament-
lich wegen der durch die Unterbrechung der Leitung im Ulnaris bewirkten
Lahmlegung der Muskeln des Antithenar. (Fig. 13 und 14.)
H. besitzt einen circa 2 Pfund schweren Stützapparat ähnlich dem beim
vorigen Falle beschriebenen. Er hat sich alle Mühe gegeben, ihn zu ge-
brauchen, benutzt ihn aber nicht mehr, weil er viel Beschwerden macht,
ohne die Gebrauchsfähigkeit des Gliedes zu steigern. H. ist auf der Kgl.
Staatsschuldentilgungskasse als Diätar beschäftigt; er schreibt, aber mit
der gesunden linken Hand.
13. Fall 183 (nam. Liste No. 25). Gewehrschussf ractur des rechten
Ellenbogengelenks. Späte Resection. Heilung. — Prem.-Lieut.
Ernst v. R. vom 24. 1.-R. erhielt am 29. Juni auf Alsen einen Schuss, welcher
das rechte Olecranon zertrümmerte und zum Theil wegriss, so dass an
Stelle desselben eine quere c. 2" lange und 1" breite Wundrinne gebildet
wurde. Das Gelenk ist geöffnet; Humerus und Ulna noch eine Strecke
nach oben resp. unten gesplittert. Grosser Blutverlust Noch an dem-
selben Tage Transport nach Flensburg in das Johanniter-Lazareth, wo
die Behandlung von Herrn Dr. Ressel geleitet wurde. Lagerung im
rechten Winkel auf Kissen. Eis. Heftige örtliche und allgemeine Reac-
tion. Am 6. und 7. Juli Entspannungsschnitte am Unterarm. Erysipel
mit heftigem Fieber. Aeusserst profuse Eiterung, so dass der Verband
drei- bis viermal täglich erneuert wrerden musste. Am 19. Juli Bildung
eines Eiterdepots an der vorderen äusseren Fläche des Oberarmes eine
Hand breit über dem Gelenke. Nunmehr folgte unter Nachlass des Fiebers
allmähliges Abschwellen des Gliedes bei äusserst profuser aber guter Eite-
rung. Am 22. Juli Resection des Gelenkes (Gen. A. v. Langenbeck).
Absägung aller 3 Gelenkenden dicht über resp. unter den Epiphysen, Ex-
traction vieler kleiner Knochensplitter und je eines grösseren vom Humerus
und von der Ulna. Incision der fluctuirenden Stelle am Oberarm. Gyps-
verband bei rechtwinkliger Stellung mit einem grossen Fenster über der
Operations- und Schusswunde. Massige Reaction. Am 1. August Entfer-
nung eines gelösten Splitters der Ulna. Am 4. August neuer Gypsver-
band, der auch für die Incisionswunde am Oberarm ein Fenster erhielt,
weil der Eiter von da nicht vollständig nach der Operationswunde abzog.
Am 13. August Schüttelfrost von einer Stunde, danach Hitze und Schweiss.
Nach dem Aufschneiden des Verbandes findet sich Erythem am Oberarm.
Der Arm wird deshalb in einer Drahtrinne gelagert. Wiederholte Schüttel-
fröste und Diarrhöen, welche mit grossen Chiningaben und Salepabkochuug
bekämpft werden. Am 28. August Wiedereröffnung der Incisionsnarbe am
Oberarm, weil sie blasig aufgetrieben und der Unterarm ödematös ist,
und eine zweite Incision über derselben, weil sich von oben her längs des
Biceps viel Eiter ausstreichen lässt. Am 30. August spontaner Durchbruch
an der Beugeseite des Gelenkes. Am 10. Septbr. Eröffnung zweier Abscesse
an dieser Stelle. Die Eiterung nahm nun rasch ab. Bei reichlichem Wein-
genusse, welcher während der ganzen Zeit wohlthätig gewirkt hatte, erholt
sich Patient so, dass er am 20. Septbr. bei Auflösung des Lazareths nach
269
dem Krankenhause Bethanien in Berlin transportirt werden konnte. Ne-
krosen der resecirten Knochen haben die Ausheilung noch lange verzögert.
Aber kürzlich, gegen zwei Jahre nach der Verwundung, vermochte dieser
Officier wieder in Dienst zu treten. Der operirte Arm ist zwar bedeutend
(um die Länge eine Fingers) verkürzt und die Verbindung im Ellenbogen
schlotternd; aber der Unterarm kann bis zu einem rechten Winkel activ
gebeugt werden, und Hand und Finger besitzen, den Zeige- und kleinen
Finger ausgenommen, active Beweglichkeit in dem Grade, dass die Hand
geschlossen werden und einen massig starken Druck ausüben kann. Das
Glied lässt sich bereits zum Schreiben und zum Halten des Degens be-
nutzen und wird mit der Zeit durch die fortgesetzte Uebung wahrschein-
lich noch brauchbarer und kräftiger werden.
Die vorstehende Casuistik liefert für das noch lückenhafte Ca-
pitel der definitiven Resultate der Resection des Ellenbogen-
gelenkes nach Schussverletzungen einen, wie ich glaube, für die
Resections-Praxis beachtenswerthen Zuwachs.
Von den 18 resecirten Preussen musste 1 nachträglich am-
putirt werden; mit Einschlnss desselben sind 5 gestorben; unter
den 13 Geheilten haben 10 Schlotterarme davongetragen.
Von den 22 resecirten Dänen sind 6 gestorben, 1 musste nach-
träglich amputirt werden; unter den 15 Geheilten behielten we-
nigstens 10 Schlotterarme. Somit sind im Feldzuge von 1864
nach der Resection des Ellenbogengelenkes bei 28 Heilungen 20
= 71 pCt. Schlotterglieder herausgekommen.
Die Schlotterglieder sind ohne Stützapp arat sehr wenig
brauchbar, selbst wenn Hand und Finger activ beweglich blieben.
Der Stützapparat steigert die Brauchbarkeit — wenigstens bei
der üblichen Construction — in der Regel nicht erheblich; ja öfters
wird er gar nicht so ertragen, wie er getragen werden muss, wenn
er wirken soll. Dies lehrt uns die Prüfung der definitiven Resul-
tate, welche oben mitgetheilt sind.
Gleichwohl freuen sich die Besitzer der Schlotterarme, ihrer
Glieder durch die Amputation nicht ganz beraubt zu sein, und sie
haben um so mehr Grund dazu, weil der künstliche Ersatz für Verluste
an den oberen Extremitäten bislang nicht viel mehr als den Schmuck-
zweck erfüllt. Allein vom Arzte verlangt diese Frage heute einen
andern Standpunkt. Nicht den Verlust des Armes, sondern den
ankylotisch conservirten Arm hat er mit dem Schlotter-
arme in Parallele zu stellen.
Nach den oben referirten Proben der einen wie der anderen
270
Categorie der Resultate der Conservativkur kann wohl keine Mei-
nungsverschiedenheit darüber fortbestehen, was prac tisch brauch-
barer und nützlicher sei — ein völlig schlotternder oder ein
durch Ankylose in der Flexion fixirter Arm.
Man wird sich wohl entschliessen müssen, die Hei-
lung der Ellenbogengelenk-Schüsse mit Ankylose we-
niger zu missachten, ja als ein unter Umständen er-
strebenswerthes Resultat der Resection selbst anzuer-
kennen.
Nach der Es mar ch' sehen Liste pro 1848—1850 sind von den
40 im Ellenbogengelenk Resecirten 2 später amputirt und mit Ein-
schluss dieser beiden 6 gestorben; 1 war zur Zeit der Publikation
noch nicht geheilt („Nekrose des Humerus"); somit bleiben 33 Ge-
heilte. Bei 2 von diesen fehlt die Notiz über die Beschaffenheit
des conservirten Gliedes. Von den übrigen 31 sind „mit Ankylose" 3,
mit „vollständiger Ankylose" 3, mit „fast vollständiger Ankylose" 3,
mit „unvollständiger Ankylose" 4, mit „beschränkter oder geringer
Beweglichkeit" 4 — im Ganzen 17 notirt, von denen feststeht, dass
sie nicht Schlotterglieder hatten. Bei den restirenden 14 lassen die
Notizen Zweifel darüber zu, ob und in wie weit die „Beweglich-
keit" activ oder passiv war. Nehmen wir aber einmal an, dass
alle diese 14 Schlotterarme hatten, so stellt sich heraus, dass 1848
bis 1850 bei 31 Heilungen höchstens 14 = ca. 45 pCt. Schlotter-
glieder erzielt wurden, also 26 pCt. weniger als 1864. Diese
Differenz ist nichts weniger als eine zufällige.
Die Illusionen, welche über die eventuelle Brauchbarkeit der
Schlotterglieder und über die Zulänglichkeit der Nachhülfe durch
Stützapparate bestanden, führten zur Unterschätzung des Werthes der
früheren Heilungen mit mehr oder weniger vollständiger Ankylose.
Diese wurden nicht als ein der Resection würdiges Resultat ange-
sehen, und um diesem Kunstakte den Ruhm der Conservirung be-
weglicher Glieder unverkürzt zu sichern, wurde die Totalex-
cision der Gelenkenden und die möglichst frühe und
consequente Bewegungsübung von namhaften Autoritäten
empfohlen. Diese Principien haben in der Feldpraxis von 1864
dominirt. Das vorgesteckte Ziel ist erreicht worden — über das
practisch nützliche, darum wünschenswerthe Mass hinaus.
Mit Recht halten die dänischen Aerzte ihre steifconservirten
Arme für praktisch nützlicher als unsere Schlotterglieder. Aber
271
ihre Folgerung, die Gelenkresection sei deshalb bei den Schuss-
verletzungen des Ellenbogengelenkes ein überflüssiger und schäd-
licher Kunstact, ist dessenungeachtet in jeder Beziehung bodenlos
— ganz abgesehen von der Mortalitätsfrage, welche bereits berührt
wurde, und auf welche ich noch einmal zurückkommen werde. Die
Folgerung beruht auf einem Verkennen des wesentlichsten Zweckes
der Gelenkresection. Der Gang, den die Resectionspraxis genommen
hat, ist aber ganz geeignet, den Irrthum zu nähren, jener Zweck
sei die Verhütung der Ankylose um jeden Preis.
Um die bedauerlich grosse Zahl von Schlotterarmen, welche
aus der Praxis von 1864 resultiren , zu entschuldigen, könnte der
Einfluss betont werden, welchen die Ausdehnung der Knochen-
verletzungen und die durch sie bedingte Notwendigkeit, grosse
Portionen der Gelenkenden abzutragen, gehabt haben. Leugnen lässt
sich nicht, dass die Geschosse von 18(J4 im Allgemeinen auf die
Knochen und auf die Knochenhaut intensiv wie extensiv zerstörender
gewirkt haben, als die, von 1848 bis 1850. Ohne Zweifel war es
deshalb in manchen Fällen durch die Art der Verletzung geboten,
alle 3 Gelenkenden mehr oder weniger weit abzutragen. Aber in
solchen Fällen sollte man von vornherein an das Bevor-
stehen einer Schlotterverbindung denken und, anstatt
ausschliesslich die eventuelle Beweglichkeit im Auge
zu b ehalten, Alles thun, was das Zustandekommen einer
mehr oder weniger vollkommenen Ankylose in nütz-
licher Winkelstellung zu fördern, dagegen Alles unter-
lassen, was diesen Ausgang zu hindern oder zu stören
geeignet ist.
Die Casuistik lehrt, dass selbst in derartigen Fällen durch
möglichst frühe und consequente Bewegungsübung, so zu sagen,
methodisch auf eventuelle Beweglichkeit hingearbeitet, ja selbst
durch forcirte Bewegungen versucht wurde, die drohende An-
kylose zu hintertreiben. Man wird es, hoffe ich, künftig als ein
Glück betrachten, wenn trotz der ausgedehnten Wegnahme aller
Gelenkenden die Tendenz zur Ankylose und damit die Aussicht
auf Gewinnung neuer fester Ansatzpunkte für die Muskeln sich ein-
stellt.
Die Casuistik weist aber auch Fälle nach, in welchen die Ver-
letzung auf das eine oder das andere Gelenkende beschränkt war,
Loeffler, Generalbericht. 18
272
und in welchen dennoch auch die andere unverletzte Epiphyse ab-
getragen wurde, selbst wenn das abgetragene Stück des verletzten
Gelenkendes schon ziemlich gross war. War doch früher einmal
Ankylose erfolgt, obgleich 4" des Humerus weggenommen waren
— weil, so meinte man, die Epiphysen der Vorderarmknochen in-
tact gelassen wurden. Um die Beweglichkeit der künftigen Verbin-
dung zu retten, excidirte man „total", und die „methodische Be-
wegung" wurde früh und consequent genug hinzugefügt — die be-
wegliche Verbindung blieb nicht aus, aber sie wurde nutzlos, ja
hinderlich für den Gebrauch des Gliedes.
Wirklich liegt aus der Feldpraxis von 18(34 nicht ein einziger
Fall von vollständiger Ankylose nach der Resection vor — ein
glückliches Gelingen, wenn nicht 71 pCt. Schlotterarme den Schatten
darauf würfen, obgleich Niemand mehr anders als „subperiostal"
resecirt oder doch zu reseciren trachtet. Wohl finden wir bei den
Geheilten hier und da Verdickungen der Sägeenden, auch osteophy-
tische Nachbildungen normaler Protuberanzen; aber nirgends ist
eine Verlängerung des abgesägten Knochens durch Neubildung in
der Axenrichtung constatirt, während es an weiterer Verkürzung
durch Nekrotisirung der Sägeenden nicht gefehlt hat.
Die principielle Totalex cision der Gelenkenden disponirt
zur eventuellen Schlotterverbindung desto mehr, je länger die Stücke
sind, welche an der einen oder der anderen Seite abgetragen werden,
und sie ist unnöthig für die Erzielung einer beweglichen
Verbindung, weil es feststeht, dass eine solche auch ohne die
Totalexcision erhalten werden kann.
Im Falle 172 (nam. L. No. 29) gestattete die Verletzung, die
Knochenexcision auf die Epiphyse des Humerus zu beschränken;
Ulna und Radius blieben intact. Fast normale Beweglichkeit und
Brauchbarkeit des Gliedes war das Resultat.
Im Falle 179 (nam. L. No. 31) nöthigte die Verletzung nur
zur Excision der Epiphysen des Humerus und des Radius. Ausser-
dem wurde die Spitze des Olecranon abgesägt, aber eben nur die
Spitze. Das Resultat war eine straffe, aber activ bewegbare Ver-
bindung.
Nichts liegt mir ferner als die Empfehlung einer Art Indifferenz
gegen den Triumph der Resection, bewegliche Glieder zu erhalten.
Aber ich glaube, dass man nicht viel Rühmens davon machen sollte,
4—5 Zoll lange Stücke der Gelenkenden abgesägt zu haben , wenn
273
man nicht hinzufügen kann, dass dennoch kein Schlotterglied dabei
herauskam.
Mit der Totalexcision der Gelenkenden in Fällen, wo sie durch
die Verletzung nicht geboten war und mit dem methodischen Bewe-
gungs-Eifer unter Umständen, welche ohnehin ein Schlotterglied in
Aussicht stellten, hat die Praxis von 1864 für den Triumph der
Resection des Ellenbogengelenks zu viel gethan, — desto weniger
für eine der wesentlichsten Bedingungen desselben.
Unter den von Esmarch für die Feldzüge von 1848—1850
zusammengestellten 40 Resectionsfällen sind 10 primär (innerhalb
der ersten 48 Stunden nach der Verletzung) ausgeführte. Unter den
40 Resectionen von 1864 finden wir nur 6 primäre. Unter* der
grossen Zahl von Resectionen des Ellenbogengelenks, welche in
Folge der deutschen Kämpfe von 1866 gemacht worden sind, werden
sich die primären dereinst als noch seltenere Ausnahmen heraus-
stellen. Die primäre Resection des Ellenbogengelenks scheint
somit je länger desto mehr Boden in der kriegschirurgischen
Praxis zu verlieren — gewiss nicht zur Steigerung ihrer
Triumphe.
Ich erinnere zunächst noch einmal an das schon angedeutete
Mortalitäts verhältniss. Es kommen
pro 1848—1850:
auf 10 primäre Resectionen ....
Todesfälle 1 = 10,0 pCt.
- 30 nicht primäre Resectionen
5 = 16,6 -
pro 1864:
5 primäre Resectionen . . . .
0= 0,0 -
- 33 nicht primäre Resectionen
9 = 27,1 -
in Summa auf:
- 15 primäre Resectionen . . . .
1= 6,6 -
- 63 nicht primäre Resectionen
14 = 22,2 -
Die Kleinheit der Zahlen, welche dieser Berechnung zu Grunde
liegen, schmälert ohne Zweifel'ihre Beweiskraft, und nur die man-
gelnde Exactheit bei anderen Zahlen der Art, welche in der Lite-
ratur noch vorliegen, hat mich gehindert, sie mitheranzuziehen.
Trotzdem dürfte es keinem Zweifel unterliegen, dass nach der
Resection des Ellenbogengelenks die Mortalität um so
grösser ist, je seltener sie primär ausgeführt wird.
Wegen der Kleinheit der Zahlen habe ich auf die Sonderung
18*
274
der intermediären Resectionen (im Stadium der entzündlichen
ion vom 3. bis 6. Tage ausgeführt) von den secundären ver-
zichtet. Ich glaube aber nicht, dass es rathsam ist, die practische
Probe darauf fortzusetzen, ob und inwieweit die intermediären Re-
sectionen in Betreff der Sterblichkeit mit den intermediären Ampu-
tationen coneurriren. Von den 4 im Feldzuge von 1864 gemachten
Operationen der Art verliefen 2 tödtlich.
Auch ohne die Statistik ist übrigens so viel sicher, dass das
in die Kriegspraxis sich einnistende Verschieben der
Resection auf die secundäre Periode dem ersten und
wichtigsten Zwecke, welchem diese Operation zu dienen
hat' zuwiderlaufe.
Bekannt ist der drastische Vergleich mit dem Schildbürger und
seinem Hunde, durch welchen Stromeyer (Maximen S. 252) die
Halbheit des Handelns Derer abfertigt, welche sich heute noch
rühmen, ohne Resection mit blossen Einschnitten und allmähligen
Kxtractionen der sich lösenden Knochenfragmeute bei den Schuss-
verletzungen des Ellenbogengelenks auszukommen. Aber ich muss
doch sa^en. dass dieses halbe Thun, wenn die Einschnitte conse-
quent primär gemacht würden, dem ersten und wesentlichsten Zwecke
der Gelenk resection fast mehr entsprechen dürfte, als die förmliche,
aber verspätete Resection.
Durch das Verschieben der Resection entzieht man ihr den
Triumph, die Ausbildung einer förmlichen eitrigen Ge-
lenkentiflndong und ihrer Folgen zu verhüten. Man lässt,
wenn nicht der unmittelbaren Lebensgefahr, so doch einem in Kriegs-
La/.an th. n doppolt bedeutsamen und für die schliesslich^ Brauch-
barkeit des Gliedes nichts weniger als indifferenten Uebel, jenem
langwierigen, die Kräfte consumirenden und im Verhältniss zu seiner
Daiei die Muskeln atrophirenden Eiterungsprozesse, Zeit, sich ein-
nkftei und ausbilden; und wenn später, um diesem Uebel ent-
gegenzutreten, die Resection gemacht wird, so riskirt man, neue
uren heraufzubeschwören, sei es in Folge der erneuten entzünd-
Eieactioo oder gar durch den mittelst der Operation selbst
gegetanen Anstoss zum Entstehen der Pyämie durch Thromben-
Zerfall.
Uatai d€« '.♦Todesfällen, welche wir pro 1864 nach der secun-
11 K( * ' ™ : ' Mag' " Ii !>• erfolgten 2 durch Erschöpfung,
275
1 durch Gangrän in Folge der erneuten entzündlichen Infiltration,
6 durch Pyämie *).
Ich habe oben einen Fall mitgetheilt, welcher in jeder Bezie-
hung einen Triumph der Resection repräsentirt (Däne Christensen,
Fall 171, nam. L. No. 1). Hier verweise ich auf denselben nur als
Beispiel der vollkommenen Erfüllung des ersten und wichtigsten
Zweckes der Gelenkresection. Der Grad der Reaction und die
Dauer des Ausheilungsprocesses waren ebenso milde und kurz, wie
nach der gelungensten primären Amputation. Leider ist dieser
Resectionsfall der einzige geblieben, in welchem die Operation
am Tage der Verletzung selbst ausgeführt ward.
Bei allen Schuss Verletzungen des Ellenbogenge-
lenks, welche überhaupt das Conserviren des Gliedes gestatten,
ist die methodische Resection des Gelenks indicirt, um
durch die Vernichtung der Gelenkverbindung als solcher einer förm-
lichen Gelenkentzündung mit ihren Folgen vorzubeugen, und die-
sen Zweck erfüllt die Operation um so sicherer und
vollkommener, je früher sie der Verletzung folgt.
Dieser erste Zweck der Gelenkresection, welcher allein schon
berechtigt, der Conservativkur ohne Resection jede Concurrenz zu
versagen, tritt, wie es scheint, in der Praxis viel zu sehr in den
Hintergrund gegen die Tendenz, bewegliche Glieder zu erzielen.
Die Totalexcision der Gelenkenden ist nichts weniger
als ein integrirender Act der Totalresection. Mit der weiten
Eröffnung des Gelenks, mit der vollkommenen Trennung der das
Gelenk als solches constituirenden Gebilde (Kapsel und Bänder) ist
der Begriff der letzteren verwirklicht, und in diesem Sinne sollte
die Resection stets total gemacht werden. Anders mit dem zweiten
Acte der Operation. Der erste ist weit mehr als eine blosse Vor-
bereitung für den zweiten, weil er selbst schon den wesentlichsten
Zweck der Resection erfüllt. Der zweite wird hinzugefügt, weil es
thöricht wäre, die durch den ersten gebotene Gelegenheit, Hei-
lungshindernisse zu entfernen, unbenutzt zu lassen. Man
*) „Pyämie ein Indicans für die Resection" — ist eines der man-
cherlei Paradoxen, mit welchen der geschickte österreichische Chirurg N eudörf er
seine Schriften — nicht gerade vorteilhaft — auszustatten liebt. Es wird wohl
besser sein, die practische Probe darauf, wenn man kann, zu vermeiden. Die
primäre Resection, zu welcher N. 1864 nicht Gelegenheit hatte, ist das beste
Mittel, der an die Gelenkeiterung sich knüpfenden Gefahr des Entstehens der
Pyämie vorzubeugen.
276
benutzt daher die vorhandene OefTnung im Gelenk zur Herausnahme
der völlig abgetrennten Knochenfragmente und zur Abtragung und
Ebenuog der verletzten Knochenenden mittelst der Säge. Auch
dieser Act ist wichtig und nützlich genug, wenn er mit den oben
angedeuteten Restrictionen ausgeführt wird. Je weniger
man die Säge braucht, desto weniger wird man eine Verzögerung
des Ausheilungsprozesses durch das Nekrotisiren der Sägeenden zu
fürchten haben. Von den grossen nekrotischen Knochenstücken,
welche man bei den Spätresectionen zu linden und durch welche
man zu sehr ausgedehnten Absägungen genöthigt zu werden pflegt,
dürften mehr lebendig bleiben, wenn durch die primäre Ausführung
der Operation dem langwierigen Eiterprocesse vorgebeugt wird,
während dessen ihre Ernährerin, die Knochenhaut, mehr an Dicke
als an Knochen -Erhaltungs- und Neubildungskraft zu gewinnen
scheint.
Leider trifft die primäre Resection in der Praxis auf mancherlei
und theilweise unüberwindliche Hindernisse. Auch die 1864 ge-
machten Resectionen konnten nicht alle primäre sein. Dies gilt
besonders von den Fällen, in welchen die secundäre Entzündung
des ursprünglich nicht mitverletzten Gelenkes zum Motiv der Re-
section wird. Aber die Erfahrung hat auch gelehrt, dass die erste
Untersuchung gar nicht selten die wirklich vorhandene Betheiligung
des Gelenkes an der Verletzung zweifelhaft liess, und dass eine auf-
fallend geringe Reaction in den ersten Tagen dem Zweifel Vorschub
leistete. Die Rücksicht auf die grossen mit der primären Resection
verknüpften Vorzüge dürfte es wohl rechtfertigen, dass die Unter-
suchung solcher Verletzungen weniger zurückhaltend geschehe,
um die Diagnose zu sichern. Aber man darf und wird ein Gelenk
nicht künstlich zerstören, so lange man sich nicht überzeugt hält,
dass es verletzt sei. Es ist bekannt, wie sehr der Befund bei der
Resection die Schätzung des Umfanges der Verletzung bei der Vor-
untersuchung zu übertreffen pflegt.
Aber warum, so darf man fragen, wurde die Resection auch
in solchen Fällen verschoben, wo die Betheiligung des Gelenkes
positiv erkannt war? Die Verletzungen des Ellenbogengelenkes sind
glücklicherweise nicht so bös, wie z. B. die des Kniegelenkes; sie
pflegen das Leben nicht so rapide zu bedrohen. Erwägt man nun
die schwere Probe, auf welche die Arbeitskraft der Feldärzte gerade
in den ersten Tagen nach Gefechten gestellt zu werden pflegt, so
277
kann man sich nicht wundern, wenn sie, um nur mit dem wirklich
oder scheinbar Dringlichsten fertig zu werden, verschieben, was sich
ohne Gefahr verschieben lässt oder verschieben zu lassen scheint.
Die Gelenkresectionen sind, glaube ich, mehr als gut ist, in diese
Kategorie des Verschiebbaren rangirt worden. Man rühmt es ihnen
sogar nach, dass sie sich das gefallen lassen, — ein Beweis, wie
sehr eine Erinnerung an den ersten und wesentlichsten Zweck der
Gelenkresection an der Zeit ist.
Am 3. und 4. Juli 1866 ist auf dem Kriegsschauplatze in Böhmen
kaum eine Resection des Ellenbogengelenkes bei den Verwundeten
von Königgrätz gemacht worden. Die riesige Aufgabe, welche
diese Schlacht dem Sanitätsdienste gestellt hat, erklärt das; und
doch ist zu wünschen und zu hoffen, dass es einst möglich werde,
auch unter solchen Verhältnissen die Gelenkresection den unauf-
schiebbaren Hülfen zuzuzählen.
Ohne Zweifel gehört dieser Kunstact nicht auf den Verband-
platz der Truppenärzte oder der fahrenden Abtheilungen unserer
leichten Feld-Lazarethe; aber schon die sogenannten Depots der
letzteren sollten denselben mit auf ihre Tagesordnung setzen, seitdem
der Gypsverband es ermöglicht, der Operation, wenn es sein
muss, den Transport bald folgen zu lassen. Der Mangel an Aerzten,
welche die zur Gelenkresection erforderliche Vorübung besitzen, wird
voraussichtlich in Zukunft kein Hinderniss sein. Wenigstens die
Resection des Ellenbogengelenks hat wohl schon aufgehört, als ein
Kunstact zu gelten, welcher die Hand berühmter Meister fordert.
Auch ist zu hoffen, dass es in Preussen bald nicht mehr an Ein-
richtungen fehlen werde, welche wenigstens dem Militair-Arzte von
Beruf die Möglichkeit gewähren, auch während des Friedens die
operative Fertigkeit zu conserviren und dem vorschreitenden Bedürf-
nisse entsprechend zu vervollkommnen. Dann wird der primären
Resection ihr volles Recht und den Verwundeten der volle Segen
werden, den zu gewähren sie im Stande ist.
Die Schnittweise war vorwiegend der einfache Längsschnitt
über dem inneren Rande des Olecranon — die Folge der wirksa-
men Theilnahme, welche der Empfehler desselben, Herr Generalarzt
v. Langenbeck der Feldpraxis von 1864 gewidmet hat. Auf
Verlauf und Resultat hat übrigens die Schnittweise kaum Einfluss.
Wichtiger ist die Behandlung der Schnittwunde. Es war üb-
lich, dieselbe alsbald durch Nähte zu vereinigen. Es ist gewiss
278
nichts dagegen zu erinnern, wenn bei dem |— oder |— | Schnitte die
prima intentio für einen Theil der Operationswunde angestrebt wird,
wofern der Rest genügt, eine wichtige Wirkung der Operation —
Entspannung und Sicherung des Abflusses der Secrete — ungestört
zu erhalten. Aber die schnelle Vereinigung des einfachen Längs-
schnittes ist nichts weniger als förderlich für den Verlauf und Aus-
gang. Der Eiter wird verhalten, und die Folgen davon nöthigen
zum Wiedereröffnen der Wunde oder zu neuen Einschnitten, und
zwar um so mehr, je länger man sich sträubt, das schöne Nahter-
gebniss unschädlich zu machen.
Ruhige Lage des resecirten Gliedes ist für den glück-
lichen Verlauf ein wesentliches Requisit. Die einfache Lagerung auf
einer Winkelschiene, wie sie seit 1848 — 50 fast ausschliesslich
benutzt wurde, hatte 1864 zwei Concurrenten — die Esmarch'sche
Schwebe und den Gypsverband. Erstere gehört nicht zur etats-
mässigen Ausstattung unserer Feldlazarethe. Ich würde auch nicht
für Etatisirung dieser hübschen Erfindung stimmen, weil so compli-
cirte Apparate für die Kriegsklinik nur zu beschaffen sind, wenn
sie zur Erreichung eines wichtigen Zweckes unentbehrlich sind.
Von der Schwebe lässt sich das kaum sagen. Wohl macht sich der
Verband für den Kranken wie für den Arzt bequem, und die Lage
des ersteren im Bette braucht nicht eine so peinlich ruhige zu sein,
wie bei der einfachen Holzschiene. Allein es hat sich doch heraus-
gestellt, dass es, sofern und so lange die Neigung zur Infiltration
besteht, besonderer Aufmerksamkeit bedarf, damit der ungleichmässige
Druck der Schwebe-Spangen nicht Circulationsstörungen verursache.
Die Schwebe musste aus diesem Grunde bisweilen durch die ein-
fache Lagerungsschiene ersetzt werden. Der Vortheil, etwas weniger
genirt im Bette zu liegen, liesse sich übrigens dem Operirten wohl
auch dadurch verschaffen, dass man das Glied mit der Holzschiene
in eine einfache überall leicht zu improvisirende Schwebevorrich-
tung legt.
Aber Schiene oder Schwebe oder beides — der Operirte muss
dabei, wie gut auch der Verlauf sich gestalte, lange im Bette aus-
harren. Der Gypsverband sichert die ruhige Lage des Gliedes
auch ausser Bett. Dabei macht sich im gefensterten Gypsverbande
das Verbinden äusserst bequem. Dieser Verband ist denn auch, wie
bei den Schussfracturen überhaupt, so auch nach der Resection des
Ellenbogengelenkes vielfach benutzt worden. Gleichwohl schreibt
279
Herr Prof. Lücke die Schuld an der grossen Zahl von Schlotter-
armen, welche die Praxis von 1864 geliefert hat, wenigstens zum
Theil dem Umstände zu, dass der Gypsverband noch nicht metho-
disch genug benutzt wurde (1. c. S. 142). Ich finde nicht, dass
die Thatsachen dieser Ansicht entsprechen. Bei den Resectionen
von 1848 — 50 wurde der Gyps noch gar nicht benutzt. Dennoch
haben sie 26 pCt. Schlotterarme weniger als die von 1864 geliefert.
Mehrere der besten Resultate von 1864 wurden erzielt in Fällen,
wo der Gypsverband keine oder nur eine späte und vorübergehende
Rolle gespielt hat. Dass der eine der beiden Fälle, welche Lücke
(1. c. S. 143) als besondere Beweise für die Leistung des gleich
nach der Operation angelegten Gypsverbandes hervorhebt (Fall 111)
diese Bedeutung nicht habe, wurde schon angeführt (s. Fall 171).
Die wirklichen Ursachen der Häufigkeit der Schlotterarrae nach den
Resectionen von 1864 habe ich schon angedeutet.
Was Lücke für den Gypsverband reclamirt, die sofortige und
consequente Benutzung desselben nach der Resection, wird zum Heile
für die Operirten Regel erst dann werden können, wenn die pri-
märe Resection in ihr volles Recht getreten sein wird. Die Fälle
von secundärer Resection, bei denen es 1864 ohne Schaden für den
Operirten gelang, die sofortige und consequente Benutzung des Gyps-
verbandes durchzusetzen, gehören zu den Ausnahmen. Sogar Aerzte
mit ausgesprochener Vorliebe für diesen Verband sahen sich durch
Infiltrationen und Eitersackungen gezwungen, mit der Anlegung zu
zögern oder die Benutzung desselben zu unterbrechen. Principielle
Primärresection und methodischer Gypsverband bedingen
und unterstützen sich gegenseitig.
F. 3. Schuss Verletzungen des Schultergelenkes.
In der Tabelle IX. (vgl. S. 137) sind für den preussischen An-
theil 18 Fälle von Schultergelenk-Schuss notirt — dieselbe Zahl,
welche sich für die Schussverletzungen des Ellenbogengelenkes ge-
funden hat. Erwägt man indess, um wie viel die Schulter-Schüsse
häufiger sind als die der Ellenbogengegend, so stellt sich heraus,
dass das Schultergelenk verhältnissmässig viel seltener mitverletzt
wird. Unter 153 Schulterschüssen trafen nur 18 = c. 10 pCt., das
Gelenk selbst. Hierzu kommen 26 Fälle bei den dänischen Kriegs-
gefangenen.
Secundäre AfTectionen des Schultergelenkes nach Schüssen in
280
der Nähe desselben waren nicht selten. Einige sind bereits erwähnt.
Die Diagnose der wirklichen Gelenkverletzung ist dadurch bisweilen
noch schwerer geworden, als sie es schon an und für sich ist. Von
besonderer Bedeutung waren unter diesen Secundäraffectionen die
durch Osteomyelitis nach hohen Schussfracturen des Humerus be-
dingten. Drei Fälle der Art haben schon in dem betreffenden Ab-
schnitte des Berichtes Erwähnung gefunden (vgl. Fall 126 — 128).
Ausser jenen 44 wirklichen Schultergelenkschüssen ist noch
einer vorgekommen; ich zähle ihn hier nicht mit, weil er mit einer
anderen noch schwereren Schussverletzung — Kniegelenk-Schuss —
combinirt war. Jch bemerke nur, dass die Schulter Verletzung ex-
spectativ behandelt, des Knieschusses wegen der Oberschenkel ampu-
tirt wurde, und dass der Fall tödtlich verlief. Bei den Knieschüssen
werde ich auf ihn zurückkommen.
Unter jenen 44 Gelenkschüssen war kein Fall blosser Kapsel-
verletzung. Alle hatten theils den Oberarmkopf, theils den Gelenk-
fortsatz des Schulterblattes, theils Kopf und Pfanne lädirt. Der
Grad der Knochenverletzung war freilich sehr verschieden von der
blossen Streifung bis zur völligen Zertrümmerung.
Ich gebe zunächst ein numerisches Bild von dem
Verlauf der Schultergelenk-Schüsse
nach Nationalität und Kurart.
Tabelle XVI.
Nationalität
Zahl
der
Ver-
wun-
deten
Kurart
Summa
exarticulirt
resecirt
nicht operativ
behandelt
der
Ge-
heilten
der
Ge-
stor-
benen
Zahl geh.
r
gest.
Zahl
geh.
gest.
Zahl
geh.
gest.
Preussen
Dänen
18
26
2
2
14
21
7
10
7
11
2
5
1
1
5
8
10
10
16
Summa
44
2
2 | 35
17
18
7
1
6
18
26
Ueber zwei der vorstehend berechneten Fälle ist bereits bei
den Ellenbogengelenk-Schüssen berichtet worden.
In beiden war Schultergelenk- und Ellenbogengelenk -Schuss
derselben Seite combinirt. In dem einen wurde nicht operirt, in
281
dem anderen wurden beide Gelenke nach einander recesirt. Beide
verliefen tödtlich (S. Fall 159).
Bei dem ausgeprägt conservirenden Character der neueren deut-
schen Kriegschirurgie kann es nicht auffallen, dass bei den Schuss-
verletzungen des Schultergelenkes nur zweimal zum Amputations-
messer gegriffen wurde ; wohl aber darf vorweg angenommen werden,
dass besondere Gründe zur Exarticulation in diesen Fällen veran-
lassten.
In dem einen (Leopold Reiza vom 3. G.-Gr.-Reg. , in der
Nacht vom 16. zum 17. April vor Düppel verwundet. Broacker)
war das rechte Schultergelenk durch Granatsplitter zer-
trümmert, Der am Tage nach der Verwundung gemachten Exar-
ticulation des Armes folgte vom 3. Tage ab die Entwickelung
der Pyämie mit intensiv icterischen Erscheinungen und am 12. Tage
der Tod.
Fall 184. In dem anderen Falle (Füs. Kuttenstädter vom 15. Inf.-Reg.,
verwundet den 2. Februar vor Missunde. Eckernförde) war der Humerus-
kopf durch eine Gewehrkugel zerschmettert und die Resection in Aussicht
genommen. Sechs Tage nach der Verwundung stellten sich — vielleicht
in Folge des Transportes in ein anderes Spital, welcher, wenn auch mit
aller Vorsicht, bei Schneegestöber geschah — die Symptome des Tris-
mus ein, mit rapider Steigerung. Bei der Möglichkeit, dass die Läsion
eines Nerven des Axillargeflechtes durch Knochensplitter die Ursache sei,
wurde am folgenden Tage der Arm exarticulirt. Die tetanischen Zuckun-
gen, denen die Chloroformnarkose kaum Einhalt zu thun vermochte, bra-
chen nach kaum beendeter Operation wieder aus und führten binnen einer
halben Stunde zum Tode.
Von den 7 Fällen, bei welchen kein operativer Eingriff
geschah, ist einer schon in dem Capitel über Ellenbogengelenk-
Schüsse erwähnt worden. Er war mit einem solchen und zwar an
.demselben Arme complicirt und kann daher nicht mit in Betracht
kommen, wenn es sich um das Heilungs- resp. Sterblichkeits-
Verhältniss bei der nicht operativen Cons er vativkur
der Schultergelenkschüsse handelt.
In den schleswig-holsteinischen Kämpfen von 1848 — 50 star-
ben bei dieser Behandlung nach Stromeyer von 8 Verwundeten
5 = 62,5 pCt; im italiänischen Kriege von 1859 nach Demme von
43 Verwundeten 29 === 67, 4 pCt. Von unsern 6 Verwundeten der
Art ist nur 1 genesen. Zusammen ergeben diese 57 Conservativ-
kuren ohne Operation eine Sterblichkeit von fast 70 pCt. Ich er-
wähne zuerst unsern einen Heilungsfall.
282
Fall 185. Gewehrschuss durch die linke Schulter mit Streifung
des Oberarmkopfes. Heilung mit Ankylose. — Füs. Philipp Na-
dermann vom 55. preuss. Inf.-Reg. , wurde den 18. April verwundet und
in Flensburg (Sect. des 2. schw. F.-L. St.-A. Reuter) aufgenommen. Die
Kugel drang am Proc. coracoideus ein und am mittleren Dritttheil des
Schulterblattes nach Durchbohrung desselben aus. Gelenkkapsel eröffnet,
Kopf des Humerus gestreift. Eine lebhafte Reaction folgte, wurde jedoch
durch consequente Eisbehandlung in Schranken gehalten. Nach 14 Tagen
Chamillen-Fomente. Am 10. Mai Eitersackung am Oberarm herab. Brei-
umschläge. Incision am 20. Mai. Unter fortgesetzten Breiumschlägen er-
folgte nun die weitere Ausheilung ungestört, und Ende August war die
Vernarbung soweit vorgerückt, dass Pat. behufs einer Badekur nach Kreuz-
nach geschickt werden konnte. Bei der am 4. December erfolgten Invali-
disirung wurde das Gelenk ankylosirt gefunden.
Dies ist ein sehr milder Verlauf, wie er selbst bei so beschränkter
Verletzung der Gelenktheile nicht oft vorkommt. In den 5 tödtlich
verlaufenen Fällen war die Verletzung viel bedeutender, und Grad
und Ausdehnung derselben konnten zum Theil erst bei der Section
constatirt werden. Ich führe sie kurz an, weil sie erklären, warum
das Resultat der nicht operativen Kur noch ungünstiger ausfiel, als
in den früheren Kriegen, und weil sie die diagnostischen Schwierig-
keiten beleuchten, mit welchen die Schussverletzungen des Schulter-
gelenkes umgeben sind.
1. Fall 186. Rasmus Hansen vom 3. dän. Inf.-Reg., den 29. Juni verwun-
det, in Glücksburg behandelt. Gewehrschuss. Eingang der Kugel dicht
über der hinteren Grenze der linken Achselhöhle, Ausgang in der linken
Mamillarlinie 3" über der Brustwarze. Vermeidung eindringlicher Unter-
suchung aus Besorgniss vor Wiederkehr der Blutung, welche aus der vor-
deren Oeffnung sehr stark gewesen war. Täuschende Milde der Reaetion
Seitens des Gelenkes. Entwickelung der Pyämie, deren Verlauf durch
Blutungen beschleunigt wird. Tod am 1. August. Section: Absplitte-
rung des Humer us -Kopfes; pyämische Lungenabscesse.
2. Fall 187. Füs. Hermann Zillmann vom 64. preuss. I.-R., am 18. Aprii
verwundet, in Broacker (schw. F.-L. des Garde-C.) aufgenommen. Ein Ge-
wehrschuss hatte unter Splitterung des Acromialendes der Cla-
vicula, des Acromion und des Gelenkfortsatzes der Scapula
das rechte Schultergelenk durchsetzt. Heftige Reaction erst vom 4. Tage
ab. Tod am 26. April durch Septicaemie.
3. Fall 188. Rasmus Thomassen vom 9. dän. Inf.-Reg, am 18. April ver-
wundet, in Flensburg aufgenommen. Die Kugel drang am linken Schulter-
gelenk vorn ein, hinten in der Mitte der Scapula \" unter der Spina aus.
Der Finger gelangt durch letztere Oeffnung auf die scheinbar unver-
letzte Scapula; der Lauf des Schusskanals lässt sich nicht ge-
nau bestimmen, weil Pat. über die Haltung des Armes im Augen-
283
blicke der Verletzung keine Auskunft zu geben vermag. Am
26. April reichliche Absonderung aus den Wunden, mit Synovia vermischt.
Erst vom 3. Mai bedeutendere Störung des Allgemeinbefindens. Dann
rasche Entwicklung der Pyämie mit tödtlichem Ausgange am 8. Mai.
Section: Gelenkkopf leicht gestreift, Gelenkpfanne gespalten,
im Körper der Scapula ein kreisrundes Loch. Lungen mit pyämi-
schen Infarcten durchsetzt.
4. Fall 189. Peter Kregessen vom 2. dän. Inf.-Reg., am 28. März verwun-
det, in Stenderup aufgenommen. Das Langblei ist unter der rechten
Clavicula eingetreten und an der hinteren Fläche der Scapula ausgeschnit-
ten. Im Wundkanale fühlt man die Subclavia pulsiren. Ein Knochenbruch
schien nicht vorhanden. Am 2. April heftige Blutung. Unterbindung der
Subclavia (St.-A. Dr. Claus). Die Blutung kehrt nicht wieder; aber in
Folge der Erschöpfung tödtlicher Ausgang am 7. April. Bei der Section
fand sich das Collum scapulae zertrümmert, die Gelenkpfanne gespalten;
zwischen den Trümmern ein Zündspiegel. Keine Spur von Thrombus in
der Arterie; dicht oberhalb der Ligatur geht ein Ast ab.
5. Fall 190. Peter Petersen vom 3. dän. Inf.-Reg., am 29. Juni verwundet,
in Sandberg aufgenommen. Einschuss dicht unter dem Akromialende
der linken Clavicula, Ausgang ein Zoll nach aussen vom Angulus Scapulae,
Eine Zerschmetterung des Gelenktheiles der Scapula wird constatirt. Bal-
dige und heftige Reaction unter Jauchung der Wunden. Ausgedehnte In-
filtration des Oberarmes. Mehrere Incisionen. Am 11. Juli bedeutende
Blutung aus der hinteren Oeffnung, welche durch Tamponade gestillt wird.
Gleich darauf heftiger Schüttelfrost, der sich einige Mal wiederholt. Er-
öffnung eines grossen Jaucheheerdes in der Achselhöhle. Am 14. Juli starke
Jauchung aller Wunden. Durch die vordere Schussöffnung sieht man einen
Theil des Oberarmkopfes blossliegen. Er erscheint bei der Betastung ganz
unverletzt und lässt sich durch Bewegungen des Humerus nach allen Sei-
ten luxiren. Der Proc. glenoidalis Scap. ist mit dem Finger nicht aufzu-
finden. Tod am 16. Juli. Section: Völlige Zerstörung des Gelenktheiles
der Scapula; theilweise Zertrümmerung des unteren Schulter blattkörpers.
Ausgedehnte Verjauchung.
Abgesehen von dem ersten dieser 5 Fälle, in welchem die
drohende Blutung die bestimmte Diagnose der Verletzung des Ober-
armkopfes verhinderte, waren die übrigen auch bei vorweg klarer
Diagnose schwere Kurprobleme. Der tödtliche Ausgang kann der
Conservativkur ohne Operation kaum zur Last geschrieben werden.
Bedeutendere Betheiligung des Gelenktheiles des Schulterblattes ist,
wie wir sehen werden, auch dem Erfolge der Resection sehr hin-
derlich. Liesse jene Kur nur bei derartigen Fällen im Stiche, so
würde man sich nicht allzusehr vor ihr zu scheuen haben. Wir
werden aber unter den später zu erwähnenden Fällen mehreren be-
gegnen, in welchen trotz ziemlich geringer und auf den Oberarm-
284
köpf beschränkter Knochenläsion der durch seine anfängliche Milde
täuschende Verlauf schliesslich doch zum Operiren genöthigt hat.
In dem Capitel über die Ellenbogengelenkschüsse habe ich er-
wähnt, wie sehr die dänischen Aerzte ihren Widerwillen gegen die
Gelenkresection bis in die neueste Zeit conservirt haben. Den Ver-
letzungen des Schultergelenkes gegenüber haben sie sich bereits be-
kehrt. Prof. Drachmann räumt das in seinem Vortrage ein. Aber,
wie es scheint, um die Ehre der Conservativkur ohne Resection
nicht gar zu bloss zu stellen, erzählt er doch 4 Fälle „von Schuss-
wunden im oder b ei m Schultergelenk, behandelt ohne Resection."
Weshalb die auffällige Formulirung der Categorie? Weil in der
That nur ein wirklicher Gelenkschuss unter jenen Fällen sich be-
findet. Die anderen 3 sind Schussfracturen des oberen Drittheils
des Humerus. Für deutsche Chirurgen hat die Heilung der letz-
teren ohne Resection nichts Auffälliges mehr, seitdem Stromeyer
constatirt hat, dass die Schussbrüche des Humerus unter dem soge-
nannten chirurgischen Hülse keine Fissuren nach dem Gelenktheile
machen.
Dem einen dänischer Seits ohne Resection geheilten Falle von
Schussverletzung des Schultergelenkes gebe ich in diesem Berichte
um so lieber einen Platz, weil die Knochenverletzung etwas bedeu-
tender gewesen zu sein scheint, als in dem oben erwähnten, bei
uns geheilten Falle, weil dergleichen Heilungsgeschichten in der
Kriegschirurgie je länger desto seltener werden dürften, und weil
die genauere Schilderung des definitiven Resultates, welches Herr
O.-St.-A. Dr. Thalwitzer persönlich in Copenhagen constatirt hat,
Gelegenheit bietet, einen Vergleich mit den Resultaten der Resection
zu machen, welche ich alsbald mittheilen werde.
Gemeiner Louis Villmann erhielt am 5. April einen Gewehrschuss
durch die linke Schulter. Eingang zwischen Proc. coracoid. und Collum
humeri, Ausgang nach Durchbohrung des Schulterblattes etwas nach innen
von dessen äusserem Rande. Untersuchung 10 Monate nach der
Verletzung: Aus der Einschussöffnung hat sich kürzlich noch ein Kno-
chenfragment entleert. Ausgangsöffnung vernarbt. Einsenkung unterhalb
des Acromion, bedingt durch Verkleinerung des Oberarmkopfes, welcher,
wohl auf die Hälfte des Umfanges reducirt, als feste Masse durchfühlbar
ist. Ankylose des Gelenkes. Bewegung des Armes nach vorn activ sehr
beschränkt, nach hinten unmöglich; einige Entfernung des Ellenbogens
vom Rumpfe durch Bewegung des Schulterblattes ausführbar. Beide Ober-
arme gleich lang. Der Vorderarm kann activ bis zu einem rechten Winkel
gebeugt werden; Pro- und Supination, Bewegungen der Hand und der Fin-
ger frei. Händedruck stark. Ernährungszustand des Gliedes sehr gut.
285
Wie viel wirkliehe Schultergelenk-Schüsse dänischer Seits ohne
Resection behandelt wurden, wie viele Todesfälle dem einen Hei-
lungsfalle gegenüberstehen — diese Fragen sind von Djörup und
Drachmann gar nicht gestellt. Aber wie wenig auch dänischer
Seits das mit der nicht operativen Conservativkur verknüpfte Sterb-
lichkeitsverhältniss befriedigt hat, geht daraus hervor, dass man sich
1864 zu 4 Resectionen des Schultergelenkes entschloss. Zwei davon
verliefen tödtlich.
Sämmtliche Resectionen des Schultergelenkes, welche
1864 preussischer Seits ausgeführt sind, habe ich in einer nament-
lichen Liste zusammengestellt. (S. Anhang 2.) Es sind 38.
Aus der Liste ergiebt sich, dass von den 38 Resectionsfällen 20
= 52 pCt. tödtlich verliefen — ein Verhältniss, welches den Effect
der Operation für das Leben nicht eben glänzend illustriren dürfte,
wenn es sich ausschliesslich um Schultergelenk- Schüsse handelte.
Um den Effect der Operation zu würdigen, muss zunächst Fall
N*. 35 ausser Ansatz bleiben, weil er durch einen schweren
Beckenschuss complicirt war; ferner Nr. 34 wegen Compiication
mit Ellenbogengelenk-Schuss und Resection an demselben Arme;
endlich die 3 Fälle von Resection wegen Osteomyelitis nach Schuss-
fracturen des Oberarmschaftes (So. 36—38), von denen 2 tödtlich
verliefen. Somit bleiben 33 Resectionen des Schultergelenkes mit
16 = 45,4 pCt. Todesfällen.
Gegen die 70 pCt. Todesfälle nach der Conservativkur ohne
Resection ist das schon eine beachtenswerthe Differenz. Dennoch
erscheinen die Resultate pro 1848 bis 1850 nach der Esmarcir-
schen Liste, von welcher ich freilich nicht weiss, ob sie ganz voll-
ständig ist, nicht unerheblich günstiger. Unter den 19 Fällen dieser
Liste ist einer mit penetrirendem Brustschuss complicirt. Ohne
diesen enthält sie 18 Fälle mit 6 = 33.3 ptt. Todesfällen. Woher
diese Differenz?
Betrachtet man die Todesursachen von 1864 — Tetanus 1,
Erschöpfung durch Blutung und Eiterung 3, Pyämie und Septicämie
12 mal — so möchte man aus dem Ueberwiegen der Pyämie die
Schuld auf geringere Salubrität der Lazarethe schieben. Aber ein
Blick auf die namentliche Liste der Resecirten lehrt, dass die Todes-
fälle durch Pyämie sich keineswegs auf einzelne Lazarethe concen-
trirten, während es anderer Seits feststeht, dass die Feldlazarethe
von 1864 mit nur einzelnen örtlich wie zeitlich beschränkten Aus-
286
nahmen weniger als je in einem Feldzuge Heerde der pyämischen
Infection geworden sind.
Jene Differenz erklärt sich vielmehr aus der Art der ur-
sprünglichen Verletzung. Die Schwere der Schultergelenk-
schüsse wird sehr gesteigert durch die Mitverletzung des Ge_
lenktheiles der Scapula. Sie verschlimmert nicht bloss den
Verlauf bei der nicht operativen Conservativkur, sondern sie trübt
auch die Erfolge der Gelenkresection. Bei unsern Resectionen be-
stand diese Complication achtmal (= 24 pCt.), bei den 18 Fällen
von 1848—1850 nur zweimal (= 11 pCt.).
Im Allgemeinen ergiebt sich auch aus der Erfahrung von 1864,
dass die Gefährlichkeit der Schultergelenk-Schüsse durch die Ge-
lenk-Resection nicht in demselben 'Masse vermindert wird, welches
sich bei den Schussverletzungen des Ellenbogengelenkes herausge-
stellt hat. Bei letzteren fanden wir überdies eine sehr bedeutende
Differenz der Mortalität, je nachdem die Resectitfn primär (am
Tage der Verletzung oder am nächsten) oder nicht primär aus-
geführt wurde. Eine für die Praxis wichtige Frage ist, wie sich
dieses Verhältniss bei den Resectionen des Schultergelenkes gestaltet
habe. Ich stelle die Ergebnisse aus der Es mar ch' sehen und
meiner Liste neben einander und zwar mit der bereits oben moti-
virten Restriction.
Resectionen des Schultergelenks:
primäre. nicht primäre.
Zahl. Zahl der Todten. Zahl. Zahl der Todten.
1848—1850: 6 2 12 4
1864: _7 4 26 12
Summa: 13 6 38 16
An und für sich sprechen diese Zahlen nicht zu Gunsten der
primären Resection des Schultergelenkes. Für die Fälle von 1848
bis 1850 ist das Procentverhältniss der Mortalität das nämliche
(33,3 pCt.) in beiden Categorien. Für 1864 kommen 57 pCt. Todte
bei der primären, 46 pCt. bei den nicht primären Resectionen her-
aus. Eine Sterblichkeit von 46 pCt. bei ersteren und von 42 pCt.
bei letzteren ist das Facit aus beiden Reihen. Allein ich halte
diese Zahlen für viel zu klein, als dass die Statistik berechtigt
wäre, von ihnen ohne Weiteres, d. h. ohne eingehendere Würdi-
gung ihrer Bedeutung, die Entscheidung über den Vorzug der einen
oder der anderen Resectionszeit abhängig zu machen. Was die pri-
287
mären Resectionen von 1864 betrifft, so ist aus der namentlichen
Liste zu ersehen, dass unter den 7 Fällen 4 (No. 2, 3, 5, 6) sind,
in welchen die Verletzung des Oberarmkopfes mit Läsion des Ge-
lenktheiles der Scapula combinirt war, und dass von den 4 Todes-
fällen 3 (No. 2, 3 und 5) dieser Categorie angehörten. Liesse man
diese Fälle ausser Ansatz, so würden 3 Fälle mit 1 Todten bleiben
— das nämliche Sterblichkeitsverhältniss, was sich pro 1848 bis
1850 herausgestellt hat.
Ausserdem ist zu bemerken, dass in den vorstehenden Berech-
nungen der Begriff „primär" etwas enger gefasst ist, als es sonst
üblich ist. Gewöhnlich werden die während der ersten 48 Stunden
nach der Verletzung ausgeführten Operationen als primäre bezeich-
net, weil in der Regel vor Ablauf dieser Zeit die Reaction nicht
bis zu einem den Erfolg der Operation in Frage stellenden Grade
entwickelt ist. Ich will absehen von den Ausnahmen, obgleich sie
gar nicht selten sind, auch von der Erfahrung, dass gerade bei
Gelenkschüssen der septicämische Process bisweilen schon früher
sich einleitet. Nur auf die Schwierigkeit, ex post für jeden Fall
die Zeit zwischen Verwundung und Operation genau zu messen,
will ich aufmerksam machen. Ich habe bloss nach dem Datum
gerechnet, weil die Stunden nicht festzustellen sind. Operationen
z. B. bei Verwundeten des 18. April habe ich primäre genannt,
wenn sie am 18. oder 19. April gemacht sind. Es ist aber klar,
dass, wenn die Verwundung am 18. Nachmittags erfolgte und die
Operation am 20. April Vormittags ausgeführt wird, letztere noch
in den obigen Begriff der Primär Operation fällt. Hiernach ist es
wahrscheinlich, dass die Fälle No. 8, 9, 10 und 11 der nament-
lichen Liste, bei welchen die Operation am 2. Tage nach der Ver-
wundung gemacht ist, im gewöhnlichen Sinne primäre waren.
Nehmen wir dies an, so stellt sich das Verhältniss pro 1864 wie
folgt: 11 Primärresectionen mit 4 = c. 36 pCt. Todesfällen, 22 Se-
cundärresectionen mit 12 = c. 54 pCt. Todesfällen.
Und dabei ist noch zu beachten, dass unter den 11 Primär-
resectionen sich 6 Fälle befinden, in welchen der Gelenktheil der
Scapula mitverletzt war.
Je grösser die Zahlen sind, mit welchen die Statistik rechnet,
desto mehr darf sie von den Specialdifferenzen innerhalb der ein-
zelnen Ansätze abstrahiren. Leider geräth sie dabei auf dem Ge-
biete der Kriegschirurgie aus der Scylla in die Charybdis. Die
Loeffler, Generalbericht. 19
288
grossen Zahlen aus grossen Kriegen pflegen, wenn sie ehrlich ge-
geben werden, sehr viel unbestimmte und unbestimmbare Grössen
zu umfassen. 575 Resectionen des Schultergelenkes —
das ist ohne Zweifel schon eine Zahl, welche das Generalisiren ge-
stattet. Sie steht in dem offiziellen Rapporte aus dem amerikani-
schen Unionskriege. Aber bei 67 Fällen ist der Ausgang unbe-
stimmt. Es restiren
Primäre Resectionen 210 mit 50 = c. 24 pCt. Todten.
Secundäre „ 298 „ 115 = c. 39 „
In Summa Resectionen 508 mit 165 = c. 33 pCt. Todten.
Wenn die Statistik für die primäre Resection auch beim Schul-
tergelenke eine geringere Mortalität nachweist, so ist dies um so
höher anzuschlagen, weil die diagnostischen Verhältnisse ohnehin
eine stärkere Belastung derselben bedingen. Die leichteren Ver-
letzungen des Schultergelenkes sind als solche viel schwerer sofort
zu constatiren, als die bedeutenderen. Darum werden stets mehr
schwere als leichte Schultergelenk-Schüsse der Primärresection zu-
fallen.
Was die sogenannten intermediären, d. h. die 3 bis 5 Tage
nach der Verwundung ausgeführten Resectionen betrifft, so sind
dieselben ebenso deletär wie die intermediären Amputationen. Die
beiden Resectionen des Schultergelenkes, welche nach der Esmarch'-
schen Liste 4 Tage nach der Verwundung gemacht wurden, verliefen
tödtlich. Nach meiner Liste pro 1864 gehören 6 Fälle (No. 12—17)
in diese Kategorie; nur 1 von ihnen verlief nicht tödtlich. Die
Statistik pro 1864 ergiebt somit:
primäre Resectionen d. Schultergelenks 11 mit 4=36 pCt. Todesfällen,
intermediäre Res. - 6 - 5=83 -
secundäre Res. - - 16 - 7=44 -
Vom statistischen Standpunkte unterliegt es hiernach keinem
Zweifel, dass es Pflicht der Feldärzte sei, bei den Schultergelenk-
Schüssen womöglich in den ersten 48 Stunden nach der Verwun-
dung das Gelenk zu reseciren. Ist aber diese Frist einmal ver-
flossen, so sollte der operative Eingriff unter Anwendung entspre-
chender Antiphlogose bis zum Ablaufe der entzündlichen Reactions-
periode verschoben werden.
Es bedarf aber kaum der Statistik, um dem Feldarzte die mög-
lichste Bevorzugung der primären Resection zu empfehlen. Wenn
289
man die Gelenkresection als das Mittel anerkennt, die mit der nicht
operativen Kur der Schultergelenkschüsse notorisch verknüpfte grosse
Lebensgefahr zu mindern, so ist schwer einzusehen, weshalb mit der
Operation gezögert werden soll, bis eine' bedrohliche Wendung im
Verlaufe wirklich eingetreten ist. Gleichwohl giebt es noch heute
namhafte Chirurgen, welche principiell die secundäre Resection
empfehlen zu müssen glauben. „Bei schwieriger Diagnose
können operationslustige Chirurgen leicht zu viel thun"
— sagt man. Durch die principielle Empfehlung der secundären
Resection soll die Consequenz einer falschen Diagnose verhütet
werden. Ohne Zweifel ist es gerade bei den Schulterschüssen bis-
weilen schwer genug, sofort die Gelenkverletzung zu constatiren,
besonders wenn die Knochenverletzung unbedeutend ist, und wenn
bei der Untersuchung der frischen Wunde es nicht gelingt, die
Haltung des Gliedes im Momente der Verwundung zu ermitteln und
herzustellen. Aber die primäre Resection empfehlen, heisst doch
nicht, sie bei unsicherer Diagnose anrathen. Wer zur Gelenkresection
schreitet, wird wohl überzeugt sein, dass das Gelenk verletzt sei.
Ein Irrthum ist beim Schultergelenke leichter als bei anderen mög-
lich; er passirt selbst Meistern sogar im vorgerückten Stadium des
Wundverlaufes. Aber es scheint mir durchaus unzulässig, dass die
principielle Entscheidung über den Vorzug der primären oder
der secundären Resection von der Rücksicht auf die Möglichkeit
einer falschen Diagnose abhängig gemacht werde.
Noch überraschender ist die Behauptung, mit der primären Re-
section werde „eigentlich gar nichts gewonnen." Geringere
Lebensgefahr und Abkürzung des Wundlagers sind doch wohl beach-
tenswerthe Vortheile. Unsicherheit der Diagnose und Cumulation
der Arbeit in den ersten Tagen nach Gefechten beschränken schon
genug die Primär-Resection ; man sollte sich hüten, sie überhaupt
zu discreditiren.
Unter den Ellenbogengelenk -Resectionen von 1864 hat, wie
früher erwähnt, der einzige Fall, in welchem die Operation noch
am Tage der Verwundung selbst gemacht wurde, das glänzendste
Resultat ergeben, sowohl was Schnelligkeit und Einfachheit des
Verlaufes, als was Brauchbarkeit des conservirten Gliedes betrifft
(S. Fall 171). Auch von den Schultergelenk-Resectionen ist eine noch
am Tage der Verwundung ausgeführt. Ueber die definitive Brauch-
barkeit des Gliedes kann ich leider keine Auskunft geben; aber
19*
/
290
der Verlauf ist wenigstens ein sehr günstiger, einfacher und rascher
gewesen.
Fall 191 (nam. Liste No. 1). Gemeiner Hans Nielsen vom 2. dän. Inf.-Reg.
erhielt am 18. April einen Langbleischuss durch die rechte Schulter. Der
Kopf des Humerus war fracturirt. Noch am nämlichen Tage wurde in
Broacker die Resection gemacht und zwar mittelst des üblichen vorderen
Längsschnittes, welcher durch die vordere Schussöffnung geführt wurde
(Prof. Dr. Esmarch). Bei einfacher Lagerung wurde Anfangs die Eis-
blase aufgelegt. Die örtliche wie die allgemeine Reaction blieb mässig.
Ohne störende Zufälle erfolgte die Ausheilung der Art, dass N. bereits am
15. Juli mit völlig vernarbten Wunden ausgeliefert werden konnte.
Die Mitverletzung des Gelenktheiles der Scapula war
1864, wie bereits erwähnt, eine relativ häufige Erscheinung bei den
Schultergelenkschüssen. Sie trübt die Prognose der Gelenkresection,
aber sie ist kein Contraindicans derselben. Aus der namentlichen
Liste ist ersichtlich, dass die Operation in 3 Fällen trotz derselben
von Erfolg gewesen ist. Bei wirklicher Zertrümmerung ist man
genöthigt, nach der Resection des Oberarmkopfes die gelösten Trüm-
mer des Proc. glenoidalis zu entfernen. Handelt es sich bloss um
Fissuren, so entsteht die Frage, ob es rathsam sei, den operativen
Eingriff durch die Abtragung des Gelenkfortsatzes der Scapula zu
erweitern. In unsern drei Heilungsfällen ist dies nicht geschehen.
Der Verlauf nach der Operation wurde freilich durch langdauernde
Eitersenkungen complicirt.
Fall 192 (nam. Liste Nr. 6). Gewehrschuss durch das linke Schul-
tergelenk. Schussrinne im Oberarmkopf; Fissuren der Pfanne;
Fractur der 1. Rippe. Primäre Resection des Oberarmkopfes.
Heilung mit Ankylose. — Gemeiner Andreas Paulsen vom 5. dän.
Inf.-Reg., wurde am 29. Juni auf Alsen verwundet und in Ulderup (1. F.-L.
5. Div.) aufgenommen. Das Langblei ist an der hinteren Seite des linken
Schultergelenkes ein- und unter der Mitte des Schlüsselbeines ausgetreten.
Der untersuchende Finger gelangt in das Gelenk und findet einen Substanz-
verlust im Kopfe des Humerus. Die erste Rippe ist an der Anschussöff-
nung fracturirt. Am folgenden Tage wurde die Resection mittelst des vor-
deren Längsschnittes gemacht (St. -A. Dr. Loewenhardt). Von dem
rinnenartigen Defecte am Kopfe des Humerus gingen zwei Risse durch den-
selben. Mit ihm wurden c. 1^" vom Humerus abgesägt. Die Pfanne zeigte
mehrere Fissuren; da die Stücke jedoch zusammenhielten, so wurde auf
die Abtragung derselben verzichtet. Vereinigung der Operationswunde durch
Nähte; Befestigung des Armes am Thorax durch Bindentouren. Die prima
intentio gelang indess nicht. Trotz befriedigenden Allgemeinbefindens
jauchte die Wunde stark. Erst vom 12. Juli ab wird das Secret besser
und sparsamer. Schon am 15. Juli konnte der Operirte das Bett verlas-
291
sen. Die Ausfüllung der Wunde mit Granulationen ging rasch vor sich.
Einige Mal lösten sich kleine Knochenstücke. Am 8. August ist die Resec-
tionswunde fast geschlossen. Massige Bewegungen des Gliedes werden be-
reits ohne Schmerz ertragen. Eine schnelle Knochenneubildung scheint zu
erfolgen.
Am 14. August Wiederaufbruch der Resectionswunde mit reichlicher Ent-
leerung guten Eiters. Darauf scheint sich die Vernarbung wieder einzu-
leiten. Aber in Apenrade, wohin die Evacuation am 26. August erfolgte,
zögert nicht bloss der Schluss der in die Tiefe führenden Fisteln, sondern
es entstehen auch unter fieberhafter Störung des bis dahin trefflichen All-
gemeinbefindens mehrfache Eitersackungen theils unter dem Schlüsselbeine,
theils am Oberarme, so dass nach und nach 6 Incisionen nöthig wurden.
Ende November konnte die Entlassung nach Copenhagen erfolgen. Es be-
standen noch einige Fistelgänge, welche in die Tiefe, aber nicht auf nekro-
tischen Knochen führten.
Provisorisches Resultat, 7 Monate nach der Verletzung durch
Herrn O.-St.-A. Dr. Thalwitzer in Copenhagen constatirt: An der Ein-
schussstelle eine vertiefte dem Knochen aufsitzende Narbe. Die 13 Ctm.
lange, fast 2 Ctm. tiefe Resectionsnarbe ist von mehreren Fistelöffnungen
unterbrochen, durch welche die Sonde 1" tief in weiches Gewebe führt.
Auch die Ausschussöffnung gestattet noch die Einführung der Sonde bis
zu gleicher Tiefe. Mehrere Incisionsnarben und Fisteln in der Achselhöhle.
Knochenneubildung hat stattgefunden, der Knochen ist noch nicht ganz
fest. Verkürzung des Oberarmes um 3 Ctm. Ankylose des Schulterge-
lenkes. Active Bewegung aufgehoben; passiv lässt sich der Oberarm unter
Mitbewegung von Schulterblatt und Schlüsselbein vom Rumpfe etwas ent-
fernen. Das Ellenbogengelenk kann activ bis zum rechten Winkel gebeugt
werden; die Streckung ist unvollkommen. Handgelenk und Finger frei be-
weglich; der Druck der Hand ist noch schwach.
Dies ist unter den Resectionen des Schultergelenkes von 1864
der einzige Fall, in welchem die Heilung mit Ankylose erfolgte.
Bei allen übrigen resultirte eine bewegliche Verbindung. Der
Werth der letzteren für den Gebrauch des Gliedes ist indess sehr
verschieden. Um dies und die Momente, welche von besonderem
Einflüsse darauf sind, anschaulich zu machen, lasse ich diejenigen
Fälle folgen, von welchen das definitive Resultat zu ermitteln
gelungen ist.
Fall 193 (nam. L. Nr. 8). Ge wehrschussfractur des Oberarmkopfes.
Primäre Gelenkresection. Heilung mit activ beweglicher Ver-
bindung. — Musk. Friedrich Schuhrke vom 64. Inf.-Reg., erhielt am
17. März vor Düppel einen Schuss durch das linke Schultergelenk. Ein-
gang unter dem hintereu Rande des Acromion, Ausgang unter dem Proc.
coraeoideus. Am 19. März wurde der zertrümmerte Oberarmkopf in Bro-
acker resecirt (Chefarzt Dr. Neubaur). Der Sägeschnitt wurde dicht
unter den Tuberkeln geführt. Der Verlauf war ein regelmässiger. Nur
292
eine Eitersackung nach der Scapula hin erheischte eine Incision in der
Fossa infraspinata. Bereits am 8. Juni, als Pat. nach Glücksburg eva-
cuirt wurde, waren die Schussöffnungen, die Incisionswunde und die 4 Zoll
lange Resectionswunde bis auf den oberen Winkel vernarbt. Obwohl die
Sonde nicht mehr auf Knochen führte, entstand doch noch eine Eiter-
sackung an der hinteren Seite des Oberarmes, welche eine Incision erfor-
derte. Mitte Juli war die Vernarbung vollendet. Am 29. November 1865
— 20 Monate nach der Operation hat Herr O.-St.-A. Dr. Pähl fol-
gendes Resultat constatirt: Definitive Vernarbung. Auffallender Muskel-
schwund im oberen Drittheil des linken Oberarms, besonders beim Herab-
hängen des Armes deutliche Einsenkung unter dem Acromion. Umfang
c. 2" kleiner als rechts, Uebrigens ist der Ernährungszustand des Glie-
des kaum von dem des gesunden "verschieden. Es wird über ein Gefühl
von Kälte und Taubheit im operirten Gliede geklagt. Die vergleichende
Temperaturmessung ergiebt in der Achselhöhle |°, in der Ellenbogen-
' beuge 1°, in der geschlossenen Hand 3° weniger an der operirten Seite.
Die Färbung der Haut ist an beiden Seiten gleich. Die Länge des ge-
streckten Gliedes, vom Acromion bis zum Handgelenke gemessen, beträgt
1" weniger. Osteophyten sind am Sägeende des Humerus nicht nachweis-
bar. Es hat sich eine neue straffe gelenkartige Verbindung gebildet. Ac-
tiv kann der Oberarm bis zu einem Winkel von 25°, passiv bis 75° erho-
ben werden ohne Mitbewegung des Schulterblattes. Mit letzterer geht die
Erhebung des Armes bis 90°. Ellenbogen- und Handgelenk sind wie die
Finger frei beweglich. Der Handdruck ist kräftig. Das Glied ist zu allen
Leistungen des gewöhnlichen Lebens brauchbar, welche keine bedeutendere
Erhebung des Oberarmes fordern. Geregelte Uebung würde ohne Frage
die betreffende Muskulatur zu grösserer Leistung befähigen. Bis jetzt hat
sich S. aber nur mit Federreissen im elterlichen Hause beschäftigt und
zwar täglich stundenlang, ohne besondere Ermüdung zu spüren. Einer
künstlichen Stütze bedarf das operirte Glied nicht.
Fall 194 (nam. L. Nr. 27). Gewehrschuss in das linke Schulterge-
lenk mit Streifung des Oberarmkopfes. Secundäre Resection.
Heilung mit straffer activ beweglicher Verbindung. — Gefr.
Julius Kühl von der 3. Art.-Brig. erhielt am 2. Februar bei Missunde
eine Kugel, welche an der hinteren Seite der linken Schulter am Aussen-
rande der Scapula eindrang. Ausgangsöffnung fehlt. In Eckernförde
(1. schw. F -L. III. A.-G. Section Lücke) gelang es trotz wiederholter
Untersuchung nicht, die Richtung des Schusskanales und den Sitz der
Kugel festzustellen. Die Gelenkgegend war zwar stark geschwollen, die
Bewegungen im Gelenke waren indess so frei, dass es nicht mitverletzt zu
sein schien, zumal da auch Crepitation eine Knochenverletzung nicht ver-
rieth. Mitte Februar entwickelte sich eine Schwellung unter dem Schlüs-
selbein. Als nach mehrtägigen Breiumschlägen deutliche Fluctuation ein-
trat, wurde mittelst Incision eine tief liegende und mit der Schussöffnung
communicirende Eiterhöhle eröffnet. In ihrer Tiefe ist die Kugel zu füh-
len; aber sie entweicht der Zange. Die reichliche Eiterung hat das sonst
293
gute Allgemeinbefinden etwas getrübt. Am 20. Februar hinterliess eine
arterielle Blutung aus der Schussöffnung, welche mittelst Tamponade ge-
stillt wurde, stärkeren Collapsus. Am 21. Februar trifft der untersuchende
Finger von der Schussöffnung aus auf einen Defect an dem Knorpelüber-
zuge des Oberarmkopfes. Resection des letzteren. (Prof. Dr. Esmarch).
Bei der Operation zeigt sich die Verletzung auf die Streifung des Kopfes
beschränkt. Die Kugel findet sich in der Tiefe zwischen der Muskulatur.
Der weitere Verlauf war günstig. Im März wurde jedoch die Eröffnung
einer Eitersenkung längs des Biceps nöthig. Bewegungsversuche führen
Anfangs April zum Wiederaufbruch der fast vernarbten Resectionswunde.
Ende Juni völlige Vernarbung nach Extraction eines nekrotischen Knochen-
stückes durch die Schussöffnung.
Am 4. December 1865 — 21 Monate nach der Operation — hat Herr
St.-A. Dr. Buski folgendes Resultat constatirt: Das operirte Glied unter-
scheidet sich in seiner Form von dem gesunden nur durch eine Vertiefung
unter dem Acromion. Sonst sind in Betreff der Ernährung, der Tempera-
tur und Sensibilität nur geringe Differenzen nachweisbar. Die Verkürzung
des Oberarmes ist unbedeutend. Das Sägeende ist etwas aufgetrieben.
Es hat sich eine neue straffe gelenkartige Verbindung gebildet, in welcher
bei stärkeren passiven Bewegungen etwas Schmerz und ein „kracksendes"
Geräusch entsteht. Ohne Mitbewegung des Schulterblattes kann der Arm
activ bis zu 30°, mit derselben bis 45° erhoben werden. In allen übrigen
Gelenken des Gliedes besteht normale active Bewegungsfähigkeit. Die Kraft
des Gliedes ist noch wenig entwickelt. Ohne die Unterstützung durch eine
Mitelle schwillt die Hand bald ödematös an. An methodischer Uebung
fehlt es freilich, da der Operirte bis dahin noch keine regelmässige Be-
schäftigung gefunden hat.
Fall 195 (nam L. No. 32). Gewehrschuss durch das Schulterge-
lenk mit Absprengung des Oberarmkopfes. Späte Resection.
Heilung mit beschränkt activ beweglicher Schlotterverbin-
dung. — Gefreiter Wilhelm Mattekat vom 3. Garde -Regiment z. F.
erhielt am 10. Februar bei Satrup eine Kugel, welche an der Vorderseite
der linken Schulter etwa \\ Zoll unter den Acromion eintrat, an der
hintern Seite \ Zoll über der Achselhöhle unter der Haut stecken blieb
und hier durch eine Incision entfernt wurde. Der Arm kann zwar
nicht gehoben werden, aber Crepitation kann bei der Aufnahme in Flens-
burg nicht constatirt werden. Bei einfacher Lagerung und Eisumschlägen
bleibt die örtliche Reaction sehr mässig, das Allgemeinbefinden vollkommen
gut. Erst am 19. Februar stellen sich bei normaler Eiterung lebhaftere
Schmerzen ein. Die Eiterung wird profuser; von Zeit zu Zeit treten durch
die hintere Oeffnung Knochenstückchen zu Tage. Ende Februar hat die
Schwellung bedeutend nachgelassen. Die Untersuchung ergiebt jetzt, dass
eine Fractur vorhanden und der Kopf des Humerus unter dem vorspringen-
den Acromion dislocirt ist. Einfacher Verband mit einem Stützkissen in
der Achselhöhle. Die Eiterung bleibt reichlich, aber gut. Trotz robo-
rirender Diät merkliche Abmagerung. Am 12. März gefensterter Gyps-
294
verband, welcher gut vertragen wird. Zehn Tage später wird das Wund-
secret missfarbig; unter fieberhafter Störung des Allgemeinbefindens infil-
trirt sich die ganze hintere Seite des Oberarmes. Am 25. März Resection
des Gelenkes. Das Caput humeri ist abgesprengt und muss Behufs der
Auslösung mit einem scharfen Haken fixirt werden. Die in den Schaft
gehende Splitterung macht die Abtragung von circa l£ Zoll des Knochens
nothwendig. Mehre Incisionen an der infiltrirten hinteren Seite des Armes.
Das reichliche Wundseeret bessert sich qualitativ bald wie das Allgemein-
befinden. Von Zeit zu Zeit entstehen indess Eitersackungen an verschie-
denen Stellen, welche Incisionen erheischen. Vom 2. September ab ge-
brauchte M. eine vierwöchentliche Badekur in Rehme. Nach dem Be-
richte des Herrn Sanitätsrath Dr. Alfter (Minden 1865) exfoliirten sich
daselbst unter reichlicher Eiterung wiederholt Knochenfragmente. Nach
der Rückkehr in die Heimath musste der Operirte sich am 21. October in
das Lazareth zu Ragnit aufnehmen lassen. Es hatte sich von neuem
eine Phlegmone am Oberarme entwickelt, welche von Herrn A.-A. Dr. Gy-
gas mit mehren Incisionen bekämpft wurde. Darauf trat erhebliche
Besserung ein; allein die Wunden schlössen sich nicht. Im August 1865
wurden 3 nekrotische Splitter an der Stelle des Einschusses entfernt, im
October 1865 noch einer.
Am 1. November 1865 — circa 20 Monate nach der Operation —
hat Herr 0. -St.-A. Dr. v. Stückradt folgendes Resultat constatirt: In
der Resectionsnarbe eine feine Fistelöffnung in der Höhe der Sägefläche
des Humerus, durch welche die Sonde über 1 Zoll weit eindringt, ohne
auf nekrotischen Knochen zu treffen. Ein \ Zoll tiefer Fistelgang an der
hinteren Seite da wo die Kugel ausgeschnitten wurde. Alle übrigen Wun-
den vernarbt. Acromion und Proc. coracoideus springen an der abge-
flachten Schulter stark vor. Das ganze Glied ist etwas magerer als das
gesunde. Differenz des Umfanges in der Mitte des Oberarmes 1 Zoll.
Temperaturunterschied objectiv nicht nachweisbar, obwohl die subjective
Empfindung von Kühle im operirten Gliede wärmere Umhüllung desselben
veranlasst. Periodisch ziehende Schmerzen. Radialpuls an der linken
Seite etwas weniger kräftig. Der herabhängende linke Arm ist \\ Zoll
kürzer als der rechte. Die Sägefläche des Humerus ist dabei 2 Zoll vom
Acromion entfernt. Osteophytenbildung nicht nachweisbar. Die verbindende
Zwischensubstanz fühlt sich sehnenartig fest an. Wird der Arm passiv
vom Rumpfe entfernt, so nähert sich das Sägeende des Humerus dem
Thorax, ziemlich scharf unter der Haut vortretend. Dieses Manöver macht
Schmerz. Trotz der Schlotterverbindung kann der Ellenbogen passiv
nur 4 Zoll nach aussen vom Rumpfes bewegt werden , nach hinten 2 Zoll,
nach vorn 3£ Zoll, nach vorn und innen so weit, dass der Oberarm die
linke Brustwarze berührt. Activ kann der Ellenbogen nur \\ Zoll vom
Rumpfe nach aussen entfernt werden; die Bewegung nach hinten ist gar
nicht ausführbar. Nach vorn wird der Oberarm bis gegen die linke Brust-
warze hin bewegt; der erhobene Vorderarm reicht dann, wie es der nach
einer Photographie gefertigte Holzschnitt zeigt, zur rechten Schulter so
295
weit empor, dass der Daumen Fig. 15.
auf der vorderen Brustwand
1 Zoll unterhalb der rechten
Articulatio sterno - clavicu-
laris liegt (Fig. 15).
Die activen wie die passi-
ven Bewegungen in den Ellen-
bogen- und Handgelenken sind
unbehindert; nur die Supina-
tion bleibt links activ wie
passiv etwas zurück hinter
der rechten Hand. Die Brauch-
barkeit des operirten Armes
beschränkt sich für das täg-
liche Leben auf die Leistun-
gen der Hand, soweit dazu
keine ausgiebige Bewegung
des Oberarmes erforderlich
ist. Den Rock kann M. noch
nicht ohne Hülfe anziehen.
Die Beschäftigung besteht in
der Beaufsichtigung der länd-
lichen Arbeiten im elterlichen
Hause. Zur Unterstützung des
Gliedes wird die Mitelle in der
Regel nicht mehr getragen.
Es leuchtet ein, dass die Primärresection in diesem Falle den
Wund verlauf bedeutend abgekürzt haben würde. Die Grösse der
Knochenverletzung und die Lage der Wundöffnung waren der früh-
zritigen Diagnose nicht ungünstig; aber die Verwundung datirt aus
dem Beginne des Feldzuges mit seinem Mangel an Routine in der-
gleichen Untersuchungen. Ob durch die Primärresection auch eine
grössere Ausgiebigkeit und Activität des Oberarmes zu erzielen ge-
wesen wäre, mnss dahingestellt bleiben.
Dass eine Schlotterverbindung entsteht, hängt weniger von
der Zeit der Operation als von der Länge des Stückes ab, welches
dabei vom Humerus abgetragen wird. Sie war iu den folgenden
Fällen bedeutender; in einem erreichte sie 5 Zoll.
Fall 196 (nam. Liste d. Res. Nr. 29). Schussfractur des Oberarm-
kopfes. Secundäre Resection mit Abtragung von 2 Zoll des
Humerus - Schaftes. Heilung mit activ nicht beweglicher
Schlotterverbindung. — Füsilier Heinrich Alteilges vom 55. Inf.-
Reg. erhielt am 22. Februar einen Schuss durch die linke Schulter. Die
296
Kugel drang an der Spina scapulae ein und wurde unter dem Acromial-
ende des Schlüsselbeines ausgeschnitten. Nachdem sich die Läsion des
Gelenkes unzweifelhaft herausgestellt hatte , wurde am 15. März die Re-
section gemacht und zwar mittelst eines ungefähr den Contouren des Delta-
muskels entsprechenden Lappens. Der Oberarmkopf fand sich fracturirt;
die in den Schaft reichende Splitterung erforderte die Abtragung eines
2" langen Stückes Profuse Eiterung, Eitersenkungen längs des Ober-
armes, welche wiederholt Incisionen erforderten, Decubitus am Ellen-
bogen begleiteten den langsamen Ausheilungsprozess. Erst am 7. No-
vember konnte der Operirte aus der Lazarethpflege entlassen werden. Am
26. December 1865 — 21 Monate nach der Resection — hat Herr
Dr. Pelizaeus in Rietberg das folgende Resultat constatirt: Feste Ver-
narbung. Die Muskulatur des operirten Gliedes erscheint namentlich am
Oberarme sehr geschwunden. Die Gelenkgegend sieht aus wie bei einer
Verrenkung nach unten an mageren Personen. Die Hand ist kühler. Der
Humerus ist c. 2 Fingerbreiten kürzer; das Sägeende ist nach hinten etwas
aufgetrieben. Durch eine etwa 1" lange sehnige Zwischensubstanz wird
eine Schlotterverbindung vermittelt. Eine active Bewegung des Oberarmes
ist kaum möglich; passiv lässt sich der Oberarm gegen 1 Fuss vom Rumpfe
entfernen. Ellenbogengelenk und Hand sind ganz gebrauchsfähig, obwohl
der Druck der Hand noch viel schwächer ist als an der gesunden Seite.
Ein Stützapparat wird nicht getragen. Der Operirte lebt im Hause seines
Bruders und hilft demselben im Betriebe einer ländlichen Wirthschaft. Die
Stelle eines Gerichtsboten hat er aufgeben müssen, weil das operirte Glied
in Folge von Erkältung von rheumatischen Schmerzen befallen wurde.
Dies ist der einzige Fall, in welchem 1864 die Resection des
Schultergelenkes mittelst einer anderen als der gewöhnlichen Schnitt-
weise — vorderer Längsschnitt in der Richtung des Sulcus inter-
tubercularis — ausgeführt wurde. Einen Vortheil für den Heilpro-
cess hat der Lappenschnitt nicht gewährt; namentlich sind Eiter-
senkungen durch ihn nicht verhütet worden Dass er auch die
eventuelle Brauchbarkeit nicht gefördert habe, geht aus dem mitge-
getheilten Resultate hervor. Neudörfer hat bekanntlich den Ty-
pen für die Resection des Schultergelenkes einen neuen hinzugefügt
(1. c. pag. 45) — - Schnitt auf der Höhe des Acromion mit Durch-
sägung des letzteren. — Meines Wissens hat er selbst jedoch nur
einmal die neue Methode versucht. Ich kenne nicht das definitive
Resultat. Nach dem Zustande, in welchem ich das Glied bei einem
Besuche des Lazarethes zu Schleswig Anfangs Mai 1864 gesehen
habe, lässt sich kaum sagen, dass der Verlauf von dem bei secun-
dären Resectionen gewöhnlichen sich unterschieden habe. Eiter-
sackungen und bedeutende Muskelatrophie fehlten auch da nicht.
297
Fall 197 (nam. L. Nr. 22). Schussfractur des Oberarmkopfes mit
Splitterung in den Schaft. Secundäre Resection des Schul-
tergelenkes. Heilung mit activ nicht beweglicher Schlotter-
verbindung. — Musk. Christian Schmidt vom 64. Inf. -Reg. erhielt
am 29. Juni auf Alsen einen Spitzkugelschuss durch die linke Schulter
und wurde in Sandberg (1. F.-L. 5. I.-Div.) aufgenommen. Einschuss
dicht neben dem Acromialende der Clavicula, Ausgang an der hinteren
Grenze der Achselhöhle. Der Schusskanal geht durch das Gelenk. Der
untersuchende Finger trifft auf viele kleine Splitter; es lässt sich jedoch
nicht sicher ermitteln, ob dieselben vom Humerus oder von der Scapula
herrühren. Fixirung durch eine Mitelle; Eisblase. Bei gutem Allgemein-
befinden nöthigt grosse Schmerzhaftigkeit der Wunde in den nächsten Ta-
gen wiederholt zur Darreichung von Morphiumgaben. Der Schusskanal
reinigt sich allmählig. Am 7. Juli Schüttelfrost. Am folgenden Tage zeigt
sich vorn eine Eitersenkung am Oberarm herab. Durch Druck entleert
sich von da ein jauchiges Secret, während der Eiter sonst gut ist. Leb-
hafteres Fieber vom 12. Juli ab. Da sich jetzt bei erneuter Untersuchung
herausstellt, dass der Kopf des Humerus zertrümmert ist, so wird am
14. Juli die Resection ausgeführt (Chefarzt Dr. Abel). Der Proc. glenoi-
dalis scapulae ist unverletzt. Das Caput humeri findet sich sternförmig
gesplittert; die Tubercula mit den Muskelansätzen völlig zerstört. Nach
der Absägung zeigt sich, dass eine Spalte in den Schaft geht, anscheinend
nur 1" weit. Dies Stück wird nachträglich
abgesägt. Die beiden Hälften lassen sich
leicht von einander trennen, und an der
Sägefläche sieht man, dass die Spaltung
tiefer dringt. Weitere Abtragung wird in-
dess unterlassen. Vereinigung der Opera-
tionswunde durch Nähte. Schon folgenden
Tages wird die untere entfernt, um den Ab-
fluss des Secretes zu sichern. Der sehr an-
gegriffene Operirte erholt sich allmählig
unter Darreichung von Wein. Am 20. Juli
Entfernung aller Nähte wegen bedeutender
Spannung. Der Ausheilungsprocess ver-
läuft ohne wesentliche Störung bis zum
2 September, wo wegen Auflösung des
Lazarethes die Evacuation nach Apen-
rade erfolgt. Am 14. September wird eine
Incision nöthig, um eine Eitersackung an
der Hinterseite des Oberarmes zu entleeren.
Anfangs October Schluss der Wunden. Der
Operirte ist dann noch bis zum 28. No-
vember 1864 im Lazarethe zu Potsdam gepflegt und hat im August 1865
eine Badekur in Landeck gebraucht. Am 7. Decbr. 1865 — also 17 Mo-
nate nach der Operation — hat Hr. St.-A. Dr. Rüppell folgendes
298
Fig. 17.
Resultat constatirt: Fisteln nicht vor-
handen; die Operationsnarbe nässt stel-
lenweise und bedeckt sich mit gelben
Borken. Der Ernährungsunterschied zwi-
schen beiden Armen ist nicht erheblicher
als gewöhnlich. Die Temperatur im linken
Arme subjectiv, aber nicht objectiv ver-
mindert. Der linke Arm ist etwa 2 Zoll
kürzer. Am Sägeende des Humerus ist
eine osteophytische Protuberanz von \ Zoll
Höhe zu fühlen (wahrscheinlich eine Wu-
cherung des den Knochenspalt füllenden
Callus. Ref.). Die Schlotterverbindung wird
durch eine bandartige Zwischensubstanz
von 1 Zoll Länge vermittelt. Active Be-
wegung im Schultergelenke ist unmöglich,
nur eine Andeutung von Abduction. Passiv
lässt sich der Arm bis zur Horizon-
talen erheben. Ellenbogen- und Hand-
gelenk normal. Die Brauchbarkeit des
Gliedes beschränkt sich auf das Halten
leichterer Gegenstände, wenn der Vorder-
arm horizontal an den Thorax gelegt und mit der rechten Hand gestützt
wird, wie der nach einer Photographie gefertigte Holzschnitt es zeigt.
Fall 198 (nam. Liste d. Res. Nr. 20). Schussfractur des Oberarm-
kopfes mit Splitterung in den Schaft. Secundäre Gelenkre-
section mit Abtragung eines Stückes des Humerus von 3£"
Länge. Heilung mit activ nicht beweglicher Schlotterver-
bindung. — Musketier Theodor Beckmann vom 53. Inf.-Reg. erhielt
am 18. April einen Schuss durch das linke Schultergelenk von vorn nach
hinten. Die heftige örtliche Reaction suchte man im 1. F. L. der 13. Div.
zu Wester-Schnabeck durch Eisapplication zu mässigen. Die copiöse
Eiterung und das Sinken der Kräfte veranlasste am 28. April zur Resec-
tion des Gelenkes (Chefarzt Dr. Geis ler). Ausser dem zertrümmerten
Caput humeri musste wegen der abwärts gehenden Splitterung ein Stück
der Diaphyse, im Ganzen 3§"^Zoll abgetragen werden. Der weitere Ver-
lauf war günstig, zumal da der Eiter auch aus der hinteren Oeffnung guten
Abfluss hatte. Anfangs Juni entleerten sich durch letztere kleine Knochen-
fragmente. Ende October wurde der Operirte. aus der Lazarethpflege in
Münster entlassen.
Am 11. Februar 1866 — 22 Monate nach der Operation — con-
statirte Herr Dr. V asm er in Waltrop folgendes Resultat: Definitive Vernar-
bung. Die Form der Schulter gleicht der nach einer Luxation. Das Acro-
mion ragt spitz vor. In der Einsenkung darunter lässt sich der Proc. co-
racoideus und der Gelenktheil der Scapula unmittelbar unter der Haut
durchfühlen. Der Deltamuskel ist fast ganz atrophirt. In der Mitte ist
299
der Umfang des Oberarmes nicht viel kleiner als der des gesunden. Tempe-
ratur und Puls zeigen keine Differenzen. Der Versuch mit der Nadel er-
giebt, dass die Sensibilität in der oberen Hälfte des linken Armes fehlt,
in der unteren vermindert, an Vorderarm und Hand normal ist. Am Säge-
ende des Humerus finden sich unregelmässige Knochenwucherungen. Der
linke Arm ist 1|" kürzer als der rechte. Eine strangförmige, 2" 3"' lange
Zwischensubstanz vermittelt die Verbindung zwischen Humerus und Sca-
pula. Von der Sägefläche des ersteren ragt eine spitz zulaufende Knochen-
neubildung bis zur Mitte des fibrösen Stranges; auch an der Insertion des
Pectoralis major lässt sich Knochenbildung durchfühlen. Active Bewegung
des Oberarmes ist unmöglich. Bei der Aufforderung, den Arm vom Rumpfe
zu entfernen, erhob B. nur die Schulter; der Arm blieb schlaff hangen.
Passive Bewegungen sind natürlich ausgiebig genug möglich. Ellenbogenge-
lenk, Handgelenk und Finger sind in ihren Bewegungen nicht gehemmt. Zu
allen Leistungen, welche Mitwirkung des Schultergelenks fordern, ist das Glied
untauglich. Zu Kraftäusserungen ist auch Unterarm und Hand noch nicht fähig.
Der einzige Fall von intermediärer Resection des Schulterge-
lenkes, welcher 1864 zur Heilung gelangte (S. nam. Liste d. Res.
No. 15) ist zugleich derjenige, bei welchem das längste Stück vom
Humerus — 5" — abgetragen wurde. Herr 0. St A. Dr. Thal-
witzer hat den Operirten 7 Monate nach der Resection in Hel-
singör untersucht. Wegen hochgradiger Atrophie der Muskulatur
prominirte das Schultergerüst sehr stark. Am unteren Ende der
18 Ctm. langen Operationsnarbe war noch eine Fistel offen. Knochen-
neubildung hat nicht stattgefunden. Vom Acromion bis 15 Ctm.
abwärts bildet der Oberarm eine weiche schlaffe Masse, durch welche
die Narbensubstanz als festerer Strang zieht, und welche nach allen
Seiten leicht zu knicken ist. Activ ist jede Bewegung in der
Schulter absolut unmöglich. Beim Gehen wird der Arm unter
Schmerz nach vorn geschleudert. Im Bette muss die Rückenlage
innegehalten werden, da in der Seitenlage das Herabfallen des
Armes Schmerz verursacht. Ist der Vorderarm nicht unterstützt,
so hat der Mann beständig Schmerz im Oberarm. Im Ellenbogen-
gelenke ist selbst bei Fixirung des Oberarmes nur eine ganz unbe-
deutende Beugung activ ausführbar. Der Vorderarm ist 2% Ctm.
dünner als am gesunden rechten Arme. Hand- und Fingergelenke
sind frei ; die Kraft ist jedoch gering. Der Operirte trägt eine le-
derne Kapsel, welche das Schultergelenk fixirt und den Vorderarm
in Beugung erhält. Er kann so ganz leichte Gegenstände mit der
Hand halten, auch beim Schreiben, nachdem der Unterarm mittelst
der gesunden Hand auf den Tisch gelegt ist, das Papier fixiren.
300
Aus den mitgetheilten Fällen ergiebt sich, dass die Brauchbar-
keit des conservirten Gliedes nach der Resection des Schulterge-
lenkes sich vermindert, je länger das Stück ist, welches vom Hu-
merus abgetragen wird. Active Bewegung des Oberarmes
ist nur in solchen Fällen erhalten, bei welchen der
Knochendefect sich auf die Epiphyse beschränkt. Wohl
war man, besonders bei den secundären Resectionen, bemüht, sub-
periostal zu operiren; allein der erwartete Wiederersatz des
Knochens ist, abgesehen von vereinzelten Calluswucherungen und
zerstreuten Knocheneinlagerungen, in keinem Falle der Art erfolgt,
dass dadurch die Brauchbarkeit des Gliedes gesteigert wird. Der
einzige Fall von Ankylose nach der Resection erklärt sich durch
die von dem gleichzeitig verletzten Gelenktheile der Scapula aus-
gehende Callusproduction.
Die activ unbewegliche Schlotterverbindung ist ohne
Zweifel an der Schulter weniger störend für den practischen Ge-
brauch des conservirten Armes als am Ellenbogen ; aber sie ist übler
als die Schulter- Ankylose, weil letztere die Mitbewegung des
Oberarmes mit der Scapula sicherer stellt und eine grössere Kraft-
äusserung des Gliedes ermöglicht. Je länger die Zwischensubstanz
ist, welche die Schlotterverbindung vermittelt, desto weniger wird
die conservirte Brauchbarkeit des Unterarmes und der Hand ver-
werthbar für practische Zwecke. Daraus folgt die Regel, auch bei
der Resection des Schultergelenkes die Abtragung des Humerus
möglichst zu beschränken. Es ist durchaus unnöthig, den
Sägeschnitt bis an das Ende der vom Kopfe in den Schaft dringen-
den Spalten zu verlegen. Besonders bei frühzeitiger Resection und
bei gehöriger Benutzung des Eises nach derselben ist auf Füllung
der Schaftspalten durch Callus zu rechnen.
Ich schliese das Referat über die Schussverletzungen der oberen
Glieder mit einem statistischen Ueberblicke der im Feldzuge von
1864 an den Armen ausgeführten
301
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302
Aus den vorstehenden Zahlen ergiebt sich, dass die verstüm-
melnden Operationen an den Armen 1864 in 39 pCt. der Fälle
das Leben nicht gerettet haben. Bei den Primär am pu tat ionen
beträgt die Sterblichkeit nur 30 pCt. Für die einzelnen Amputationen
ergeben sich folgende Procentsätze:
Sterblichkeit :
im Ganzen bei der Primär-Operation
0 pCt. . . 0 pCt.
Exarticulatio Digitorum
„ Manus
Amputatio Antibrachii
„ Humeri
Exarticulatio Humeri
0
16,6
54,8
60,0
0
0
47,3
50,0
Je mehr die Amputationen auf die schwersten Verletzungen
und auf solche Fälle beschränkt werden, in welchen die Conserva-
tivkur einen lebensgefährlichen Verlauf nimmt, desto höher muss
ihr Sterblichkeits-Proceritsatz steigen. In keinem früheren Kriege
ist das Amputationsmesser verhältnismässig so wenig, namentlich
so wenig primär gebraucht worden wie 1864. In den schleswig-
holsteinischen Kämpfen von 1848 bis 1850 wurden an den oberen
Extremitäten bei 296 Schüssen mit Knochenverletzung 96 = c.
32 pCt. Amputationen gemacht, 1864 bei 349 nur 61 = c. 17 pCt.
Aus der Tabelle XVII. ergiebt sich, dass die Exarticulation
im Ellenbogengelenke 1864 gar nicht gemacht worden ist.
Namentliche liste
im Feldziioe von 1864
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